Sternenhimmelkleid
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Geräumige und hochwertig ausgestattete Gemächer wurden für uns hergerichtet. Das Bett aus Ebenholz, mit opulent gerüschtem Baldachin und umlaufenden Vorhängen aus samtrotem, schwerfallenden Stoff, ist dabei das auffälligste Möbelstück. Wandteppiche verbergen die grafitgrauen Wände und spenden dem Raum eine noch wohligere Wärme, als das lodernde Feuer im großen Kamin es bereits vermag. In dem meinem befindet sich sogar eine der dreiseitigen Erker der vollverglasten Risaliten, die ich von außen sah. Eine dick gepolsterte Sitzbank wurde darin eingelassen und der sich von dort bietende Blick hinaus in das Tal, ist einmalig herrlich. Zum Glück einige Bücher nahm ich mit, die ich hier wohl im großzügig hereinfallenden Sonnenlicht sitzend lesen werde, solange Thorin an den Verhandlungen teilnimmt, zu denen mitzugehen ich nicht berechtigt bin.
„Benötigt Ihr noch etwas?" Der Diener, der mich in mein Zimmer geleitete und schwer an all den Beuteln und Taschen trug, wartet dienstbereit, nachdem er diese vorsichtig ablud. Ich schüttle lächelnd den Kopf, denn wahrlich unangenehm ist mir sein Pflichteifer. „Sagt mir bitte nur, wie unsere Ponys untergebracht wurden", will ich lediglich wissen. Der Diener blinzelt verwundert über das Auskunftsersuchen. „Die Stallungen liegen am nördlichen Rand der Talsohle, dort, wo das beste Gras wächst", erklärt er. Ich habe keine Zweifel, dass Khajmel sich an diesem Ort wohlfühlen wird, werde ihn aber mit Erlaubnis in den nächsten Tagen besuchen.
Kurz nur kann ich mich genauer umsehen und einrichten, nachdem der Diener ging. Denn zum gemeinschaftlichen Abendessen wurden wir von König Lothin geladen, und ein reinigendes und entspannendes Bad wollten meine Herrschaften vorher nehmen. Mir wurde berichtet, dass dafür am Ende eines jeden Ganges eine gut bestückte Badstube zur Verfügung steht. Jedoch maßlos untertrieben ist dieses Versprechen. Das in der Mitte des Raumes gänzlich in den Steinboden eingelassene runde Becken aus Obsidian ist geradezu riesig. Breite Treppenstufen führen von einer Seite hinein und umlaufende Bänke laden dazu ein, sich entspannt im warmen Wasser niederzulassen. Inmitten ragt ein achteckiger Tisch mit hohem, goldverziertem Rand bis über die Wasseroberfläche. Kunstvolle Kandelaber und bodengleiche Spiegel an den Wänden, deren Rahmen silbrige Weinranken bilden, allerhand weitere Sitzgelegenheiten, kleine Ablagetische, gut bestückt mit Tüchern und Seifen, und sogar ein Alkoven mit einer Liegefläche und schweren Vorhängen, gehören ebenso zur Ausstattung.
Aus einem vergoldeten Hahn läuft dampfendes Wasser, währenddessen ich alles nach den Vorlieben meines Herren herrichte. Wohl aus einer unterirdischen heißen Quelle wird es mit viel Raffinesse bis hierher geleitet. Zwergische Baukunst, die sich auch im Erebor finden ließ, so erzählte mir Thorin einst, als ich zu Hause über das Wasserschleppen schimpfte. Leider findet sich in den Tiefen der südlicher gelegenen Stellen der Ered Luin keine solchen, die man anzapfen könnte. Rosen- und Lavendelöl tröpfle ich in das langsam steigende Wasser. Eine Duftmischung, die mir ganz besonders behagt, denn langanhaltend verfängt sich das Aroma in seinen Haaren und haftet auf der Haut. Noch Tage danach, ist es für mich wahrnehmbar, wenn ich ihm zu nahe komme und auf betörende Weise unterstreicht es das ihm eigene natürliche nach regenfeuchtem Boden und sonnengewärmten Steinen.
