Ein verzweifelter Kampf
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
„Wie konnte das passieren?!" Thorin ist, verständlicherweise, außer sich vor Zorn, während Vilí den Eindruck erweckt, er würde lieber auf die Klärung des wie und warum verzichten und vielmehr sofort zur Suche aufbrechen, derweil er allerdings so blass ist, dass ich befürchte, er drohe jeden Moment zusammenzubrechen. Jassin duckt sich unter den harten Worten des Königs, unterdessen sie den Ärmel des Kleides als Taschentuch missbraucht, um die beständig fließenden Tränen aufzufangen.
„Thatrûna sollte auf ihn aufpassen", schluchzt sie in heißeren Worten. „Sie ist doch schon so ein großes Mädchen und ich musste nur kurz ins Haus zurückkehren, um etwas Vergessenes zu holen, unterdessen sie zum Brunnen vorlaufen wollten. Fili beobachtet doch so gerne das Wasserspiel." Wahrlich verantwortungsbewusst ist Jassins älteste Tochter, niemals hätte sie sich mit dem Prinzen weiter fort als bis zum zentralen Platz des Adelsviertels gewagt. Sie weiß um die Gefahren. Etwas Gräuliches muss also geschehen sein.
Thorin schnauft dies ebenfalls befürchtend und dreht sich zu einigen Soldaten, die ebenso entgeistert über die Nachricht scheinen. „Geht und verkündet, dass ein jeder entbehrliche Mann nach meinem Neffen und der Dienerin suchen soll!", befiehlt er mit harschem Ton. Sein Habitus wirkt kalt und gefasst, jedoch erkenne ich an dem fieberhaften Blick, welch Angst ihn tatsächlich ergriff.
„Erlaubt mir, ebenfalls mit zu suchen, Majestät." Jassin fasste sich ein wenig, gleichwohl noch immer dankbar für meine haltenden Arme, richtete sie das Ersuchen an ihn. Thorin betrachtet sie einen Moment und nickt dann billigend. „Ich werde mit ihr gehen", bestimme ich selbstbewusst und er weiß, dass er mich sowieso nicht davon abzubringen vermag. Er befiehlt jedoch einem jungen Soldaten, uns zu begleiten.
Auf die Umgebung im und rund um das Adelsviertel konzentrieren wir uns, suchen sämtliche Winkel und jegliche Seitengasse ab. Fragen bei den Bewohnern und Angestellten und ein Jeden dem wir begegnen nach, ob sie den Prinzen gesehen haben, aber alle verneinen, versprechend gleichwohl ebenfalls mit zu suchen. Letztendlich, Abenddämmerlicht fällt bereits durch die Luftschächte in den Berg, begeben wir uns unter eine der Brücken, die unweit des Torbogens einen schmalen Krater überspannt. Sein Grund ist übersäht mit bunten Blumen aus Papier und Stoff. Eine letzte Möglichkeit, die uns einfiel, dass Fili sich dort vielleicht versteckt. Jedoch etwas Grauenvolles entdecken wir anstatt ihm zwischen all der Schönheit liegen.
„Um Mahals Willen", keucht Jassin und dreht sich mit vor den Mund zusammengeschlagenen Händen von dem schrecklichen Anblick fort. Der uns begleitende Soldat beugt sich zu seinem Kameraden hinunter, rüttelt sichtlich ebenso erschrocken, jedoch es uns nicht zeigen wollend, heftig und geradezu verzweifelt wirkend, an seiner Schulter. Gleichwohl die durch eine große, vermutlich durch einen gewalttätig ausgeführten Schlag verursachte Wunde an seinem Kopf überall blutgetränkte Uniform verdeutlicht, dass er zweifelsohne nicht schläft.
„Das ist Ake, er war heute für die Wacht an der Brücke eingeteilt", informiert er uns. Der Verlust schmerzt ihn unverhohlen sehr. Mehr als bloße Kameraden eines Regiments waren sie vermutlich. „Es tut mir leid", versuche ich ihm Trost auszusprechen und beuge mich eine Hand auf seine Schulter gelegt, ebenfalls zu dem Gefallenen hinunter. So gramvoll jung war er noch. Ich streiche über sein bereits kalt erstarrtes Gesicht und schließe so die bisher in unerwartet erfahrenen Schrecken weit offenen Augen. Wer auch immer für seinen viel zu frühen Tod verantwortlich ist, muss büßen und ist womöglich ebenso des Verschwindens von Fili und Thatrûna schuldig.
Jedoch nicht die Gelegenheit habe ich, die aufkommende Wut über dieses Scheusal stärker als die Angst um sie werden zu lassen, da höre ich plötzlich Jassins erschrockenen Aufschrei. Befürchtend, sie hat ein weiteres Opfer gefunden, drehen wir uns zu ihr um, sehen dann aber, dass es noch sehr viel furchtbarer ist.
