Verwandlung

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Das Haus, in das wir treten, ist in anderes als jenes, in dem ich Mysa das letzte Mal traf. Größer und noch prunkvoller mit kostbaren Möbeln, ausgesuchten Kunstwerken, schweren, purpurroten Vorhängen an den Fenstern und dicken, enggewebten Teppichen eingerichtet. Ihr Gemahl scheint vortreffliche Geschäftsbeziehungen zu pflegen und mit seinen Stoffen in Gegenden zu handeln, die reich an Gold und allerhand anderem Vermögen sind. Viel der Gegenstände könnte er zudem von den Reisen in diese mitgebracht haben, obwohl ich nur solche zuzuordnen vermag, die unverkennbare Eigenheiten der Zwergenreiche tragen. Zerbrechliche und leuchtend-farbige Glaskunstwerke der Schwarzschmiede. Detailreiche Brokatkissen gefertigt mit den Webstühlen der Feuerbärte. Eine goldbeschlagene Standuhr aus den Werkstätten der Steinfüße und meisterhafte Schnitzereien von Tieren aus den geschickten Händen der Breitstämme. Schmuckstücke, die nur aus den Schmieden der Langbärte stammen können, entdeckte ich zudem unlängst um den Hals und an den Armen des jungen Mädchens, dass und so unverhofft über den Weg lief.

„Ist Mama zu Hause?", fragt Morwen, wie sie sich vorstellte, an die Dienerin gewandt, die uns einließ. Kaum glauben konnte sie, dass ihr tatsächlich und aller Wahrscheinlichkeit zum trotz, die Zwergenkriegerin gegenübersteht, die ihrer Mutter damals half. Erst als ich einige Details wiedergab und schließlich die bis dahin unter dem Helm verborgenen blonden Haare enthüllte, die einen wichtigen Teil in den Geschichten einnahmen, die sie viele Male erzählt bekam, Vertraute sie mir. „Nein Herrin, sie ging vor einer Stunde, um dringende Besorgungen zu erledigen."

Eine weitere Dienerin kommt, nimmt uns die Mäntel ab und befiehlt einem ihr folgenden Burschen, die Pferde in den Stall zu bringen und dort zu versorgen. Keinerlei abfällige Blicke oder gerümpfte Nasen, wie ich sie sonst von den Menschen Tharbads kenne, werden uns hier entgegengebracht. Freundlich und respektvoll behandelt uns die Dienerschaft und wohl nicht nur, weil wir Gäste sind. Sie wissen offenkundig, wer die Abnehmer der Waren ihres Herren sind, und verdanken unsereins daher mit die gute Anstellung.

„Meine Mutter wird sicherlich gleich wiederkommen", verspricht Morwen und bittet, ihr in den großen Salon zu folgen, der gegenüber dem Eingangsbereich mit den zwei entgegengesetzt geschwungenen Treppen, die in den ersten Stock führen, liegt. Das Polster des Kanapees, auf den sich Bofur und ich setzten, ist weich und bestickt mit filigranen Blumenranken aus Gold- und Silberfäden. Entschuldigen will ich mich peinlich berührt bei ihr, dass wir sie bestimmt straßenschmutzig machen mit der teilweise noch vom Kampf gezeichneten und sogar an einigen Stellen zerrissenen Reisekleidung, aber sie winkt ab, dass wir uns darüber keine Gedanken bereiten sollen. Dennoch unangenehm ist es mir, dermaßen unpassend aufzutreten.

Tee und Gebäck werden serviert und nur mit dem hohen Maß an Manieren, deren ich nach Wochen in der Wildnis unter den rauen Umgangsformen der Soldaten wahrlich schwer wiedererinnern kann, halte ich mich bei der Augenweide der süßen Köstlichkeiten zurück, um sie nicht augenblicklich zu verschlingen. Bofur jedoch hemmen keinerlei Anstände. Hungrig greift er zu und Morwen erscheint ob seines mampfenden Anblicks belustigt und verwirrt zugleich. Ihn auf das unhöfliche Benehmen aufmerksam machen wollend, stoße ich ihn unsanft in die Rippen, dessen ungeachtet greift er gleichwohl erneut zu. „Verzeiht, dass es nur ein paar wenige Stücke waren, die ich Euch anbieten konnte. Es hätte mir einfallen können, dass Ihr hungrig sein müsst", will sich die junge Hausherrin entschuldigen, aber kaum, dass ich diesen Vorwurf mit einem beschämten Lächeln abwehren kann, wird die Eingangstür aufgeschlossen.

Ich erhebe mich aufgeregt. Jahre her ist unsere letzte Begegnung. Lebewohl sagten wir damals zueinander, denn sie jemals wiederzusehen, habe ich mir nicht vorstellen können. Lautes Gelächter dringt von draußen herein und schallt fröhlich durch das Haus, auch nachdem die Tür wieder in ihr Schloss zurückfiel. Die Stimmen zweier Personen folgen, die einer Frau und eines Mannes, doch zu jung hört sich diese an, als dass es vielleicht ihr Gemahl sein könnte, dem ich ebenfalls allzu gerne einmal begegnen würde.

