Leere

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Die tränenmüden Augen brennen fürchterlich, können sich kaum an die Dunkelheit gewöhnen, die mir ein Graus ist, denn nach Fäkalien, Blut, Moder und Staub stinkt der Gang, in den Dwalin und ich vorsichtig vordringen. Als wir durch das aus den Angeln geschlagene Stadttor gingen, fanden wir auch innerhalb der Mauern von Annúminas nur Tod und Zerstörung vor. Jeder einzelne unserer gefallenen Krieger ein erfolgloser Verlust. Jeder einzelne getötete Feind nicht wertlos, jedoch ohne Belang. Gleichwohl keine Frauen und Kinder erkannten wir hier unter den Toden.

Nur wenige durch Leerstand und Zeit gezeichnete Gebäude wurden als Unterkünfte instandgesetzt und nur eines von ihnen, erweckte den Anschein eines ehemaligen und vielleicht wieder zu diesem Zweck hergerichteten Kerkers, in denen wir die hierhin Verschleppten vermuten. Daher tief wagen wir uns vor in die unter ihm liegenden Gänge, um wenigsten sie zu retten. Aber als wir die Zellen erreichen, zerschlägt sich auch diese Hoffnung, denn keine Zeugen, keine Überlebenden wollten die Nachtzwerge zurücklassen. Der Anblick der grausam und ohne jegliches Mitleid dahingeschlachteten Körper von Frauen und Kindern ist albtraumerweckend. Ich werde ihn niemals mehr vergessen.

„Lass und gehen, ich will die Nacht nicht hier verbringen", murmelt Dwalin und wendet sich von der Bluttat ab. Es war also alles sinnlos und brachte ein Leid über uns, dessen Ausmaß ich mir noch nicht bewusst sein mag. Wie wird die Herrin nur reagieren ob der Nachricht vom Fall ihres Gemahls. Ihre Tränen werden unstillbar sein und oh weh, ihre Kinder.

Durch die Dunkelheit und Stille der Nacht treten wir den Rückweg an. Vilís toten Körper eingeschlagen in gefundene Decken auf den Rücken von Khajmel gebettet mit uns führend. Es ist ein langer, mühsamer Weg. Jeder Schritt fällt uns schwer. Oft trüben Tränen die Sicht. Erst zum Morgengrauen erreichen wir den Saum der Moore und kaum verwundert es, dass wir dort auf von Thorin ausgesandte uns nachfolgende Truppen treffen.

Geführt werden sie von Hagrid. Der Kommandant der Bergwacht ist Vilís Adjutant und nur die bevorstehende Niederkunft seiner Frau verhinderte einen Auszug in die Schlacht gegen die Nachtzwerge. Dwalin und ich begrüßen ihn standesgemäß. Er steigt ab und tritt näher. In den Gesichtern kann er womöglich lesen, welch Leid uns quält. „Was ist geschehen?", fragt er dadurch mit banger Stimme und nur schwer vermag ich die Tränen zurückzuhalten. Dwalin berichtet daher vom entdeckten Elend. Der Schock innerhalb des Heeres ist groß. Rache schwören die einen, als unnötig befinden sie die anderen. Sie aller aber, bitten darum, dem gefallenen Großherzog noch vor Ort die letzte Ehre zu erweisen. Nicht verwehren können wir es ihnen. Sie schätzten ihn, als Heerführer genauso wie als Prinz und Zwerg.

Eine Barre aus schnell geschlagenen Holzscheiten wird errichtet und er auf sie gebettet, mit Schwert und Schild auf der Brust, so, wie es der Brauch verlangt. Sorgsam trotz der Einfachheit der Zeremonie, ritze ich mit Dwalins geschenkten Dolch Runen in das Holz, die davon erzählen wer hier liegt, was seine Verdienste waren und warum er fiel. Eine Ehre ist es für mich, dies tun zu dürfen. Auch die Namen von Gemahlin und Söhnen verewige ich. Auf sie warten soll er in den Hallen Mandos'.

Wir senken die Häupter vor ihm. Gedenken still. Nur das Blubbern des Moors, das ferne Singen eines Blaukehlchens und das leise Wiehern der Pferde ist zu hören. Dann jedoch, ich weiß nicht welcher der Krieger genau, vermutlich aber einer, der lange Zeit unter Vilí diente, erhebt seine Stimme. Stark klingt sie, gleichwohl wankend wie ein Boot auf unruhigem Gewässer. Ein Lied stimmt er an, fast so alt wie die Zwergenheit selbst, denn den Tod unseres Stammvaters besangen wir dereinst mit ihm.

