Wunden über Wunden
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Einige Stunden sind vergangen, obwohl Zeit, seitdem Thorin verletzt wurde, jeglichen Gehalt verlor und sie bedeutungslos und wie in Trauerschleier gehüllt an mir vorbeizog. Fenna schließt mich in ihre mütterlich warmen Arme, als Dwalin und ich die Badestube verlassen. Sie freut sich über unsere Rückkehr, aber nur allzu deutlich verraten die matt getrockneten Tränenspuren um die von Gefühlsfalten geprägten Augen, dass sie unlängst von der Verletzung erfuhr. Seit seiner Geburt sorgt sie sich um Thorin und so manch Vertiefung furchte er in ihre Haut.
Auch Jassin treffen wir auf den Weg zurück zum königlichen Gemach. Den kleinen Fili birgt sie behütend in ihren Armen. Er ist so groß geworden und zärtlich streiche ich über seinen weichen Bartflaum, nachdem meine Freundin mich mit einer erleichterten und gleichwohl trauervollen Umarmung begrüßte. Der Zwergling gluckst und streckt die Händchen aus. Die Rührung, da er sich anscheinend trotz der langen Abwesenheit an uns erinnert, beschwört Herzerwärmendes in diesen kalten Stunden. Trotzdem Gewissen und Sorge drängen, umgehend nach Thorin zu schauen, nehme ich ihn Jassin für einen Moment ab und vergrabe die Nase in seinen blonden Schopf, gierig den ihm anhaftenden Geruch der Unschuld aufsaugend. Mein kleiner Prinz, wie sehr habe ich dich vermisst. Wie sehr liebe ich dich. Wie sehr wünsche ich, dein Onkel, der dich ebenso liebt und sich nach dir sehnte, könnte dich genauso in den Armen halten.
Auch Dwalin begrüßt seinen Vetter, jedoch auf die kriegerisch-zärtliche Art, indem er vertrauensvoll seine große Stirn an die viel, viel kleinere legt. Vorsichtig und dennoch mit einer beispiellosen Kraft verbunden. Fili lacht und krallt die Hände in seinem Bart fest. Ein idyllisches Bild das entzückt direkt vor mir und für einen Moment, scheinen alle Belastungen weit entfernt, als würde sich eine trauliche Decke über uns legen und ihn vor dem Schrecklichen das lauert bewahren wollen.
Daher umso dumpfer wirkt die Welt, als wir endlich Thorins Gemächer betreten. Keine Kerzen, sondern nur das Kaminfeuer brennt im Herrenzimmer. Schwarze Schatten verbreiten in den Ecken lungernd Grauen und Gram. Ungewohnt ordentlich ist alles, so, wie ich es vor unserer Abreise herrichtete. Keine Karten und noch zu unterzeichnenden Dokumente stapeln sich auf dem Schreibtisch. Die Sessel vor dem Kamin verlassen. Einzig eine dünne Staubschicht überzog Ablagen und Boden. Stille herrscht. Selbst die Standuhr neben der Tür verstummte unlängst, da niemand sie aufzog.
Langsam, unsicher und ängstlich vor dem, dass uns dort erwarten wird, treten wir in das Schlafgemach. Auch hier empfängt eine bedrückende Dunkelheit, obwohl viele Kerzen zusätzlich zum Kaminfeuer brennen. Thorin liegt in seinem Bett. Die Decke verhüllt seinen Unterleib und lange und konzentriert muss ich starren, damit das kaum sehbare Heben und Senken des Bauches erkennbar ist, der straf Lage um Lage von Bandagen umwickelt wurde.
Die Herrin Dís sitzt zusammengesunken neben dem Bett und hält seine schlaffe Hand. Ihr Gemahl versucht mit dem sanften Streicheln ihrer Schulter Trost zu spenden, aber die Verzweiflung ob der Trostlosigkeit ist nur allzu erkennbar in den ermatteten Augen. Oin verstaut gebrauchte Tinkturen und übriggebliebene Verbände in seiner Tasche und bespricht dabei Unverständliches mit seinem Bruder. Balin steht abseits an den Sims des Kamins gelehnt und bemerkt unser Erscheinen als Erster. Langsam kommt er näher.
„Wie geht es ihm?", fragt Dwalin flüsternd. Sein Bruder senkt den Blick. „Die Wunde reicht tief, jedoch wurden zum Glück keine Organe noch größere Blutgefäße verletzt. Dennoch hat er viel Blut verloren und wohl umso verheerender mehr, hättest du nicht die glorreiche Idee mit dem Weißmoos gehabt, dass die Blutung schnell stoppte." Gute Nachrichten sind es, die eine günstige Prognose stellen, gleichwohl er weiterhin ohnmächtig ist.
