Kalte Schatten in der Dunkelheit

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
„Bei Mahal, was ist das?", murmel Sigrun und betrachtet mit weitem Blick das Gebilde auf der einst glatten, unscheinbar aufragenden Felswand, an die wir alle herantraten. „Eine Zeichnung ... die anscheinend im einfallenden Mondlicht leuchtet", stottere ich aufgewühlt von der einwirkenden Macht dieser. Stark ist sie, alt und bezaubernd.

Blassblau leuchtender Efeu rankt das Gestein empor. Schlank winden und krümmen sich die Stängel, an denen die großen, dreizackigen Blätter wachsen. Einzelne volle Beerendolden lassen sich zwischen ihnen erkennen. Wie mechanische Federn gewundene Enden scheinen fast aus dem Fels herauszuspringen. Umfasst von dieser Schönheit, wurden Runen mit ebenso viel Mühe und Sorgfalt eingeritzt. Auch sie schimmern erweckt von einem alten Zauber im silbernen Mondlicht.

„Ithildim", wispert Herehild unvermittelt und streicht so wie ich vor wenigen Minuten noch, mit zitternden Fingern über das leuchtende Metall, das in die Vertiefungen eingearbeitet wurde. Unabstreitbar ebenfalls seine verzaubernde Wärme wird sie spüren, denn ein machtvolles Zauberwerk ist dies. Einst, vor langer, unendlich langer Zeit, als die Noldor, eine altehrwürdige Sippe der Elben, und die Zwerge aus dem Hause Durins in Freundschaft verbunden waren, erschufen sie gemeinsam ein Element aus Mithril, das den Namen Mondsilber trägt. Ungeeignet für Waffen sowie Rüstungen, jedoch wunderschön in all seiner unerklärbaren Herrlichkeit. Berührt man es, sobald Mond- oder Sternenlicht darauf fällt, beginnt die eingeschlossene makellose Magie der Elben zu wirken. Das westliche Tor Morias wurde ebenfalls mit ihm verziert. Gleichwohl nicht geläufig war mir, dass auch weitere Eingänge in Mittelerde damit vor verhassten Augen verborgen wurden. Noch nicht einmal, dass in dieser Gegend überhaupt Zwerge siedelten, die wohl den Langbärten angehörten, denn unzweifelhaft belegt durch die Runen, wurde dieses hier von ihnen erschaffen. „Ich kann sie nicht lesen", erwidere ich, als mich einer der Rohirrim nach ihrer Bedeutung fragt. „Sie sind alt. Sehr alt sogar und seit langem vergessen. Ihrer Art habe ich nur einmal in einem Buch gesehen, das aus Moria gerettet und die Zeit und alle Widrigkeiten überdauert hat."

„Aber die Orks müssen sie doch entziffert haben, wenn sie den durch ihr Aussage enttarnten Eingang öffnen konnten", bemerkt Bofur richtig. Runen dieses Alters sind jedoch tückisch und äußerst nachtragend. Beleidigt darüber waren sie vermutlich, dass ihrer lange schon keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt wurde. In dieser offenbarten sie sich womöglich selbst den Orks, ungeachtet der Gefahr, dass sie die dahinter liegenden Hallen einnehmen und verschandeln würden.

Jedoch genau diese Eigenart, bringt mich auf eine Idee. Erneut trete ich an die Felswand heran und lege die Hand auf eine der Runen nieder. Die Altertümlichkeit und kraftvolle Magie ihrer Bedeutung dringen mit einer unbedingt wollenden Intensität durch die Haut, um Körper und Geist zu erfüllen. Ich spüre ihre Entschlossenheit und das Wesen. Sie klagt. Klagt über den begangenen Verrat. Klagt über die schmutzigen Klauenhände, die sie einst berührten. Klagt über die Machtlosigkeit, sich nun gegen sie zu wehren. Ich schließe ergriffen von dem Wehgeschrei die Augen. „Wollt ihr, dass das, was hinter euch verborgen liegt und nun beschmutzt wird von dem verhassten Feind, endlich befreit wird?", frage ich sie tonlos. Ohne Anklage oder Verurteilung. Das sie formende Metall beginnt zu pulsieren. Wird wärmer, wieder kälter. Lebt unter meinen Fingern. Ja, sagt sie. Fleht schließlich um Hilfe, um Vergebung für die eitle Dummheit. „Dann zeigt uns, welches Rätsel ihr den Suchenden stellt, denn wir sind zu jung an Jahren, um euch zu entziffern."