Im Mondschein wandelnd unser Held,
ein Krieger wie aus Lied und Sag.
Kein Weg ihm zu schwer,
kein Feind ihm zu stark.

Windstil ists am See, der einzig Sterne zeigt
Ewger Schnee liegt auf dem Berg, der über uns alle wacht
Der Hammer schlägt, das Golde glänzt,
derweil der Krieger geht zum letzten Schlaf.

Auf Stein und Erd, wo einst er lebt,
mit Ruhm und Würd, die er errang.
See und Berg in nicht vergisst,
denn sein Nam endlos Klang
in den Halln der Ewigkeit.*

Keine Träne verlässt die brennenden Augen. Kaum ein Ton kommt über die trockenen Lippen, auf denen ich dennoch das Salz des Kummers schmecke. Leer fühlt es sich in mir an. Noch immer taub. Fassbar ist sein Tod nicht, obwohl er direkt vor mir liegt, zerschunden, blutig, kalt, leblos. Ich erinnere mich seiner Stimme. Seinem Lachen. Die Freude, die er ausstrahlte, wenn er mit seinen Söhnen spielte. Der Stolz auf sie, den er in aller Offenheit zu zeigen pflegte. Die Begeisterung zum Bogenschießen, die wir teilten. Wie werde ich das gemeinsame Training missen. Oh Mahal, ich schwöre sein Andenken zu bewahren, damit nicht nur See und Berg ihn nie vergisst.

Das Lied verstummt. Ein Moment Stille folgt, ehe die Krieger ihre Schwerter und Äxte erheben und Mahal anrufen, seine Seele in Mandos' Hallen zu begrüßen. Sieben Schläge ihrer Waffen auf ihre Schilder sollen ihm Tribut dafür zollen. Ein erhabener Augenblick, sooft ich ihn auch bereits erleben musste.

Nur ein kleiner Teil der Krieger kehrt mit uns zum Berg zurück. Der andere erhält von Dwalin den Befehl die übrigen Gefallenen, die wir auf dem Schlachtfeld belassen mussten, und getöteten Frauen und Kinder in den Katakomben, ebenso ehrenvoll zu verabschieden und ihre Leiber in einer geeigneten Höhle im Gebirge beizusetzen. Die Stadt sollen sie danach gründlich durchsuchen, um vielleicht doch noch Hinweise auf den Verbleib der anderen Entführten zu finden, damit ihr Tod nicht gänzlich unnütz war.

Vier lange, dunkle Tage benötigen wir für den Rückweg, gleichwohl als endlich am Horizont die durch das Zwielicht der Abenddämmerung beschienenen bereits schneebedeckten Gipfel der Blauen Berge erscheinen, da spüre ich zum ersten Mal bei diesem wundervollen Anblick nicht das Bedürfnis, schneller zu reiten. Eine Last legt sich auf meine Brust, als wir die Schlucht zum Haupttor erreichen, die kaum zu ertragen ist und das Atmen und den Herzschlag erschwert.

Angekündigt wurden wir durch die Torwache, die uns unzweifelhaft bereits lange sah, bevor der Trupp den Schatten des Berges erreichte. Daher überfüllt mit auf ihre Liebsten Wartenden ist die Eingangshalle ... und damit auch Dís und Thorin entdecke ich rasch unter ihnen.

Eines der Packpferde das Dwalin führt, trägt Vilís mit Decken verborgenen Leib. Nicht sehen sollen ihn die Anwesenden. Die tränenreiche Nachricht von seinem Tod wird dennoch den Berg schneller erfüllen als ein Wassereinbruch. Bekannt und beliebt war er beim Volk.

Dís stürmt auf uns zu, kaum, dass wir absaßen. „Wo ist er?", fragt sie Dwalin. Dieser versucht, dem drängenden, tränenschimmernden Blick standzuhalten. Jedoch erkennbar beschwerlich ist das Vorhaben. „Dís ...", flüstert er.

„Wo ist er!?" Die Prinzessin krallt die Hände in den Stoff seines Mantels. Ihre schreckliche Vorahnung ist deutlich, das Flehen nach Entkräftung bitter. Vielleicht auch sie sah seinen Tod in furchteinflößenden Träumen.

