So beschwerlich der Aufbruch

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Ich fahre herum, starre in die dunkle Ecke neben der Tür, aus der die Stimme drang, und der Schreck fährt mir erneut in die Glieder, als schließlich eine Gestalt auf nackten Füßen hervortritt. Ihren samtenen Morgenmantel warf sich Dís über das Unterkleid, obwohl die Wärme im Raum ausreichend müsste, damit sie nicht allzu schnell friert. Wer weiß, wie lange sie dort schon verweilte, anscheinend mein Auftauchen ab(er)wartend.

Ich senke den Blick und versuche unbeholfen Helm und getragene Satteltaschen hinter dem Rücken verschwinden zu lassen. Eine zwecklose Handlung, denn verrät doch allein die Aufmachung allzu deutlich, was genau ich plane.

„Ich ... ich wollte nur ..." Die gestammelte Bemühung mich zu erklären ist genauso tölpelhaft und nutzlos. Jedoch Dís belächelt diese nicht spöttisch. Ein wissendes Lächeln ist es eher, geradezu von dieser liebenden mütterlichen Gnade geprägt, die sie Fili schenkt, wenn er einen vorhergesehenen Unfug anstellte, so selten dies auch vorkommt. Also das Erwartete, Streiche und Dummheiten an sich, denkt er sich in seinem kleinen Sturkopf nur zu oft aus. Mich der Schuld ein ebensolches Vergehen begangen zu haben nur allzu bewusst, senke ich den Blick.

„Ich ahnte bereits, dass du Thorins Abweisung nicht akzeptieren und ihm heimlich nachreisen wirst", erklärt Dís das Warten und kommt näher. Ich antworte nicht darauf. Die Tatsache abzustreiten ist unsinnig. Sie zu bestätigen, noch sehr viel mehr. Eindeutig ist die Situation.

„Es tut mir leid", murmle ich und meine es auch so, aber fühle dabei, meine Herrin ist nicht hier, um mich für die Missetat zu bestrafen. „Das glaube ich dir", sagt sie und legt mir eine wohlwollende Hand auf die gepanzerte Schulter. Jedoch nicht zufrieden ist sie anscheinend mit dieser distanziert kalten Berührung, denn schnell findet sie stattdessen einen Platz an meiner Wange. „Die Entscheidung zu gehen kam aus deinem Herzen und wurde nicht aus Dummheit gefällt. Ich kann sie verstehen und traf einst eine Gleichartige. Ich war noch zu jung, zu unerfahren in allem, zu ausgezehrt von der langen Wanderung, um Vater, Brüdern und Freunden in die Schlacht zu folgen, aber sah dies nicht ein. Auch ich wollte ihnen im Schutz von Nacht und Nebel nachgehen, jedoch eine Vertraute, eine innigliche Dienerin, so wie du eine bist, hielt mich davon ab. Zum Glück, wie mir erst später, nachdem der Ärger auf sie verflog, und nur wenige zurückkehrten, bewusst wurde, denn gefallen wäre ich im Schatten der drei Gipfel."

Ich blicke auf und sehe mit Schrecken Tränen in ihren Augen schimmern. Wie sehr litt sie währenddessen. Wie sehr leidet sie noch heute ob der Erinnerungen. „Aber du, du bist unverdrossen und erfahren und furchtlos ... daher ..." Sie hält inne, seufzt tief. „... werde ich dich ziehen lassen." Ich erschrecke, denn niemals hätte ich damit gerechnet. „Jedoch erst, nachdem du mir zwei Dinge gewährt hast."

Ich nicke. „Alles was ihr begehrt, Hoheit." Dís lächelt und greift in die Tasche des Mantels. Etwas Kleines, Ovales, schwarz und blau und grün Schimmerndes holt sie daraus hervor. „Nimm dies mit. Schon einmal gab er dir Schutz und brachte mir dich und die die du beschützt wieder nach Hause." Behutsam wie einstmals legt sie mir den Runenstein in die Hand. Ich betrachte ihn ehrfürchtig. ‚Innik dê' – ‚Kehr zurück zu mir' Ich schluchze und schließe die Finger darum, fühle die Kerben der Runen, die Wärme des Steines, die Energie, die durch die Vereinigung entsteht. „Das Versprechen ihn zurückbringen, gebe ich Euch nur allzu gerne", sage ich mit fester Stimme und blicke wieder zu ihre auf. Dís lächelt stolz und stellt sogleich ihre zweite Forderung: „Umarme mich zum Abschied, kandnâthu."

