Hoffentlich ...
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Kaum auszuhalten ist die Übelkeit, die in den Gedärmen rumort, während ich gemeinsam mit weiteren Bediensteten mit ansehen muss, wie Dís ihren in Rüstung und unter Waffen stehenden Gemahl bereits wenige Tage später verabschiedet. Den Hals beengen unausgesprochene Worte und seit heute Morgen zudem, spüre ich einen Druck auf den Ohren, der mich alles nurmehr wie durch dichte Nebelschwaden hören lässt.
Tränenreich ist ihr Abschied, aber Vilí versucht sie mit beschwichtigenden Floskeln zu beruhigen. Schnell wiederzukommen verspricht er, in jedem Fall zur Geburt des erwarteten gemeinsamen Kindes in drei Monaten wieder an ihrer Seite zu stehen. Vorsichtig zu sein. Aufzupassen. Kein Risiko einzugehen. Natürlich genügend zu essen. Gelöbnisse, die zu allen Zeiten Männer ihren Frauen gaben, bevor sie in Schlachten auszogen. Allzu oft erfüllten sie sich nicht.
Ich schlucke das Salz der Tränen hinunter, als er seinen ältesten Sohn auf die Arme hebt. Fili schaut tapfer, obwohl auch seine Augen vor trennungsschmerz-trauriger Feuchte schimmern. „Kommst du bald zurück, Adad?", fragt er und krallt seine winzigen Hände in den kurzen Bart des Vaters. Dieser legt die Stirn an die seine. „Aber natürlich, mudtaduté", beteuert er ihm ebenso und setzt ihn wieder ab, um auch seinen Jüngsten zu verabschieden, der noch zu klein ist, um zu verstehen, was vor sich geht. Lachend umarmt er seinen Vater, so gut es ihm möglich ist, mit den kurzen Armen. Vilí drückt ihn an sich und vergräbt das Gesicht in den dichten Haaren, die den seinen gleich sind.
Thorin tritt als Letzter an ihn heran, legt eine herrschaftlich schwere Hand auf seine Schulter. „Sei vorsichtig", befiehlt er einzig, obgleich dies sicherlich ebenso eine dringende Bitte ist, und sein Schwager nickt zusichernd.
Klein, aber ausreichend ist der Aufmarsch, der den Berg verlässt. Einige Tage werden sie benötigen, um durch die Wildnis zur Festung zu gelangen. Vielleicht eine Belagerung dieser müssen sie errichten, um die Feinde aus den Reihen unserer eigenen Rasse zu schwächen. Einige Wochen könnte sie dauern.
Aber als uns auch nach einem Mondzyklus keinerlei Nachricht ereilte, weder über Zwischenstand, Sieg oder Niederlage, wird Thorin wie wir alle unruhig. Der Rat allerdings versucht, ihn zu beschwichtigen, jedoch lediglich davon aus gehen sie, dass die Ausgesandten Orks jagen. Zu gefährlich wäre es gewesen, sie über die eigentliche Aufgabe zu unterrichten. Auffälligerweise aber besonders Meister Abarron redet Thorin aus, voreilig weitere Truppen auszuschicken. Beträchtlich besorgt nicht nur mich dies.
So sehr sogar, dass ich eines Nachts aus einem entsetzlich grauenerregenden Traum erwache. Im schwindeldrehenden Kopf rauscht es. Während des ersten aufschreckenden Moments wähne ich mich noch immer auf dem Schlachtfeld, das mir gerade so real in der Traumwelt erschien. Der Druck des Albes auf Brust und Bauch ist unerträglich und lässt bereitet Mühe die aufsteigende Übelkeit wieder hinunterwürgen.
Schreckliches zeigte Irmo mir in seiner eigenwilligen Weisheit. Ein Kampf Zwerg gegen Zwerg. Aber auch Orks unter ihnen. Blutende Wunden. Aufgerissene Leiber. Schreie. Zerbrochene Schilde mit dem Emblem Durins. Ein Schwert inmitten blutbesudelter Blätter liegend. Ein Schwert, dass mir nur allzu bekannt ist.
