Wem kann ich vertrauen

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Die Sonne steht hoch am blauen Himmel, der nur von windzerfetzten Wolkenschleiern getrübt wird. Unangenehm heiß brennt sie auf uns und die Pferde hernieder, jedoch eine flimmernde Energie liegt in der schwülen Luft, die bald schon abkühlende Gewitter verheißt. Gleichwohl schlimmer als die Hitze und die von einer durchrittenen Nacht gebliebenen Müdigkeit sind die Mücken, die zu Abermillionen von den kleinen stromgeschützten Mulden aufsteigen und uns quälen, während wir an dem Ufer des Flusses entlangreiten.

Nichtsdestotrotz will ich keinen abweichenden Weg nehmen, denn die Spuren des Zuges den wir suchen, verlaufen ebenso hier entlang. Gut zu sehen sind sie im neben ihm weniger festgetrampelten Gras, dass sie ob der Größe betreten mussten. Verpassen möchte ich nicht, wenn sie eine andere Richtung einschlagen, sei es wegen eben dieser Mistviecher oder einem durch welches Ereignis auch immer geänderten Plan. „Wir müssten sie gleich eingeholt haben", mutmaßt Bofur und schlägt um sich. Zwei, drei Mücke wird er vielleicht damit den Garaus machen, aber viel bringen, wird es nicht, denn an ihrer Stelle summen geschätzt zwanzig neue heran.

„In ein paar Metern erreichen wir eine flache Furt im Flussbett, die Thorin gerne als Lagerplatz wählt", unterrichte ich ihn mich an die Landschaft erinnernd, die ich einst schon einmal durchritt, und beruhige Khajmel, der sich mit heftigem Kopfschütteln ebenso gegen die Plage zur Wehr setzt. Schneller fließt das Wasser dort über spitze Steine und die Hoffnung auf eine Erleichterung ist groß.

Einen Hain von Linden und Pappeln durchqueren wir und genießen für den Moment die schattige Kühle und mückenbefreite Luft, die die dicht gedrängten Baumwipfel und Büschel aus Lavendel die am Wegesrand wachsen bewirken. Gewillt bin ich geradezu, anzuhalten, um eine Rast einzuschlagen, befürchte dadurch jedoch, den eingeholten Vorsprung wieder zu verlieren. Zwerge marschieren schnell. Eine kurze Verschnaufpause aber würde den Pferden nach der langen Strecke im Trab unter Mittagssonne guttun ... und uns auch. Eine dornenreiche Entscheidung, die ich treffen muss.

„Wir rasten hier für einen Moment", bestimme ich letztendlich doch und zügle Khajmel. Mein Rücken und einige weitere Stellen schmerzen, als ich von den seinem rutsche. Lange Zeit schon nicht mehr ritt ich so viele Stunden am Stück. Ich reibe mir daher, ein leidendes Gesicht nicht verbergen könnend, über einen besonders in der Tiefe ziehenden Punkt am Oberschenkel, als ich mich zu Bofur in das hohe Gras unter einem Baum fallen lasse.

„Hier, nehmt das", sagt er darauf und kramt in dem Lederbeutelchen an seinem Gürtel herum. Eine recht große Dose zieht er schließlich daraus hervor und überreicht sie mir. „Eine Salbe aus Rosskastanien und noch einigen mehr, sie ist eigentlich für die Pferde gedacht, aber hilft ebenso bei uns gegen allerlei und vor allem Muskelschmerzen." Dankend nehme ich sie entgegen, jedoch ein Benutzen jetzt gleich ist ausgeschlossen, denn teilweise entkleiden müsste ich mich dazu.

Bofur bemerkt das Zögern, versteht wohl seinen Grund und erhebt sich sichtbar von keinerlei Schmerz gequält. „Ich werde unsere Wasserbeutel auffüllen", sagt er dabei und ist schnell im gegenüberliegenden Baumgewirr verschwunden. Ich lache auf und drehe den Deckel herunter. Ein eigenartiger jedoch nicht unangenehmer Geruch, steigt mir sofort in die Nase. Die Salbe hat die Konsistenz von Gelee und nachdem ich die Beinpanzerplatte abnahm und meine Hose ein Stück weit herunterzog, reibe ich sie sorgfältig auf die angespannte und bereits heiße Stelle auf. Kühl dringt sie in die Haut und sofort stellt sich eine Linderung ein.

