Schmerz und Schwindel

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
„Ich glaube, sie wird wach."

Schmerz.

„Astâ?"

Noch mehr Schmerz.

Und Schwindel.

Übelkeit.

Keine Erinnerung.

Kein Empfinden außer Schmerz und Schwindel und ein flaues Gefühl im Magen.

Sie fluten den tauben Körper. Lassen mich zurückkehren aus der gnädigen Ohnmacht, durch die sich der Organismus vor der totalen Erschöpfung und den schweren Verletzungen schützte.

Ich stöhne auf. Der Ton brennt im mit metallischem Blutgeschmack verklebten Hals.

Eine Hand berührt sorglich die von wohl abertausenden feinen Nadelstichen malträtierten Wange. Ihre Wärme ist vertraut. Sie spendet neue Kraft sowie Vertrauen.

Langsam öffne ich die Augen. Schummrig ist es dort, wo auch immer ich mich befinde. Etwas bewegt sich im Halbdunkel. Eine Gestalt beugt sich über mich. Ebenso bekannt wie ihre Hand. „Jassin", krächze ich. Die Stimme nur ein Hauch, gedämpft von Schmerz und Schwindel und von Übelkeit begleitet. Wie jämmerlich sie sich doch anhört.

„Ich bin hier", antwortet mir meine Freundin. Nicht ein Ton des geschätzten Leichtmutes schwingt in ihr. Dumpf klingt sie stattdessen, schmerzverzerrt, von Angst bedrängt, obwohl die Worte beruhigen sollten, beschwören sie Grauen herauf und mit ihm auch die Erinnerung.

Fili ... verschwunden ist er. Tod und Schmerz und ein Kampf fanden wir statt seiner auf der Suche nach ihm. Der plötzliche Schreck vertreibt zumindest den Schwindel. Ich richte mich auf, gestützt von meiner Freundin. „Nicht so schnell", heißt sie sorgenvoll, denn die abrupte Bewegung lässt ihn sofort zurückkehren. Stöhnend die Augen wieder schließend, greife ich mir an den schmerzenden Kopf.

„Wo sind wir?", will ich wissen, denn vermutlich Fürchterliches muss geschehen sein, nachdem ich ohnmächtig wurde und den Kampf gegen unsere Angreifer verlor. „Auf einen Wagen", entgegnet Jassin verzweifelt und erst jetzt bemerke ich die nur spärlich wahrzunehmenden schwankenden und rüttelnden Bewegungen des Untergrundes. Über eine gut befestigte Straße, womöglich lückenlos mit Steinen ausgelegt oder deren Erde eben gezogen wurde, müssen wir demnach fahren.

Der Schwindel lässt wieder nach und ich blicke auf, versuche durch das Halbdunkel, denn nur wenig Lichtschimmer bricht durch kleine Lücken zwischen Brettern, wenigstens etwas zu erkennen. Frauen hocken ringsherum zusammengekauert auf dem Boden oder mit dicht an den Körper gezogenen Knien auf schmalen Bänken. Einige verbergen den Kopf in zitternden Händen. Ein leises Schluchzen geht von ihnen aus. Andere starren mit angstparalysierten Augen ins Nichts, wirken wie gelähmt, weder bei sich noch im Hier und Jetzt. Nur wenige sehen zu mir hinüber, aber auch ihre Gesichter werden schattiert von dunkler Furcht, während sie schluchzende und bibbernde Kinder an sich drücken. Kleine Jungen und Mädchen, weit entfernt von ihrer Kriegsreife.

Ein von ihnen beugt sich nach vorne und erst dann kann ich sie erkennen. „Thatrûna", flüstere ich schwach und will zu ihr hinüber, als mir zudem auffällt, welch kleines Wesen sich an ihrem Rock festkrallt. Jedoch ein ungeheuer schrecklicher Schmerz schießt durch die Bewegung erweckt meinen Arm entlang. Ich keuche auf und halte mir die Schulter, von der das Brennen seine Feuerquelle zu haben scheint. Ich habe bereits Verletzungen erlitten, die schlimm und schmerzhaft waren, aber dieser ist durchdringend und nimmt mir beinahe erneut das Bewusstsein.

„Der bartlose Bastard hat dir den Arm ausgerenkt", bemerkt Jassin und will mir beistehen, jedoch zucke ich vor der sorgenvollen Berührung zurück, denn unerträglich sind sie mir in solcherlei Momenten. Mit ruhigem Atem versuche ich den Schmerz zu unterdrücken. Mich selbst zu beruhigen. Allerdings erst eine kleine Hand, die sich in die meine schiebt, vermag dies gänzlich zu erwirken.

