Wandel

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Aufgeregt sind alle Anwesenden – Thorin und Dáin und ihre Berater natürlich, sowie einige Adlige und Ratsherren - als drei der fähigsten Minenarbeiter des Berges die kleinen, ölgetränkten Pergamentpacken, die die Sprengladungen enthalten, am Gestein anbringen und dünne an diesen klebende Hanfschnüre bis zum Gang verlegen, an dessen Mündung wir bislang warten. Genau nach dem gefundenen Mischverhältnis und der beschriebenen Verfahrensweise gingen die Gelehrten vor, dennoch reichte eine Unachtsamkeit aus, so dass zwei von ihnen mehrere Finger verloren, als sich lediglich eines der Kügelchen entzündete.

Daher nachdem die Arbeiter melden, dass alles bereit ist, ziehen wir uns in eine Vorkammer des Ganges zurück, um keine Leben zu gefährden. Nur einer der Bergmänner bleibt, denn die kerzenwachsummantelten Zuleitungen müssen vor Ort entzündet werden. Schnell eilt er uns nach. Dann warten wir. Ganz schwach nur ist das Zischen und Knacken des Abbrennens der Schnüre vernehmbar. Plötzlich verstummt auch dies, so still ist es für einen Moment, dass selbst das Fallen einer Tannenadel gellend laut zu hören sein würde. Sogar das Gestein scheint den Atem im Einklang mit uns anzuhalten.

Dann allerdings, erzittert ruckartig der Boden unter unseren Füßen. So unerwartet stark, dass ich das Gleichgewicht verliere und mich an Dwalins Arm festkrallen muss, um nicht zu fallen, aber auch, weil mir unwillentlich ganz bange wird. Erst einen Augenblick später, hören wir das Rumsen der Detonation, das polternde Niederstürzen der aufgebrochenen, hochgeschleuderten Steine folgt ihm sofort. Eine Wolke aus Rauch und Staub quillt aus dem Gang und bringt einige der anwesenden Damen dazu, in ihre Taschentücher zu husten.

Dann wird es wieder still. Lediglich das herabrieseln von Kieselsteinchen ist noch hörbar. Dennoch warten wir vorerst ab. Nicht gänzlich könnten sich die Sprengung entladen haben. Zu gefährlich wäre ein voreiliges Nachsehen. Erst Minuten später schickt Thorin die Arbeiter vor. Sie verschwinden in dem Grau der sich langsam legenden Steinstaubwolke, kehren allerdings schnell zurück.

„Es ist sicher, Majestät. Alle Ladungen sind detoniert und haben ein gewaltiges Loch in die Gesteinswand gerissen. Beim ersten Blick bereits konnten wir einige Erzgänge und Sedimentgesteine entdecken", berichtet der Älteste von ihnen seinem König. Dieser nickt vorerst zufrieden. Es wird sich zeigen, ob das, was wir am dringendsten begehren, ebenfalls freigelegt wurde.

Langsam wagen sich die Mutigsten vor. Die Luft, die aus dem Gang dringt, ist stickig überfüllt mit den Gerüchen des Schwarzpulvers, von Stein, Kohle und verschiedenen Erzen. Auch ein klein wenig Gold und Silber kann ich riechen, gleichwohl das Atmen mühevoll fällt. Eingeschränkt ist das Sehen. Der Staub brennt in den Augen und legt sich schwer auf Haut und Haar. Gesteinstrümmer behindern den Weg, einige so groß, dass wir darüber steigen müssen. Eine Hand voll Kugeln pro Päckchen waren es doch nur, wie viel Kraft kann dann eine ganze Ladung freisetzen.

Das Loch in der Gesteinswand erstreckt sich breit, hoch und sehr tief. Ungleichmäßig wurden die Brocken herausgesprengt und einige der bereits losen werden sich nicht mehr lange festkrallen können. Unverantwortlich wäre es, sich weiter als bis an den Rand vorzuwagen, aber Thorin ist viel zu wissbegierig, ob sich das Erhoffte darin befindet. Gleichwohl nur einen Fuß setzt er vor, jedoch nicht aus Bangigkeit. „Ich kann es riechen", sagt er lächelnd und als ich auf einen der Blöcke hinabschaue, der sich aus der sich legenden Staubwolke erhebt, schimmert es dort rotbräunlich. Ganze Gerölle bestehen vollständig aus reinstem Eisenerz, noch nicht einmal weiter Hand anlegen müssen die Arbeiter, um sie weiterverarbeiten zu können. Ein breiter Gang davon zieht sich durch das intakte Gestein, aber gut gelockert scheint es bereits. Kohle entdecke ich, wenn auch nicht viel, und eine dünne Ader von glänzendem Silber. Der Stein täuschte uns nicht mit seinem Gesang.

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„Ein Hoch auf König Thorin!", jubelt die Menge. „Ein Hoch auf Lord Dáin, sollen seine Hallen für auf ewig erstrahlen!" Überschäumende Bierkrüge werden aneinandergestoßen. Lachen überall. Musikanten spielen vergnügliche Musik. Auf dem zentralen Marktplatz, in den Gassen, in jedem Haus tanzen und singen und feiern Zwerge in einer seit langem nicht mehr so sorgenbefreiten Gestimmtheit.