Kaum erledigte ich alle Vorbereitungen, betritt Thorin den Raum. Frohen Mutes und Zuversicht scheint er zu schauen auf die vor ihm liegenden Tage voller kräftezehrender Verhandlungen. Viel hängt von ihnen ab, aber eine seltene Ware führten wir mit uns, die wohl jeder König für sein Volk begehrt und die uns einen überwältigenden Vorteil bringen wird.
Er prüft, ob das Wasser eine für ihn angenehme Temperatur hat, nicht ohne den Wasserhahn zu bewundern, aus dem es noch immer sprudelt. „Eine von uns übernommene Fertigkeit", bemerkt er mit stolzhoher, aber auch erinnerungsbedrückter Stimme. Ich lächle traurig. Nicht gerne sehe ich ihn in dieser oft schmerzenden Andacht verweilen. Die Hallen des einsamen Berges waren seine Heimat und noch immer trauert er um ihren verlorenen Glanz, obwohl dieser wohl für alle Zeit unrettbar verschüttet bleiben wird unter Krallen und Schwefelatem eines unbarmherzigen Drachen. Dennoch ist der Verlust etwas, dass ihn bei all dem Guten, den Erfolgen und dem Wohlstand, den er seiner Familie und seinem Volk brachte, keine Ruhe finden lässt. Sein Vater Thráin starb während des Versuchs, sie für ihn zurückzuerobern. Jedoch manches Mal, wenn er über die unvergleichbare Herrlichkeit erzählt, die hohen Hallen, das goldene Licht und die immerwährende Wärme, dann beschleicht mich Hoffnung und Angst zugleich, dass er ebenfalls irgendwann einmal ausziehen wird, um das Glanzstück seiner Sippe wieder unser werden zu lassen.
Dienstbar trete ich an ihn heran und beginne all die Schnallen und Schnüre und hölzernen und metallen Knöpfe zu lösen, die steifen ledernen Bänder aufzuknüpfen und weich über harte Muskeln fließende Stoffe von seinem Körper zu streifen. Die Aufgabe des Entkleidens vor dem Bad und manches Mal auch, bevor er zu Bett gehen möchte, ist eine der vielen, die mir umso lieber wird, je mehr ich mich mit zunehmenden Alter davon beeindrucken lasse, wie wohlgeformt seine Gestalt doch ist. Nicht, dass ihr nun denkt, die von Kampf und harter Arbeit definierten Muskelstränge, die silbrigen Narben, die zuhauf unter sich kräuselnden dunklen Haaren glänzen, wirkten nicht gleichwohl faszinierend, als er mich damals unschuldig junges Mädchen vor bereits dreizehn Jahren in seinen direkten Dienst stellte. Jedoch irgendetwas wandelte sich in diesen. Schwärmerisch und oft unschicklich eingehend auf selbst nichtig erscheinende Details, erfreue ich mich des Anblicks. Jede sich mir bietende Gelegenheit nehme ich als Anlass, die Hände über eine noch so kleine Stelle bloßer Haut gleiten zu lassen. Um zu erfühlen, wie sich diese Narbe anfühlt. Um in Erfahrung zu bringen, ob das Zucken des angespannten Muskels, auch die meinen erzittern lässt. Um auszureizen, ob dieses sanfte Streicheln ihm eine Reaktion entlockt. Jedoch nicht viel erwirkte ich bislang, nur ein dezentes Schmunzeln dann und wann, wenn er nach langen, anstrengenden Tagen nicht mehr hinreichend Selbstbeherrschung bemühen kann oder möchte.
„Hast du eigentlich genügend hübsche Kleider mitgenommen?", fragt er plötzlich und stört die schwere Aufgabe, mich trotz all der Schwärmerei nicht allzu aufdringlich zu verhalten, obwohl ich manches Mal daran zweifle, ob er die schwärmerischen Berührungen nicht ebenso schätzt und genießt. Kurz sinniere ich über den Sinn dieser Frage. „Da ihr mir sagtet, dass König Lothin wohl einige Bälle zu Euren Ehren geben wird, habe ich zehn Ballkleider eingepackt, in der Hoffnung, diese werden genügen." Zweifel habe ich nun daran, denn nicht ohne Grund wird er darüber Auskunft haben wollen. Eine Schmach wäre es für ihn, würde seine Leibdienerin zweimal in ein und demselben Kleid zu einem Ball erscheinen. Geiz und wenig Fürsorge könnten böse Zungen ihn anlasten.
