Ein Schatten umgeben von Feuer
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Vorwurfsvoll betrachten mich die beiden Wächterraben mit ihren starren(den) Augen. Ihr Obsidiangefieder schimmert im durch einen der Luftschächte eindringenden Mondlichtstrahl und lässt sie geradezu lebendig erscheinen. Als könnten sie augenblicklich ihre steinernen Flügel zur vollen Pracht entfalten und davonfliegen in die weite, gefährliche Welt. Jedoch weiterhin durch ihre Größe erhaben über allem thronen sie auf dem breiten Steinbogen der Eingangstür.
Bereits so oft passierte ich diese, nachdem ich sie das erste Mal an Dwalins Seite durchschritt und voller Aufregung und von der Fulminanz des Prunks rundherum verwirrt mein neues Leben betrat. Diesem Leben fernab von Hunger, Gewalt und Armut, das ich bis dahin kannte, hasste und mit verbissenem Willen trotze, so, als wäre es mir vorherbestimmt gewesen, irgendwann einmal Besseres zu erfahren.
Nun jedoch ist dies in Gefahr, denn nichts wird mehr so sein wie vorher, sollte Thorin sterben. Ich spüre das Unheil näherkrauchen. Wie ein schattenhafter Dämon schwebt es im Gewölbe, dringt mit den dürren Fingerkrallen tief in Gesteinsspalten und versucht die Kuppel, die unser aller Leben schützt, so zum Einsturz zu bringen. Wie abgründig hasse ich es dafür. Wie wünsche ich mir, es mit dem Schwert zerschlagen oder allein mit dem Willen bekämpfen zu können. Jedoch um die Schwäche, die mir trotz all dem Erlebten und Erlernten anhängt, weiß der Schatten und kriecht näher, einer riesigen Spinne gleich, die an der Wand entlang auf ihre Beute zuhält. Bedrohlich erhebt er sich vor mir. Die Augen des Dämons in den schleierhaften Schwaden der Dunkelheit stechend blau wie ein Fluss aus Eis, in dem ich unvermittelt einbreche. Gemächlich streckt er seine Krallen nach mir aus, denn erstarrt von der Kälte halte ich inne, kann mich ihrer nicht erwehren. Selbst der Schmerz fleischverletzender Fänge, die sich langsam um meinen Hals schließen, vermögen sie nicht zu lösen.
Dann jedoch höre ich hinter mir ein Krächzen. Wütend klingt es. Laut hallt es durch die Halle. Der Dämon erschreckt sich vor ihm und zieht die Klauen zurück, zischt zornig und lässt seine Schattengestalt erzittern, um erneut bedrohlich zu wirken. Gleichwohl aus dem bannenden Blick vermag ich ihm durch die Ablenkung zu entkommen.
Ich wende mich um und sehe die zwei Raben tatsächlich lebendig werden. Mit sich spreizenden Schwingen befreien sie sich von der letzten Steifheit des Obsidians, gleichwohl ihr Gefieder fortwährend seinen Schimmer trägt. Sie Recken die Hälse und der Größere von ihnen stößt erneut ein finsteres Krächzen aus. Ungeahnte Kraft erweckt es tief in meinem Herzen.
Der Schatten hinter mir schimpft darüber. Seine Erscheinung wirkt kaum mehr unheildüster. Bleich schwindet er allmählich, nachdem ich mich ihm mit rabenschwarzem Antlitz stelle. Dennoch weiterhin will er sich nicht geschlagen geben. Seine Augen funkeln. Packendes Eis von Sonnenstrahlen beschienen. Wunderschön und tödlich zugleich. Jedoch seine Macht vermag es nicht mich erneut zu erstarren und als sich die beiden Raben schwer auf meinen Schultern niederlassen, schreit der Dämon sich des unvermeidlichen Untergangs bewusst werdend. Ein gräulicher, das Gestein erschütternder Schrei, voller Zorn und gekränkter Bedeutung.