Ich fahre mir mit zitternden Händen über das Gesicht, spüre nur dadurch die Feuchtigkeit der unbemerkt fließenden Tränen. Sie glitzern im Schein der Nachttischkerze auf den Fingerspitzen. Oh Mahal, was für ein Schreckensbild. Oder war es mehr als das? War es vermutlich eine Vision, eine schreckliche Vorausahnung?
Zutiefst verängstigt schlage ich fahrig die Decke zurück, nur um zu bemerken, dass sie, Laken und Schlafgewand nass von Schweiß sind. Zitternd setzte ich die Füße auf den kalten Boden, spüre die Festigkeit des Steins, jedoch nicht zu beruhigen vermag er. Schwankend stehe ich auf, taumle zur Tür, den Flur entlang und drücke anstandslos ohne vorher anzuklopfen die Türklinke zu Dwalins Gemach herunter, um mich ungebeten einzulassen.
Seine Räumlichkeiten liegen in absoluter Dunkelheit, denn auch das Kaminfeuer erlosch während der zurückliegenden Nachtstunden, in denen niemand es schürte. Nur mühsam gewöhnen sich die müden, noch immer tränenüberfüllten Augen an diese, so dass ich geradezu blind den Weg in sein Schlafgemach finde, obwohl mir bislang nur selten Einlass in dieses gewährt wurde.
Dwalin liegt in seinem Bett, das genauso groß wie das Thorins, jedoch weniger aufwändig mit Schnitzereien verziert ist. Die allerdings ebenfalls schweren, bordeauxfarbenen Vorhänge sind nur halb zugezogen, so dass ich schließlich beim Nähertreten geradewegs erkennen kann, dass auch er unruhig schläft. Seine Augenlider zucken. Der Atem geht schnell. Die Lippen bewegen sich, formen tonlose Worte. Ob er wohl gleichermaßen schrecklich träumt?
Ich beuge mich zu ihm herunter, berühre sanft seine Schulter. Vorsichtig muss ich sein. Die Reflexe eines Kriegers schlafen nie. Daher sofort ist er wach, schreckt auf und greift nach dem selbst in diesen geschützten Räumen immer bereit liegenden Dolch auf seinem Nachtschrank.
„Dwalin, ich bin es", melde ich schnellstens und trete einen Schritt zurück, eher er mich erdolchen kann. „Bei Mahals zauseligen Bart", schimpft er los und wirft den Dolch erschrocken neben sich. „Irgendwann einmal wirst du mich mitten in der Nacht wecken und nicht so viel verdammtes Glück haben, mamarlûna."
Kurz stutze ich über das ungewöhnliche, bisher nie von ihm für mich verwendete Kosewort, aber noch bevor ich nach seiner Bedeutung fragen kann, entdeckt er wohl das Glitzern der Tränen auf den Wangen. „Ist etwas geschehen?", fragt er und zieht mich in die starken Arme. Und wie als würden sie bisher nur mit müh und not gehaltene Dämme zum Einsturz bringen, beginne ich nun schluchzend zu weinen.
„Ich habe den Tod gesehen", wimmere ich leise, kaum mehr die Kraft habend atmen zu können, an seine Brust gepresst. Dwalin versteift sich. „Was redest du da für einen Unsinn", murmelt er, allerdings selbst nicht davon überzeugt klingt seine Stimme. „Vilí ... ich habe geträumt, dass er in einer Schlacht stirbt. Ich habe sein Schwert gesehen, liegend in seinem Blut. Dwalin ... es war so grässlich real, als würde ich inmitten des Schlachtfeldes stehen und die Gräueltaten mitansehen, das Blut riechen, die Schreie hören können."
Er streicht mir beruhigend über die Haare, aber an seinem Herzschlag, der schnell und hart durch die nackte Haut gegen die auf ihr liegenden Fingerspitzen pocht, erkenne ich, dass auch ihn die Schilderung aufwühlt. „Ich habe das Gleiche geträumt", gesteht er plötzlich mit zitternder Stimme. Noch nie habe ich sie derartig bangend hören müssen. Furcht hat er. Schreckliche Furcht.