Dwalin schluckt. Das Überbringen der Nachricht obliegt ihm. Niemanden sonst. Ich kann nur wähnen, welch Schmerz sein Innerstes gerade quält, wie er darum ringt Worte zu finden für etwas, das er hoffe niemals kundtun zu müssen.

„Wir fanden ihn lebend auf dem Schlachtfeld, aber schwer verletzt", beginnt er schließlich zu berichten. „Dís ... sein letzter Gedanke galt dir und euren Kindern." Das Antlitz der Herrin zerfällt. Ihr Herz zersplittert. Vornehme Haltung, Schönheit, bis jetzt gewahrter Anstand, all das zerspringt innerhalb weniger Augenblicke. Ihr Anblick ist entsetzlich schmerzhaft.

„Nein", wispert sie. „Nein, du lügst. Warum lügst du?!" Aber Dwalin, unberührt von ihrer Anschuldigung, senkt den Blick und tritt beiseite, gibt somit den ihren frei auf das Bündel, das über dem Pferderücken liegt und unverkennbar ist. Im Angesicht dessen, bricht sie zusammen. Auch aus ihrem Körper scheint plötzlich jegliches Leben gewichen und nur dank Dwalins schneller Reaktionsfähigkeit, fällt sie nicht zu Boden.

„Bring sie hier weg!", befiehlt Thorin, der bislang hinter ihr stand, ebenso geschockt, jedoch sprachlos ob des Geschehenen. Selten habe ich ihn so erlebt. Der Tod seines Schwagers muss ein Schock für ihn sein. Sein Verlust gleich qualvoll wie ein jeder, den er in seinen Leben bisher erleiden musste. Die Ohnmacht seiner Schwester brachte ihn erst wieder zurück in das Hier und Jetzt.

Dwalin nickt und bittet mich mit einem Blick, ihn zu begleiten. Vorsichtig aber eilends trägt er sie auf seinen Armen durch nur dem Wehr vorbehaltene Gänge zurück zum Anwesen. Große Sorgen bereite ich mir um sie, denn der Schock und ebenso die daraus folgende Ohnmacht kann in ihrem Zustand fatal wirken. Im zehnten von zwölf Monaten der Schwangerschaft befindet sie sich erst. Das Kindchen in ihrem Bauch ist noch viel, viel zu klein.

Zuhause angekommen empfängt uns Fenna mit ihrem immer mütterlich lächelnden Gesicht an der Tür, dass sich jedoch innerhalb nur eines Wimpernschlages betrübt und kaum mehr wiederzuerkennen ist, als sie das Geschehene sieht. Eine Ahnung überkommt sie gleichfalls ob der ihr offenkundig bekannten Tatsache, dass wir aufbrachen, um den Truppen zu helfen, und warum nun unverkennbar Schmerz und Trauer unseren Antlitzen zeichnen. Die faltigen Hände schlägt sie vor dem Mund zusammen, aber dennoch entkommt ihm ein Klagelaut, der mein Herz mit tausenden Nadelspitzen durchbohrt.

Ich bitte sie schnellstmöglich nach Oin und der Hebamme rufen zu lassen, während sie uns sprachlos und stille Tränen weinend zum Gemach der Herrin begleitet. Eine ablenkende Aufgabe muss ich der alten Zwergin vorerst geben, ansonsten ist auch ihre Gesundheit gefährdet. Die Zeit der Trauer wird leidvoll für uns alle und nur gemeinsam in Ruhe können wir sie überstehen.

Sanft legt Dwalin die Herrin auf ihr Bett. Ihr Puls ist kaum tastbar, geht ungleichmäßig und sehr schnell und die beunruhigend blasse Haut ist kalt und leicht feucht. „Hilf mir, ihre Beine hoch zu lagern, wir müssen ihr Gemüt stabilieren", bitte ich Dwalin und lege mit ihm zusammen ein paar Kissen unter, so dass das aufgrund des Schicks abgesackte Blut wieder zurückfließen kann. Nur über diese Behandlung habe ich Kenntnis, denn selten im Vergleich zu Verletzungen allerart fallen Zwerge einer Ohnmacht anheim und daher weniger umfangreich sind solcherlei Beschwerden in Büchern beschrieben.

Schnell kommen Oin, Yrsa und einige andere Hebammen herbeigeeilt. Auch in ihren Gesichtern erkenne ich, dass ihnen die Kunde von Vilís Tod bereits zugetragen wurde. Jedoch (noch) nicht berühren lassen wollen sie sich davon, denn die Versorgung seiner Gemahlin und Sicherheit des Ungeborenen hat höchste Wichtigkeit. Ein weiteres Unglück wäre nicht zu ertragen.

