Ein unbestimmtes Gefühl

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Disa lächelt zufrieden mit sich und ihrem Aussehen, nachdem ich ihre Frisur herrichtete. Das Gespräch mit ihrem Bruder drehte sich wohl nicht um wichtige Dinge, trotzdem er sich so ernst gebärdete. Einen Finger nachdenklich auf die vollen Lippen gelegt, besieht sie sich anschließend die Auswahl an mitgebrachten Kleidern. Keines davon scheint ihr heute zu gefallen, obwohl sie alle gleichsam betörend in ihrer Herrlichkeit sind und sie einige von ihnen noch nicht tragen konnte.

„Welches ist die Lieblingsfarbe Ihrer Majestät?", fragt sie schließlich. Ihre Stimme lässt sie auffallend beiläufig klingen, als würde sie sich lediglich nach dem morgigen Mittagessen erkundigen. Ich stutze für einen Moment getrieben durch Argwohn, will ihr allerdings keine durchtriebenen Hintergedanken unterstellen. Vielleicht interessiert es sie aus einem anderen, völlig belanglosen Grund. „Blau", antworte ich daher wahrheitsgemäß, „aber diese trägt er heute nicht." Eine Entkräftung des Verdachts soll der Hinweis erwirken, jedoch genau das Gegenteil bedingt er.

Disa wendet sich mir aufmerksam zu, bittet allein mit dem Blick, zu erzählen, welche Farben er stattdessen dem Anlass entsprechend auftrug. Ich zögere erneut. Aufeinander abgestimmte Gewänder während eines offiziellen Ereignisses zu tragen symbolisiert eine Verbindung zwischen Frau und Mann, die einem Gelöbnis gleichkommt. Versprochenen und Eheleuten ist dies gestattet, allerdings wenn eine Affäre oder Liaison offenbart werden soll, wird es ebenso gerne als Mittel erster Wahl eingesetzt. Vielleicht jedoch nur in unseren Hallen. „Schwarz, Gold, Silber und Eisenrot", offenbare ich daher. Disa schaut zurück auf die Auswahl ihrer Kleider, überlegt angestrengt, scheint nicht zufrieden, denn keines enthält die genannten Farben zur Gänze.

„Hast du zufällig ein Kleid, dass zu seiner Aufmachung passen könnte? Ich würde so gerne Eindruck bei ihm hinterlassen." Nun gänzlich eindeutig ist, dass eine Absicht hinter dem Wunsch steckt, ihm gleich aufzutreten, und ihr die Bedeutung dahinter ferner nur allzu geläufig ist. Ich nicke daher, wenn auch beklommen. Gleichwohl gefährlich oder unmoralisch wäre ihr Handeln nicht. Thorin ist ungebunden, niemanden versprochen, genauso wie sie, Balin sowie andere würden eine Verbindung sogar mehr als begrüßen. Dennoch ein eigenartiger Widerstand baut sich in mir auf. Nicht beschreiben kann ich seinen Ursprung noch das Gefühl. Wie etwas Bohrendes, jedoch gleichzeitig tief Fallendes, das im Herz schmerzt und brennende Tränen in die Augen treiben möchte.

„Kann ich es mir vielleicht ausleihen?" Ich will sie nach den Gründen fragen, will wissen, was sie damit beabsichtigt und warum. Aber wie zugeschnürt fühlt sich meine Kehle an. Das Recht fehlt mir eine Annäherung zu unterbinden. „Ich werde es dir holen", sage ich daher schließlich doch gequält, obwohl sich jede Faser des Körpers dagegen zur Wehr setzt.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Disa strahlt in dem Kleid, dass ich ihr zur Verfügung stellte. Aus schwarzem Satin ist es, abgesetzt mit goldenen Borden an dem herzförmigen Ausschnitt und den Säumen von Rock und langen Schleppärmeln. Das Mieder aus eisenerzrotem Samt schmiegt sich perfekt um ihre üppige Taille. Jede Rundung des Körpers wird vollendet zur Geltung gebracht. So einige der anwesenden Männer, selbst die in weiblicher Begleitung, drehen sich zu ihr um, während sie an der Seite ihres Bruders den Ballsaal hin zum Königsthron durchschreitet.

