Sutdui

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Nur wenig Zeit blieb mir, um mich zu waschen und umzuziehen, nachdem uns die Pferde so schnell sie nur konnten, nach Hause brachten. Im Aufsehen erregenden Tempo und mit wehenden Mänteln, galoppierten wir durch die Straßen des Berges. Viele Zwerge waren auf ihnen unterwegs und mussten uns mitunter mit gewagten Sprüngen in allerletzter Minute ausweichen. Noch nie erlebte ich Thorin in solch Eile. Wüste Beschimpfungen wurden uns hinterdreingeworfen. Nachvollziehen konnte ich sie, jedoch belustigten sie mich auch. Wenn die Wutentbrannten doch nur wüssten, wen sie dort gerade mit den allerschlimmsten Fluchwörtern bedachten.

Daher erst während ich die wenigen Schritte von meinem zum Gemach der Herrin nehme und dem werdenden Vater, der nervös vor ihrer Tür Wache hält, einen ermutigenden Blick zur Beruhigung schenke, spüre ich die Aufregung zitternd in mir aufsteigen. Noch mehr Verantwortung als sonst bei Geburten liegt auf den Schultern von uns allen. Dís ist keine einfache Adlige, sondern die Prinzessin und ihr Kind womöglich der nächste Thronfolger. Sollte es Komplikationen geben, das Leben von Mutter oder Ungeborenen gefährdet sein, muss schnell gehandelt werden. Keinerlei Fehler dürfen wir uns erlauben und daher wundert es mich kaum, dass neben den vielen erfahrenen Hebammen auch Meister Oin in der Geburtsstube zugegen ist. Die Schicklichkeit untersagt männlichen Heilern sonst, bei Niederkünften anwesend zu sein, jedoch in schwierigen Situation kann er so unverzüglich eingreifen und muss nicht erst gerufen werden.

Überwärmt und vollkommen erfüllt von dem Duft verschiedener Kräuter ist die Luft im Zimmer. Myrrhe, um die Wehen anzuregen, frischer Melisse und schwerem Rosenöl zur Entspannung. Einzig überall verteilte Bienenwachskerzen und das Kaminfeuer spenden schummriges Licht, denn die zugezogenen Vorhänge sollen die Welt mit ihren Gefahren und bösen Geistern von Mutter und Kind fernhalten. Zudem beruhigend wirkt das flackernde Licht-Schatten-Spiel an den Wänden.

Dís läuft wohl auf Anraten der Hebammen im Zimmer auf und ab, die Hände in den Rücken gestützt und vollkommen entspannt wirkend. Weit vorangeschritten scheint die Geburt noch nicht zu sein. Sie lächelt mich an, als mein Erscheinen von ihr bemerkt wird. Es ist dieses ganz besondere, erwartungsvolle und von Glück aber auch Sorge und Angst definierte Lächeln, dass alle niederkommenden Mütter ziert. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Prinzessin nicht im Geringsten von einer gewöhnlichen Frau.

Standesgemäß verbeuge ich mich vor ihr. „Du siehst abgehetzt aus, nethar", bemerkt sie mit liebevoller Stimme, „ich habe Vilí gesagt, er kann eure Rückkehr ruhig abwarten, aber offenkundig, beherzigte er mein Urteil nicht und trieb Bote und euch zur Eile." Ich lächle über diesen versteckten Tadel an ihrem Gemahl und bitte sie gedanklich um Nachsicht, denn bereits bei unserer Ankunft begegneten wir dem Großherzog. Völlig aufgelöst wirkte er und fiel beinahe die Treppe hinauf, um nach einer kurzen Begrüßung wieder wachende Stellung an ihrer Tür zu beziehen. Gerne würde er an ihrer Seite stehen, um sie zu unterstützen, aber nicht üblich ist dies. Thorin und Balin und später auch Dwalin werden ihm Gesellschaft leisten und hoffentlich ablenken können, denn vermutlich für ihn wie für sie alle wird die Geburt unerträglich lange dauern.

Die Wehen wurden auch nach vier Stunden nur verhalten stärker und mit allerlei Kräutern und Räucherwerk versuchen die Hebammen, unter ihnen Yrsa und Alrika, die Geburt voranzutreiben. Jedoch niemand bereitet sich große Sorgen darum. Bisherig normal verläuft alles für eine Erstgebärende.