Aber wie es scheint, nicht das ist seine Sorge. „Ich meinte eher repräsentative, solche, die du normalerweise während der Ratssitzungen pflegst zu tragen. Vorzugsweise in der Farbe meines Hauses." Ich stutze. Natürlich beschwerten auch einige dieser mein Gebäck und wurden Khajmel und dem Handpony zur unleidlichen Last, aber da ich davon ausging, kaum an offiziellen Anlässen teilnehmen zu dürfen, sind es nur ein paar wenige.
„Dann werde ich dir noch einige besoren müssen", verkündet er, als ich ihm diesen Umstand offenbare. Den daraufhin aufkommenden fragenden Blick um den Anlass, wird er unzweifelhaft sehen. Erneut verfremdet sich sein Mund zu diesem gefährlichen Wolfslächeln, während er sich mir zuwendet und der sich direkt in mein Sichtfeld schiebende Anblick seiner breiten Brust in nackter Gänze so ziemlich jede Entschlossenheit, ihn nicht zu offensichtlich anzustarren, unrettbar von der Pracht gebrochen wird.
„Ich erwarte von dir, dass du, so lange wir hier verweilen, jederzeit an meiner Seite bleibst. Du wirst mich zu Vergnügungen begleiten, genauso wie zu den Verhandlungen", befiehlt er in einer Sprechhaltung, die keinerlei Widerspruch zulässt. Ich wende den Blick ab um den seinem, der schwer auf mir lastet, der Gefährlichkeit des Lächelns, das mich verunsichert und dem Anblick des mir überlegenen Köpers, der so viel Gewalt über mein Denken und Handeln hat, auszuweichen.
Ich erahne den Grund dieser Anweisung. Als Mittel zum Zweck will er mich einsetzen, denn König Lothin fand unzweifelhaft Gefallen an mir. Milder wird er gestimmt sein, wenn ich anwesend bin, verhandlungswilliger vielleicht sogar, und Thorin ganz sicher Vorteile daraus entstehen. Daher gehorchend nehme ich den Befehl entgegen, obwohl er mir nicht behagt. Es ist meine Pflicht, ihm auch solcherlei Dienst zu erweisen. Alles an und in mir gehört ihm. Gedanken, Fähigkeiten, Herz und Leib.
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Bereits für das abendliche Bankett musste ich mich nach Thorins Anweisung besonders hübsch zurechtmachen, um so viel Bewunderung wie möglich zu entfesseln. Ein mitgenommenes mitternachtsblaues Kleid mit tiefem Herzausschnitt schien mir dafür am tauglichsten. An den breiten Säumen von langen Schleppärmeln und ausgestelltem Rock, wurde es mit glänzendem Goldbrokat abgesetzt und zudem über und über mit kleinen Sternen bestickt. Nur eine Kette mit tropfenförmigen Grandidieritanhänger trage ich zusätzlich als Veredlung, denn ist es doch eine Kunst geschmückt aber nicht überladen zu wirken, die Dís mir dereinst mit Nachdruck beibrachte. Manche der edlen Damen am Hofe Thorins beherrschen diese jedoch nicht. Zu pompösen Kleidern legen sie, so scheint es jedenfalls manchmal, allen Tand an, den sie besitzen.