Still wird es plötzlich um uns herum. Jegliches Geräusch der Nacht verstummt, selbst der Wind, der lau durch die Baumwipfel rauschte. „Was geschieht nur?", wispert Herehild neben mir und als ich die Augen wieder öffne, wird mir gewahr, wie das Mondleuchten des Ithildim beginnt ebenfalls zu pulsieren. Heller wird es, Sternenlicht gleich, verblasst daraufhin, ein wenig nur, als würde eine vorüberschwebende Wolke die Kraft trüben. Von der Rune die ich berühre ausgehend, verbreitet sich die Erscheinung. Ergreift erst die umgebenden Schriftzeichen, dann den gesamten Text, dann die Efeuranken. Die Felswand lebt, durchdrungen von der Energie des Zaubermetalls.

Ich entferne sicherheitshalber meine Hand und trete einige Schritte zurück, die Prinzessin der Rohirrim an einem Tunikazipfel mit mir ziehend. Unsere Begleiter schließen uns in ihre Mitte. Ich spüre deutlich ihren Drang, die Waffen zu ziehen, bitte sie aber einzuhalten. Trotz des imposanten Schauspiels, nichts das uns Angst bereiten sollte, geht gerade vor, das erkenne ich.

Und dann plötzlich, erzittert das Gestein, als würde es eine Last von sich werfen wollen. Die Runen leuchten heller als zuvor, werden undeutlich im Glanz, verwischen, wandeln sich, bilden Wörter, die wir Zwerge zu lesen vermögen, denn nun in der uns geläufigen Schreibweise ordneten sie sich neu.

„Tretet beiseite, um zu sehen, was verborgen liegt im Dunkel", gibt Bofur ihre Bedeutung auch für die Menschen verständlich wieder. „Was bedeutet das?", fragt Drur und kratzt sich am krausen Kopf. „Es ist ein Rätsel", erkläre ich. „Zwergentüren können nur mit ihrer Lösung geöffnet oder erkannt werden."

„Typisch für euch Geheimniskrämer", neckt Elfleth. Ich lächle nachsehen, insofern er damit tatsächlich Recht hat. Gerne bedienen wir uns derlei, um Allerlei zu schützen. Jedoch so manches Mal bereits, führte dies auch zu unliebsamen Ereignissen, denn schnell zwischen die Mühlensteine der Vergessenheit geraten Lösungen und Bedeutungen, so dass Hallen und darin liegende Schätze und Geheimnisse für immer verloren bleiben.

Ich betrachte den Boden unter unseren Füßen. Nur Erde ist dort zu sehen, keine vieldeutig angeordneten Steine, unerklärbare Zeichen, Fingerzeige oder Sonstiges. Auch in der Umgebung, lässt sich nichts erkennen. Dann aber, kommt mir ein Gedanke. „Geheime Zwergentüren sind niemals leicht zu entdecken", wiederhole ich Bofurs Hinweis, mit dem er die Verborgenheit derer erklärte, die in den schützenden Wall der unser Zuhause umgibt, eingelassen wurde. Erst im rechten Winkel betrachtet, konnte man sie gut verdeckt zwischen Felsspalten ausmachen.

