Hass ist ein schrecklich Ding
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Dunkel, klamm und karg sind die Kerker, die in den ungeheuren Tiefen des Berges liegen. Neu gegraben wurden sie, als mit dem Zustrom an Zwergen anderer Reiche auch allerhand Gesindel Einzug hielt. Schäbiges Gesindel, das mordet, raubt und schreckliche Untaten begeht. Einige von ihnen sitzen hier. Gefangen von tapferen Soldaten, ertappt, während sie ihre Verbrechen verübten oder durch die diskrete Vorgehensweise von Spionen bereits im Vorhinein überführt. Doch so viele leben nach wie vor unbehelligt dort draußen. Weiterhin gefährlich. Unberechenbar und geschützt von so manch unaufrichtigen Heuchlern, die ihnen allerhand ermöglichen, auch, weil sie Stellungen innehaben, die mit großer Macht und Einfluss verbunden sind.
Wenige derer, die sich Vergehen schuldig erwiesen, die noch schrecklicher wiegen denn Mord, konnten wir habhaft werden. Sie werden in Verliesen abseits der großen Zellen verwahrt, in denen die anderen während des Überfalls auf die Lichtung gefangen genommenen zuhauf einsitzen und auf ihre Verurteilung warten. Noch kärger und dunkler und klammer sind diese.
Der Weg bis zu ihnen kostete mich viel Kraft. Nicht nur Körperliche, da jeder Schritt mir schwerer fällt, und mehr schmerzt als erwartet. Der Gang entlang der Zellen, der Blick in die müden Augen derer, die mich einst begierig begafften, als ich ihnen feilgeboten wurde, zehrt gleichwohl arger. Trotzdem die Erscheinung unter Kapuze und unauffälligen Mantel verborgen liegt, ängstigt das Gefühl, dass sie dennoch erkennen, wer für einen Moment vor ihren Zellentüren innehält. Bauernopfer sind es jedoch hauptsächlich. Die, die reich an Macht und Vermögen sind, konnten sich unlängst wieder freitrotzen und kehrten in ihre Heimat zurück. Übrig blieben die, die all dies nicht haben. Insbesondere Angehörige der Khuzdu id-zann, aber auch Bedienstete, die unglücklichweise ihre Herren und Herrinnen begleiteten und es ihnen nicht wert waren, ebenfalls in die Übereinkünfte zur Freilassung mit aufgenommen zu werden. Unschuldig sind sie im Grunde, gleichwohl ebenso ihnen wird Thorin keine Gnade gewähren.
„Ihre Verhandlungen beginnen morgen", unterrichtet mich Vilí. „Der Tod erwartet sie wahrscheinlich, egal, wie schwer ihre Taten wogen bei den Entführungen und dem Handel." Ich schließe bedauernd die Augen. „Vielleicht können sie Auskunft geben über den Verbleib der Verschleppten. Nicht zum ersten Mal bei dem Spektakel anwesend waren wohl der größte Teil der Kaufinteressenten." Fieberhaft suche ich in der Düsternis der Zelle nach dem, der mich erwarb. Von ihm weiß ich es ganz bestimmt. Jedoch er sitzt nicht zwischen den zusammengekauerten Gestalten. Gleichwohl erwartungsvoll sehe ich den Großherzog an. Doch er schüttelt den Kopf. „Thorin wird sich niemals auf einen Handel einlassen, egal, was er einbringt. Die Wut ob jeder einzelnen gedrängten Freigabe zehrt an ihm genauso wie die über Filis und deine Entführung. Es verlangt ihn nach Vergeltung und durch nichts wird sie gemildert werden." Rache ist ein schreckliches Ding, ganze Reiche riss sie mitunter bereits in den Untergang und schwer nur lässt sie sich besänftigen.