Zufrieden betrachte ich mich im Spiegel. Beachtung wird das Aussehen finden und Thorin als großzügigen Herren präsentieren, der selbst eine Dienerin prachtvoll ausstaffiert. Meine Haare dagegen denken nicht einmal daran, die angedachte Frisur anzunehmen. Noch feucht vom baden, kringeln sie sich trotz geschmeidigmachenden Öl störrisch in die unbrauchbarsten Richtungen. Nach viel Geschimpfe und Versuchen, gebe ich es letztendlich auf und lasse sie, einzig von zwei am Hinterkopf zusammengeknoteten Strähnen bezähmt, offen über die Schultern wallen. Eigentlich nicht schicklich ist es, sie in aller Öffentlichkeit so zu tragen, denn nur verheirateten Frauen ist es erlaubt. Aber ich rede mich damit heraus, dass es ja lediglich ein Abendessen in kleinem Kreis ist, zu dem ich gehe, und kein königlicher Ball oder hochoffizielles Fest.
Dennoch, als ich so wie Thorin befahl, zuletzt das Speisezimmer betrete, wenden sich alle Blicke mir zu und ein Murmeln wogt auf. Selbst meine Gefährten stehen mit offenen Mündern da, insbesondere Dwalin, obwohl er mich bereits viele Male mit ungebändigten Haaren sah. Gleichwohl schmeichelt mir seine Verzückung am meisten.
König Lothin tritt schließlich als Erster seine Fassung wiedererlangen vor, um mich überschwänglich mit weit geöffneten Armen zu begrüßen. „Ah, verheerte Nathûna Astâ, es ist mir eine Freude, dass Ihr ebenso nach dieser langen, anstrengenden Reise meiner Einladung gefolgt seid. Ich hätte Verständnis dafür gehabt, wenn Ihr Euch lieber für den Rest des Abends zurückgezogen hättet. Jedoch seht Euch an, so betörend anzusehen wie der Sternenhimmel erscheint Ihr uns."
Ich knickse untertänig und senke den Blick, auch, um dem seinem auszuweichen. Gegenwart und übertrieben freundliche Worte sind mir (noch) nicht unangenehm, gleichwohl will ich es so höflich wie nur möglich vermeiden, dass er annehmen könnte, ich erläge seinen Schmeicheleien. Dennoch, er ist König, und auch, wenn er nicht mein König ist, so steht es ihm zu, mir nach Gutdünken Befehle zu erteilen, solange Thorin in diesen einwilligt. Furcht habe ich davor, denn nicht einzuschätzen vermag ich, wie er bei manchen die da womöglich kommen mögen, entscheiden würde. Absonderlich ist sein Verhalten, seitdem wir hier sind. Er will mehr als sonst Macht, Autorität und Reichtum repräsentieren und die Verfügung, immer an seiner Seite zu bleiben, herausgeputzt und dienstbar, schnürte das beklemmende Gefühl im Herzen, dass er mich vermutlich als einen Teil von alldem ansieht. Geiz ist der Zwergen Untugend, aber das Talent des gewinnbringenden Einsatzes von Habgütern, ist uns ebenso zu eigen.
„Habt Dank für die überaus wohlwollende Begrüßung, Majestät", erwidere ich daher freundlich, ohne auf das ausgesprochene Kompliment einzugehen. Diese ist genaugenommen sogar ungebührlich höflich, denn weder beachten, geschweige den Willkommen heißen, müsste er mich persönlich.
Sanft nimmt er meine Hand wie zuvor im Thronsaal in die seine. „Kommt, ich möchte Euch vorstellen", sagt er und führt mich durch das Zimmer, ungeachtet dessen, dass dies eigentlich Thorin vorbehalten ist, sollte er es denn als notwendig erachten. Daher einen Einwand vorausahnend, blicke ich zu ihm, der noch immer in der Gruppe seiner Berater und Freunde steht. Jedoch, wenn auch nicht gleichgültig, wider erwartend gutwillig betrachtet er lediglich das sich über seine Autorität hinwegsetzende Vorgehen. Anders dagegen Dwalin. In seinem Antlitz sehe ich das eigentlich erhoffte Verargen ob so viel übergriffiger Respektlosigkeit und womöglich nur der Anstand und dass Thorin keinerlei Absichten bekundet, einzugreifen, hält ihn davon ab es selbst zu tun. Vielleicht ist es auch nur die Hand seines weisen Bruders, die zurückhaltend auf seinem Arm ruht.