Einen Moment noch, nachdem ich andere Stellen ebenso versorgte und die Rüstung wieder anlegte, verweile ich im Schatten des Baumes, lausche den beruhigenden Stimmen der Vögel und dem Plätschern des Wassers. Khajmel und Bofurs Stute grasen unweit. Auch ihnen behagt die Rast. Meine Entscheidung war richtig. Ob wir den Zug nun im Laufe des häutigen Tages oder erst morgen einholen, bringt keinen Gewinn. Noch mindestens drei weitere benötigen sie, um an die große Brücke zu gelangen und einen zusätzlichen, um den vereinbarten Treffpunkt mit den Truppen Rohans zu erreichen.

Daher keine von Anfang an falsche Eile treibt mich nunmehr, nachdem wir wieder aufbrachen. In einem sogar gemütlichen Schritt lassen wir die Pferde gehen, lachen und schwatzen und erfreuen uns der Tatsache, dass die Mücken uns nicht über den Saum des Wäldchens hinaus folgten. Einen seichten Hügel besteigen wir auf sanft geschwungenen Pfad, der kaum mehr zu erkennen ist ob der tausendfach über ihn gelaufenen schweren Zwergenstiefeln. Oben angekommen jedoch, halten wir inne. Vor uns, am Ufer des Flusses, rasten ihre Träger in großer Schar. Geschafft.

Wir ziehen unsere bislang an den Sätteln festgemachten Helme über und reiten weiter. So unauffällig und selbstverständlich wie nur möglich. Zwei Rückkehrer von einer Patrouille oder Nachzügler, als solches wollen wir gelten, sollte jemand uns anhalten. Aber niemand beachtet das Vordringen in die Reihen der rastenden Zwerge und Menschen. Sie essen, trinken und reden an Lagerfeuern. Einige legten sich, der Rüstung entledigt und laut schnarchend, für eine kurze Ruhe in die Mittagssonne. Auch Thorin und Folca scheint keinerlei Eile anzutreiben.

Eine Stelle zum Absteigen suchen wir, an der sich viele uns unbekannte Zwerge aufhalten. Unerwartet schwer gestaltet sich dieses Vorhaben, denn entweder entdeckt Bofur vertraute Gesichter oder ich. Nur wenige wissen von Thorins Abweisung, aber dennoch werden Fragen aufkommen, warum wir erst so spät eintreffen. Schließlich nach kurzer Absprache eines halbwegs guten Grundes dafür geben wir auf und wenden uns einer Gruppe zu, die zumindest nur einige entfernte Bekannte des Stallmeisters enthält. Gleichwohl freudig wird er von ihnen begrüßt, als wir abstiegen und die Helme lüfteten. Ungelegen ist es mir, denn solch ein Aufruhr könnte unliebsame Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

„Du kommst spät, zagrûn, obwohl ich hörte, dass du einen Sonderauftrag erfüllen musst, der dich am Mitkommen hinderte", lärmt ein bulliger Zwerg, der Bombur von Statur und Nase ein klein wenig ähnlich sieht. Ein Vetter weit, weit entfernten Grades könnte er sein, jedoch nicht von gleichem Rang, wie die höfliche Anrede inmitten der leichten Wörter verrät.

Bofur schlägt ihm begrüßend auf den Rücken. „Der Sonderauftrag verzögerte die Abreise nur ein wenig", erwidert er und deutet mir näherzukommen. Mit einem dezenten Kopfnicken erbiete ich den Umstehenden, die ihre Augen nun allesamt auf mich richteten, gebührende Aufwartung. Als ihresgleichen trete ich auf, als Kriegerin, als Mitstreiterin im bevorstehenden Kampf, nicht als Edelfrau oder gar Hofadlige, deshalb bat ich Bofur auch, die förmliche Anrede ab nun zu unterlassen.

