Winterkrieger
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Erschrocken blicke ich wieder auf. Mit allem rechnete ich, jedoch nicht damit, dass er mein Erscheinen bereits voraussah. „Wie ...?", entkommt mir das Ersuchen nach Aufklärung daher stotternd, aber er erhebt sich lächelnd. „Nie auch nur eine Sekunde habe ich daran geglaubt, dass du lieb und brav zuhause verweilst und der Lady Dís beim Sticken zusiehst. Es liegt nicht in deinem Blut, andere für dich kämpfen zu lassen."
Balin tritt nah an mich heran. Seine Augen sind sanft und wissend und ... verständnisvoll. „Jedoch bin ich erstaunt, dass du es so lange Zeit vermeiden konntest, entdeckt zu werden. Wir alle hielten beständig Ausschau nach dir, unterschätzen aberwohl deine Gabe sich zu tarnen in der Masse der anderen Krieger."
Reumütig senke ich den Blick. „Bofur ging auf Befehl der Herrin mit mir. Durch seine Hilfe wurde ich als ihresgleichen anerkannt und es viel mir leicht, unter ihnen zu leben und zu kämpfen. Meister Oin jedoch, erkannte mich, indes ich ihm bei der Versorgung der Verwundeten helfen wollte." Alles erzähle ich ihm. Von dem Davonschleichen, dem Weg, den Gefechten und den Zwergen und Menschen, denen ich währenddessen begegnete. Sowie auch von den Ereignissen in den alten Hallen, die wir einzunehmen gedenken.
Jedoch, um dies zu verhindern, darum bin ich hier. „Ich bitte Euch; Meister Balin. Ihre Majestät vertraut nicht vielen Zwergen und unter ihnen befinden sich nur zwei, auf deren Rat er wirklich hört. Eine davon wartet auf seine Rückkehr und ist unerreichbar, der andere, sitzt gerade vor mir. Wir dürfen diese Hallen nicht betreten, denn ein grausamer Tod erwartet uns dort!"
Eindringlich spreche ich, die Tränen nur mit allergrößter Mühe zurückhaltend. „Du sprichst von dieser Wesenheit, die auch die Rohirrim erwähnten?", fragt Balin nach und ich nicke. „Ein Imp, gefährlich und dunkel und kalt. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welche Angst er verbreitet." Des Königs Berater schüttelt sein weises Haupt. „Einen solchen Dämon gibt es nicht in dieser Welt. Nur Legenden existieren, die es allerdings vermögen, diese Furcht in von der einsamen Finsternis eingenommenen Köpfe zu sähen. Ihr werdet einem Schatten, vielleicht sogar einem orkischen Arg oder sonstigem aufgesessen sein."
Wie gerne würde ich seiner Erklärung zustimmen, jedoch weiß ich es besser und kann dies auch beweisen. Vorsichtig streiche ich die Haarsträhne beiseite, die seither das Mal auf meiner Wange verbirgt. „Es hat nach mir gefasst und fortan fesselt bittereisige Kälte Geist und Körper, sobald Herzlichkeit und Güte es berührt oder ich mich dem Bösen zum Kampf stelle."
Balins Augen werden weit. „Niemand überlebt den Angriff eines Dämons der Leere", wispert er. Zweifel dämpft wohl seine Stimme. Die Offenbarung erschütterte seine Annahme in ihren Grundfesten. Dennoch will er diese (noch) nicht zugeben. „Wie konntest du die Kälte bekämpfen und vor mir stehen?" Berechtigt ist diese Frage. Oft selbst kann ich nicht glauben, dass wir ihr entkamen.
„Gedanken sind es, die sie bezwingen können. Warme, wohlige Gedanken an Begebenheiten, Orte, ...", beginne ich den Versuch zu erklären, werde jedoch von ihm unterbrochen. „... und mehr noch die Erinnerungen an unsere Liebsten." Ich weiß, auf was oder besser wen, er hinauswill, und nicke bestätigend. Er lächelt daraufhin. „Die Geisteskraft ist stark. So manchen Unhold kann sie bezwingen und vermag auch die kälteste Leere, sogar die im Herzen eines Winterkriegers, zu füllen. Sie kann Schmerzen mildern, Einsamkeit lindern, selbst alte, schlecht vernarbte Wunden heilen."
Dwalin erzählte mir einst von den Winterkriegern. Gebrochen von Erlebten, von Verlusten und Kummer, sind ihr Herzen kalt, schützend umgeben von Eis, dass jedoch ein beengendes Leiden hervorbringt, das sie immerzu quält. Nur wenig vermag diesem Panzer Risse zuzufügen und die Drangsal zu erleichtern. Liebe ist eines davon und wohl auch das Stärkste.