Ich blinzle verwirrt. Traute Nähe die über das, was einer Dienerin gebührt, gestand sie mir bereits zu. Ich begleitete sie in Freude und Schmerz und Situationen, die allzu privat sind. Meinen Rat schätzt sie ebenso wie ihr Bruder. Geheimnisse vertraute sie mir an. Jedoch noch nie durfte ich sie umarmen.

Daher zögernd trete ich näher, denn ihr diesen Wunsch zu erfüllen ist mir dennoch ein Bedürfnis. Allerdings, je tiefgehender ihre Wärme auf die kalte Haut trifft, je intensiver ihr Geruch mich umhüllt, je fester sich ihre Arme um mich schließen, umso vorbehaltloser fühle ich mich geborgen in der Umarmung. Plötzlich so vertraut fühlt sie sich an, so herrlich, so stärkend, so liebevoll, wie es eigentlich nur die einer Mutter sein kann. Unbeherrschbare Tränen perlen aus meinen Augen. Wie lange misste ich dererlei. Traurig stimmt es mich, als sie sich schließlich von mir löst.

„Jetzt geh. Nimm den Ausgang jenseits des Haupttores, der dich zu den Stallungen bringt, dieser wird weit weniger bewacht." Ein letztes Mal streicht sie mir über die Wange. Ihr Blick wirkt traurig, besorgt, gleichwohl leuchtet Zuversicht darin wie helle Sterne am Firmament. „Gib Acht auf sie und dich, meine tapfere Kriegerin." Ich nicke zusichernd. „Habt Dank, Herrin, für alles."

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So leise wie in einer scheppernden Rüstung möglich, husche ich durch die zwergenleeren Gänge. Zu welcher Uhrzeit die Wege von Patrouillen kontrolliert werden, ist mir wohlbekannt und daher ungesehen geblieben, gelange ich schließlich zur Pforte. Die Nachtluft trifft warm auf die Haut. Wenig Nachtfeuchte liegt auf allem und lässt Gras und Steine dennoch erfrischt von der seit Tagen regenmissenden Augustwärme duften. Grillen zirpen weit entfernt. Ein Uhu sitz wohl in einem nahen Baum und ist auf Mäusejagd. Ob ich ihm den Hinweis geben soll, dass sich seine Beute im Stroh der Stallungen ihre Nachtlager richteten?

Die weißen Kiesel des durch sie gut im Licht des zunehmenden Mondes zu erkennenden Weges knacken unter den schweren Stiefeln. Ungehörig laut kommt mir das Geräusch vor, aber keine Sorgen habe ich mehr, dass es von irgendwem gehört wird. Gut gesichert von den es rundherum umgebenden Ausläufern des Gebirges ist das Becken, in dem Stallungen und Weiden liegen, daher befinden sich Wachen nur an einem kleinen Durchlass am anderen Ende, der zu offenen Gefilden hinausführt. Wie ich sie davon überzeugen soll, mich durchzulassen, darum habe ich mir dummerweise noch keine Gedanken bereitet.

Das Tor des Stalls, in dem Khajmel steht, finde ich nur angelehnt vor. Ungewöhnlich ist dies, aber vielleicht vergaß der letzte Stallbursche nur, es zu schließen, oder er wollte den Pferden in dieser warmen Nacht etwas Frischluft zukommen lassen. Drinnen richt es nach Stroh und Heu und sich niemals gänzlich legenden Staub.