Abschätzend werde ich beäugt, dann aber schlagen mir ebenfalls einige schwere Hände auf den zum Glück gepanzerten Rücken, denn die Kraft besitzen sie zweifellos, Rippen oder sogar Rückgrate zu brechen. „Kommt, setzt euch und esst etwas", sagt der Bullige, der sich mir schließlich als Eskel vorstellt, und deutet auf die ausgebreiteten Decken um ein provisorisches Lagerfeuer herum. „Wir verschnaufen zwar schon eine Weile, aber den hohen Herren denen wir folgen, treibt anscheinend keine Hast." Beiläufig wedelt er mit der Hand in Richtung Flussufer, wohl dorthin, wo die Erwähnten rasten. Einen unauffälligen Blick lasse ich ebenfalls in jene schweifen, allerdings nichts erkennen kann ich. Weit genug entfernt ist es und einerseits bin ich froh darüber, andererseits enttäuscht.

Bofur unterhält sich angeregt mit einem anderen Zwerg der Truppe, nach den Gesprächsfetzen zu urteilen, wohl ein ehemaliger Mitstreiter im Kampftraining, denn an die eiserne Hand einer der Ausbilder erinnern sie sich gegenseitig, währenddessen mir ein Becher mit Wasser gereicht wird. Danken will ich dem Spender und schaue auf, da überrascht mich, dass es sich um eine Kriegerin handelt. Unbedeutend älter als ich ist sie anscheinend, dennoch strahlen ihre schiefergrauen Augen eine Weltkenntnis aus, die ich wohl selbst in vielen Jahren noch nicht erreicht haben werde.

„Ich bin Sigrun", stellt sie sich vor und findet neben mir einen Platz. Aufgeschlossen ist ihr Verhalten. Zu aufgeschlossen, als das die Erfahrung mich nicht beginnen würde zu mahnen. Viele falsche Annäherungen musste ich erkennen, seitdem ich im Dienst des Königs stehe. Das Kalkül mancher, ich könnte ihnen Macht und Position einbringen, sobald sie sich als Freunde dünken, ist ein häufiger Ansporn sich meiner Aufmerksamkeit mit Nettigkeit und schönen Worten, zuweilen sogar mit Geschenken, erschleichen zu wollen. Die Fähigkeit diese Absichten zu entlarven und abzuwehren, habe ich inzwischen perfektioniert. Jedoch nicht als enge Vertraute Thorins gelte ich hier, und daher etwas, gleichwohl zögerlich, legt sich das Misstrauen. „Mein Name ist Astâ", antworte ich schließlich freundlich lächelnd und reiche ihr die Hand zur Kameradschaft.

Am nördlichen Horizont zucken bereits die ersten Blitze durch die sich immer höher aufbäumenden schwarzen Wolkenberge, als die Anführer beschließen, wieder aufzubrechen. Gefährlich kann es werden, während eines Gewitters in der Nähe von Gewässern zu verweilen, so klärt mich Sigrun auf, da sie uns jedoch abseits des Pfades führen und damit weiter weg vom Fluss. Mit wissenshungrigen Augen sehe ich sie an. Die Rüstung, die sie trägt, ist keine der erst neu Geschmiedeten. Abgetragen wirkt sie, viele Male ausgebessert, geradegebogen, geflickt, dem Träger angepasst, gleichwohl noch immer edel und kostbar erstrahlend in ihrer Gesamtheit. Besätze aus Kupferstich auf durch Schwefel geschwärztem und blank poliertem Metall. Das Emblem aus gekreuzten Axt und Schwert, dass Brustpanzer und Helm zieren, zeichnet sie als eine Kriegerin der Eisenberge aus. Womöglich eine ihrer Vorfahrinnen stammte von dort und in Ehre trägt sie ihre Rüstung nun zum (erneuten?) Gefecht.