Nach links trete ich, die noch immer leuchtende Felswand fixierend, und plötzlich, mit jedem Schritt mehr, vereinigen sich die Spitzen einiger geschickt angeordneter Efeublätter zu einem großen, gleißenden Pfeil, der auf die Stelle deutet, an der die Orkspuren versiegen. Ein wenig weiter gehe ich, kneife die Augen zusammen ... und erkenne schließlich die äußerst schmale Spalte im Gestein. „Unglaublich", murmle ich und winke die Anderen heran. Auch sie schütteln fassungslos den Kopf, als ihnen gewahr wird, was die ganze Zeit vor uns lag und dennoch nicht gesehen wurde.

Drir und Drur verweilen im Lager und genauso die Prinzessin sollte nach dem Willen ihrer Begleiter zurückbleiben, jedoch störrisch denkt sie nicht daran, sich diesem zu beugen. Eng ist der Durchgang in den Berg hinein, besonders für die Menschen, die sich zudem öfters unter herabhängende Felsnasen hinweg ducken müssen. Jegliche Angriffsstärke von Feinden wird durch diese Bauweise vernichtet. Es ist womöglich der Haupteingang, aber einen Weiteren wird es unzweifelhaft geben, denn ungeeignet ist er, um Waren hinein- oder hinaus zu bringen. Ihn zu finden gilt es ebenso wie auszukundschaften, wo und wie viele Orks hierin leben.

Das Ende des Ganges öffnet sich zu einer großen Eingangshalle typisch zwergischer Bauart. Weitläufig ist sie. Silbriges Mondlicht fällt verblassend durch etliche, lange Luftschächte. Niemals durch den leichten Durchzug zur Ruhe findende Staubpartikel schweben wie Glühwürmchen durch sie hindurch. Die hohe Decke wird gestützt von vielen wie perfekte Locken gedrehte, goldverzierte Säulen, die auf rechteckigen Fundamenten stehen, auf denen Reliefs Alltagssituationen, Kämpfe und Krieger in heldenhaften Posen zeigen. An den Wänden finden sich ebensolche Bilder, jedoch an ihnen sieht man deutlich die Zerstörung, die die Orks bei der Einnahme bereits hier anrichteten. Beschmiert mit dunklen Zeichen und obszönen Wörtern wurden sie durch Undefinierbares. Einige bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert. Unebene Löcher prangen in anderen, wo sie vermutlich Edelsteine oder Metalle heraus brachen. Überall auf dem Boden verstreut findet sich Schutt, vergilbtes Papier und Gegenstände, die die ehemaligen Bewohner hinterließen. Wissen würde ich gerne, was einst hier geschah. Warum diese Hallen aufgegeben wurden und weshalb sich nicht in den Schriften Erwähnung findet.

Vorsichtig bewegen wir uns vorwärts, darauf bedacht, ja keine Geräusche zu verursachen, die das Eindringen verraten könnten. Jedoch nicht ganz verhindern lässt sich dies, denn die uns Zwergen folgenden Menschen, unfähig im spärlichen Licht ausreichend zu sehen, stoßen öfters an Trümmer oder Gegenstände. Ich blicke mich um und finde schließlich einige Fackeln, die in kunstvoll wie Wolfsköpfe und Drachenklauen gestalteten Halterungen stecken. Selbst nach all den Jahren oder sogar Jahrzehnten des Verlassenseins kann ich das Öl riechen, mit dem die Tücher getränkt wurden. Erstaunlich leicht lassen sie sich daher entzünden und spenden so schummriges Licht, dass ein wenig mehr Orientierung ermöglicht.

