Fern jedoch ist das Gefühl der Heimkehr
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In trüben Nebel versinkt alles. Gedanken, Welt, Kampfgetöse, Thorins langsam verblassende Augen. Das Eis wird rissig, knackt und zerspringt schließlich in Abertausende Stücke, die im nachtdunklen Wasser versinken. Er fällt vornüber, mir direkt in die Arme. Gewichtig lastet sein plötzlich so erschreckend kraftloser Körper in ihnen. Jedoch nicht erlauben kann ich mir die Verzweiflung darüber, denn der hintertückische Ork droht zum erneuten Schlag auszuholen. Unvermittelt klar sehe ich dadurch wieder, der Schock des Angriffes und der Verletzung wie ein Sonnelichtstrahl, der schwarze Regenwolken durchbricht.
Schnell greife ich nach Thorins Schwert, das ihm entglitt. Schwer ist es. Eigentlich viel zu schwer für mich. Als er es mir einmal anvertraute, musste ich das Heft mit beiden Händen umfassen. Dennoch kann ich es nun mit sonderbarer Leichtigkeit heben und der rapide Streich trifft den davon überraschten Ork tödlich. Sein gurgelnd letzter Atemzug aus längs-gespaltenen Mund jedoch keine Genugtuung.
Noch immer liegt Thorin regungslos in meinen Armen. Eilig suche ich den Puls an seinem Hals ... und finde ihn. Jedoch erschreckend geschwächt pocht er gegen die zitternden Fingerspitzen. Ich schreie nach Dwalin.
Hilfe! So helft uns doch! Unser König stirbt in meinen Armen!
Ich sehe mich um. Nur eine klägliche Anzahl an Feinden ist noch übrig. Dennoch weiterhin kampfbereit umgreife ich Binamrâd. Ein weiteres Mal zerreißt mein Hilfeschrei die Nachtluft und dann endlich kommt Dwalin auf uns zu. Einen wenig vom Kampf mitgenommenen Eindruck erweckt er. Lediglich Spritzer von schwarzem Orkblut besudeln den Waffenrock.
Als er uns entdeckt und den Grund, warum ich nach ihm schrie, gefriert der kampfentfesselte Kriegerausdruck in seinen Augen zu blankem Entsetzen. Ein Grauen, das ich in dieser Eiseskälte bislang niemals bei irgendjemandem sah. Er beugt sich zu uns hinunter und scheint nicht zu wissen, wem er zu allererst seine Aufmerksamkeit und Sorge widmen muss. Jedoch meine Verletzung ist momentan egal und zudem kaum mehr spürbar noch beeinträchtigend.
„Ein Ork hat ihn an der Flanke verletzt", informiere ich hastig stammelnd und bemerke erst jetzt die salzige Nässe, die dadurch in den Mund gelangt. Dwalin hebt den erlahmten Körper von mir und legt ihn auf den Waldboden. Blass ist Thorins Haut bereits. Behutsam schlägt der Krieger den Stoff des Mantels zurück und offenbart das Schreckliche. Blut sickert langsam und unerbittlich aus einer tiefen Wunde, die nur allzu deutlich unter zerschmetterten Harnisch und zerrissenen Waffenrock zu sehen ist. Sehr viel Blut. Oh so viel Blut.
Ich presse instinktiv die Hände auf die Verletzung, während Dwalin nach seinem Bruder und Gloin schreit. Unterdessen bekämpfen die beiden die verbliebenen Orks. Keiner von ihnen entkam. Schnell stürmen sie zu uns und das gleiche klirrende Entsetzen schockgefriert den Glanz ihrer Augen.
Hoffnungsvoll sehe ich Balin an, der sich sofort die Wunde unseres Herren zeigen lassen will. Wenn jemand von uns ihm helfen kann, dann er. Aber das scharfe Einatmen durch zusammengepresste Zähne, ist ernüchternd. „Wir müssen ihn nach Hause bringen ... Gloin, sattle die Pferde, rasch ... Dwalin, pack alles zusammen ..." Seine Befehle sind hastig gesprochen. Ein weiter Weg ist es noch bis dorthin. Selbst falls wir ihn galoppierend zurücklegen, eine gute Stunde wird es dauern, bis das Tor der heimatlichen Hallen zu sehen sein wird.
Ich warte, dass auch er mich anweist, irgendetwas zu tun, jedoch als sein Blick wohl das erste Mal auf meine geschundene Erscheinung fällt, zuckt er zusammen. „Du bist ebenfalls verletzt", sagt er sorgenvoll, aber verneinend schüttle ich den schmerzenden Kopf. „Es ist nur ein Kratzer." Misstrauisch hebt sich seine Augenbraue über dieses Herunterspielen. Dennoch zufrieden gibt er sich damit, obgleich erhalte ich nur die Anweisung, weiterhin bei Thorin zu bleiben, indes er denn anderen helfen wird. Nichts weiter tun kann ich also, als erneut Druck auf die Wunde auszuüben. Hoffentlich gelingt es mir, den Blutfluss zu stoppen.