Abnehmend erblasst er. Die einst so abscheulichen Krallen verschwinden in dem Nebeldunst. Das Licht der Augen verglimmt allmählich. Er schrumpft in sich zusammen. Wird kleiner, immer kleiner und blasser und schwächer. Ich trete unverzagten Schrittes auf ihn zu, aber er weicht nicht nur davon eingeschüchtert zurück. Meine Hand strecke ich nach ihm aus, will das Unheil mit einer Berührung endgültig vertreiben. Der Dämon zischt ein letztes Mal und sein frostiger Atem vereist mir die Fingerspitzen. Jedoch unberührt dringe ich weiter zu ihm vor. Der Nebel seines mickrigen Daseins legt sich erstaunlich weich auf die Haut. Tief in mir weiterhin beunruhigt von der einstigen Gestalt, bereitete ich mich auf marternde Schmerzen vor. Auf Kälte und Knochenhärte. Verzweiflung, die versucht Herz und Handlung zu entmutigen und Brutalität, die den Körper zutiefst verletzt. Jedoch nichts davon verspüre ist.
Angst ist es, die sich mir offenbart. Hatte das Unheil sie bereits von Anfang an, wirkt es daher so bedrohlich und lässt den Ansichtigen durch seinen Blick erstarren? Der Befürchtung wegen, dass die Ehrfurcht vor der Kraft seines Gegenübers entdeckt wird? Oder bekämpfte ich erst den Schrecken mit Willen und Mut? Keine weitere Gelegenheit bietet sich mir darüber zu sinnieren, denn mit einem letzten Schrei entschwindet der Dämon des Unheils in das gestaltlose Nichts, das Ea umgibt.
Weiterhin schwer lastet die imposante Autorität der beiden Rabenvögel auf meinen Schultern, drückt sie hinunter und vermittelt dadurch einprägsam das Empfinden des Umstandes unter ihrem Einfluss zu bestehen. Wie oft schon erdrückte mich die Verantwortung, auf ihren Sohn zu achten. Wie oft schon musste ich beweisen, wie wohl ich dieser Aufgabe gewachsen bin. Es ist meine geschworene Pflicht, das Unheil von ihm und seiner Familie fernzuhalten.
Unerwartet jedoch entschwinden sie mit kräftigen Schwingenschlägen und kreisen hoch oben im Gewölbe der Halle. Ihr heiseres Krächzen wie ein Bannspruch, der das erneute Eindringen von Unglück unterbinden und das bereits im Gestein lauernden Übel endgültig vertreiben soll. Ihr Gefieder schimmert, als bestünde es aus dem reinsten Labradorit auf Erden, wenn sie die silbernen Mondlichtstrahlen kreuzen. Ich beobachte sie eine Weile erfüllt von Andacht und Respekt. Starke Tiere sind sie. Schlau und rechtschaffen und unendlich loyal gegenüber denen, dem sie ewigliche Treue schwören.
„Folge uns", wispern ihre kratzigen Stimmen plötzlich in meinem Kopf. Lang ist es her, dass einer von ihnen zu mir sprach. Sie wählen mit Bedacht, wem sie diese Fähigkeit offenbaren, denn selbst zu überbringenden Nachrichten muss man sich erst in ihren dunklen Augen würdig erweisen. Dennoch zögere ich. Wohin möchte ich wissen, was wollen sie mir zeigen in dieser traumhaften Sphäre jenseits aller Wirklichkeit. Jedoch keine Antwort erhalte ich.
Einer von ihnen fliegt stattdessen heran und setzt sich auf den Bogen einer nahen Säule. „Folge uns", krächzt er erneut verständlich. „Nâthu karâk ... folge uns, und das Verderben deiner Sippe wird dir offenbart, das du nur mit Herzenskraft verhindern kannst." Ich stütze. Nâthu karâk, Rabentochter, welch seltsame, unpassende Bezeichnung, denke ich, jedoch nicht zu laut, denn ebenso wie ich sie in Gedanken höre, vermögen sie sich der meinen zu bemächtigen und als infame Beleidigung könnte er den Einwand auffassen. Raben verargen solcherlei schnell und ihr Schmollen ist bitterer zu ertragen als das eines pikierten Zwerges.