„Meine Mutter kämpfte in Azanulbizar", sagt sie plötzlich und lässt mich aufschrecken. Sie sieht zu mir hinüber, das Gesicht verborgen im Schutz des Helms, jedoch erkenne ich das Lächeln, denn es strahl warm daraus hervor wie Kerzenlicht. „Die Frage brannte allzu heiß in deinen Augen", erklärt sie und lacht dabei, wohl ob meines darob noch sehr viel verstörter wirkenden Blickes. „Ich wunderte mich nur, warum eine Kriegerin der Eisenberge mit uns zieht", sage ich nun eingeschüchtert von der Auffassungsgabe. Sie wendet sich ab und einen Moment ergreift die Befürchtung das Herz, dass ich sie verärgert habe. „Sie kam als Begleitschutz eines Abgesandten in den Erebor und fand im Laufe der Jahre dort ihr Glück ... bis der Drache kam. Aber weiterhin fühlte sich ihr Herr dem Hause Thrors verpflichtet und so blieben er und viele seines Gefolges auch in der Not, und kämpften schließlich um Khazad Dûm. Ihre Verpflichtung fiel zusammen mit ihm auf dem Schlachtfeld, aber dennoch kehrte sie nicht zurück, denn die Liebe zu ihrem Gemahl war genauso groß wie die seine zu seinem Volk. Ich als Azaghâla stehe zwar im Dienste des Raben, jedoch trage ich ihre Rüstung, damit mich, sollte ich im Kampf fallen, Mahal erkennt und an die Seiten derer setzt, denen ich dieses Leben zu verdanken habe."

Ich verneige mich vor diesem hehren Ziel. Unendlich sind die Hallen des Totenwächters. Gefallene oder der Trauer über sie erlegene Elben, Menschen und andere ordinär sterbliche Geschöpfte finden ihren Platz in ihnen, genauso wie wir Zwerge. Die uns Vorbehaltenen jedoch liegen tief in Mandos und seiner Gemahlin Vaires Wohnstätte, einer unter Fels verborgenen Burg ganz aus dunklem Stein und nebelhaften Schleiern im Norden der unsterblichen Lande. Wir glauben, dass unseren Herrschern besondere Hallen zugewiesen werden und nur in Schlachten gefallene Krieger ihrer Häuser erhalten die Ehre, neben ihnen in den Schatten ihrer Erinnerungen zu verweilen bis die Welt untergeht und auch mit zwergischer Hilfe wieder aufersteht aus Finsternis und Feuer.

„Du bist von Adel, nicht wahr?" Sigruns Feststellung erschreckt mich, daher vehement ist mein Verneinen. „Du wirst deine Gründe haben es geheim zu halten, jedoch verhehlen kannst du es nicht. Der Harnisch unter der schlichten Rüstung ist fein geschmiedet. Der Waffenrock darunter hochwertig bestickt. Das Schwert an deiner Seite kein Gewöhnliches. Dein Pony kostbar und gut gepflegt. Und das sind nur die Dinge, die jeder Krieger hier sehen wird. Ich jedoch, erkenne mit den Augen einer Frau noch sehr viel mehr. Haare und Haut sind weich, keinerlei Hinweis auf Hunger und Entbehrung zeichnet den Körper, der Schmuck den du trägst, ist exquisit und scheint speziell für dich gefertigt. Ich kenne Bofur nicht besonders gut, weiß aber, wem er dient und nicht nur Zufall wird es sein, dass du von ihm begleitet wirst."

Beiseite sehe ich. Unbefriedigend kurz überzeugte meine Vorstellung. „Ich bin nicht als solche hier, sondern um zu kämpfen, wie jeder Andere." Sigrun schnauft. „Daran hege ich keine Zweifel, aber sie werden es merken und Fragen aufwerfen, warum du in unseren Reihen und nicht in denen der Kommandanten, Generälen und Heerführern marschierst. Sei also vorsichtig, nicht jeder hier ist Adligen gutgesinnt." Ernst nehme ich ihre Warnung, denn nicht geradehin oder um mir Angst zu bereiten, wurde sie ausgesprochen. Umsichtig werde ich agieren müssen, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, vielleicht auch auf ihre und Bofurs Hilfe angewiesen sein. Froh bin ich, beide an meiner Seite zu wissen, denn Vertrauen kann ich ihr anscheinend bedenkenlos schenken.

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zagrûn – Schwertmann (formale Anrede für einen Krieger)

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