Stärkende Worte und liebevolle Berührungen, gezeigtes Vertrauen in die Fähigkeiten und Erfahrungen der Anwesenden und insbesondere in ihre Kraft, sind momentan das Geeigneteste, mit dem ich Dís unterstützen kann. Immer wieder sucht sie Halt in meinen Armen, während die Wehen langsam treibender werden. Niemals sonst ist eine Frau leistungsfähiger und gleichzeitig schutzloser den sie umgebenden Vertrauten ausgeliefert, als unter der Geburt.

Zum ruhigen und tiefen Atmen animiere ich sie, indem der meine es ihr vormacht. Ertrage sich in alles Greifbare krallende Finger und das fallengelassene, an den Armen ziehende Gewicht ihres in die Knie gehenden Körpers, wenn eine Wehe sie überrollt. „Ihr macht das gut, Hoheit", spreche ich ihr in einer der Mal um Mal immer kürzer werdenden Pausen Mut zu. „Euer Kindchen rutscht stetig weiter nach unten."

„Ich hätte es mir nicht so schmerzhaft vorgestellt, ich habe kaum noch Kraft", beichtet sie daraufhin, geflüstert nur, lediglich für meine Ohren bestimmt, denn Schwäche zuzugeben ist ein Frevel unter uns Zwergen. Ich lächle und wiege mich mit ihr in einer erneuten Wehe, während der Blick zur Kaminuhr eilt. Nach nun bereits zehn Stunden scheint es bald so weit zu sein. Regelmäßig, lang und schnell aufeinanderfolgend, kommen nun die Kontraktionen. „Ihr werdet Euch wundern, welch Stärke noch in Euch steckt", bekräftige ich und nicke Yrsa zu, damit wir die Prinzessin zusammen zum unlängst bereitstehenden Gebärstuhl geleiten können, um meine Vermutung zu bestätigen.

Nicht lange benötigt die Hebamme hierfür. Erfahrene Handgriffe, ein abschätzender Blick und dass Dís immer unruhiger wird, zeigen ihr, dass die entscheidende Phase der Geburt kurz bevorsteht. Rückseitig des Stuhls stelle ich mich daraufhin, um ihr darin beizustehen. Sonst bevorzugen die Gebärenden und auch ich eine harmonischere Stellung, bei der ich ihren Oberkörper stützend hinter ihnen sitze. Jedoch als unangemessen empfinde ich diese bei meiner Herrin. Allerdings Dís interveniert. Verlangen nach Unterstützung, die über das Halten ihrer Hand hinausgeht, liegt in ihrem flehenden Blick. Gleichwohl zögere ich. Zur Getreuen erhob sie mich mit der Berufung zur Nan'ul hasûna, dessen ungeachtet basiert dieser Bund weiterhin auf einem Dienstverhältnis. Mich Freundin oder gar Vertraute zu nennen, eine deplatzierte Anmaßung, selbst in solch einer außergewöhnlichen Situation.

Alrika ist es schließlich, die überrumpelnd das Zaudern beendet. „Astâ, würdest du Ihrer Hoheit bitte den Rücken stützen, sie benötigt womöglich ein wenig mehr Halt, denn das Kind ist sehr groß, so, wie es einem Erben Durins gebührt."

Atemlos und leicht verärgert über die Einmischung in meine berechtigte Unentschlossenheit, starre ich sie an, aber sie nickt mir lediglich ermutigend und mit einem dezent amüsiert wirkenden Lächeln auf den vollen Lippen zu. Keine andere Wahl bleibt mir nun, und so bequeme ich mich auf einen herangezogenen Hocker in Position. Dís scheint erleichtert darüber und entspannt sich merklich, sobald sie Ruhe an meiner Brust fand. Allein dies zerstreut die letzten Zweifel und ernst gemeinten Dank für den Zwang muss ich Alrika wohl nach alldem aussprechen.

So träge wie sich die Geburt anfangs hinschleppte, so eilig scheint es der Neuankömmling nun zu haben. Dís atmet schwer aber konzentriert in meinen Armen, tönt nur leise und benötigt kaum Anweisungen von den Hebammen oder mir, um ihr Kind den Weg zu erleichtern. Sie deutet die Momente instinktiv richtig, in denen sie pressen muss, atmen muss, Kraft sammeln muss. Jedoch schwer hat sie es. Schweißperlen glitzern auf ihrer Stirn. Die Hände krampfen sich um die Knäufe, so sehr, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. Manches Mal wird ihr Körper so hart wie Stein, wenn eine allzu starke Wehe treibt. Ein sanftes Streicheln von mir über Wange, Arm oder Bauch beruhigt sie allerdings schnell wieder. Auch hierin reagiert sie anderen Frauen gleich.