In einigen Boxen rumpelt es, denn die schlafenden Pferde ließen sich von dem Geräusch des aufgeschobenen Tors aufschrecken. Neugierig schauen sie über ihre Türen und schnauben aufgeregt. Das Leittier der Herde das ganze vorne steht, begrüße ich daraufhin, um sie alle zu beruhigen. „Na mein Schöner", säusle ich und kraule seine Blässe entlang. „Entschuldige bitte, dass ich dich geweckt habe, aber wir haben eine Aufgabe zu erfüllen." Khajmel schüttelt den breiten Kopf, als würde er mir sagen wollen, dass er die Störung nicht verübelt, besonders nicht, wenn sie aus diesem Grund geschah. Lange schon nicht mehr erlebte er ein Abenteuer.

Ich führe ihm zum Anbindeplatz und wuchte Sattel und Zaumzeug heran. Einige Mühen bereit es Khajmel vorzubereiten, denn die Rüstung behindert nötige Bewegungen. Es gelingt mir schließlich. Ein letztes Mal gurte ich nach und will die Zügeln greifen, um ihn hinauszuführen, da erschreckt uns ein plötzliches Geräusch.

„Befürchtet habe ich bereits, dass Ihr es Euch anders überlegt." Ich schwöre bei Mahals langen, feurigen Bart, der Nächste, der mich heute Nacht durch eine unerwartete Ansprache aufzucken lässt, wird den seinen verlieren. Brutal und ohne Gnade und egal wer er ist.

Ich fahre herum und entdecke mit verschränkten Armen an den Rahmen des Tors gelehnt ... Bofur. Vor einigen Monaten wurde er in den Rang des zweiten Stallmeisters erhoben. Um nach dem Rechten zu schauen, weil vielleicht doch jemand das aufflammende Licht im Stall entdeckte, könnte er hier sein. Eventuell vergaß er, etwas zu erledigen, und wollte dies nachholen. Jedoch gegen diese Mutmaßungen stehen seine Ansprache und die Tatsache, dass auch er geharnischt und bewaffnet nun langsam auf mich zukommt. Einen Kriegshammer und eine Axt trägt er. Alt scheinen die Waffen. Längst nicht mehr gebräuchliche Runen aus Moria verzieren Griffe, Schneide und Hammerkopf.

Misstrauisch sehe ich ihn an. „Was willst du hier?" Mürrischer als beabsichtigt, stellte ich die Frage. Ein guter Freund ist er. Ein treuer Gefolgsmann. Immer ehrlich und hilfsbereit und zu Späßen aufgelegt, die den trübsten Tag erhellen. Aber sein sonst so fröhliches Gesicht schattiert nun ernst im flackernden Licht der Öllampe, die ich mitbrachte. „Ihr dachtet doch wohl nicht ernsthaft, dass die Herrin Dís Euch alleine aufbrechen lässt."

Verzweifelt stöhnend streiche ich mir über das Gesicht. „Ehrlich gesagt, schon." Er lacht auf und lockert damit die Stimmung. „Lasst mich Euch begleiten." Als Bitte stellt er die auferlegte Pflicht. Wenn ich sie ihm verweigere, würde Dís ihn nicht schelten, jedoch als Schmach könnte er dies dennoch ansehen. Ich seufze auf. Er ist ein Krieger so wie ich, obwohl er diese Tätigkeit nicht primär ausführt und wohl noch nie eine Schlacht erlebte. Gleichwohl fähig ist er und mutig. Nichtsdestominder in vermeidbare Gefahr bringe ich ihn.

„Na gut", gebe ich schließlich nach, „aber beeile dich." Er nickt und das gewohnt freudige Lächeln lässt sein Antlitz erstrahlen. Schnell holt er sein Pferd und sattelt es gekonnt, sodass wir nur wenige Minuten später bereits den Stall verlassen können. Jedoch nicht den Weg zum bewachten Durchgang auf die Ebene schlagen wir ein.

„Ich kenne einen geheimen Ausgang, der nur von innen geöffnet werden kann und dementsprechend nicht beaufsichtigt werden muss", unterrichtet er in Entgegnung auf den fragenden Blick. Was für ein Glück. An den südlichen hohen Ausläufer unweit der Koppeln führt er uns. Aus vollkommen geschlossenen Gestein besteht er, daher sehe ich ihn erwartungsvoll an. Jedoch er lächelt nur verschwörerisch ob dessen und reitet um eine baufällige Hütte herum, in der wohl einmal Stroh gelagert wurde, denn ihr Boden ist noch von solchem allerdings längst verrotteten bedeckt. Dennoch wie von mir erwartet stehen wir vor einer Wand, in der kein Durchgang auszumachen ist.