Also folge ich ihm trotzend der Zweifel, als er sich wieder erhebt und zu seinem Gefährten aufschließt, der bereits vorausflog. Durch vertraute Gänge leiten sie mich immer tiefer in den Berg hinein. Jedoch bald schon wechselt das Gestein. Fremder wird es. Stiller und älter. Die Fachkunde mit dem es behauen wurde so sorgfältig eingesetzt, dass die nach Orientierung heischenden Fingerspitzen in der plötzlich aufkommenden Dunkelheit über vollkommen ebene Wände gleiten. Jedoch noch etwas anderes wohnt in ihnen. Eine finstere, verstörende Präsenz gefährlicher Art. Sie erhitzt das Gestein, als würde zerstörendes Drachenfeuer gegen es branden, und lässt mich aufkeuchend vor Seelenschmerz zurückweichen.
Ich höre das Flügelrauschen eines mir dies hoffentlich erklären könnenden Raben. Allerdings, viel zu laut braust es durch den weiten Gang und der ob des stürmischen Luftstroms aufgewirbelte Staub kratzt im Hals und lässt mich husten. Etwas kommt näher. Sehen kann ich es nicht, lediglich spüren. Einem Schatten gleich, der jedoch wenig gemein hat mit dem des dämonischen Unheils. Es ist die Präsenz, die den Stein heimsuchte, gleichwohl um ein Vielfaches an Schrecken gewachsen, da es sich aus seiner Bannung befreien konnte. Überall scheint es Gegenwärtigkeit zu erlangen. Hinter mir. Vor mir. Über mir. Keinerlei Angst wohnt in ihr, denn sie ist sich ihrer Stärke und Macht nur allzu Verderben bringend bewusst.
Ich schließe meine Augen und horche in die Dunkelheit, versuche, den Feind zu erkennen, obwohl tief in mir die Gewissheit schmerzt, keine Waffe, derer ich kundig bin, vermag dieser Gefahr ebenbürtig zu sein. Jedoch plötzlich zieht sie sich zurück. Nicht aus Furcht, sondern mit Berechnung. Ich hadere mit mir ihr zu folgen, denn unzweifelhaft in ein Verderben locken will sie mich. Dennoch die Neugierde und ein Gefühl, dass das Wissen ob der Gestalt in der sie droht, uns in den Abgrund zu stürzen, Vorteil bringen wird, siegt schließlich über die Unschlüssigkeit.
Langsam blicke ich wieder auf und finde mich unvorhergesehen stehend vor einer gewaltig hohen Tür. Ihre prunkvoll mit Goldornamenten, eingelassenen Edelsteinen und Silberbeschlägen ausgestatteten Flügel sind fest verschlossen. Hockende Zwergenkrieger aus Stein unterbauen mit ihren kampfstarken Armen sie säumende Granitsäulen, die einen Vorsprung stützen. Auf ihm sitzen die beiden Raben und mustern mich stumm. Einen Moment befürchte ich, sie wandelten sich wieder zu kaltem Obsidian, jedoch dann kommt einer von ihnen zu mir heruntergeflogen. Seine Krallen kratzen laut auf dem glatten Gesteinsboden, als er näher hüpft.
„Das, was du fürchtest, kennt dich nun. Das, was du kennst, fürchtest du noch nicht genug", krächzt er unheimlich. Rätsel. Welch Gefallen hegen Raben daran sie aufzugeben. Es ist ihre mir unliebsamste Eigenschaft. Ich schüttle nicht verstehend den Kopf und bitte darum mir die Bedeutung hinter ihren geheimnisvollen Worten zu erklären. Jedoch darüber schweigend steigt der mystische Vogel mit eleganten Schwingenschlägen auf und flattert in die Dunkelheit des zurückliegenden Ganges davon. Sein Gefährte folgt ihm ebenso mir die Deutung schuldig verbleibend.