„Wir müssen die nächsten Tage abwarten", ergänzt Oin, der nun ebenfalls zu uns stößt. Einen sorgenvollen Blick lässt er über mich schweifen und scheint dann zufrieden mit der zurückgewonnenen Festigkeit. Gleichwohl eine Untersuchung wird er noch an mir vornehmen wollen, zu schrecklich sah ich aus, als das er es auf Dwalins schlachtfelderrungenen Erfahrung mit der Wundversorgung beruhen lassen wird.
„Das Schwert das ihn traf, war sehr verunreinigt. Ich habe versucht so viel Schmutz, Rost und allerhand anderes, was wohl an ihm haftete, hinaus zu spülen, jedoch wird sich zeigen, ob es genügte und die Wunde sich nicht doch entzündet. Außerdem, mit hinterlistig langsam wirkendem Gift beträufeln Orks ihre Waffen manchmal." Scheußliche Folgen könnte dies haben. Die Infektion und Vergiftung würden sich bei der dafür äußerst ungünstigen Lage schnell im ganzen Körper ausbreiten, Fieber hervorrufen und ihn zusätzlich schwächen oder noch sehr viel Schlimmeres bewirken. Verhindern müssen wir diesen Ausgang mit häufigen Waschungen und Verbandswechseln, auch, wenn die Heilung der Wunde damit verzögert wird.
Verunsichert ob mich die Herrin überhaupt hier haben möchte, trete ich an das Bett heran. Thorins Haut wirkt eisengrau. Besorgniserregend flach-schnelle Atemzüge ob des Blutverlustes lassen seinen Körper erzittern. Blass rötlich verfärbten sich die Stellen der Bandagen bereits, die straff gewickelt auf die Wunde drücken. Ein fahler Schatten des Verehrten liegt dort. Als ein widerstandsfähiger Baum, der mit tief reichenden Wurzeln jedwedem Sturm trotz, erwies er sich bisher. Jetzt jedoch erscheint er mir fremd, entsetzlich fremd. Und so entsetzlich fern vom Leben.
Tränen quellen mir aus den Augen. Vorsichtig greife ich nach seiner Hand und erschrecke ob der Kühle der Haut. Dís schaut daraufhin auf und wirkt, als würde sie meiner Anwesenheit erst jetzt gewahr. Scheu sehe ich sie an. Vermutlich weiß sie bereits um die auslösenden Geschehnisse und wer die Schuld trägt an den Zustand ihres Bruders. Jedoch genauso sorgenschwer, wie er vorher auf ihm gelegen hat, ergründet mich ihr Blick nun.
„Geht es dir besser?", fragt sie schließlich, die Stimme heißer von ungeweinten Tränen. Stark ist sie und schön, selbst im Kummer. Ich nicke zur Bestätigung, jedoch mit Schuld beladen, denn wie kann es mir gut gehen, wenn unser König im Sterben liegt.
„Gloin, würdest du Astâ bitte einen Stuhl bringen", befielt sie nach einem kurzen Moment des Überlegens. Schockiert und verwirrt sehe ich den am Bettende Stehenden an, der dienstbeflissen und ohne zu zögern, den Wunsch der Prinzessin erfüllen geht. Sie duldet mich an der Seite ihres Bruders. Weil ich seine Dienerin bin. Weil ich seine Schützerin bin. Weil ich seine Vertraute bin. Wenig werde ich ausrichten können, um ihn ins Leben zurückzubringen. Jedoch alles versuchen, um ihn in diesem zu halten.
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Lang ist der Tag, denn jede Sekunde erscheint wie eine träneschwere Ewigkeit. Fenna kommt und bringt uns Essen. Eine warme, wohltuende Hühnersuppe und gerade erst den Ofen entnommene Brötchen. Wenn es auch ein einfaches Gericht ist, wie habe ich ihre Küche vermisst. Liebe zu denen, die sie damit glücklich machen kann, würzt auf unnachahmliche Weise.
In Stille löffeln wir die Suppe. Jedoch Dwalin, der neben mir sitzt, hüllt sich in Verweigerung. Ein uralter Brauch ist es, um den nur noch einige wenige Wissen und ihn praktizieren. Buße ist es, Selbstgeißelung, die Abbitte eines Kriegers der versagte. Kaum wird er schlafen, etwas zu sich nehmen oder Gesellschaft dulden, solange sein Schutzbefohlener nicht erwachte. Kriegerinnen ist er zeither untersagt, denn zu sehr zehrt es an den Kräften und nicht wenige starben in Verbundenheit zu ihrem Herren.