„Kennst du ein Wiegenlied?", fragt sie mich plötzlich zwischen zwei tiefen Atemzügen. „Eines, dass du und ich meinem Kind vorsingen werden." Ich überlege. Einige kenne ich, aber ein besonderes davon kommt mir sofort in den Sinn.

Schlaf' ein, mein liebes Kindlein du,
schlaf' sanft, die Mutter deckt dich zu,
und träum' von einer Höhle tief,
wohin ein Edelstein dich rief.

Sein Lied erklang bezaubernd klar,
ein Versprechen macht er wahr.
Zeigt dir den Weg ins alte Land,
wo Einjeder sein Glück bisher fand.

Doch ein Traum ist es, nicht mehr,
sei gewarnt, der Weg ist schwer.
Bleib hier und schlaf nun tief,
hör nicht auf den Edelstein, der dich rief.

Kaum das ich endete, bäumt sich Dís in meinen Armen auf, verzieht das Gesicht in Anstrengung und Schmerz und fällt erschöpfter und gleichzeitig gestärkter als vordem zurück. „Einmal noch, Hoheit, presst noch einmal mit aller Kraft, wenn die nächste Wehe kommt", drängt Yrsa. Sekunden erscheinen plötzlich wie Stunden. Dís atmet schwer. Wartet ... wartet. Einmal noch. Nur noch einmal.

Mahal schenkte uns Frauen die Stärke, die Nachkommen seiner Kinder zu tragen, zu gebären, sie zu nähren und vor allem Übel zu schützen. Kriegerinnen sind wir, auch wenn die Mondsichel nicht unseren Handrücken ziert. Kämpferinnen sind wir, auch wenn wir kein Schwert in den Händen halten. Königinnen sind wir, auch wenn wir in Armut leben.

Die letzte Wehe lässt sich quälend lange Zeit. Dís wimmert leise. Meine warme Hand lege ich auf ihren Bauch und spüre, wie sie sich langsam aufbaut. Immer stärker wird. Kräftiger wird. Ihren Körper in Wellen überrollt und das Kind hinausschiebt.

Ein gurgelnder Schrei ertönt prompt. Ein gutes Zeichen.
Es ist geschafft.

Yrsa hebt das kleine, noch knittrige und blutige Bündel nach oben und legt es Dís in ein Tuch gehüllt auf die Brust. „Es ist ein Junge, Hoheit. Ein kräftiger, wunderschöner Prinz", sagt sie, ein Strahlen heller als Sternenlicht in den Augen.

Die ganze Anspannung fällt von Dís. All die Schmerzen sind vergessen. Tränen laufen ihr über das Gesicht und voller Mutterliebe küsst sie das kleine Köpfchen, auf dem die noch feuchten goldblonden Haare so wie die ihren kleben. Viele Geburten erlebte ich bereits. Sah die Magie und die Freude dieses besonderen Augenblicks, aber wundersamerweise, tiefer als sonst berührt mich dieser hier. Wie werde auch ich für ihn kämpfen und ihn beschützen, und sei es mit meinem Leben. Weniger aus Pflichtgefühl, denn mehr aus bedingungsloser Liebe.

„Würdest du bitte meinen Gemahl hereinholen, ich glaube, er hat lange genug gelitten", befiehlt mir Dís nun gemütlich in ihrem Bett liegend, nachdem sie und ihr Sohn versorgt wurden. In ein rotes Tuch, als Versinnbildlichung von Liebe und Leiden, eingeschlagen, ruht er friedlich und satt in ihren Armen und blickt mit blauen, trüben Augen zu ihr auf. Ich knickse die Anweisung entgegennehmend und stimme ihr stumm zu. Kaum vorzustellen vermag ich mir, wie er rastlos auf und ab lief, horchte, wartete und schier verzweifelte, in all den zurückliegenden Stunden.