Allerdings kaum verebbte ihr Flügelrauschen in der Stille, öffnet sich die Tür mit ihrer Ausstattung angemessen stilvollem Knarzen. Den Blick in einen in solch einer Pracht und Dimension bisher noch nie gesehenen Thronsaal enthüllt sie. Licht unbekannter Herkunft wird von den in Wänden, Säulen und hohen Deckengewölben eingelassenen Topaskristallen gestreut und taucht die Halle in blau-grünen Schummer. Ein breiter, von gewaltigen in Erkern verweilenden Steinkriegern bewachter Übergang führt vom Eingang zu einer Plattform, auf dem ein Thron herausragt, der eindrucksvoll aus einem von oben herabfallenden Felssporn geschlagen wurde. Imposant ist er. So sehr, dass ich in Ehrfurcht den Blick abwenden möchte. Jedoch gebannt wird er von etwas, das in seiner Säule eingesetzt wurde. Ein Edelstein. So groß und herrlich und wunderschön, wie er nur in phantasievollen Erzählungen beschrieben werden kann. Keine Farbe scheint er zu besitzen und doch vereint er die des Regenbogens in sich. Aus sich selber heraus leuchtet er in einer Lichtfülle, die hypnotisiert, betört ... willenlos macht. Eine absonderliche Anziehung geht von ihm aus und ohne, dass ich dies bewusst begehre, setzen sich meine Füße in Bewegung.
Doch kaum betrat ich die Brücke, zerfällt das Bild des Throns und der ihn umgebenden Pracht und das Licht des Edelsteins erlischt. Düster ist plötzlich alles. Zerstört. Trümmer überall. Schwerer Staub und trauermatte Glanzlosigkeit. Blut und rußgeschwärzte Knochen. Tiefe Scharten hinterließ etwas Unbekanntes in Wänden, Boden und dem Herrschersitz und riss das Juwel mit sich hinfort.
Zurück weiche ich, denn der Schrecken der mich vordem umgab, lauert hier in jeder Ecke, in jedem Körnchen zerbröselndem Stein. Er verfing sich im Gewölbe. Kriecht schwerfällig durch die abgehenden Gänge. Selbst die Luft ist erfüllt von seinem Gestank. Nach Rauch und Schwefel und Feuer.
Das, was du fürchtest, kennt dich nun.
Eine Stimme zischt in meinem Kopf. Gold. Macht. Verderbnis. Tod. Mit zusammengekniffenen Augen presse ich die Hände auf die Ohren. Verschwinde, rufe ich laut, jedoch nur ein heißeres Flüstern entkommt mir, das schwach in der Weitläufigkeit verhallt.
Gleichwohl entweicht sie aus mir. In Erwartung alles wandelte sich nun wieder zu Herrlichkeit, blicke ich auf, erschrecke jedoch fürchterlich. Thorin steht mir abgewandt dort am Fuße des weiterhin zerstörten Throns. Älter scheint er. Gewachsen an Erfahrung, Erlebten und Macht, die wider dessen erdrückend wirkt, denn ein schwerer, fellbesäumter Mantel zerrt an den Schultern und die kostbare Krone auf seinem Haupt beengt die Gestalt eines großen Königs. Langsam schreitet er auf den Herrscherstuhl zu, lässt die Hände die goldverzierten Lehnen entlangstreichen und blickt auf, dorthin, wo mir vor wenigen Augenblicken das Juwel prunkte.
Unheimlich erscheint er mir. Fremd geradezu. Seine Bewegungen sind abrupt, wirken unkoordiniert, als würden große Schmerzen ihn martern. Die Ungelenkigkeit der goldglänzenden Rüstung, auserlesen wenn auch klobig und mehr zur Schau als zum Kämpfen geeignet, wird ihr Übriges dazu beitragen.
Ein tiefes Seufzen erfüllt die Halle, geschwängert mit Schwermut und Gram, aber auch einer zwergischen Sehnsucht, die mir in ihrer Pein bisher unbekannt ist und befremdliches Unwohlsein heraufbeschwört. Einen Schritt auf ihn zu will ich gerade gehen, da wendet sich Thorin schwerfällig um und lässt sich auf die Sitzfläche nieder. Herrschaftlich thront er. Ein Bild der Könige alter Zeiten. Umgeben zwar allein von zerstörtem Prunk und Protz, jedoch die Flammen der Feuerschalen ringsherum zaubern kostbaren Schimmer auf das viele Gold, das ungetrübt die Zertrümmerung überdauerte. Gleichwohl rast mir erneutes Grauen in alle Glieder, als ich in Thorins Gesicht blicke.