Sie verbeugen sich vor Thorin, respektvoll tief, jedoch nicht zu sehr, und er entgegnet gleichermaßen. Gewiss sein Blick, der währenddessen nicht von Disa lässt, fällt wohl nicht nur mir auf. Eigenartig hungrig erscheint er, als würde er einen kostbaren Edelstein fixieren, nach dessen Besitz es ihm verlangt. Ohne jeglichen Zweifel bemerkte er die farbliche Abstimmung ihres Kleides auf seine Gewänder. Zu auffällig ist dies. Zu vielsagend.

„Der Wohlstand kehrte in unsere Hallen zurück", eröffnet der König schließlich den Ball mit einer Ansprache. „Gefangen in tiefst-dunkler Verzweiflung ließ uns Mahal längst vergessene Wunder entdecken und schickte uns Vögel, die die Geheimnisse des Steins mit ihren bezaubernden Stimmen ergründeten. Lasst uns dankbar sein für all die Güte! Lasst uns die Wende gebührend feiern! Lasst uns trinken auf die Zukunft!"

„Hört, hört! Ein Hoch auf unseren König!" Der sofort aufbrausende Jubel über den Inhalt seiner Worte, kaum dass er endete, übertönt das Klirren der aneinanderstoßenden Weingläser. Thorin erhebt sich würdevoll von seinem Thron, nimmt sanft die Hand seiner Schwester, die bislang neben ihn stand, und schreitet mit ihr in die Menge der Feiernden. Unauffällig folge ich ihnen, bis sie vor den Gästen aus den Eisenbergen stehen bleiben. Erneut hungert Thorins Blick nach Disas Erscheinung. Ob er sich erinnert, dass ich dies Kleid einst trug? Er es mir erst letztes Jahr als Geburtstagsgeschenk überreichte? Ich bezweifle es sehr.

Die Musik beginnt zu spielen. Paare tanzen im angestimmten Menuett. Grüppchen von älteren Herren und jungen Damen bilden sich, um belanglose oder hochtrabende Gespräche zu führen. Es wird gegessen und getrunken. Alles scheint perfekt und Einjeder glücklich und frohgestimmt zu sein.

Jedoch erneut steigt dieses eigenartige Gefühl in mir auf, als Thorin Disa unerwartet um einen Tanz bittet. Selten, eigentlich nie, weder mit seiner Schwester, noch mit mir oder anderen Damen, tanzt er auf Bällen. Immer wachsam, immer ernst, immer erhaben über solch profane Vergnügungen muss ein König bleiben. Daher nicht nur mich wundert diese vielsagende Handlung. Allerlei erstaunt weit aufgerissene Augen mit hochgezogenen Brauen gekrönt sind auf beide gerichtet, während er sie in die Menge der bereits Tanzenden geleitet.

In meinem Bauch beginnt es zu rumoren, als hätte ich Tage nichts mehr zu mir genommen. Ganz schlecht wird mir plötzlich und ab wenden muss ich mich von dem Anblick, jedoch darum bemüht, nicht den Eindruck zu erwecken, es wäre, weil er mir verhasst ist. Auf die Suche nach Dwalin begebe ich mich, um Ablenkung in seiner Gegenwart zu finden und mir bestätigen zu lassen, dass ich etwas unnötig Eingebildetes in Disas Handlung sehe. Mit Bruder und einigen Offizieren seiner Garde zusammen, verweilt er in einer Ecke des Ballsaals und nippt gelangweilt an seinem Weinglas, verzieht die Mundwinkel jedoch zu einem aufgeheiterten Lächeln, als er bemerkt, dass ich näherkomme.

„Du siehst hübsch aus", raunt er mir flüsterleise zu, nachdem ich ihn und die anderen Herren standesgemäß begrüßte und mich nahe ihm stellte. Seine Anwesenheit beruhigt sofort den rumorenden Bauch. Zumindest ein wenig. Ich lächle verlegen ob des ehrlich gemeinten Kompliments und lausche eine Weile dem Gespräch über die erfolgreichen Abbauarbeiten in den ausgesprengten Minen und das nun auch endlich wieder Eisen für die Herstellung von ebenso knapp gewordenen Rüstungen und Waffen bereitsteht. Die Ausbildung neuer Rekruten drohte deswegen gestoppt zu werden.