Balin senkt seinen Blick. „Nun gut, ich glaube dir", brummt er akzeptierend. „Aber ich befürchte, selbst mit diesem Wissen kann ich Thorin nicht davon abhalten, diese Hallen zu betreten. Du weißt nicht, was er darinnen vermutet und wie viel Macht und Reichtum es ihm einbringen würde, weshalb dieses Reich auch keine Erwähnung in den geläufigen Schriften findet und nur wenigen bekannt ist." Nicht verstehen kann ich seine Ausführungen. Was schon kann so kostbar sein, dass man sein und die Leben so vieler dafür riskieren würde?!
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Wenn der Erdboden durch die Sommerhitze ohne regenfeuchte Abkühlung nicht so steinhart wäre, längst hätte ich eine tiefe Furche in ihn gelaufen, während ich auf die Nachricht warte, wie die Könige informiert über die neue Lage nun entscheiden. Ich bat Balin, niemandem und schon gar nicht Thorin davon zu erzählen, wer ihn von der existenten Gefahr des Imps überzeugte. Nicht nur, dass meine Anwesenheit hier ihn erzürnen würde, sollte er auch noch erfahren, dass ich ein solches Risiko einging und verletzt wurde, das ausgestoßene Donnerwetter würde in ganz Mittelerde zu hören sein. Der königliche Berater verstand dies natürlich und versicherte es mir. Auch die Entscheidung, will er mir daher nicht persönlich überbringen, sondern durch einen neutralen Boten.
Aufgeregt sehne ich sein Erscheinen nun herbei, denn heute Abend bereits, werden wir an den Saum der sumpfigen Wälder gelangen, die uns einzig noch von dem alten Reich trennen. Die Rohirrim sowie die beiden Zwergenbrüder, mit denen wir sie einst durchquerten, sollen die Truppen führen. Genauso wie sie, Sigrun, Bofur und Herehild, hoffte jedoch auch ich, diese niemals wieder betreten zu müssen.
„Astâ, bei Mahals zauseligen Bart, setzt dich endlich hin, du machst mich ganz nervös und du wirst bestimmt nicht schneller Nachricht erhalten, wenn du den Boden weiter malträtierst und die Maulwürfe in ihm erschreckst." Sigruns genervte Anweisung übt gleichwohl keine Wirkung. Sie seufzt letztendlich aufgebend und widmet sich wieder dem Schleifen ihres Schwertes. Bofur neben ihr lächelt belustigt.
„Zabdûnayê Astâ", endlich beendet die förmliche Ansprache des Boten die unerträgliche Unruhe. Ich kenne ihn nicht, aber er anscheinend mich. Jung ist er noch und das Rot seines bescheiden geschmückten Bartes verrät, dass er wohl einer derer Familien angehört, die aus dem Reich der ‚Urstarâg in unseres übersiedelten. Gute Krieger sind sie und Thorin treu ergeben, denn tief verbandelt sind beide Sippen miteinander.
Er senkt den Blick zur Begrüßung und unüberlegt, erwidere ich diesen verhalten, wie es meinem Stand zu ihm gebührt. Ab legte ich die Attitüden des Adels, um das Inkognito zu wahren, gleichwohl fest eingebläute Gewohnheiten, lassen sich nicht umstandslos abgewöhnen. Ich hoffe, dass niemand derer die nicht darum wissen, die verräterische Geste sah.
„Welche Nachricht überbringt Ihr?", frage ich und kann nicht verhindern, dass mir die Hände feucht werden. Der junge Krieger übergibt mir eine Pergamentrolle. Versiegelt ist sie mit einem wohlbekannten Ornament, das einige Elemente des Hauses Durin in sich birgt, jedoch durch Unterschiede in der Größe, Verflechtung von Linien oder dem Vorhandensein neuer Charakteristika den abgespaltenen Zweig verdeutlicht. Ich danke dem Jungen und wende mich ihn entlassend ab.
„Und?", will Sigrun sogleich wissen, als ich das Pergament auseinanderrolle und beginne zu lesen. Mehrmals überfliege ich die in der ausdrucksvollen Schrift hastig niedergeschriebenen Worte und kann sie dennoch nicht erfassen. „Sie wollen die Orks weiterhin innerhalb der Hallen bekämpfen", offenbare ich schließlich und verzweifle.
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„Das ist reiner Wahnsinn! Du kannst sie nicht aufhalten, warum also so ein Risiko eingehen!" Bofurs Stimme bricht unter der Hilflosigkeit. Während des ganzen Weges durch die Wälder versuchte er mir den gefassten Plan auszureden. Wieso nur habe ich ihn in diesen eingeweiht, ehe er zu gegebener Zeit sowieso keine Handhabe mehr dagegen hätte einbringen können. Jetzt, so kurz bevor ein erster Erkundungstrupp aufbrechen will, um über den Nebeneingang den Berg zu betreten, ist es die Verzweiflung, die ich ebenfalls vordem spürte, die ihn dazu bringt eine letzte, nachdrückliche Anstrengung zu unternehmen, um zu verhindern, dass ich mich ihnen anschließe.
