Feuertod

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„Wir haben in den Ruinen gut geführte Unterlagen gefunden, die dokumentieren, wohin die Frauen und Kinder verschiedener Reiche verschleppt wurden." Hagrids Hand und Stimme zittern nur mit Einfühlungskraft wahrnehmbar, als er seinen Bericht dem Rat vorträgt. Weiteres Schreckliches hat er bei der Suche nach diesen entdeckt. Darlegungen von Schändungen, Auflistungen von Selektionen, Listen der Auktionen. Die Beisetzung der Krieger und schlimm zugerichteten Gefangenen unweit der Festung war mühselig und ergreifend. Erst einige Tage nach uns kehrten sie zurück. Halb erfroren, hungrig, traurig. Aber sie kehrten heim. Viele andere nicht.

Thorin überlegt, während er den Zahlen lauscht. Hunderte sind es, geraubt über viele Jahre. Feuerbärte, Eisenfäuste, Breitstämme, Steifbärte, Schwarzschmiede, Steinfüße und Langbärte. Verschleppt wurden sie aus ihren Hallen und in andere Reiche verkauft oder die Nachtzwerge hielten sie sich als Sklaven oder bildeten die Kinder zu Kriegern in ihrem Sinn aus.

„Schickt Nachrichten in die Königreiche, legt ihnen dar, wer wohin fortgebracht wurde und dass sie ihre Reiche scharf kontrollieren sollen", befiehlt er schließlich an Balin gewandt. „Die, die wir fanden und mit Verlusten besiegten, waren nur ein kleiner Teil derer, die vogelfrei durch Mittelerde ziehen und weiterhin schreckliche Verbrechen begehen. Wer weiß, wo sie sich zusätzlich versteckt halten." Schwerfällig erhebt er sich. Die letzten Tage zehrten sehr an seinen Kräften, jedoch nicht schwach noch gebrochen wirkt er. Der Wille nach Vergeltung für das Leid, dass seiner Familie (erneut) angetan wurde, ist allgewaltig.

„Was möchtet Ihr damit andeuten, Majestät?", fragt Abarron mit verschnupfter Stimme. Thorin dreht sich ihm zu. Seine Augen funkeln herausfordernd. Er weiß, dass der Meister des Handwerks und des Handels seine feiste Nase zu tief in so manche Intrigen und Schurkereien steckt. Jedoch beweisen kann er dies nicht genügend, um ihn anzuklagen, ohne dabei das Risiko einzugehen, das Gesicht zu verlieren. Auch eine Beteiligung an dieser vermuten wir, ist doch der gefasste Anführer derer die Fili auf Geheiß eines Unbekannten entführten, sein Neffe und zudem in seinem Haus habe ich ihn einst gesehen.

„Ich möchte damit erreichen, dass die Herrscher und Herrscherinnen der anderen Reiche diese ein für alle Mal ausrotten sollen. Zu lange haben unsere Gesetze sie selbst nach den abscheulichsten Taten geschont, indem wie sie nur verbannten und zu wenig kontrollierten, ob sie dieser auch Folge leisten. Im Zuge dessen, werden Vergehen, die bislang lediglich einen Hallenverweis nach sich zogen, zukünftig mit dem Tod bestraft ... ausnahmslos." Schrecklich wütend ist er und in seiner Wut erlässt er vereinzelt zu wenig Bedachtes. Die Todesstrafe wird bisher nur bei Freveltaten gegenüber dem Königshaus verhängt, sie an Kapitalverbrechern zu vollstrecken, zwar möglich, aber der Änderung des Gesetzes müssten alle Ratsmitglieder einhellig zustimmen. Einige von ihnen jedoch sind gegen diese Art von Strafe. Einem Zwerg das Leben zu nehmen, auch zurecht, ist wieder Mahals Willen.

„Majestät, ich verstehe Eure Intention", brummt plötzlich Meister Skirrs Stimme über das aufkommende Gemurmel der anderen Ratsherren hinweg, „aber ihr solltet Euch bei solch einem Ansinnen nicht von Rachegelüsten leiten lassen. Überlegt doch, welche Ausmaße ein Strafmaß dieser Tragweite nach sich ziehen könnte." Ein weißer Zwerg ist er. Alt und wissend und stand Thorin bisher immer gutgesinnt und loyal gegenüber. Einer derer ist es, die wahrscheinlich dem Ratschluss nicht zustimmen werden.