„Aber lasst uns nicht weiter über Vergangenes reden", schließt Balin letztendlich die Diskussion, „und lieber auf die Zukunft schauen, so wie unser König es anwies. Was meinen Blick auf die Tanzfläche schweifen lässt." Unwillens bin ich, es ihm gleichzutun. Der Anblick würde das elendige Gefühl nur zum wiederholten Male aufkommen lassen. Ich hasse und schelte mich ihm. Froh gestimmt müsste ich darüber sein, dass Thorin an einer Frau Gefallen und vielleicht sein Glück mit ihr findet. Die Nachkommenschaft des Hauses Durin wäre womöglich mit dieser starken, einbringlichen Verbindung gesichert, auch wenn sie aufgrund ihrer Unmündigkeit noch nicht geschlossen werden kann.

„Ich allerdings weiß nicht so recht, ob die Aussicht mir gefallen soll oder nicht", brummt Dwalin und nippt einen weiteren Schluck Wein. Sein Bruder bestraft ihn mit bös-ernster Miene für die Aussage. Eine eingefahrene Meinung hat er als Berater des Königs, denn schon so oft mahnte er das ungebundene Dasein. Jedoch hörte Thorin nie auf ihn, winkte mit dem Verweis auf das lange Leben der Durins ab, und das er dadurch doch noch viel Zeit hätte, um eine Frau zu finden und Nachkommen zu zeugen.

Gleichwohl weiß Balin genauso wie wohl jeder, welch Tatsache Dwalin zu einer solchen Auffassung bewegt. Dáin verfolgt ein genaues Ziel und durch die Umstände der letzten Zeit hätte er eigentlich genügend Prämissen, um Thorins bislang abwehrende Position diesem näher zu bringen. Allerdings nicht dumm ist er. Eine Verbindung beider Hallen durch eine Heirat oder sogar nur das Versprechen darauf, sobald seine Schwester mündig wird, würde die Selbstständigkeit der seinen sichern. Vielleicht begründet sich ja das eigenartige Gefühl in meinem Inneren auf den gleichen Umstand?

Das Menuett endet und die Tanzpaare verbeugen sich oder knicksen dankbar voreinander. Disa legt vertrauensvoll ihre Hände um Thorins Oberarm, damit er sie von der Fläche in der Mitte des Saals hin zu ihrem Bruder führen kann, der zufrieden wirkend an dessen Rand wartet. Es sticht mir im Herzen sie so zu sehen, scherzend und lachend und so vertraut miteinander umgehend.

Thorin bedankt sich erneut mit einer leichten Verbeugung, verweilt aber bei ihnen und befiehlt einen Diener heran, um Wein für sie zu ordern. Mich abermals für das Gefühl scheltend, wende ich den Blick wieder ab. Dwalin bemerkt es. Natürlich. Einen feinen Sinn hat er für jegliche Veränderungen des Gemüts seines Gegenübers, auch wenn niemand diese Fähigkeit dem starken, unnahbar erscheinenden Krieger zuschreiben würde.

„Geht es dir nicht gut?", fragt er besorgt und so leise, dass die Umstehenden es nicht hören mögen. Ich schüttle den Kopf, besinne mich dann jedoch wieder, um ihn nicht noch mehr zu beunruhigen oder einen Verdacht aufkommen zu lassen. „Ich bin nur etwas müde. Es war ein langer, aufregender Tag." Er legt zärtlich eine Hand an meinen unteren Rücken. Warm ruht sie dort. Beschützt mich. Besänftigt mich.

„Möchtest du dich zurückziehen? Ich gebe Thorin Bescheid." Lieb ist seine Fürsorge. Glücklich kann ich mich schätzen, ihn als Freund und Vertrauten zu haben. Vielleicht besser wäre es. Keinen Spaß empfinde ich heute an dem Vergnügen und irgendwann wird dies nicht nur ihm auffallen.