„Lass uns losreiten!", flehe ich daher und blicke zu ihm auf. Vergangen sind die Tränen. „Irgendetwas ist geschehen und mein Herz hat dieses Unglück kommen sehen. Bitte Dwalin, ich muss es wissen und vielleicht können wir helfen, sie warnen." Ernst wie noch nie etwas zuvor in meinem Leben ist es mir. Ich kann nicht tatenlos bleiben. Umbringen würde mich die Ungewissheit.
„Aber Thorin ...", interveniert er. Ich schüttle so heftig den Kopf, dass sich Strähnen aus dem geflochtenen Schlafzopf lösen. „Nein ... nein, er hat von Anfang an mein Gefühl nicht ernst genommen und wird es nun auch nicht. Ich bitte dich, Dwalin, lass uns gehen. Jetzt, sofort."
Er sieht mich an, streicht die lose Haarsträhne beiseite, über die tränenasse Wange, legt schließlich die Stirn an die meine. Vertrauen spricht die Geste. Zusammenhalt symbolisiert sie. Das Band zwischen uns stärkt sie. „Dann mach dich schnell fertig, ich warte im Stall."
Still ist es dort, als ich wenig später das Tor gerade so weit wie nötig um hinaus zu reiten beiseiteschiebe, obwohl der Morgen am Horizont bereits einen klaren, sonnigen Tag verheißend graut. Dwalin wartet längst, trotzdem ich mich beeilte, vorbereitet mit seiner Stute und Khajmel. Nur das Nötigste nahm er mit. Proviant, Wasser und seine Waffen. Schnell werden wir reiten, wenige Tage nur wird der Weg zu zweit zur Festung dauern. Ich hinterließ Thorin eine Nachricht, legte die Gründe dar und bat darum den hastigen, eigenständigen Aufbruch zu verzeihen, aber lesen wird er sie hoffentlich erst, wenn wir bereits weit entfernt vom Berg sind.
„Können wir?", fragt Dwalin. Ich nicke und wir sitzen auf, nachdem ich das ebenfalls mitgebrachte Essen in den Satteltaschen verstaut habe. Khajmel schnauft freudig unter mir und ich streiche ihm beruhigend über den Hals. Lange schon konnte ich nicht mehr auf ihn reiten, denn die Verletzungen zwangen mich zu einer Pause. Noch immer nicht vollständig verheilt sind sie. Der einst ausgerenkte Arm wird mir schmerzen nach dem anstrengenden Ritt. Hoffentlich in keinem Kampf, der sich diesem anschließt, muss ich ihn gebrauchen.
Die geheime Tür durch den Wall nach draußen, die mir einst Bofur zeigte und von der noch nicht einmal Dwalin wusste, nehmen wir. Das Land liegt weit und ruhig vor uns. Mitte Oktober ist es. Die Blätter der Bäume leuchten in den Farben des Herbstes. Rot und Gelb und Braun mit vereinzelt verbliebenen Grün. Büsche aus Hortensien, langstielige Chrysanthemen, zartblühende Schneebeeren besäumen den Pfad und blühen auf den Wiesen. Kürbisse reifen leuchtend orange auf den Feldern. Aber die Schönheit der Natur fasziniert uns nicht. Kein Auge haben wir für sie, denn der Blick ist allein gerichtet auf den von in der Nacht gefallenen Regen schlammigen Weg, der sich vor uns windet. Die galoppierenden Hufe der Pferde lassen den Morast nach oben spritzen. Kalt und nass trifft er auf unsere Stiefel, Mäntel und das Sattelzeug. Aber all dies interessiert uns nicht. Schnell müssen wir reiten. Schon die Kuppe des bewaldeten Hügels erreichten wir. Ich blicke nicht zurück.
Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.
Hoffentlich täuschten uns die Träume.
Oh Mahal, hoffentlich ...
Hoffentlich ...
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mudtaduté – mein kleines Herz
mamarlûna – Die, die geliebt wird.
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