Yrsa schließt mich nichtsdestotrotz mit leichten Tränenschimmer der Augen in ihre Arme. Auch wer ihn fand, wird ihr bekannt sein. Oin wirkt ernsthaft besorgt, als er Dís betrachtet und scheucht Dwalin und mich nach draußen, nachdem er die erste Versorgung lobte. „Ihr seid schmutzig und nach dem langen Weg kaum in der Lage, weiter zu helfen. Geht euch ausruhen", weist er wohlwissend an. Ich bin zu müde, um dagegen zu protestieren, und zudem, hat er wie immer recht.

Jedoch als wir auf den Gang treten, kommt uns Fili entgegengelaufen. Beim Anblick des Jungen schießen mir heiß die Tränen in die Augen und als er zuerst mich und dann Dwalin freudig umarmt, kämpfe ich damit die Trauer über seinen Verlust nicht überdies zu zeigen. Wie sollen wir ihm diesen nur erklären?

„Ich konnte ihn nicht aufhalten, als er hörte, dass ihr zurückgekommen seid." Jassin folgt ihm, den kleinen Kili umständlich auf der Hüfte tragend, denn auch ihr Bauch wuchs zum Glück deutlich in den letzten Monaten seit unserer Entführung.

„Wo ist Adad? Habt ihr ihn mit zurückgebracht?", fragt Fili unschuldig, nachdem er von mir auf den Arm gehoben wurde. Dwalin wendet sich ab. Schwerlich ertragen kann er den Anblick und keiner soll die Tränen des Kriegers sehen.

„Ja, das haben wir", antworte ich ihm leise. „Aber deiner Mutter geht es momentan nicht sehr gut, lass uns daher in mein Zimmer gehen, da spielt ihr doch immer so gerne mit den Fransen meines Teppichs." Fili ist begeistert und auch Kili hüpft aufgeregt auf Jassins Arm herum.

Eine Stunde vergeht ereignislos. Gewaschen und umgezogen habe ich mich, während die Kinder spielten. Fenna brachte uns zudem etwas zu essen, das ich trotz des Hungers jedoch nur stückchenhaft und auf behagliches Drängen meiner Freundin aß. Dwalin verabschiedete sich bald. Ungeachtet der Trauer, sprechen müssen er, Balin und Thorin über die Ereignisse und das weitere Vorgehen.

Eingeschlafen sind die Kinder schließlich. Kili in Jassins und Fili in meinem Arm, während wir auf dem Bett sitzen. Leise berichte ich meiner Freundin, was genau geschah. Tränen, die ich nicht mehr fähig bin zu weinen, laufen ihr indes beständig die Wangen hinab und tropfen auf die kleine Hand, die sich im Schlaf eine ihrer Haarsträhnen krallte.

Nachdem ich alles erzählte, fühlt sich mein Innerstes nicht weiter taub an, jedoch keinesfalls besser ist dafür der Gram, der nun das Herz erfüllt. Vilís Verlust ist ein bedeutender. Als Prinzgemahl hätte er als erster Thorins Platz auf dem Thron eingenommen, sofern er weiter kinderlos geblieben wäre. Er schwächt das Königshaus. Erneut. Unruhe in den Rat wird er schüren. Machtkämpfe entfachen. Unabhängig der politischen Folgen, für die königliche Familie wird er schwerlich zu ertragen sein. Die Trauerzeit wird lange währen und ihnen viele schlafleere dafür tränenvolle Nächte bringen.

Plötzlich schwellen Geräusche im Gang vor meinem Zimmern. Hastige Schritte, aufgeregte Stimmen, rufe nach Wasser und das Ihre Majestät benachrichtig werden soll. Ich erhebe mich und lege den schlafenden Fili vorsichtig auf das Bett ab. Er murmelt etwas, streicht sich mit der Hand über das Gesicht, schlummert dann aber friedlich weiter.

Ich reiße die Tür auf und erschrecke mich ob einer direkt vor mir stehenden Dienerin, die anscheinend gerade dagegen klopfen wollte. „Was ist geschehen?", frage ich aufgeregt, denn ihr Gesicht ist kreidebleich. „Bei ihrer Hoheit haben die Wehen eingesetzt."

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*Eigenkomposition

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