„Das, Teuerste, ist meine Gemahlin, Königin Idûna", sagt Lothin, als wir schließlich zum Kopfende der U-förmig aufgestellten Tafel gelangen und deutet auf eine wunderschöne Zwergin, die unzweifelhaft aus dem Königsgeschlecht der Schwarzschmiede stammt. Ihr langes Haar ist so dunkel wie das abgründige Wasser eines Sees bei sternloser Nacht. Ungewöhnlich fein für uns Zwerge sind ihre Gesichtszüge und grazil das zartgliedrige Erscheinungsbild, das von einem wundervollen Gewand ganz aus fliederfarbener Seide umhüllt wird. In den braunen Augen lassen die flackernden Flammen der Kerzen ringsherum kaminfeuerwarme Reflexe entstehen. Jedoch kalt wie Eis wirkt ihr deutlich affektiertes Lächeln und wird noch frostklirrender, als sie die von ihrem Gemahl geführte Hand fixiert. Ich knickse gebührlich tief vor ihr und nehme dies gleichwohl zum Anlass, von König Lothin zu lassen, um gesittet den Saum des Rockes anzuheben. Nicht überdies verärgern möchte ich sie.
„Das ist Lórid, mein Sohn, und der kleine Diamantstern neben ihm, ist Ibûna", stellt er mir unberührt von der distanzierenden Geste, die weiteren Mitglieder der königlichen Familie vor, nachdem ich mich wieder aufrichtete. Kaum konnte sich das Feuerhaar ihres Vaters bei ihnen durchsetzen, denn der Prinz und die Prinzessin sind die genauen Ebenbilder ihrer Mutter. Allerdings abweichend findet sich die Wärme der Augen genauso in Lächeln und Haltung, besonders in denen der sich noch im Zwerglingsalter befindenden Ibûna. Sie lächelt mich mit offenen Mund an, während sie die Hand ihres großen Bruders umklammert hält, der seine Augenlider zur Begrüßung niederschlägt und den wohl ausgeprägtesten, verworren geflochtensten Bart hat, den ich jemals an einem Mann meines Alters sah. Auch vor ihnen knickse ich erneut und die gebührende Hochachtung bezeugend tief.
„Das ist Astâ, Herastochter, die Leibdienerin Thorins", stellt er zuletzt mich vor. Königin Idûna verzieht ihren Mund nun zu einem höhnenden Lächeln. Es ist den Schwarzschmieden zu eigen, dass sie sich wenig darum scheren, ihre Emotionen und Meinungen zu verbergen, weder aus Höflichkeit noch Anstand. Dieses Gebaren verdirbt die Schönheit ihrer Sippe oft zu einer grotesken Maske. Auch sie denkt das, was alle denken, wenn sie von meiner Position erfahren, jedoch lernte ich mit der Zeit, mich nicht mehr davon berühren zu lassen. Solange Thorin und ich unsers Verhältnis nur in privaten Gemächern, fernab jedes vor allem ihm Böse wollenden Auges, in seiner intimen gleichwohl unkörperlichen Gänze unverhohlen nachgehen, kann uns kein frevelhaftes Gerücht Schaden zufügen. Besonders nicht, wenn es von jemandem stammt, dem ich gerade erst begegnete.
Der strengen Hofordnung folgend, platzieren sich die Anwesenden, neben der Königsfamilie und uns Gästen nur wenige wichtige Angehörige des Hofstaats, geordnet nach Rang an die Tische. Thorin nimmt von gleichwertiger Geltung an der rechten Seite König Lothins in der Mitte der stirnseitigen Tafel seinen Platz. Neben ihm der Thronfolger, dann Balin, Dwalin, Gloin und zuletzt ich ganz außen, jedoch weiterhin fehlplatziert. Eigentliche Aufgabe wäre es, meinem Herren Speis und Trank zu reichen, dagegen selber bedient werde ich nun und eigenartig fühlt sich dies an.