Morwen geht hinaus, um uns anzukündigen. „Mama, wir haben Gäste", sagt sie und kann kaum die Aufregung darüber in dem zitternden Tonfall verbergen. „Das ist schön, min Mathum", antwortet Mysa und folgt ihr zusammen mit einem kleinen, ihr sehr ähnlich sehenden Jungen unmittelbar in den Salon. Jedoch stehen bleibt sie unter dem Bogen des Durchgangs, sobald sie sieht, wer diese überraschenden Besucher sind.

„Bei Ulmos wasserblauen Augen", haucht sie aus, „das ist unmöglich", und schlägt die Hände vor dem Mund zusammen. Wunderhübsch sieht sie aus. Kein schüchternes und von dem schweren Leben gezeichnetes Mädchen steht dort, sondern eine hohe Frau, obgleich die vergangenen Jahre ihre Zeichen an der Erscheinung hinterließen. Jedoch die Falten um strahlende Augen und volle Lippen sind wohl eher dem vielen Lachen geschuldet und die gesprenkelten Sommersprossen lassen ihr Antlitz weiterhin jung wirken.

Wir verbeugen uns zur Begrüßung. „Welch Ehre, dass Ihr mich wiedererkennt", sage ich höflich. Mysa schreitet langsam auf uns zu. Ihre Schritte wirken bang, geradezu, als befürchte sie, einen Traum zu zerstören, wenn sie sich ihm zu hastig oder aufgeregt nähert. Als würde meine Erscheinung in Flussnebel aufgehen. „Mich Euer nicht erinnern", flüstert sie verwirrt, „oh selbstverständlich, denn Ihr seht noch genauso aus wie an dem Tag unserer letzten Begegnung und wie ich Euch meinen Kindern beschrieb."

Ich schaue verlegen lächelnd wieder zu ihr auf. Dicht an mich heran wagte sie sich mittlerweile, dennoch weiterhin zweifelnd, ob ich nicht doch verschwinde. Bildschön und elegant ist sie. Die roten Locken gebändigt in einem dicken Zopf, der ihr über die schmale Schulter fällt. Der lindgrüne Stoff des Sommerkleides hochwertig und mit zarter, schwarzer Spitze bordiert. Entzückend schmeichelt es ihrer schlanken Figur. Wer nicht als die Gemahlin eines Tuchhändlers trägt solcherlei von so ausgesuchter Qualität und Machart.

„Ich hörte davon", erwidere ich und schiele zu Morwen, die sich mittlerweile neben ihre Mutter stellte, nun von allen Zweifeln befreit, die wohl trotz der ausführlichen Erläuterungen weiterhin bestanden. Verübeln kann ich sie ihr nicht. Misstrauisch muss man sein in dieser Welt voller Gefahren und Übeltätern, insbesondere Frauen.

„Dies ist mein Begleiter, Bofur", mache ich bekannt, nachdem sich Mysas Blick fragend von mir ab und ihm zu wand. „Wir kehren gerade aus Rohan heim und trafen Eure Tochter aus reinem Zufall, aber wohl von den Valar geleitet, auf der Straße." Die Hausherrin lächelt darüber. Vorstellen kann sie sich wahrscheinlich, wie diese Begegnung ablief.

„Aus Rohan", raunt sie, „ich hörte aus diesen Landen, dass erst vor wenigen Tagen eine große Schlacht gegen die Orks geschlagen wurde. Habt ihr dort gekämpft?" Ich nicke bestätigend. „Dann müsst ihr hungrig und müde sein. Bitte, seid unsere Gäste, so lange ihr wollt." Schnell winkt sie eine Bedienstete heran und befiehlt, Zimmer sowie ein Bad für jeden von uns und ein anschließendes Mahl vorzubereiten. Wir bedanken uns. „Und nach dem Essen erzählt bitte, wie es Euch in den letzten Jahren erging."

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Eine Wohltat war es, all das Blut, den Schmutz und Staub und aus allerhand zusammengesetzten Gestank der zurückliegenden schlachtenreichen Wochen und der anschließenden Reise auf sommerlichen Straßen von sich zu schruppen. Ich genoss die entspannende Wärme des Wassers, den weichen Seifenschaum auf der geschundenen Haut, konnte endlich die zahlreichen Knoten aus den Haaren entfernen und den Bart pflegen. Einen der beiden Schmucksteine mit den roten Achatsteinen, die die Enden zierten, verlor ich wohl während eines Kampfes. Trauervoll bin ich darüber, gab sie mir doch Thorin einst im Tausch gegen die meinen. Daher entschied ich mich, diesen neu zu gestalten. Kurz, wie es sich schickt für eine unverheiratete Edelfrau, ist er, wenn auch ohne die nötige Pflege länger als sonst. Dadurch gelang es mir, ihn an der Kinnlinie entlang und dann in einem einzelnen Zopf zu flechten, der am Ende mit der verbliebenen Schließe gesichert wurde.