Wir wenden uns ab und gehen weiter in Richtung der Zellen, in denen die Hauptangeklagten ihr Dasein fristen bis zu ihren bevorstehenden Verhandlungen, die ein gewisses Ende nehmen werden. Selbst Vilí bereitet es Mühe, die schwere Eisentür aufzustemmen, die eine von ihnen sichert, nachdem er mehrere Schlösser mit einem wohl nur in geringer Stückzahl vorhandenen Schlüssel aufschloss. Niemand Unbefugtes soll sich den Angeklagten nähern, denn schon einmal brachte uns die Unbedachtheit darüber um ein wichtiges Geständnis.
Drinnen ist es trostlosfinster. Selbst das Licht der Fackel, die mein Begleiter vom Gang mit hineinbringt, wird nahezu vollständig von der Schwärze verschluckt. Jedoch ermöglicht sie den Zwergenaugen, sich an das verbliebene Dämmergrau zu gewöhnen.
Der Anblick, der sich mir bittet, obwohl ich mich auf ihn vorbereitete, erschreckt zutiefst, gleichwohl erweckt er keinerlei Mitgefühl in meinem Herzen. Mirschag kauert gramgebeugt in einer Ecke der Zelle, nackte Arme und Beine mit breiten Schellen gebannt, die an eisernen in der Wand verankerten Ketten befestigt sind. Absichtlich zu eng sind diese. Schneiden bei jeder Bewegung in die Haut und hinterließen bereits blutige, teilweise feuerrot entzündete und dickflüssig eiternde Male. Nicht mehr als zerrissene Lumpen trägt er, die großflächig den Blick freigeben auf weitere Wunden unterschiedlicher Größe und verursacht von diversen Instrumenten und Apparaturen, deren Umgang unsere Folterknechte exzellent beherrschen. Keine Gelegenheit zur Heilung bietet sich ihnen, denn immer wieder schmerzhaft aufgerissen werden sie oder das eingeriebene Salz verhindert eine Blutgerinnung.
Bislang den Kopf vor Schwäche gesenkt hält er, aber als wir näher treten, hebt er ihn lethargisch. Die tiefen Kratzer, die der angreifende Rabe ihn mit den scharfen Krallen zufügte, verlaufen kreuz und quer über sein gesamtes Gesicht, den Hals und die Brust. Den rechten Mundwinkel riss er ihm sogar bis zur Wange auf. Ein dreckiger Fetzen Stoff wurde ihm über die Augen gebunden, oder zumindest dort entlang, wo diese einmal waren. Einen tragischen Eindruck bietet er, der mir ein grauenvoll-befriedendes Empfinden der Genugtuung gewährt.
„Dass du dich hierher traust, hätte ich nicht gedacht", zischt er mit dennoch weiterhin verletzender Zunge. Die Aussage lässt mich innehalten. Kein Wort sprachen weder Vilí noch ich bisher. „Dein Geruch ist unverkennbar. Ich sog ihn auf, prägte ihn mir ein, jedes Mal, währenddessen ich dir nahe war", klärt er uns schließlich auf und ein entsetzlich eiskalter Schauer kriecht mir über den Rücken. Gleichwohl keine Schwäche werde ich mehr zulassen.
„Nur, dass du nun der Gefangene bist." Hart ist meine Stimme. Unberührt von seinem Anblick und dem Schicksal, dass er selbst verantwortete. Er verzieht den zerfetzten Mundwinkel zu einem entstellten Lächeln, nichtsdestominder hämisch ist es. „So sieht es aus", seufzt er dennoch und lässt den Kopf wieder hängen. Anstrengend für den von Hunger, Durst und Verletzungen gequälten Körper ist jedes Wort und jede Bewegung. Ich kenne diese Erschöpfung nur zu gut. „Bist du deshalb hier, um dich an dem Elend meines Anblicks zu laben, um zu sehen, wie vergolten wird was dir, dem kleinen Prinzen und deinen Freundinnen angetan wurde?" Ich will den Kopf schütteln, jedoch insgeheim ist es auch das, was den Wunsch nährte, hierher zu kommen. Schlecht sollte ich mich deswegen fühlen, aber tatsächlich belastet die Vergeltungssucht das Gemüt nicht.