Um zu vermeiden, dass mir die Unsicherheit angesehen wir und dass ich aus Gewohnheit den Dienern danke, sehe ich mich eine geeignete Ablenkung suchend im Raum um, indes das Essen angereicht wird. Wohl eines von vielen Speisezimmer des herrschaftlichen Bereiches des Berges wird dieser sein, denn wahrscheinlich zu klein ist er, um allen Höflingen Platz zu bieten. Vermutlich lediglich zu inoffiziellen feierlichen Anlässen wird er genutzt. Dennoch ist seine Pracht beeindruckend und repräsentativ für ein Königshaus der Zwerge. Erhabene, blattgoldüberzogene Linien, die auf den ersten Blick verworren angeordnet erscheinen, aber in ihrer Gesamtheit einer eigentümlichen, immer wiederkehrenden Logik folgen. Infolgedessen faszinierende Muster überziehen die obsidianglänzenden Wände. In das von eckigen Pfeilern getragene Deckengewölbe wurden unzählige Diamanten eingelassen. Wie Sterne am Nachthimmel funkeln sie im goldenen Licht der dicken, in einem großen herabhängenden Lüster steckenden Bienenwachskerzen.
Ein Teller wird vor mir abgestellt und lenkt die Faszination schließlich auf das aufgetragene Essen. Rehbraten. Bereits beim bloßen Anblick spüre ich seine herbe Zartheit auf der Zunge zergehen und erst jetzt, wie hungrig ich doch eigentlich bin. Seit der Mittagsrast noch umgeben von Wildnis haben wir nichts mehr zu uns genommen und ob der Völlerei der letzten Tage, bestand diese nur aus etwas Brot, Käse und Quellwasser. Jedoch warte muss ich, bis alle Anwesenden ihren Teller erhalten haben und König Lothin uns offiziell in seinen Hallen Willkommen hieß.
Zart wie erwartet schmeckt das Fleisch. Die in großen Schüsseln gereichten Kartoffeln verströmen einen zusätzlich appetitanregenden Duft nach Kümmel und Koriander. Allerhand gedünstetes Gemüse mit Butter überzogen wird ebenfalls auf den Tisch gebracht, aber zum größten Teil verschmäht. Auch Gloin neben mir stillt den Hunger kaum an nahrhaften Beilagen. Rehbraten ist ebenso sein Leibgericht wie meines.
Nach dem Schmaus regen die wohlige Sättigung und der burgunderrote Wein beinahe frohlockend lockere Tischgespräche an. Einige Anwesenden setzen sich um, andere ziehen sich zurück. Aus dem Augenwinkel heraus nehme ich wahr, wie sich Thorin angeregt mit König Lothin unterhält. Wohl über die Architektur des Saals, denn öfters lässt der Herr dieser Hallen die Hand schweifen zu Prunk und Pracht. Hoffentlich einige Ideen, die er seinen Baumeistern für neue Abschnitte seiner Hallen übergeben wird, nimmt Thorin mit nach Hause.
Plötzlich zupft etwas Zaghaftes an meinem Rock. Erschrocken sehe ich an mir herunter und entdecke mit großer Verwunderung die kleine Königstochter neben mir stehen. Noch immer aus weiten Rehaugen und mit lächelnden Lippen sieht sie mich an. „Seid Ihr eine Prinzessin?", fragt die zarte Kleinmädchenstimme. Ich lache kurz auf und sehe zurück zu ihren Eltern. Lothin ist weiterhin mit Thorin ins Gespräch vertieft und die Königin scheint sich nicht um den Verbleib ihres Töchterchen zu scheren.
„Nein, das bin ich nicht", antworte ich der Kleinen. Sympathisch ist sie mir bereits seit beginn, erinnert sie mich doch an Jassins älteste Tochter, die im gleichen wissbegierigen Alter ist. „Ihr seid aber so hübsch wie eine und gleicht der Zeichung der Stammesmutter der Langbärte in meinem Geschichtsbuch", entgegnet Ibûna wie es Kindern zu eigen ist ganz ohne irgendeine Art von Heuchelei. Lediglich schwer Betrunkene sind noch freier und ehrlicher in ihren Äußerungen. Ich lache erneut, dieses Mal jedoch verschämt. „Habt vielen Dank, Hoheit, aber auch Ihr seht der ersten Königin der Schwarzschmiede verblüffend ähnlich", bekunde ich und senke höflich den Blick. Das kindliche Lächeln scheint nun geradezu das ganze Gesichtchen einzunehmen.