„Würdest du mit mir kommen? Ich will jetzt nicht allein sein." Sein Blick ändert sich ob der ungewöhnlichen Bitte, wird sanft, erfüllt von Hingabe und Begeisterung. Niemals zuvor sprach ich so offen darüber, seine Nähe zu benötigen. Er nickt sofort und bittet seinen Bruder, uns beide bei Thorin zu entschuldigen. Balin lächelt, hochgestimmt davon, nicht nur seinen König von Frauenhand umhegt zu wissen.

Langsam gehen wir zurück zum Anwesen. Wohler wird mir sofort, als die kühle Luft des Ganges das Gesicht streift. Weitere Damen und Herren begegnen uns, denen die Stimmung im Ballsaal ebenfalls zu viel wurde oder die sie gegen die unzweifelhaft von steifer Etikette losgelöste in den Straßen und Gassen des Berges eintauschen wollen.

„Was ist es wirklich, dass dir Unwohlsein bereitet?" Seine Nachfrage überrascht mich nicht. Er weiß, dass sich Müdigkeit anders bei mir zeigt. Jedoch über die Gründe reden will ich nicht. Sie sind zu lächerlich und sie zu verstehen für mich selbst ein Unding. Daher eine Antwort bleibe ich ihm ohne Bammel schuldig, denn verargen wird er mir dies nicht.

Dunkel und still ist es im Anwesen. Die Bewohner und Gäste befinden sich fast ausnahmslos auf den vielen Festen. Nur eine Amme für die Kinder des Hauses blieb hier, aber diese wird bereits zusammen mit ihnen zu Bett gegangen sein.

Mein Gemach ist warm, denn das Feuer im Kamin brannte erst vor kurzem herunter, wie die weiterhin schwach glühende Asche zeigt. Dwalin legt neue Scheite auf und entfacht sie mit einem langen Zündholz, während ich mich hinter den Paravent zurückziehe, um das steife, schwere Kleid abzulegen.

Keine Bedenken noch falsche Scham hindert daran, mich ihm nun einzig bekleidet mit der weißen Chemise, die ich darunter trug, zu zeigen. Sehr viel mehr sah er unlängst von mir. In Situationen der Hilflosigkeit, geschwächt von Verzweiflung, Kampf, Verletzung und Blut. In solchen der Melancholie, tief traurig ob des Verlustes geliebter Zwerge. Er kennt mein Innerstes. Sorgen und Ängste, Erinnerungen und die Nachwirkungen von Ereignissen, die mich trotzdem sie lange zurückliegen, weiterhin in Träumen heimsuchen. Nackt sah er Leib und vor allem Geist auf so viele Weisen bereits.

Er löscht die Kerze, die wir mitnahmen und ich auf dem Nachtischchen abstellte, entkleidet sich im Dunkeln - gewiss nicht gänzlich - und krabbelt zu mir unter die schwere Bettdecke. Warm ist sein Körper, an den ich mich tief seufzend schmiege. Stark der Arm, den er um den meinen legt. Langsam schlägt sein Herz in der nackten Brust, auf die ich den Kopf bette. Dennoch einige Minuten benötige ich, um die Anspannung des Abends ziehen zu lassen.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Thorin würde sich niemals von dir abwenden, egal was kommen mag." Seine Stimme brummt leise in der Dunkelheit. Wie der schnelle Flügelschlag einer Hummel. Ist es etwa das, was mir Unwohlsein bereitet? Die Furcht davor, seiner Gunst nicht mehr eigen zu sein, wenn er eine Frau an seiner Seite findet, die sich womöglich besser um ihn bemühen kann als ich, denn viel Zusätzliches von dem würde sie ihm bieten können, wonach doch jeder Mann giert. Ich seufze erneut und vergrabe die Nase tief in den Haaren seiner Brust. Unwiderstehlich riecht er dort. Langsam, umweht von Dwalins Duft, dem Geräusch seines ruhigen Atmens und gewärmt von seiner Nähe, schlafe ich schließlich ein.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top