„Ich bin vor allem hier, da du und deinesgleichen sich ungeachtet der Schmerzen weigern uns zu offenbaren, wo sich die anderen eures verfluchten Geschmeißs aufhalten." Er lacht laut auf. „Warum sollte ich das? Um auch noch als Verräter zu gelten. Etwas Besseres einbringen, denn diese schicke Unterkunft einmal als Häufchen Asche zu verlassen, wird es mir ja wohl weniger."
Einst plante ich einen Handel mit dem, der Thorin ermorden wollte aus den gleichen Gründen. Informationen gegen die Chance auf Weiterleben. Jedoch gewillt bin ich nicht, ihm eine ebensolche Aussicht anzubieten. „Nein, du wirst sterben. Durch die Hand eines Folterknechts oder durch die des Henkers oder auf dem Scheiterhaufen. Keine Gnade wird dir für das Vergehen gewährt, egal, was du sagst oder nicht sagst."
Ich beuge mich zu ihm hinunter. Labe mich an dem Anblick seines gequälten Leibs, der Schwäche, dem Unvermögen sich gegen jegliche Worte und Taten zu wehren und dem Wissen, dass es kein Entrinnen geben wird. „Jedoch deiner Seele kannst du die Gelegenheit verschaffen, nach deinem Tod nicht ruhelos und verloren im Nichts um Ea ihr Elend zu fristen. Verbannt aus Mittelerde und unfähig ihren Weg in die Hallen Mandos' zu finden, verwehrt er doch denen, die solch schreckliche Taten wie du sie begingst, den Zugang. Vielleicht erbarmt er sich ja deiner, solltest du das Leben vieler retten, wenn du uns sagst, wohin die durch euch Verschleppten verkauft wurden und wo sich die anderen verstecken."
Er wendet den Kopf zur Seite. Ein wenig nur, jedoch zeigt mir die Geste, dass dieser quälende Umstand der drohenden Ruhelosigkeit ihn nicht erst seit eben beschäftigt. Vielleicht warten Eltern, Geschwister, Geliebte, Kinder auf ihn in den Hallen. Niemals wird er sie wiedersehen und zutiefst traurig stimmt ihn dies.
„Als geschundene Seele werde ich gleichwohl einkehren, wird der Tod, der mich erwartet, doch ehrenlos sein und Körper und Geist zerrissen." Recht hat er, denn durch die Entführung Filis, des Königs Neffen, wird Thorins Anklage eine geplante wie ausgeführte Freveltat gegen die Krone lauten, eines der höchsten Verbrechen. Nicht nur durch den Tod wird dieses bestraft, sondern mit schrecklicher, zerstörerischer Folter und der letztendlichen Hinrichtung wohl auf dem Scheiterhaufen. Wenn wir Zwerge sterben, so muss Stein unseren toten Körper umgeben, jedoch die Asche der so Verbrannten wird in alle Winde zerstreut.
„Nun, nur durch ein zusätzliches Geständnis lässt sich das Strafmaß, dass ihre Majestät verhängen wird, vermutlich verringern." Es ist ein kläglicher Versuch an eine Information zu gelangen, die weitere Verurteilungen zur Folge haben wird. Wichtige Schuldsprüche an Personen, die vermehrt Unheil anrichten und denen wir anders nicht habhaft werden können.
Interessiert blickt Mirschag wieder auf. „Sag uns, wer euch anwies, Fili zu entführen", fordere ich, ohne die Stimme wahrnehmbar aufgeregt zittern zu lassen. Er schüttelt jedoch den Kopf und für einen Moment versinkt jede Hoffnung, gleichwohl nicht tief. „Den direkten Auftraggeber kann ich euch nicht nennen, denn nur durch einen Boten, deren Verbindungen mir völlig unbekannt sind, und der nur von ‚seinem Herren' sprach, wurden wir beauftragt einen kleinen, adligen, blonden Jungen und jeden der ihn begleitet zu verschleppen."