Oh bitte, er darf nicht sterben!
Während ich flehe und weine und zu unserem Schöpfer und Mandos bete, dass sie ihn mir nicht nehmen sollen, erhasche ich plötzlich einen Augenwinkelblick auf ein kleines, leuchtendes Etwas, das behände am Stamm des Baumes herunter zu krabbeln scheint. Es leuchtet fahl wie Mondlicht im halbschattigen Dunkel der langsam aufkommenden Morgendämmerung und ist so winzig und unwirklich, wie es eine Faie nur sein kann.
Sie hält inne, als sie sich meiner Aufmerksamkeit gewahr wird. Schüchtern wirkt sie, unsicher, ob sie sich mir tatsächlich zeigen soll. Vielleicht fürchtend, dass ich ihrer böse bin, den getriebenen Schabernack verüble. Ich schüttle leicht den Kopf, um ihr die Befangenheit zu nehmen. Näher trippelt sie daraufhin und aus dem Nichts des Waldes erscheinen plötzlich weitere.
So wunderschön, wie ich sie in Erinnerung behielt, sind die Tavari. Ihre Gestalten wirken kindlich, sind gedrungen und leicht unproportional. Die großen, schwarzen Augen in den ungestalteten Köpfen erscheinen wie Obsidian. Jedoch wenig Unbeschwertheit strahlen sie aus. Sorgenvoll betrachten sie erst mich und dann Thorin.
„Bitte helft", flüstere ich tränenerstickt. Schon einmal vermochten sie dies zu vollbringen. Mächtig sind sie und der Beweis dafür, dass auch die kleinsten Dinge großes erreichen können. Der Tavari besieht sich stumm die Verletzung, nachdem ich die Hände von ihr entfernte, und plötzlich wird sein und das Licht der anderen noch fahler. Kaum mehr existent erscheinen sie und die schrecklich-dunkle Erkenntnis erfüllt mein Herz, dass sie ihm bei dieser irdischen Wunde nicht helfen können.
In neue Verzweiflung will ich mich ergeben, da zupft plötzlich etwas zaghaft an meiner Hand, mit der ich erneut versuche, die Blutung zu stillen. Eine weitere Faie steht dort. Kleiner ist sie, wirkt zarter und ihr Licht erscheint mir irgendwie sonneblumengolden anstatt wie Mondlichtsilber. Mit großen Augen sieht sie mich an und stupst meine Hand abermals an, so, als wolle sie, dass ich sie entferne. Zögernd entspreche ich ihrem Wunsch.
Nah tritt sie daraufhin und neigt den Kopf, erst nach rechts, dann nach links und zurück, wohl darüber sinnierend, wie sie doch noch helfen könnten. Ich betrachte sie dabei und auf einmal, höre ich eine Stimme in den Gedanken. Weißmoos, wispert sie. Natürlich. Oh wie bin ich nur dumm.
Moosbedeckt ist der Boden und einige der Stämme, und auf einem unweit von uns liegenden abgestorbenen eines umgestürzten Baumes, siedelte sich diese Art an und trocknet aufgrund des Nährstoffmangels in der Frühlingssonne dahin. Blutstillend ist es und verhindernd, dass sich die Wunde entzündet. Alt ist dieses Wissen, jedoch, oder gerade deswegen, nur noch wenigen bekannt. Aus einem Heilbuch der Elben, dass mir die Herrin Galadriel aus dem weit entfernten Reich Lothlorien einst schenkte, und das ich mehrmals bereits regelrecht verschlang, habe ich es entnommen.
„Danke", flüstere ich den Tavari zu und eile zu der Stelle. Viel ist es nicht, aber reichlich für Thorin. Vorsichtig hebe ich ein zusammenhängendes Stück des trockenen Geflechts hoch und haste zurück. Mit einem von meinem Mantel gerissenen Stoffstreifen binde ich es ordentlich an seiner Flanke fest. Bis wir im Berg ankommen und Meister Oin ihm mit seiner Fachkunde versorgen kann, wird es so halten und hoffentlich helfen.
Die Tavari indes verschwanden, ohne, dass ich mich noch einmal ordentlich und mit allen Ehren bei ihnen bedanken könnte. Traurig bin ich darum. Aber kurz danach kommt Dwalin mit unseren beiden Pferden auf uns zu und ich helfe ihm, Thorin aufzuheben und in seinen Sattel zu hieven. Ich besteige Khajmel und wenig später bereits, galoppieren wir aus dem Wäldchen.