Harsch entreiße ich mich seiner zurückhaltenden Hand. „Ich muss es trotzdem versuchen. Thorin führt sie alle in das Verderben, nur, weil er dort drinnen etwas zu finden vermutet. Irgendeinen mächtigen Stein, eine alte elbische Zauberei, den unsere Vorfahren, die einst hier lebten, aus den Wassern des Baranduin fischten und versteckten."
Bofur schüttelt den Kopf. So heftig, dass die abstehenden Enden seiner Mütze, die er trotz des heißen Wetters immerzu trägt und nur absetzt, um sie gegen einen schützenden Helm zu tauschen, auf und ab wippen. „Aber Meister Balin schrieb doch, dass er sie darüber unterrichtete, was zu tun ist, wenn sie dem Imp begegnen und das die Truppen vorher instruiert werden." Wahr ist dies, gleichwohl kein Vertrauen habe ich darin.
Ich lasse den Blick zu den wartenden Kriegern schweifen. Allesamt alte, erfahrene Zwergenkrieger. Bewandert in der Kriegskunst. Erprobt in Schlachten. Viel haben sie bereits gesehen, erlebt und erlitten. Winterkrieger sind sie. Ihre Herzen dadurch kalt, umgeben von einem erstarrten Eispanzer. Wenige schöne, warme Erinnerungen werden sie bewahren und kaum einer wird es gelingen, diesen zu durchdringen, um die schattige Bitterkälte des Imps zu entkommen. Einer befindet sich unter ihnen, wird sie führen und befehligen, der zwar jung an Jahren aber dennoch ebenso gefährdet ist. Insbesondere ihn zu retten ist Beweggrund genug, mich erneut der Gefahr auszusetzen.
„Ich weiß, wen du zu beschützen versuchst ... wen du nicht verlieren willst." Bofurs Stimme lenkt die Gedanken wieder auf ihn und die erneut beschwörende Hand, die die meine jedoch nun behutsamer als vordem umfasst. „Auch wenn ich euch bislang nur wenige Male zusammen sah, so entging mir gleichwohl nicht, mit welchem Blick er dich betrachtet und welche du ihm schenkst. Ich bin nicht dumm, Astâ. Es sind solche, mit denen sich ebenso meine Eltern nach all den Jahren noch schweigend kostbar schätzen."
Erschrocken starre ich ihn an. „Du irrst", versuche ich das wohl unverhohlen Sichtbare abzustreiten. „Du brauchst euch nicht zu verleugnen", sagt er jedoch kopfschüttelnd. „Eine Verbindung ist es, die zwar zu gegebener Zeit Unmut bei einigen aufbringen, aber dennoch unter dem Segen Mahals stehen wird, da bin ich mir sicher." Nicht seiner Meinung bin ich, denn fraglich ist, dass es irgendwann einmal überhaupt dazu kommen wird. „Wir sind zu verschieden ... und zu gefangen in unseren Obliegenheiten", widerlege ich daher die Voraussagung. Jedoch in Bofurs Augen ist zu sehen, wie er dies nicht annehmen kann.
Sanft entlässt er mich aus seiner Zurückhaltung. „Geh und erwärme des Winterkriegers Herz, du bist wohl seine einzige Chance zurückzukehren." Ich danke ihm stumm, auch für das Vertrauen denn weiß ich doch, wie sehr er dem General ebenso wohlgesinnt zugetan ist.
Den Helm stülpe ich mir über und schreite mutigen Schrittes zwischen die wartenden Krieger. Mein Erscheinen wird von ihnen kaum wahrgenommen, lauschen sie doch den einschwörenden Worten ihres Heerführers. Von der durch einen Unbekannten, der diese Hallen bereits betrat und dem Schrecken, der darinnen lauern soll, entkam, übermittelten Taktik, berichtet er ebenso wie von den vermuteten Scharen an Orks.
Sigrun steht neben ihm, sichtlich aufgeregt. Sie soll als Führerin fungieren und ihr junges Herz schlägt schneller ob dieser Aufgabe. Zusätzlich wird die Tatsache, dass Dwalin sie persönlich darum bat und sie nun in seiner direkten Nähe verweilt, die Nervosität verstärken, gestand sie mir doch unlängst, dass sie zu ihm und seiner Stärke aufsieht. Ich freue mich, denn sollte diese Mission erfolgreich sein, ist ihr Belobigung und einhergehender Rangaufstieg sicher, sobald wir nach Hause zurückkehren.
Vorerst jedoch, müssen wir es mit der Dunkelheit und dem in ihr lauernden Schatten aufnehmen. Eine Prüfung, die wohl die schwerste meines bisherigen Lebens sein wird und die das Herz dazu bringt schneller zu schlagen als wir uns an den Aufstieg zum Tor machen, aus dem ich vor wenigen Tagen diesem erst mit viel Glück entkam.
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‚Urstarâg – Feuerbärte
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