Der Geruch nach Gesottenen und Bier treibt mich an einen der Stände, die wie alle mit neu geschmiedeten Hämmern, Meißeln und Spitzhacken dekoriert wurden. Ein Brachliegen von Material, das wir uns vor wenigen Tagen noch selbst in den tollkühnsten Fieberträumen nicht hätten vorstellen können. Fleißig waren Minenarbeiter und Handwerker, um das Eisenerz schnell zur Verfügung zu stellen und zu verarbeiten. Kaum ein paar Stunden nach der Sprengung, waren die ersten so dringend gebrauchten Werkzeuge fertiggestellt und konnten erfolgreich genutzt werden. Ein Sturm der Erleichterung wirbelte daraufhin durch den Berg und erfasste jeden.

„Du musst unbedingt unsere Pasteten probieren", will mich die junge Verkäuferin, ein Mädchen kaum älter denn ich, als ich dereinst fast genau an diesem Platz stand und die selbstgenähten Kleider meiner Mutter versuchte zu verkaufen, für ihr Angebot begeistern. Schwer fällt es ihr nicht, einfach zu köstlich sieht nicht nur das angepriesene Gericht aus. Würstchen am Spieß. Gefüllte Brötchen. Eine Kartoffelsuppe, die so dick ist, dass der Holzlöffel darin stecken bleibt. Dazu noch allerlei an Gebäck. Kekse, buntverzierte Küchlein, gedrehte Hefezöpfe. Kaum entscheiden können sich Disa und ich, obwohl kein Hunger uns plagt.

Unsere Vormünder erlaubten das Vergnügen ganz ohne Aufpasser. Lediglich ein harter nur mit Wörtern und klimpernden Wimpern geführter Kampf musste dazu gefochten werden und letztendlich sprach Dís das Machtwort über die beiden zögernden Herren. Dennoch spüre ich, dass unser Wandeln unter den Feiernden nicht unbeaufsichtigt vonstattengeht. Seine Anwesenheit ist mir allzeit gewahr. Nicht weil ich mich beobachtet fühle, sondern weil seine Nähe eine beständige Wärme in meinem Herzen hervorruft, selbst wenn er einige Meter entfernt im Verborgenen verweilt.

„Lass uns das Puppenspiel ansehen", schlägt Disa begeistert vor und zieht mich mit sich durch die Menge, darauf bedacht, nur niemanden mit ihrem Fleisch-Gemüse-Spieß, den sie in der anderen Hand hält, aufzuspießen. Die alte Legende des Zwerges Mîm wird dort erzählt. Einer Art der unseren gehörte er an, die kleiner waren und schon sehr lange als nicht mehr existent gelten. Sie hielten wenig von der Heimlichkeit, mit der wir Bräuche und Kultur schützen. Gastfreundschaft und Geselligkeit waren ihnen zuwider und ihre mürrische Laune konnte sogar Milch zum Gerinnen bringen, wie im Spiel lustig verdeutlicht wird, in dem Mîm einen seiner Söhne den Krug im Streit über dem Kopf entleeren möchte, jedoch lediglich ein Flatschen herausquillt. Gefangen von dem Helden Túrin und seinen Männern wurde er einst und verriet sie schließlich aus bloßer Eifersucht, denn eine Freundschaft verband ihn mit dem schwer schicksalsgebeutelten Menschen, die er jedoch nicht alleinig besitzen konnte.

„Wir müssen langsam zurück", verderbe ich die Stimmung, nachdem wir weiteren Gauklern zuschauten und zu viel aßen und tranken, denn die blauen Nachtfackeln werden bereits angezündet und Thorin wies eindringlich an, spätestens dann zurückzukehren. Ein Ball ebenfalls zur feier der Beendigung der Eisenkrise findet heute Abend statt und ihn wie Disa und mich muss ich noch für diesen zurechtmachen.

Die Prinzessin jedoch verzieht den Mund. „Wir haben aber doch noch gar nicht alles gesehen." Wie ein kleines bockiges Kind erscheint sie mir in diesem Moment, auch, wenn ich ihre Enttäuschung nachvollziehen kann. Unnachgiebig bleibe ich allerdings. Zugesichert haben wir es Thorin und eines der wenigen Dinge, die er sogar mir verübelt, ist das Zuspätkommen. Daher bitte ich Disa nicht lediglich darum, mir zum Anwesen zurück zu folgen, denn auch Dáin wird dies nicht tolerieren. Eine Gleichstellung unserer Ränge betonte sie und in dieser Konstellation muss ich ihrem Willen nicht hörig sein.