Balin, Gloin und Vilí verabschieden sich schließlich, genauso wie Oin, nachdem mich der Heiler noch einmal untersuchte und sich zufrieden mit der Wundversorgung gab. Obgleich der Umstände, Wichtiges müssen sie erledigen. Der Rat sollte über Thorins Zustand ungerichtet werden. Die ausgehandelten Verträge sind zu besprechen und die erste Lieferung zu organisieren. Es missfällt mir, sie bei diesen vielen Aufgaben nicht zu unterstützen, wie es eigentlich die meine wäre. Jedoch mehr noch braucht Thorin mich gerade und zudem nicht allein lassen will ich Dís in ihrem Kummer. Auch sie isst nichts, spricht nicht, sondern hält beständig den trüben Blick auf ihren Bruder gerichtet, hoffend darauf ein Zeichen zu erkennen, dass er erwacht.
Ebenso Dwalin verlässt uns letztendlich. Er blieb so lange bei mir, wie es sein Gewissen zuließ die vor wenigen Stunden erst gegebene Zusicherung zu erfüllen. Viel bedeute ich ihm und nicht leichtfertig sprach er es aus, jedoch das Gebot der Buße setzt sich über jegliches Gelöbnis hinweg. Eine demnach tröstende Hand lässt er einen Moment auf meiner Schulter ruhen. Bis Thorin erwacht, werde ich ihn vermutlich nicht wiedersehen. So ist es auch ein Abschied auf unbestimmte Zeit und er sticht in unser beider Herzen. So viel will ich ihm sagen, so sehr will ich ihn danken für alles, so gerne möchte ich ihn in die Arme schließen und von ihm in die Arme geschlossen werden. Trost könnten wir uns schenken in der Untröstlichkeit. Aber kein Recht habe ich dazu, ihn aufzuhalten. Niemand, ungeachtet von Stand, Stellung oder Bund, hat dies.
Still ist es im Zimmer. Nur Thorins röchelnder Atem ist zu hören, so dass selbst das Knacken der unter Flammenkraft auseinanderbrechenden Holzscheite im Kamin stört. „Was ist geschehen?", fragt Dís plötzlich und beendet die Sprachlosigkeit der Krankenwache. „Balin erzählte, dass du bei meinem Bruder warst, als der Angriff erfolgte."
Die schlimmste aller Fragen stellte sie. Das Recht hat sie es zu erfahren, aber dennoch hoffte ich der Aufklärung und damit verbundenen Schande wenigsten noch einige Stunden oder ganz zu entgehen. Jedoch offen erzähle ich ihr jedes Detail. Von den unerwarteten Angriff, der Schwäche, derer ich mich schuldig bekenne, dem Versagen, wie ihr Bruder mir zur Rettung eilte und weswegen er verletzt wurde. Letztendlich von den Tavari berichte ich und wie sie uns halfen.
Dís lauscht mit betrübtem Blick und senkt ihn schließlich, nachdem ich endete, zurück auf ihren Bruder. „Das Weißmoos hat ihm das Leben gerettet. Ohne seine blutstillende Wirkung hätte er den Weg bis hierher niemals überstanden." Tränen schimmern in ihren Augen und überfluten unweigerlich auch die meinen. „Vergebt mir Herrin, es war meine Schuld, nur durch meine Schwäche wurde Ihre Majestät verletzt", bitte ich in der Verzweiflung, obwohl keine Hoffnung besteht, dass sie mich jemals von ihr freisprechen wird.
Allerdings ihr darüber erstaunter, obwohl noch immer tränentrüber Blick, hebt sich daraufhin. „Die Tavari sind alte Wesen, gutmütig und rein, jedoch zeigen sie sich und helfen nur demjenigen, der sich ihrer würdig bewies und sie zu schätzen weiß. Deine Verletzung war verheerend, ja, aber sie geschah nicht aus einer Schwäche, sondern aus unglücklichen Gegebenheiten heraus, Du musst dich dessen nicht schämen noch schelten, dass du wegen ihrer nicht weiter kämpfen konntest. Ich erschrak fürchterlich, als du zur Tür hereinkamst. Überall klebte Blut an dir. Deins, seins, das Schwarze von Orks. Das Gold der Haare verschandelt von Rot. Wunden über Wunden unter zerrissener Rüstung. Ich sah Krieger verzagen, die weniger schlimm zugerichtet waren. Die Waldgeister gaben dir lediglich einen Hinweis, du selber hast ihn trotzend der Umstände verstanden und aufgrund deines Wissens ungesetzt. Du hast Thorin gerettet."
Der Respekt und das Vertrauen gebieten mir, ihr zu glauben, auch wenn die Worte mitnichten alle Zweifel und Schuldgedanken auflösen können. Jedoch Trost schenken sie und neuen Mut.
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