Nicht irgendeine nutzbare Information. Weder einen Namen nennen noch genaues Aussehen des Laufburschen kann er beschreiben. Keinen Schritt näher an Abarrons Schuld heran bringen sie uns. Jedoch eines wird mir plötzlich bewusst: Meist begleite ich Fili und damit auch meine Entführung war von Anfang an geplant. Ein unglücklicher Umstand lediglich, dass Thatrûna an diesem Tag anstatt meiner auf ihn aufpasste.
„In welcher Verbindung stehst du zu Abarron, dem Meister des Handels und Handwerks? Ich sah dich einst in seinem Haus." Spreche ich schließlich offen an, auf welche Aussage von ihm ich eigentlich pochte. Er schnauft jedoch belustigt und senkt den Blick erneut. Überlegend, wie mir scheint. „Sein Neffe bin ich" sagt er nach ausgedehntem Schweigen und überrascht uns damit gehörig. „Weit entfernt, abstammend von einem vor langer Zeit bereits in Ungnade gefallenen Zweig seiner Vorfahren, die dereinst aus dem Erebor vertrieben wurden."
„Vermutlich gleichwohl nicht nur einen Anstandsbesuch, nachdem du und deine Kumpane in unseren Berg eindrangen, trieb dich in sein Haus." Bitte, bitte offenbare mir nur einen kleinen Hinweis darauf, dass Abarron in irgendeiner Weise Mitschuld trägt an den Vorkommnissen. Jedoch Mirschag ist nicht dumm. Er weiß wahrscheinlich gewarnt durch Fragen, die bereits andere ihn stellten, worauf die meinen abzielen. Daher hohnlächelt er lediglich und schweigt beharrlich.
Ohne zu verdeutlichen wie sehr mich dies und dass wir nicht viel mehr als die Folterknechte erfuhren, ärgert, wenden wir uns zum Gehen. Gleichwohl kaum fasste Vilí nach dem Knauf der Tür, um diese aufzuziehen, ertönt seine Stimme doch. Schwach klingt sie. Gebrochen. Hoffnungslos, allerdings ein kleiner Funke Glaube daran, dass ich ihn nicht belog, springt in ihr. „Könntest du denn Gnade erwirken, bei deinem Herren oder sogar Mandos, wenn ich euch Antworten gebe, trotz dessen ich dir so viel Leid antat?"
Rache ist ein schrecklich Ding. Dunkel ist sie. Gefährlich. Nur für den Moment befriedigend, in der sie wirken konnte. Ich fordere Vergeltung für all den Schmerz, die Angst, das Böse, das Fili, Jassin, all den anderen unschuldigen Frauen und Kindern und mir angetan wurde. Jedoch nicht darüber bestimmen kann ich, ob ihm Güte gewährt wird. Einfluss darauf nehmen, vielleicht. Thorin würde es in seinem Wohlwollen zu mir vermutlich, wenn ich darum bitten würde. Obwohl ... will ich dies wirklich?
„Ganz bestimmt", sage ich schließlich und wende mich ihm wieder zu. Gramgebeugter noch vor Schmerz und Erschöpfung als vordem erscheint er. „Annúminas", murmelt er nach einer Zeit des Überlegens. „Wir halten uns in den Ruinen der alten Festung versteckt. Dort findet ihr auch umfassende Aufzeichnungen, wohin die Verschleppten verkauft wurden. Mehr jedoch, kann ich euch nicht sagen."
Ich senke den Kopf zum Dank, zu spät realisierend, dass er die Geste nicht sehen kann. „Genug ist es fürs Erste", sage ich daher mit unberührter Stimme und wende mich mit Vilí zum endgültigen Gehen. Annúminas also.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top