Ein mir unbekannter Zwerg hält sie mit festen Griff gefangen. Sein Gesicht ist von klaffenden, sich wiederholt überkreuzenden Narben entstellt, der Bart kraus und ungepflegt, die Augen so dunkel, dass sich die Iriden nicht von den Pupillen unterscheiden lassen. Wild und gefährlich sieht er aus und das boshafte Lächeln, während eine seiner dreckigen Hände grob Jassins Mund zuhält, bereitet mir eine ungeheure Angst, die bislang kein ins Angesicht getretene Feind verursachen konnte.
Unser Beschützer zieht sein Schwert und ich bereue es zutiefst, das meine nicht mit mir zu führen. Nur Dwalins Dolch, den er mir einst schenkte, trage ich ständig am Gürtel. Das Lächeln des Zwerges wird jedoch spöttisch, als ich ihn zur Hand nehme.
„Lass sie los!", fordert der Soldat und geht nachdrücklich einen Schritt auf den Angreifer zu. Mutig ist er trotz des jungen Alters und der daraus resultierenden wenigen Kampferfahrung. Aber der fremde Zwerg lacht darüber. Ein so schaudererregendes Lachen wie ich noch niemals eines hörte. „Nein", brummt er dann und drückt Jassin umso fester an sich. Aus ihren weiten Augen fließen die Tränen der Angst. Angst um ihr Leben und das des Kindes, das sie erneut erwartet. Niemand außer Bofur und mir wissen es bislang, denn zu sehen ist es noch nicht, doch gefährdet jede Aufregung die Schwangerschaft.
Ich suche daher verzweifelt nach einer Möglichkeit sie zu befreien. Einem Angriffspunkt, einer Schwachstelle, irgendetwas. Keine sichtbare Waffe oder Rüstung trägt der Zwerg, ist durch die Gefangennahme in seiner Verteidigung eingeschränkt, zu bullig, um schnell genug auszuweichen. Wenn ich ihn angreife, dann muss es unvorhergesehen und behände vonstattengehen. Daher langsam verlagere ich das Gewicht auf den vorderen Fuß, versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich vorstürmen will. Jedoch der günstigste Moment für eine Gelegenheit bietet sich mir nicht mehr, denn jäh prescht ein weiterer Zwerg von der Seite auf uns zu. Hinter einer Säule der Brücke hielt er sich bislang versteckt und sein Angriff ist so unerwartet schnell, dass der Soldat keine Aussicht hat, sich gegen ihn zu verteidigen. Der kräftige Schlag eines Knüppels auf seinen Hinterkopf lässt ihn augenblicklich in sich zusammensacken. Ich befürchte, auch er wird diesen nicht überlebt haben.
Der zweite Angreifer ist noch entstellter als sein Kumpan. Sein linker Arm endet kurz unterhalb des Ellenbogens in einem mit dreckigem Stoff umwickelten Stumpf. Eine große quer darüber verlaufende Narbe teilt das Gesicht wie ein Blitz in zwei Hälften, wobei die obere davon mit schwarzer Farbe bemalt wurde, um ihn noch gefährlicher erscheinen zu lassen.
Unberührt von seiner Tat, steigt er über den eben Getöteten hinweg, um sich mir gelassenen Schrittes zu nähern. Ich hebe meinen Dolch und provoziere dadurch genauso bei ihm ein hämisches Grinsen. Jedoch weiß er ebenso nicht, dass mir Dwalin diesen natürlich nicht ohne eine effektive Unterweisung überließ. Körperlich eingeschränkt ist der Gegner zudem und Stärke nicht alles.
Daher ihn überraschen wollend schnell stürme ich los und ramme ihm die zweischneidige Klinge in die linke Brust, jedenfalls will ich dies, denn auf den Widerstand eines verborgenen Harnisches prallt sie und dringt dadurch nicht tief genug ein. Ich bin zu frustriert darüber, als dass es mir gelingen könnte, der heranschnellenden Faust rechtzeitig auszuweichen. Hart trifft sie auf meine Wange. Alles dreht sich, verschwimmt in Schleiern vor den Augen, ich schmecke metallisches Blut und taumle zurück. Der Zwerg folgt mir, zieht sich dabei unberührt den Dolch aus der Brust und schmeißt ihn keines Blickes würdigend wie wertlosen Plunder inmitten der künstlichen Blumenpracht.