Ich blicke auf und in die tränenüberlaufenden Augen von Fili. Eine Angst trübt sie, die ich hoffte, niemals in ihnen sehen zu müssen. Mein Mund verzieht sich zu einem Lächeln und wenn es auch gequält wird von Schmerz und den üblen Umständen, in denen wir uns befinden, so zeugt es dennoch von der Freude, ihn augenscheinlich unverletzt wiedergefunden zu haben.

Wir fahren lange. Verlassen offenbar irgendwann die befestigte Straße, folgen aber wohl weiterhin einem Weg, denn gleichwohl immer wieder eines der Räder des Wagens in ein tiefes Loch kippt oder durch Fahrrinnen im getrockneten Schlamm gezogen werden muss, viel zu schnell kommen wir voran, um Wildnis zu durchqueren. Um uns herum herrscht Stille. Jeder der Frauen verzog sich in die schweigende Angst vor dem Ungewissen. Wer sind diese Männer, die uns entführten? Wohin wollen sie? Was haben sie dort mit uns vor?

Schreckliche Vermutungen dazu nagen an mir. Ich kenne die Berichte über die Gräueltaten der Nachtzwerge nur zu ausführlich. Oft redeten Thorin und seine Berater ungestört meiner Anwesenheit darüber. Um abzuschrecken vielleicht, um zu mahnen, vorsichtig zu sein. Frauen werden dafür missbraucht, um ihr abtrünniges Volk zu erhalten oder sie, wie auch die geraubten Kinder, zu versklaven. Zudem ist der Handel mit Leben ein lukratives Geschäft, dem sie sich zu Nutze machen. Grauenvolle Vorstellungen, die mich verzweifelt nach einem Ausweg suchen lassen. Jedoch zu entkräftet bin ich weiterhin, um ihn zu finden.

Den ausgerenkten Arm kann ich kaum mehr bewegen, ohne erneut einer schmerzbeschworenen Ohnmacht nahezukommen. Kein klarer Gedanke lässt sich im brummenden Kopf fassen. Der bleierne Blutgeschmack in meinem Mund vergeht nicht. Durst, Hunger und ja auch Bangnis schwächt zusätzlich. Ich schwor einst, die Furcht keinerlei Macht mehr über das Herz erringen zu lassen, jedoch nicht meinetwegen beging ich den Frevel des Verstoßes, sondern angesichts der Angst von Fili, Jassin, ihrer Tochter und all der anderen.

Plötzlich halten wir. So abrupt, dass ich, in Gedanken versunken wie ich war, zur Seite kippe und ausgerechnet mit der verletzten Schulter an die Bretterwand stoße. Der kaum besänftigte Schmerz entfacht dadurch erneut. Ich verbeiße mir jedoch die Ohnmacht und den gequält zischenden Laut, der entkommen möchte, denn einen Moment später bereits, wird eine bisher unscheinbare Tür im hinteren Teil des Wagens geöffnet.

Das hereinfallende Tageslicht, obwohl es unlängst zu schwinden begann, brennt nach den Stunden, die wir in der Dunkelheit hockten, unerträglich in den Augen. Lange sehe ich einen unserer Entführer nur verschwommen. Ein Zwerg ist er jedoch unzweifelhaft, wie Statur und Größe erkennen lassen.

Mit harschen Ton befiehlt er uns, langsam und einzeln hinauszusteigen. Die Kinder krallen sich jedoch an den Rückstößen ihrer Mütter oder Ammen fest, genauso wie Fili an den meinem. Ich schwor einst sogar das Leben zur Verteidigung des seinen zu geben, sollte dies unumgänglich sein. Und keinen anderen außer dem Thorin zu dienen, gab ich bislang aufrichtiger. Der beste Schutz ist momentan allerdings, dass im verborgenen bleibt, wer er wirklich ist. Kaum auszudenken vermag ich mir, was geschehen wird, wenn diese Schurken erfahren, dass sie den Prinzen des Hauses Durins gefangen genommen haben.