„Geheime Zwergentüren sind niemals leicht zu entdecken", sagt Bofur neckend und reitet einen Schlenker nach links. Ich folge ihm misstrauisch und plötzlich erkenne ich sie, eine Spalte im Gestein, sorgsam verborgen und nur aus dem rechten Winkel aufzustöbern. „Unglaublich", murmel ich und provoziere ein erheitertes Lachen.

Fürchterlich schmal ist der Spalt, gerade einmal so breit, dass ein Pony mit Reiter hindurchpasst. Khajmel jedoch hat einige Probleme, denn stämmiger gebaut als andere ist er und daher lieber führe ich ihn hindurch, anstatt dass er sich noch an dem rauen Gestein verletzt. Am Ende des Höhlenganges befindet sich eine Eisentür. Sie ist nicht verschlossen und nachdem wir hindurchgingen, erkenne ich auch warum, denn keinerlei Griff hat sie von außen und als Bofur sie wieder in ihr Schloss drückt, ist sie kaum mehr von dem umgebenden grauen Fels zu unterscheiden.

Die Luft über der Ebene wird bewegt von einem frischen Wind, der den Geruch von Regen in sich trägt. Grillenzirpen und das dumpfe Auftreten der Hufe unserer den Pfad gen Osten entlang galoppierenden Pferde durchbricht einzig die Stille der Nacht. Schnell erreichen wir dass Wäldchen auf dem Hügel. Bofur der neben mir reitet, wendet den Kopf. „Schau nicht zurück", ermahne ich ihn, wie Dwalin mich einst an dieser Stelle. „Der Kummer über das Zuhause Gebliebene wird dein Herz ergreifen und dich beharrlich während der Zeit der Abwesenheit verfolgen. An ihr zugrunde gehen wirst du vor Sehnsucht und Schmerz und der Grund der Reise mit dir." Genau erinnere ich mich seiner Worte, denn bei jedem Abschied mahnen sie standhaft zu bleiben.

Zügig kommen wir voran und als der Morgen dämmrig über den näher gekommenen Hügelketten der Abendrotberge ergraut, erreichen wir bereits das Ufer des Flusses Lhûn. Unlängst passierten wir eine Stelle, die dem Zug wohl als Mittagslager diente. Wer werden ihn bald eingeholt haben. Daher uns selber und vor allem den Pferden, erlauben wir ebenfalls eine Rast. Gierig trinken diese das frische Nass, während wir unsere Wasserbeutel füllen.

„Aus welchem Grund hat Ihre Majestät Euch zurückgelassen?", fragt Bofur mich, als wir uns einen Leib Brot den ich mitnahm und eilig gesammelte wilde Himbeeren zum Frühstück teilen. „Er wollte nicht, dass ich das Grauen einer Schlacht sehe, obwohl ich schon einmal während eines großen Angriffes kämpfte." Eifrig nickt er. „Ich hörte davon. Als Heldin habt Ihr Euch verdient gemacht. Jedoch kann ich dem Anreiz verstehen, denn niemand sollte solcherlei erfahren, wenn es sich verhindern ließe."

Um seine Kampferfahrung will ich wissen, denn unangenehm ist mir das Thema, aber außer etliche Scharmützel in Spelunken, nennt er keine. „Ihr habt mir dahingehend einiges voraus. Tatsächlich musste ich bislang noch nie einen Ork ins entstellte Angesicht blicken." Mit einer Spur Scham offenbart er mir dies, aber nicht als Frevel sehe ich das Versäumnis an, nehme es allerdings zum Anlass, ihm im Verlauf der weiteren Reise etwas über die Stärken und Schwächen unserer Feinde beizubringen. Begierig nimmt er das Wissen auf und Zuversicht habe ich, dass er es auf dem Schlachtfeld auch effektiv einzusetzen vermag.

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