Mit aller Verzweiflung und Kraft eines Kriegers versuche ich die drohende Ohnmacht zu bekämpfen. Der Schlag traf mich hart und unvorbereitet. Im Faustkampf bin ich ungeübt. Gleichwohl ich kräftig bin, gegen einen Angreifer, noch dazu, wenn dieser ein Mann ist, besteht keine Aussicht auf einen Sieg. Das weiß ich und das weiß offenkundig auch er, denn dünkelhaft ist sein Grinsen. Dennoch bereite ich mich auf den mit jeden seiner Schritte herannahend Kampf vor.
Ich beobachtete Dwalin oft bei solchen. Schnell und wendig bin ich zudem, nicht leicht zu ergreifen, Erfahrungen aus dem Schwertkampf können mir auch hierbei zu Nutze gereichen. Ein wohlplatzierter Schlag, in die Mitte der Brust, unterhalb des Gürtels, an eine empfindliche Stelle des Halses, irgendwo hin, so dass der Schmerz ihn kurzzeitig schwächt, würde mir einen Vorteil und etwas Zeit verschaffen. Vielleicht findet uns in dieser einer der Wachen oder der Tumult fällt einem über die Brücke Laufenden auf. Hoffnung habe ich, wenn sie auch verschwindend klein ist.
Dennoch, sie blüht verblüffend lange. Trotzend dem Schwindel, dem Übelkeit erregenden Geschmack von Blut, der den Mund erfüllt, den Schmerzen, die die Sinne und Gedanken betäuben, kann ich meinem Angreifer immer wieder ausweichen. Überrascht von dem Widerstand, wird er mit jedem misslungenen Schlag und Versuch, mich zu ergreifen, wütender. Das blasierte Lächeln verschwindet allmählich aus seiner Fratze. Jedoch das fuchsteufelswilde Funkeln in den Augen ist umso angsteinflößender.
„Nun mach schon", treibt sein Kumpan, der Jassin weiterhin festhält, ihn an. „Sag bloß, du bestehst nicht gegen dieses kleine Mädchen." Noch ungehaltener wird seine Wut durch den Hohn, was mir nur zugutekommt, denn mit mehr Kraft als Verstand führt er die Schläge daraufhin aus. Sie verlieren sich ohne große Anstrengung meinerseits in die Leere. Dagegen mir gelingt es sogar, einige an schmerzhaften Stellen zu platzieren. Seine Statur ist allerdings kräftiger als unter den zerlumpten Kleidern vermutet. Allzu oft treffe ich auf harten Stein. Keine Wirkung zeigen die Mühen. Lediglich ermüdend wirken sie auf uns beide.
Die Schmerzen pochen sich immer unbarmherziger ihren Weg von der Wange den Kopf empor. Wieder und wieder muss ich für einen schwachen Moment innehalten, um den Schwindel zu bezwingen. Die Gedanken treiben derweil zu Fili und Jassin und ihrer Tochter. Es ist meine Pflicht, für sie stark zu bleiben, bis jemand kommt, um uns zu helfen. Jedoch ich kann nicht mehr. Jede Bewegung schmerzt mittlerweile. Die Muskeln brennen und alles um mich herum wirkt gehüllt wie in Nebel. Die Angreifer lachen über die Schwäche.
„Gib endlich auf, kleine Hure!", höhnt mein Gegenüber. Die letzte klägliche Kraft sammle ich in mir, stürme auf ihn zu, aber der taumelnde Angriff wird ohne Probleme abgewehrt. Grob fasst er den Arm, wirbelt mich herum und dreht ihn mir auf den Rücken. Sein feuchter, nach abgestandenem Bier stinkender Atem trifft auf die schmerzende Wange, als er mit rauer Zunge über sie leckt. Ich schreie auf. Bislang unbemerkt aufgesprungen ist die Haut dort wohl und mein Blut eine Delikatesse für ihn.
„Na also", raunt er und der Gestank, die Erniedrigung, die Verletzungen, die Erschöpfung ... alles auf einmal ist zu viel. Die mürben Muskeln geben nach. Das Bewusstsein trübt sich mehr und mehr. Ich höre das gehässige Lachen, Jassins Schrei, das Knacken des sich ausrenkenden Schultergelenks, als der Griff ungeachtet gröber denn bislang bereits wird. Der Schmerz überwältigt mich. Keine Verletzung bisher war so qualvoll. Das schwache Aufstöhnen, zu dem ich gleichwohl nur noch fähig bin, eine Genugtuung für den Zwerg, der sich hart meinen Körper drückt.
„So kämpferisch. So schön", flüstert er, während seine Zunge über die Wange den Hals hinuntergleitet „Du wirst einen guten Preis einbringen." Es schaudert mich. Oh Mahal, was wird nur mit uns geschehen.
Und dann ... wird alles schwarz ...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top