Thorin schnauft, genau darüber wissend, und wendet sich unvermittelt mir zu. Bislang schweigend verfolgte ich die Debatte, insgeheim nur eine eigene Meinung über seinen Vorschlag in mir tragend. Ich erwarte, dass er mir den Beschlusslaut diktieren will, um ihn zur Abstimmung zu bringen, jedoch zeigt er stattdessen auf mich.

„Diese Frau, eine loyale Dienerin meines Hauses, wurde von diesen Schurken entführt, gequält, schwer verletzt, sollte wie so viele vor ihr verscherbelt werden an irgendwelche wollüstigen Hunde, denen ein Zwergenleben so wenig wert ist wie ein Krümel Dreck." Äußerst unangenehm ist mir die plötzliche Aufmerksamkeit der auf mich gerichteten Augen. Ich senke den Blick. Nur Vertraute wissen vollumfänglich über die Schwere der erlittenen Verletzungen und Demütigungen Bescheid. „Die Verantwortlichen haben keinerlei Gewissen und nichts mehr in ihrem erbärmlichen Leben zu verlieren. Sie morden, plündern, rauben wie zuvor, da unsere Gesetzte es ihnen ermöglichen."

Meister Skirr erhebt sich schwerfällig. Ich mag ihn. Immer respektvoll und wertschätzend verhielt er sich mir gegenüber. „Astâ, du als Geschädigte eines solchen Verbrechers, was ist deine Meinung?", spricht er mich dennoch überraschend an. Verwundert blicke ich wieder auf. Meine Gedanken sind in diesen Räumen von keinerlei Wert. Noch nie habe ich das Wort erhoben, bislang nur geflüstert, wenn ich Thorins oder Balins Aufmerksamkeit auf etwas lenken wollte oder eine Nachfrage hatte.

Einjeder der Anwesenden sieht mich voller Erwartungen an. „Ich ..." Balin neben mir lehnt sich in seinem Stuhl zurück und mir dabei Mut entfachend entgegen. Thorin legt eine starke Hand unterstützend auf die Lehne nahe meiner Schulter. Dwalins ermunterndes Nicken sehe ich leider nur aus dem Augenwinkel. „Ich würde die Todesstrafe befürworten", verkünde ich schließlich mit fester Stimme. „Die Taten dieser Zwerge entbehren jeglicher Gnade. Ein Verbrechen am Volk des Königs sollte genauso geächtet werden, wie eine Schandtat am König selbst ... mit dem Tod."

Einige der Ratsmitglieder nicken, andere, unter ihnen auch Dwalin und Balin, schauen recht entsetzt. Nicht damit rechneten sie, dass ich solcherlei Kaltblütigkeit in mir trage. Jedoch was all diesen Frauen und Kindern, den Soldaten, die sie bekämpfen wollten, Fili und Vilí und mir angetan wurde, muss gesühnt werden, sodass nie wieder ein aufgrund schrecklicher Taten verurteilter solch ein Leid über jemanden bringen kann.

Einstimmig wird der Beschluss schließlich angenommen und hält Einzug in unsere Annalen.

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Seitdem er uns die Information gab, dass sich seine Komplizen in Annúminas aufhalten, habe ich Mirschag nicht mehr gesehen. Elendig schleppt er sich in den Audienzsaal. Abgemagert, mit zerrissener Kleidung, blutige Wunden der Folter überall. Die eisernen Fesseln schnitten sich tief in das Fleisch an Hand- und Fußgelenken. Die Rabenkrallenspuren im Gesicht entzündeten sich eitrig und auch die ausgekratzten Augenhöhlen scheinen keinerlei Versorgung erhalten zu haben, denn das sie verbergende Tuch ist schmutzig von Blut und anderen Ausflüssen. Furchtbare Schmerzen muss er erleiden. Keine Gnade zeigten die Folterknechte. Grässliche Genugtuung darüber breitet sich in mir aus, auch wenn sein Anblick kaum erträglich ist.