Daher wenig überrascht es mich, dass er mir beinahe entgegen fällt, als ich die Tür öffne. „Königliche Hoheit, Eure Gemahlin erlaubt Euch nun die Geburtsstube zu betreten", unterrichte ich ihn und kaum sprach ich das letzte Wort, schiebt er sich an mir vorbei. Thorin und Balin und auch Dwalin, folgen ihm mit einem beruhigt-amüsierten Lächeln. Jeden von ihnen sehe ich die in Ungewissheit verbrachten Stunden an. Schlaf werden sie genauso wenig gefunden haben wie wir.

Vilí bleibt am Fußende des Bettes stehen, nicht zweifelnd, ob er es wagen kann, weiter zu gehen, sondern, weil die Tradition des Königshauses es verlangt. Ich lasse beim Vorbeigehen eine beruhigende Hand über seinen Arm gleiten und trete wieder an Dís' Seite. Jemanden bestimmen kann sie nun, der dem Vater das Kind präsentiert, damit er es, sollte es ein Junge sein, annehmen und ihm einen Namen geben kann. Bei einem Mädchen jedoch, kann er es lediglich unter seinen Schutz stellen, denn bei diesen steht es der Mutter zu, einen Namen zu erwählen. Eine der Hebammen ist es gewöhnlich oder eine anwesende Adlige. In Ermangelung einer solchen, denn Dís wünschte keine weiteren Frauen des Hofes um sich herum, warte ich darauf, dass sie Alrika darum bittet. Jedoch überraschend nickt sie mir zu.

Kurz zögere ich. Adlig bin ich nur zum Schein, dennoch eine solch große Hochschätzung, wage ich nicht abzulehnen. Vorsichtig nehme ich Dís das Bündel aus den Armen, wiege es in den meinen, bewundere voller Verehrung die Schönheit dieses Wunders und trete vor Vilí.

Erneut knickse ich vor ihm. „Königliche Hoheit, es ehrt mich die Erste zu sein, die Euch zu Eurem Sohn gratuliert." Meine Stimme zittert befremdlich, während ich ihm das Bündel entgegenstrecke, damit er es annehmen kann. Keinen Zweifel hege ich daran, aber dennoch ein bedeutsamer Augenblick ist es. Vilí berührt es mit flatternden Fingern, ängstlich gar, nicht so recht wissen, wie er es bewerkstelligen soll, dieses zarte, kleine Wesen aufzunehmen. Ich erlöse ihn schließlich, indem ich es ihm nach einem hilfesuchenden Blick in die offenen Arme lege.

Mit tränenschimmernden Augen, Stolz und Liebe betrachtet er seinen Sohn und streicht ihm eine nun getrocknete blonde Haarsträhne aus dem flaumbebarteten Gesichtchen. Der Kleine gluckst recht zufrieden ob der sanften Berührung von rauen Kriegerhänden. „Sutdui", flüstert er glücklich. „Er soll Sutdui heißen." Ich lächle. Ein wundervoller Name. Er bedeutet in Khuzdul diese tiefe Zuneigung, die auf Freundschaft und Anerkennung basiert. „Und in der gemeinen Sprache ... Fili", ergänzt er und gibt seinem Sohn als Versinnbildlichung der Übertragung seiner Bestimmung einen Kuss auf die Stirn.

Thorin tritt nun an seine Seite. Voller Staunen betrachtet er den Winzling und auch in seinen Augen, kann ich die gleiche Liebe und bedingungslose Bereitschaft erkennen, ihn von nun an mit seinem Leben zu beschützen. Betörend ist sie. Strahlend und ehrlich. Solch eine Liebe, ist die kraftvollste der Welt. Vieles kann sie überwinden, einmal bislang, sogar den eigentlich unerbittlichen Tod.

„Euer Neffe, Majestät", sagt Vilí und drückt dem überraschten Thorin schneller, als er abwehrend reagieren kann, das Bündel in die Arme. Der große König, tapferer Kämpfer und berühmter Kriegsheld, er, der Feinden ohne Gnade entgegentritt, wirkt recht unbeholfen, wie er nun so dasteht, mit einem glucksenden Neugeborenen an die breite Brust gedrückt. Ich höre hinter mir ein erheitertes Kichern von Dís und auch ich kann bei diesem Anblick ein amüsiertes Lächeln nicht zurückhalten, wie wohl jeder im Raum.

Oh was für wundervolle Zeiten werden uns bevorstehen.

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nethar – höchstes Mädchen

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