Mysa ordnete an, dass unsere Sachen gereinigt und geflickt werden, daher legte sie mir ein altes Kleid ihrer Tochter bereit, dass mir verblüffend ausgezeichnet passt. Ein eigenartig ungewohntes Bild erscheint mir dennoch im Spiegel. Nur wenige Wochen vergingen, jedoch wandelte sich nicht allein das Aussehen in ihnen. Meine erste Schlacht sah ich. Miterlebte Tod und Grausamkeiten, erlitt einen gramvollen Verlust und stellte mich allerlei Ängsten. Die Augen sind es, in denen dies alles sichtbar wird. Unter dem Schatten der Erschöpfung, der Trübheit des Kummers, der Schwere des Elends indes glimmt der Funke all das überstanden zu haben und bald nach Hause zurückzukehren. Ich vermisse Dís und Fili und Fenna und Jassin und all die anderen. Zugestehen wollte ich mir dies nicht, verbot mir das Heimweh während der Stunden der Nacht, jedoch nun, so nah am Ziel, spüre ich die Sehnsucht nach ihren lachenden Gesichtern im Herzen stechen.

Daher, und auch wenn es Mysa traurig stimmt, verabschieden wir uns nach zwei Tagen bereits wieder, in denen wir ausruhen und neue Kraft für den weiteren Weg schöpfen konnten. Ich will zudem den Vorsprung zu Thorins Truppen nicht unnötig einbüßen. Längst werden sie von Edoras aus aufgebrochen sein.

Viel redeten wir in diesen jedoch. Sie berichtete von ihrem Leben seit unserem letzten Abschied. Zwei weitere Kinder nach Morwen brachte sie zur Welt. Einen Jungen und ein Mädchen, dass allerdings zu früh und um einiges zu klein geboren wurde und nach wenigen Stunden bereits starb. Nicht selten ist dies und den Gram über den Verlust sah ich in ihren Augen schimmern.

Ihr Sohn, ein aufgeweckter Fratz, der mich schmerzlich sehr an Fili erinnert, fragt uns unablässig aus, nachdem er die erste Scheu vor dem fremden Volk verlor. Kaum fassen kann er, dass Zwergenfrauen ebenfalls Bärte tragen, in Schlachten kämpfen, reiten und darüber hinaus ihren Männern in nichts nachstehen. Nachvollziehen kann ich diese Verwunderung, sind seine Mutter und Schwester doch folgsame und elegante Damen, die wohl noch nie ein Schwert in der Hand hielten.

Auch Mysas Gemahl lernte ich endlich am ersten Abend kennen. Ein stattlicher Mann, freundlich, weltoffen, gebildet und formgewandt. Er begrüßte uns mit einladender Geste in seinem Haus und zeigte sich ebenso interessiert an den Berichten. Dabei erzählte er mir, dass er anstrebt, Handelsbeziehungen in Thorins Hallen einzugehen, und ich versprach, unauffällig ein gutes Wort für die Genehmigung zu erwirken. Verdutzt äußerte er sich, wie ich dies bewerkstelligen könnte, verstand dann aber mit großen Augen, nachdem ich berichtete, welch Stellung ich innehabe.

„Ihr seid eine außergewöhnliche Frau, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet", würdigte er bei einem letzten Glas Wein. „Mysa erzählte mir, wie Ihr sie einst gegen diesen scheußlichen Wirt verteidigte und ihr danach halft. Es gab ihr ein Licht in dem Dunkel der Schankstube."

Ich senkte die Anerkennung entgegennehmend den Blick. „Viel mehr als meine kleine Tat war es jedoch Eure Liebe, die sie aus all dem Elend befreite. Ich habe mir immer gewünscht, Euch eines Tages dafür Dank und Bewunderung aussprechen zu können." Mysa und er sahen sich verliebt lächelnd an. „Ohne Euch allerdings, hätte ich niemals daran geglaubt, dass es so viel Güte in der Welt geben und gerade mir widerfahren kann."

Mit einem glücklichen Gefühl in Herzen verabschiede ich mich von ihr. Lebewohl jedoch sagen wir nicht erneut zueinander, denn unergründlich und schicksalhaft sind die Weiser, die unsere Wege vielleicht noch einmal zusammenführen. Der Blick zurück nach Tharbad ist daher weniger schmerzlich als einst, gleichwohl besorgniserregend, da ich unter dem Frühnebel, der vom Fluss über die Lande kraucht, die Schemen eines Heeres erkennen kann, dass am südlichen Ufer rastet. Sputen müssen wir uns daher und treiben die Pferde in den nächsten Tagen zur Eile.

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min Mathum – Mein Schatz


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