Mit schonungsloser Hand stößt Dwalin ihn vorwärts, drückt ihn schließlich vor den König nieder, der heute sein Urteil über ihn sprechen wird. Die Ketten, mit denen er weiterhin gefesselt ist, klirren schwer, als er auf die Knie fällt. Das schmerzerfüllte Keuchen, das es heiser über aufgesprungene Lippen schafft, nurmehr schwach.

Thorin lehnt sich in seinem reichverzierten Sessel zurück, betrachtet ihn mit gleicher Zufriedenheit und sie begleitender Abscheu, die ich empfinde. Mirschag hebt den blinden Blick. Eine respektlose, beleidigende Geste sondersgleichen, die sofort mit einem heftigen Schlag auf seinen Kopf bestraft wird. Er weiß unzweifelhaft, dass ich ebenso anwesend bin. Er erinnert sich meines Geruchs, wie er mir einst sagte.

Mit einem auffordernden Handzeichen deutet mir Thorin, dass ich ihm das Pergament mit der Anklageschrift überreichen soll. Eng beschrieben ist es. Alle Punkte, die wir ihn anlasten können, hat Balin akribisch und ausführlich in ihrer Schrecklichkeit darin aufgeführt. Auch den Tod von Vilí und den anderen Soldaten, die aufgrund seiner Informationen auszogen. Eine wohldurchdachte Falle vermutet Dwalin dahinter, deren Gestehen wir jedoch erst erwirken müssen. Kaum etwas wird es allerdings an dem verhängten Strafmaß ändern.

Langsam, mit harter Stimme, beginnt Thorin vorzulesen. Entführung, Mord, Zwergenhandel, Schinderei, Schändung, Anstiftung zu Folter und Tötung ... endlos in ihrem Grauen ist die Auflistung der Vergehen und ihrer Zeugen. Bei einigen Passagen wende ich den Blick ab, in der Hoffnung, die aufkommenden Erinnerungen an die persönlich miterlebten Geschehnisse niederzukämpfen. Es gelingt mir nicht. Dennoch wollte ich anwesend sein, wenn er für diese verurteilt wird, obwohl Thorin mir dies nicht empfahl.

„Zwerg Mirschag, was möchtest du zu deiner Verteidigung anführen, um die dir vorgeworfenen Anklagepunkte zu entkräften?" Er schweigt. Einen langen Atemzug, zwei, überlegt vermutlich, weiß um die Sinnlosigkeit jedes einzelnen Wortes, dass er vorbringen würde. Daher beginnt er schließlich zu lachen. Ein trauriges, leises Lachen jedoch, dass gleichwohl kaltblütig verhöhnend klingt.

„Nichts, Ihre Majestät", krächzt er gleichgültig in einem abschätzigen Tonfall. „Mein Leben ist verwirkt, so wie das Eurer Dienerin und wie das Eures Schwagers und der vielen Männer, die Ihr in den Tod schicktet." Seine Worte treffen hart, auch Thorin, wie ich an der sich zur Faust ballenden Hand erkennen kann. So erhärtet, dass die Fingerknöchel weiße Stellen verursachen. Der Vorwurf ist eine Tatsache in seinen Augen, gleichwohl ihn Dís mittlerweile von aller Schuld freisprach. Jedoch noch nicht fertig ist Mirschag. „Ich hörte nur wenig davon, wie schrecklich ihr Tod gewesen ist, aber wie ich meine Männer kannte, bereiteten sie ihnen keinen angenehmen Empfang."

Dwalin hinter ihm reißt seinen Kopf an den Haaren nach oben. „Was willst du damit sagen?" Der Angeklagte lacht erneut durch zusammengebissene Zähne, wohl auch, um den Schmerzensschrei zu unterdrücken. „Genau das, was Ihr längst vermutet und was Eure Schergen die letzten Tage aus mir herauszuprügeln versuchten."

Ein Schauer, brennender noch, als wäre ich in einen Kübel mit eisbedecktem Wasser gestoßen worden, kriecht mir über den Körper. „Aber ich wollte es Euch direkt sagen, Majestät, auch wenn ich Euer blasiertes Gesicht nicht sehen kann, so genieße ich doch die Reaktionen auf die Tatsache, dass ich Eurer Dienerin absichtlich die Information zuspielte, wo wir uns versteckten."