Ein in den Atemwegen ätzender Geruch nach Fäulnis und Fäkalien wird stärker, je tiefer wir uns in die Hallen vorwagen. Zu dem allgegenwärtigen Schutthaufen türmen sich weitere aus Knochen, zerbrochenen Orkwaffen und allerhand Undefinierbarem in den Ecken oder versperren uns den Weg, so dass wir mühsam über sie hinweg klettern müssen. Eine dicke Schicht aus Staub und Schmutz überzieht alles. Überall liegen zurückgelassene Gebrauchsgüter, Kleidungsstücke, Werkzeuge, Bücher, sogar Spielzeug. Hastig war der Aufbruch wohl. Oder fand er überhaupt statt? Immer mehr beschleicht mich dieser Verdacht, denn anhand ihrer Form und Beschaffenheit, sowie der alten Runen, die in die Waffen eingearbeitet wurden, vermute ich, wurde dieses Reich irgendwann im Laufe des frühen zweiten Zeitalters aufgegeben, vielleicht sogar eher. Schriften aus diesen Zeiten existieren zwar nur noch schmerzlich wenige, denn verloren gingen sie oder das Pergament zerfiel zu Staub. Jedoch ein Reich im Abendrotgebirge, das durchaus üppig ist an Bodenschätzen und zudem heute wie damals günstig gelegen, hätte zuhauf in ihnen Erwähnung gefunden, so dass zumindest Balin von ihm gelesen haben müsste. Irgendetwas muss geschehen sein, dass die Erinnerungen vernichtete oder sie den umgebenden Stein niemals verlassen ließ.

Jedoch auch keine weiteren Spuren der Orks als fallengelassene Waffen und Schmierereien finden wir. Still ist es ... Schreckensstille gar umgibt uns. Nur das dumpfe Widerhallen der verhaltenen Schritte von den klammen Wänden und fernes, dünnes Wassertropfen durchbricht diese. Selbst die verborgenen Metalle und Steine im Fels, deren Vorhandensein ich gleichwohl erspüre, schweigen bedrückt.

Bofur und Sigrun sehen mich an. Genauso sie bemerken die dumpfe Angst, die in den Gängen und Hallen schwer hängt über allen und kalt in jede Spalte im Gestein kraucht. Es ist nicht diese vor Orks oder anderem Gesinde. Es ist auch nicht die der Einsamkeit und darum herrschenden Stille, sondern solcherlei, die geboren wird aus genau diesen Erinnerungen, die nie nach draußen drangen.

„Wir sollten umkehren", flüstert Sigrun und trotz der unterdrückten Stimme, schallt diese rau und unerträglich laut. „Warum?", fragt Herehild, die mit ihren Männern einige Schritte vorauslief verwundert. Viele Menschen hegen kein Gespür für Gefahren oder erlauben sich nicht, diese wahrzunehmen. Zu jung sind sie oft noch, nicht erfahren genug, lassen sich ablenken durch vielmals sogar eigene Beschwichtigungen. ‚Es wird schon nichts sein. Wenn meine Gefährten nicht zögern, warum sollte ich.' Sie hören nicht auf ihre Intuition.

Doch noch bevor wir sie aufklären können, zerreißt ein Jaulen die Stille. Fern von uns ist es bei weitem nicht mehr und drang zu unserem Schrecken aus der Richtung des Ganges, von der wir kamen. Gleichwohl in keinerlei Hinsicht das eines Orks war es, sondern glich eher dem eines abscheulich geschundenen Tieres, das nach jahrelanger Qual nun, um das letzte Leben zu verteidigen, zum Angriff übergeht.

Wir fahren herum und ziehen unsere Waffen. Ihr Klirren betäubt von der Angst, die nun auch die Menschen ergriff. „Was war das?", fragt Herehild zitternd und ich wünschte, sie hätte auf ihre Begleiter gehört und wäre niemals mit uns gekommen. Ich kneife die Augen zusammen, um die Dunkelheit des Ganges zu durchschauen. Eine Bewegung sehe ich dort. Huschende Schatten. Umhüllt von fahlen Dunstschleiern.

Kälte zieht herauf. Kriecht knirschend wie Winterfrost den Fels entlang und stetig auf uns zu, schließlich durch Rüstung und Sommerkleidung hindurch um eisig auf die Haut zu treffen. Dampfende Nebelschwaden entsteigen unseren Mündern. Die Furcht, die ich vordem nur wahrnahm, sie ergreift nun unbarmherzig von mir Besitz. Was nur kommt dort auf uns zu?!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top