Als letztes steigen wir von dem Wagen und nachdem ich Fili umständlich und unter Schmerzen herunterhob, erkenne ich mit wenigen hoffentlich ungesehen bleibenden erkundenden Blicken, dass wir inmitten des Hofes einer augenscheinlich bereits viele Jahrhunderte verlassenen Burgruine stehen. Das Pflaster unter den Fußen bröckelt und ist überzogen von Moosen, genauso wie die Mauern der verwitterten Gebäude und des hohen Walls, den wir durch ein zerfallenes, aus den Angeln gehobenes Tor durchquerten. Vereinzelt rankt zudem Efeu und wilder Wein an ihnen empor. Der Wehrturm inmitten zeigt wie ein mahnender Finger in den grauen, regenverheißenden Himmel hinauf. Sehr viel weniger verfallen ist er als die anderen Bauwerke, wirkt geradezu unwirklich intakt und bei genauerer Betrachtung erkenne ich auch warum. Wiederhergestellt und auffallend verstärkt mit Steinen und frischem Putz wurden seine Wände wohl erst vor kurzem.

Ich überlege angestrengt. Menschen schienen diese Gemäuer einst bewohnt zu haben, denn vom Stil und der Art her, ist es keinesfalls ein Bauwerk der Elben. Jedoch in der näheren Umgebung der Blauen Berge liegend ist mir solcherlei nicht bekannt. Gleichwohl nicht weitab von ihnen müssen sie uns gebracht haben.

Der Zwerg, der uns hinaustrieb, stößt mich grob vorwärts und nun endlich erkenne ich, es ist der Angreifer, der es vermochte, mich zu besiegen. Sein darauf wohl stolzes Grinsen ist Hohn und Spott und mit aller Selbstdisziplin und Würde unterbinde ich ihm zu zeigen, welch Schmerzen allein das Gehen verursacht und das mir immer noch elend zumute ist.

Sein Kumpan der Jassin festhielt, erwartet uns derweil an der Tür, die in den Burgfried führt. Mit anstößigen Schimpfwörtern in einer Mundart des Khuzdul, die mir nur bedingt geläufig ist, treiben sie die Frauen und Kindern durch sie hindurch.

Drinnen führt eine schmale Treppe nebelhaft weit hinauf und ebenso abgrundtief weit hinab. Der Blick vermag die Dunkelheit der Tiefe nicht zu durchdringen, jedoch spüre ich, etwas Schreckliches erwartet uns dort, und als wir angetrieben werden, nacheinander die Stufen hinunterzusteigen, nehme ich Fili ungeachtet der Einschränkung, dass einer von ihnen steif ist, nicht nur wegen der Gefahr des Stolperns auf den Arm. Seine kleinen Hände krallen sich ängstlich in den Stoff des Kleides und den Kopf verbirgt er an der Brust. Stark muss ich für ihn sein, darf ihn meine Furcht nicht spüren lassen, die Schmerzen nicht zeigen, genauso wie unseren Entführern.

Lange, langsam und vorsichtig müssen wir gehen, bis endlich der Grund der Treppe erreicht ist. Klamme und muffige Luft dringt aus dem Gang, der sich von dort in den Stein erstreckt und gleichermaßen in undurchdringliche Dunkelheit führt. Nach dahinmodernden Allerlei riecht sie. Feuchtem Gestein. Unrat. Ruhenden Staub und dahinbröckelnden Schutt. Und erschreckenderweise nehme ich in ihr den süßlichen Geruch von Wunden und des Todes wahr, abscheulich, gleichwohl Letzteres lediglich Erinnerungen gefangen im Fels zu sein scheint.

Die Männer treiben uns weiter, nachdem sie Fackeln entzündeten, die in einer kleinen Truhe unweit der Treppe lagen. Die Wände des Ganges sind uneben behauen, glänzen von niedergeschlagener Feuchtigkeit und werden immer wieder von tief in sie gehauenen unterschiedlich hohen und breiten Kammern unterbrochen. Darin türmen sich Gesteinsschutt, moderndes Holz und verrostete Eisengittergeflechte und allzu oft, wenn das Licht der Fackeln das Grauen offenbart, erkenne ich die knochenweißen Überreste derer, die einst in diesen Zellen starben.

Wir gelangen schließlich nach etlichen Wegbiegungen und Abzweigungen an das Ende des Tunnels und bei allem Bemühen, den gegangenen Weg konnte ich mir daher nicht einprägen. Dies vermutlich auch beabsichtigend, wurden die Gänge unter dem Berg viel zu verworren angelegt.