Thorins entkräfteter Körper wird von Dwalin so stabilisierend, wie es ihm möglich ist festgehalten. Dennoch erschreckend leblos wirkt er. Sein Kopf wippt hin und her, die Haare ein schwarzer Vorhang, der mir die Sicht auf sein Gesicht nimmt. Wie gerne würde ich ihn es schauen, um wenigstens einen Funken Leben zu erkennen.
Wir reiten schnell. Die ebenmäßig verlegten Steine, auf die die Hufe der Pferde donnernd treffen, ermöglichen ein ungehindertes Vorankommen. Am Horizont verwischt der Nachtschatten zur Morgendämmerung. Ein traumhaftes Schauspiel in schwarz, dunkelblau, rot und violett, das ich unter anderen Umständen staunende Bewunderung entgegengebracht hätte.
Khajmel schnauft. Ich spüre seinen hastigen Herzschlag an den sich um die Zügel krampfenden Fingern. Um eine Übermüdung zu vermeiden, wechseln wir langsamere Galopppassagen mit kurzen Sprints ab. Jagen durch die wunderschön blühende Landschaft. Die Blicke gen Westen gerichtet, denn dort liegen Ziel und erhoffte Rettung.
Der Hügel mit dem Wäldchen kommt bereits in Sichtnähe. „Reite voraus", höre ich Dwalin neben mir plötzlich rufen. „Khajmel ist schneller und ausdauernder. Gib Bescheid und lass alles vorbereiten." Ich nicke hastig und treibe meinen Hengst zum zügigen Galopp an. „Noro lim", raune ich ihm dabei zu. Seine Vorfahren waren edle Reittiere der Elben. Langlebige, widerstandsfähige und kräftige Schönheiten. Daher brachte ich ihn einige Befehle auf Sindarin bei, auch, wenn Thorin dies nicht gerne hörte.
Kalter Wind peitscht mir in das Gesicht und lässt die Haut unter den beständig fließenden Tränenbächen brennen. Oh Mahal, lass es nicht zu spät sein. Ich flehe dich an, großer Schöpfer, lass deinen Sohn nicht sterben ... lass ihn nicht wegen meiner Schwäche sterben. Ich brauche ihn. Ich verehre ihn. Ich liebe ihn.
Ich erreiche den Hügel. Der gewundene Pfad hinauf ist schnell erklommen. Der Schatten der Bäume nur ein kurzer Weg der Dunkelheit und dann sehe ich es. Unser Reich. Mächtig und imposant liegt die Bergkette der südlichen Ausläufer der Ered Luin vor mir. Das Gestein leuchtet blau-grau im Licht der langsam höher steigenden Morgensonne. Wie sehnte ich in den zurückliegenden Tagen den Moment herbei, in dem sich der Anblick meiner bemächtigen würde. Wie er unbeschreibliche Freude und Glück heraufbeschwört. Das Herz ganz aufgeregt schlagen ließe ob des bevorstehenden Wiedersehens und des wohligen Gefühls, dass nur die heimatlichen Hallen innehaben. Nun jedoch fühle ich nichts davon. Nur schnell erreichen möchte ich sie, um alles bestmöglich für die Ankunft des durch meine Schuld verletzten Königs vorbereiten zu lassen.
Die Bauern auf den Feldern, die selbst in der frühen Morgenstunde bereits geschäftig dem Bestellen dieser nachgehen, blicken mir verwundert nach, als ich weiterhin im gestreckten Galopp an ihnen vorbei presche. Keine Rücksicht nehme ich auf den Weg blockierende Karren oder Grüppchen von am Rain Ringelblumen und Schafgarbe sammelnde Frauen. Wendig steure ich Khajmel um diese herum. Beachte das Geschimpfe und die erschrockenen Schreie nicht. Starr ist der Blick auf die Schlucht gerichtet, in die der Weg verschwindet. An ihrem Ende liegt das große Eingangstor.
Gellend laut werden die Hufschläge von den hohen Felswänden zurückgeworfen und hallen Abertausende Male durch den engen Schlund. Die Wachen werden mein Kommen bereits von weitem gesehen, jedoch mich nicht erkannt haben, denn das Tor ist noch fest verschlossen.