Die blauglitzernden Wände um mich herum, beginnen zu schwanken, als wurde ein Erdbeben den Berg und meine Welt erschüttern. Alles füllt sich mit Taubheit, der Boden zittert unter den Füßen und nur mit Mühe gelingt es, die drohende Ohnmacht zu bekämpfen, indem ich mich anstrenge, tief zu atmen. Gleichwohl nur wie durch dumpfe Herbstnebelschleier hindurch, nehme ich wahr, wie sich Thorin langsam erhebt. Er schreitet die Stufen des Podests hinab. Einen Schritt nach dem anderen. Sicher wirkt er dabei. Groß und mächtig und kaum betroffen, so wie sich der Schurke dies erhoffte. In seinem Inneren jedoch, wird das Feuer der Wut und des Zorns lodern, heißer noch denn die Flammen eines unkontrollierten Waldbrandes.

Er bleibt vor Mirschag stehen. Blickt voller Abscheu auf ihn hinunter. „Welch Niedertracht", zischt er durch zusammengebissene Zähne. „Wer befahl dir sie?" Ein letzter Versuch ist es, ihm das Geständnis einer Beteiligung an den innerhalb des Berges ausgeführten Vergehen abzuringen. Aber er lächelt nur müde darüber. „Kaum einen Unterschied wird es für mich machen, wenn ich Euch dies verrate, jedoch kann ich sagen, er ist zutiefst traurig darüber, dass nicht Ihr in den Kampf zogt, um den Heldentod zu sterben, so wie wir es eigentlich planten."

Thorin schließt für einen Moment die Augen. Seine Macht ist noch immer brüchig, vielen Übergriffen ausgeliefert und beständig in Gefahr. Das ihm einige die nach ihr streben den Tod wünschen, ihm fortwährend bewusst. Etliche Anstrengungen unternahmen wir, um ihre intriganten Machenschaften aufzudecken und zu verhindern, jedoch erkannten wir sie nicht in dieser. Vielleicht, weil wir zu bestrebt waren, die Vermissten zu finden. Vielleicht, weil wir zu gutgläubig waren. Gleichwohl zeigte er die Verbindung zu Abarron auf und dennoch ignorierten wir das Risiko. Niemals verzeihen werde ich mir dies.

Der König hebt seinen Blick und sagt nur ein einziges Wort, mit dem er das Schicksal des Angeklagten bestimmt. Kurz ist es, aber folgenschwer. Keine Gnade gewährt er ihm. Keine Lossprechung von irgendeiner Schuld. Verbrennen in den Flammen seines Zorns wird er und seine Asche dem Wind übergeben, so dass er niemals in den Hallen Mandos einkehren kann. Die schlimmste aller Strafen. Feuertod.

Kaum hat der König sein Urteil gesprochen, reißt Dwalin Mirschag unsanft auf seine Füße und zückt ein Messer, denn der erste Teil der Verurteilung besteht aus einer Demütigung sondersgleichen. Mit keinerlei Sorgsamkeit schneidet er ihm Bart und Haare ab und übergibt sie Thorin als Abgeltung. Aufbewahren kann er sie oder in den tiefen, dunklen Wassern eines Bergsees versenken.

Geschändet wird Mirschag abgeführt und ich sehe ihn niemehr wieder. Froh bin ich aus vielen Gründen darum, auch wenn er mir eine wichtige Lektion für mein zukünftiges Leben erteilte. Thorin kommt auf mich zu. Schwer ist sein Gang. Wenig der Stärke und Größe zeigt er noch, denn das Gesagte erschütterte ihn ebenso. Einen Teil der abgeschnittenen Haare übergibt er mir, einen weiteren wird Dís erhalten.

„Ich hätte ...", beginne ich, werde jedoch von ihm unterbrochen. „Nein, dich trifft keine Schuld. Er hat uns alle getäuscht." Gleichwohl quälen mich die Vorwürfe, auch, wenn ich nichts mehr an der eingetretenen Katastrophe ändern kann. Auf mein Herz werde ich zukünftig vertrauen und seine Mahnungen nicht ignorieren, egal, welch Abrede dies versucht. Das verspreche ich Mahal sowie mir selbst und allen, die ich liebe.


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