Dort vor einer schweren eisernen Tür stehend, die wohl ebenso neu angebracht wurde wie die Verstärkungen des Wehrturms, erwartet uns ein weiterer Zwerg. Jedoch anders als seine Kameraden, ist sein Aussehen weder durch Narben entstellt noch generell abschreckend anzusehen. Bart und pechschwarze Haare wirken gepflegt und die vielen teilweise ineinander geflochtenen Zopfe sind mit silbernen Kugeln behängt, die vereinzelt sogar kleine Saphirsteine in sich tragen. Adrett und zu meinem größten Erstaunen als geradezu edel und gut sitzend wenn auch nicht besonders auffallend nehme ich seine Kleidung zudem wahr. Am Hofe eines Königs würde er sich mühelos bewegen können, aber ohne dabei großes Aufsehen zu erregen.

Mit den grauen Augen betrachtet er kritisch bewertend jeden Einzelnen der gebrachten Frauen und Kinder und als sein stechender Blick mich trifft, erweckt er plötzlich das eigenartige Gefühl, dass ich schon einmal unter ihm litt. Sonderbar bekannt erscheint er mir, gleichwohl vermag ich mich nicht zu erinnern woher.

„Gab es Probleme?", fragt er den Einarmigen schließlich und spielt damit auf die blutverkrustete Wunde in seiner Brust an, die ich ihm trotz der Unterlegenheit zufügen konnte, ihn aber fatalerweise nicht sonderlich beeinträchtigte. Dieser schüttelt abweisend den Kopf und zeigt auf mich. „Die kleine Hure da verhielt sich etwas widerspenstig und griff mich mit ihrem lächerlich kleinen Dolch an."

Ich hebe den Blick und schiebe Fili hinter mich, um seine Identität weiterhin so geheim wie möglich zu halten. Mahal steh uns bei, sollte er erkannt werden. Der Zwerg, offenkundig der Anführer dieser Halunken, kommt langsamen Schrittes heran. Zwei der rauen Finger drängen sich unter mein Kinn und drücken es mit unwiderstehlicher Kraft noch ein wenig höher, sodass ich ihm direkt in die silbergrauen Augen sehen kann. Hochgewachsen ist er, kräftig und breit gebaut wie Dwalin, einschüchternder als die Statur ist jedoch der eisige Blick, der mir ungewollt einen zitternden Schauer aufzwingt. Genau mustert er mich mit ihnen, sucht nach einem Zeichen der Schwäche und betrachtet ruchlos die bloße Haut, die an vereinzelten Stellen ob des im Kampf zerrissenen Stoff sichtbar wurde.

„Du bist hübsch", raunt er und tritt noch einen Schritt näher. Sein Atem rinnt wie warmes Wasser über die empfindliche Haut des Gesichts und ganz leicht, kann ich das herbe Aroma von Patschuli und Hanföl wahrnehmen, die er wohl als Seifenduft und zur Pflege des Bartes verwendet. Zwei kostbare Ingredienzien und nur schwer zu erwerben. Einen Augenblick lang jedoch, zucken seine Lippen, nicht, um ein höhnisches Lächeln anzudeuten, sondern die Geste erscheint mir wie Verblüffung und das Gefühl, ihm schon einmal begegnet zu sein, wenn auch zu flüchtig, um mich an ihn zu erinnern, wird erneut stärker.

„Wenn du allerdings noch einmal aufmüpfig wirst, Sperenzien versuchst oder dir wagst jemanden anzugreifen, dann wird dich deine wertvolle Schönheit gleichwohl nicht davor bewahren, ein schreckliches Ende zu finden." Die Drohung wird von ihm ohne Leidenschaft ausgesprochen, dennoch skrupellos ist sie und lässt mich das erste Mal erkennen, was diese Männer mit uns vorhaben werden. Ich nicke daher stumm und so gut es mir möglich ist, denn weiterhin drücken die groben Finger mein Kinn nach oben. Kooperativ muss ich sein ... vorerst.

Die Tür wird mit einem schleifenden Geräusch aufgezogen und wir mit harschen Worten durch sie hindurchgetrieben. Der dahinter liegende Raum wird lediglich von zwei Fackeln erhellt, in deren fahlen Schein ich mit erschrecken viele weitere Frauen und Kinder sitzen sehe. Zitternd zusammengekauert lehnen sie an den feuchten Wänden, verbergen die Gesichter zwischen den Händen und schluchzen leise vor Furcht. Was nur wurde ihnen wohl bereits angetan?

Das scheppernde Zuschlagen der Tür in ihr Schloss hinter uns verheißt, dass wir es bald selbst herausfinden werden.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top