Ich stoppe Khajmel. Er schnauft und sein wie mein Atem geht schnell. „Wer da?", ruft die Torwache hinunter. „Ich bin Astâ, Heras Tochter, die Leibdienerin Ihrer Majestät, König Thorin. General Dwalin schickte mich voraus, damit ich alles vorbereiten lassen kann, denn Ihre Majestät ist verletzt. Daher öffnet, sofort!" Meine Stimme bricht. Ganz trocken ist der Mund und die Anstrengung des nötigen Schreiens kratzt im Hals. Dennoch unmissverständlich wurde die Verfügung ausgesprochen und ihre Dringlichkeit ohne Zweifel erfasst. Sie kennen mich. Befehlsgewalt habe ich als Kriegerin des Königs auch über sie. Daher hastig wird die Anweisung weitergegeben und wenig später, öffnet sich ein Flügel des gewaltigen Tors aus Stahl, Holz und Stein, auf dem die Silhouette des Gebirges und geometrische Formen in Gold geprägt wurden.
Nur noch zu einem sich dahinschleppenden Schritt kann ich Khajmel bewegen. Völlig verausgabt hat er sich und froh wird er sein, wenn er sich in das goldene Stroh und weiche Heu seines Stalls fallen lassen kann. Kaum passierte ich das Tor, überkommt mich trotz all der Sorge und Hast das erhabene Gefühl von Heimat. Vertraut ist der Geruch, der Widerhall von den hohen Steinwänden mit den tiefblauen Adern wie sich verzweigende Flüsse, die Geräusche, die aus den abgehenden Tunneln dringen. All das durchfließt und erfüllt mich.
Soldaten eilen näher und halten Khajmel, damit ich absteigen kann. Der Kommandant der Torwache stolpert die Treppe herunter, die vom Wachturm führt. „Was habt Ihr gesagt?!", empfängt er mich, ohne sich groß mit einer gebührenden Begrüßung aufzuhalten. „Ihre Majestät ist verletzt!" Mein Entsetzen spiegel sich in seinen Augen, als ich bejahe. „Orks haben uns in der Morgendämmerung überfallen", erkläre ich schnell so viel, wie sie wissen müssen, und wende mich dann an untätig herumstehende Soldaten. Das Grauen überschattet die Jugendlichkeit ihrer Gesichter. „Ruft nach Meister Oin und lasst alles vorbereiten", befehle ich mit harscher Stimme und ernster Miene. Keine weiteren Minuten dürfen wir mehr verlieren. „Informiert auch Ihre Hoheit Prinzessin Dís, bereitet ihr aber weder unnötige Sorgen noch erschreckt sie. General Dwalin und die Meister Balin und Gloin werden bald eintreffen. Sie waren knapp hinter mir."
Sie neigen ihre Köpfe zur Annahme der Order und eilen los, keinen Augenblick zu früh, denn schon höre ich das rasch näherkommende Geklapper der Pferdehufe durch die Schlucht hallen. „Sie kommen!", ruft der Torwächter zu uns hinunter. Auch seine sonst so steinharte Stimme zittert wie haltlos von Hängen herabsausendes Geröll. Eine Nachricht ist es, die sich schnell im Berg verbreiten wird. Anders hätte sie lauten sollen: Der König kehrt mit Errungenschaften für Heimat und Volk zurück. Wie wenig interessiert dies nun und ich hoffe, nicht der Schatten des Todes wird sich auf diese Rückkehr legen.
Dwalin sehe ich zuerst um die letzte Wegbiegung galoppieren und mein Herz erstarrt bei dem Anblick des weiterhin bewusstlos in seinen Armen hängenden Thorins. Seine Stute schnauft ebenfalls völlig erschöpft, als sie endlich anhalten kann. Schaum bildete sich rund um ihre Nüstern und tief lässt sie den Kopf hängen. Viel und lange Pflege werden sie benötigen, um sich von der Anstrengung zu erholen.
Soldaten stürmen zu ihrem General und nehmen ihm vorsichtig den König ab. Erschlafft wie ein Toter gleitet er aus dem Sattel. Blass ist er und oh so kalt, als ich, nachdem sie ihn auf eine geholte Trage legten, seinen Arm berühre, um nach den Puls zu fühlen. Schwach schlägt er und besorgniserregend langsam. Das Weißmoos ist durchtränkt von Blut, aber leicht dunkelrot geronnen ist es bereits. Hoffentlich konnte es denn Fluss stoppen.
Gloin und Balin treffen wenig später mit den restlichen Ponys ein. Auch sie wirken erschöpft und dennoch in ihrer besorgten Aufregung gehetzt. Nur kurz sind Grüße und Anweisungen zur Versorgung der Pferde und wie die wieder mitgebrachten Waren gesichtet und verräumt werden sollen.
Alle zusammen eilen wir schließlich durch die Gänge. Keinen Blick verschwende ich dabei für die vertraute und so lange vermisste Umgebung, sondern richte ihn beständig auf Thorin. Ich verschließe mich vor dem Gefühl der Ankunft, wage nicht es zu fühlen, will es nicht, denn was wäre dies für ein einsames Zuhause ohne ihn.
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Noro lim – Laufe schnell (Sindarin)
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