Zu Hause angekommen, auf dem Weg dorthin folgte uns der Schatten genauso unauffällig aber allzeit wahrnehmbar wie zuvor auf dem Fest, empfängt uns der Herr der Eisenberge bereits voller Ungeduld. „Disa, ich möchte dich kurz sprechen", befiehlt er seiner Schwester, ohne sich zu erkundigen, warum wir erst jetzt zurückkehren oder was wir erlebten. Seine Stimme klingt ungewohnt ernst, hoheitlich ernst sogar, als wäre etwas äußerst Wichtiges vorgefallen oder solcherlei gilt es zu bereden. Sie nickt hastig, gleichwohl den Anschein erweckend, wie wüsste den Grund bereits.

Noch einen Moment verweile ich erwartend in der Eingangshalle, bis sich die Tür von draußen erneut öffnet. Eine bemantelte Gestalt versucht unauffällig hineinzuhuschen und rechnete auffallend nicht mit mir. „Bei Mahals Bart, Astâ, was lungerst du denn hier herum!?" Ich bin nicht gewillt, das spöttelnde Lächeln ob seines erschrockenen Gesichtsausdrucks zurückzuhalten. „Um zu warten", antworte ich lediglich.

Dwalin senkt eindeutig ertappt den Blick. „Ich war nur spazieren", rechtfertigt er sich haspelnd und legt den dunklen Mantel ab, der ihn mit den Schatten, in denen er sich herumdrückte, beinahe verschmelzen ließ. „Natürlich", will ich die Situation entspannen, denn nur nach einen Auftrag handelte er, und streiche verdeutlichend, dass ich ihm deshalb nicht böse bin, über den Arm, bevor ich den Mantel entgegen nehme. Nur unsere Sicherheit bewahren wollen Thorin und er.

„Ich habe dir auch etwas mitgebracht", sage ich ebenfalls versöhnlich und ziehe ein Packchen aus mit Wachs beschichtetes Pergament aus der Tasche meines Kleides, um es ihm zu reichen. Begeistert ist er von dem brotteigummantelten Würstchenspieß, selbst wenn er längst erkaltete, denn bei all der gebotenen Heimlichkeit während der Verfolgung, blieb ihm wohl keine Gelegenheit etwas von den vielen Köstlichkeiten zu probieren.

Thorin erwartet mich in seinen Gemächern und nicht verstimmt ob der Verspätung sowie kaum erstaunt scheint er, dass wir zu zweit erscheinen. Ein Lächeln huscht sogar über sein Gesicht. Schwerlich wahrnehmbar, dennoch sagt es so viel aus. „Hattest du einen schönen Tag?" Ich nicke, auch zum Dank, dass er mir diesen zu erleben gestattete. Nicht selbstverständlich ist es, dass eine Dienerin solcherlei Freiheit erlaubt wird.

Er bittet Dwalin, ebenfalls zu bleiben, während ich ihn für den Ball richte. Von Kostbarkeit schwere Gewänder aus schwarzem Samt, Goldstickereien und Silerbrokat wählte er, dazu eine Schärpe aus bedeutungsvoller dem Anlass entsprechender eisenerzroter Seide, die ich mit Mühe und vielen Nadeln vorsichtig über seine breite Brust drapiere.

„Wie bewertest du die Stimmung im Berg?", fragt er seinen General, wohlwissend, dass ich weiß, das diese zu erfassen nicht der eigentliche Auftrag war, warum er ihn nach draußen schickte. Dwalin schreckt durch die offensichtlich unerwartete Ansprache auf. Mit dem Kaminfeuer entgegengestreckten Beinen und geschlossenen Augen schien er tief versunken in den Polstern des Sessels zu entspannen, um Kraft für das bevorstehende verhasste gesellschaftliche Ereignis zu sammeln.

Er räuspert sich. „Gut, alle lösten sich von der Anspannung der letzten Wochen. Soweit ich erfahren konnte, gab es bisher keinerlei besondere Vorkommnisse." Ein nüchterner Bericht darüber, wie die Stimmung tatsächlich ist. So viel mehr würde ich Thorin erzählen. Wie sein und der Name des Herren der Eisenberge aus aller Munde gelobpreist werden. Wie seine Untertanen auf den Straßen tanzen und feiern und die Hoffnung auf eine sorgenfreie Zukunft zurückerlangten. Stolz wie wahrscheinlich Einjeder bin ich auf ihn und bewundere das Geschick, mit dem er diese Krise – die weder die Erste war, noch die Letzte bleiben wird - als König meisterte. Jedoch weiß er nicht darum, daher was würde ihm dies wohl besser verdeutlichen denn die Honorierung seines Volkes, die es mit der erlebten Heiterkeit zeigt. Eine von tiefstem Herzen ehrliche Anerkennung, ist doch die, die der Hofstaat ihm entgegenbringt, oft nur geheuchelt.

Gleichwohl wird Dwalin seine Gründe haben, ihm nur wenig davon zu berichten. Sei es, um ihn nicht mit Informationen zu behelligen, die ihm vielleicht anderweitig zugetragen werden oder um ihm die Vorfreude zu bewahren, denn so manches Mal mutmaßte ich bereits, dass auch der König sich bei passender Gelegenheit anschickt sich natürlich unerkannt unter sein Volk zu mischen. Aufmerksam werde ich heute darauf achten.


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