„Dürfte ich Eure Haare berühren? Ich würde nämlich gerne wissen, ob sie aus Goldsaphir sind, so wie mein Bruder annimmt", fragt sie, sichtbar mit allem Mut, denn sie im bisherigen unbefangenen Gespräch gesammelt hat. Ich zögere kurz, die Neugier ist entzückend, jedoch glaube ich nicht, dass ihre Eltern ein solch respektloses Benehmen gutheißen werden.
Zum Glück wird mir die Entscheidung abgenommen, ihr einen Wunsch aus Angst Thorin mit einem ungehobelten Betragen beschämen zu können, abschlagen zu müssen. „Ibûna, khurbarub, adad hat doch gesagt, du sollst die Gäste nicht belästigen", schimpft der junge Prinz mit ernster Stimme, die der seines Vaters erschreckend ähnlich ist, und hebt das kleine Mädchen auf seine Hüfte. „Aber ich wollte doch nur wissen, ob ihre Haare mit Goldsaphirglitzer bedeckt wurden, so wie du sagtest", schmoll die Prinzessin, die Händchen in dem üppigen Bart gekrallt, und sieht dadurch noch bezaubernder aus. Eine beschämt-helle Röte ob der Offenbarung, huscht dem Prinzen über die Wangen. Ich wende taktvoll den Blick ab, um das Bemerken zu vertuschen.
„Verzeiht meiner kleinen Schwester, Zabdûnayê, sie ist manchmal etwas ungezügelt in ihren Äußerungen", entschuldigt sich Lórid bei mir und als ich mich ihnen daraufhin wieder zuwende, deutet er sogar eine zusätzliche Verbeugung an. Ich schüttle den Kopf und lächle, „nein, bitte, rechtfertigt sie nicht. Es ist das Recht eines Kindes, Fragen zu stellen, um die Welt zu entdecken." Der Prinz senkt den Blick als Dank für diesen Freispruch. Unter strengen Regeln werden sie erzogen und gelegentliche Ausbruche, die normal sind, besonders für ein so kleines Kind, wohl hart bestraft. Traurig stimmt dies mich.
„Wenn du Lust hast und es uns gestattet wird, soll ich dir dann einige Legenden über die Stammesväter und –mütter erzählen? Meine Herrin und mein Lehrer Balin, brachten mir sehr viele näher", frage ich daher Ibûna flüsternd, damit niemand davon erfährt, bevor ich bei Thorin und er bei Lothin um Erlaubnis ersuchen konnten. Die Augen der kleinen Prinzessin werden daraufhin so groß, dass ich befürchte, sie fallen im nächsten Moment ungehindert heraus. „Das würdet Ihr tun!", ruft sie mit einer Begeisterung, die nur ein Kind ob solcher Kleinigkeiten aufbringen kann, und hüpft auf dem Arm ihres Bruders auf und ab, sodass mir das Herz aufgeht. Notfalls auf Knien rutschend werde ich bei unseren Herren um Genehmigung betteln, damit ich ihr diese versprochene Freude wirklich erfüllen kann.
Auch der Prinz lächelt und befremdlich in ihrem Ausmaß leuchtende Dankbarkeit kann ich in seinen Augen sehen. Gouvernanten, die sich um sie kümmern, Lehrer, die sie vollumfänglich ausbilden, Diener und Mägde, die jeden geäußerten Wunsch erfüllen, werden sie wohl zur genüge haben, jedoch womöglich niemanden, der ihnen Geschichten frei von Verpflichtungen erzählt.
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Nathûna – junge, unverheiratete (adlige) Frau
khurbarub – kleines Pferd
adad – Vater
Zabdûnayê – Anrede für eine Adlige (MyLady)
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