Erschöpfung zehrte an den Zügen. Dunkle Schatten umweben die furchterregend schwarz-glänzenden Augen frei jeglicher Emotion. Milchglasige Fenster, die selten aufklarten, und den Blick preisgaben zu den Tiefen seiner Seele, waren diese bislang. Doch nun scheint das Glas zersprungen zu sein und unheilbergende Nacht konnte ungehindert vordringen. Oft schon sah ich diese Dunkelheit eine schauerliche Macht über ihn erlangen. Sie versuchte es beständig, erkämpfte sich allerdings nur kurz den nötigen Einfluss und wurde schnell vertrieben. Irgendetwas muss geschehen sein, dass sie nun als Siegerin hervorging.
Ich weiche vor ihr zurück, da unaussprechliche Angst mich ergreift. Jedoch nur einen Schritt weit, denn plötzlich durchdringt meinen Körper eine vertraute Wärme, die es vermag sie zu beschwichtigen. Dwalin. Er durchläuft mich unbeachtet und ungestört, als wäre ich bloßer Schatten.
Schnell und gewohnt zielbewussten Ganges schreitet er auf Thorin zu. Auch er scheint älter, jedoch kaum betrübter. Erschöpft zwar, aber kampfbereit. Ich folge ihm mit großer Eile und ohne Zweifel.
„Seit wann lassen wir unsere eigenen Leute im Stich!?" Brennender Zorn und zugleich kalte Trauer, die seine Stimme erfüllten, hallt Abertausend Mal von den Wänden wieder zu uns zurück. Seine Worte dringen tief in mich, als ich mit ihm zusammen die Treppen zum Thronpodest erklimme. „Thorin, sie sterben dort draußen!"
Keinerlei Ahnung habe ich, wovon er spricht, gleichwohl die Dringlichkeit lässt Abscheuliches erahnen. Thorin jedoch muss darum wissen. Auf die Mahnung seines Generals wird er hören und Maßnahmen ergreifen. Niemals würde er es zulassen, dass sein Volk stirbt. Daher erwartungsvoll schaue ich zu ihm. Er wendet den leeren Blick ab. „Es gibt Hallen um Hallen unter diesem Berg. Orte, die wir befestigen, sichern, verstärken können", murmelt er. Ja. Wer auch immer für uns kämpft, wir können sie dort vor dem Feind in Sicherheit bringen, Stellungen beziehen und sie unter uns bekannten Bedingungen bekämpfen. Enge Korridore, schmale Durchgänge, sie alle brechen die Kampfeskraft und schwere Türen bieten Schutz.
Thorin springt auf, tritt an seinen Waffenbruder heran und will ihm dankend für den Ansporn an die Schulter fassen. Jedoch stoppt er abrupt, weicht zurück. Kalt wie das uns umgebende Gestein wirkt er. „Ja, das ist es." Auch die Euphorie, die er in seine Worte legt, klirrt wie Eis. Irgendetwas stimmt nicht. Ganz und gar nicht.
Hastig wendet er sich ab. „Wir müssen das Gold tiefer unter die Erde in Sicherheit bringen." Eine ebensolche Verzweiflung, wie sie Dwalins geschockte Gesichtszüge überschattet, betrübt mich. Von was in Mahals Willen spricht er!? Welches Gold? Hat er seinem Freund überhaupt zugehört!?
In fahrige Eile gerät Thorin plötzlich, sofort will er seinen Plan ausführen, jedoch Dwalin zügelt sie mit festen Worten und energischen Folgen. „Hast du nicht gehört? Sie werden geschlachtet, bis auf den letzten Mann, wenn wir weiterhin tatenlos zusehen." Ich blicke zurück. Schwach dringen sie durch die dicken, steinernen Mauern. Schreie des Kampfes und des Sterbens. Entschlossen und kläglich zugleich. Eine Schlacht scheint dort ausgetragen zu werden. Aber warum und wo und weshalb ist Thorin nicht ebenfalls auf dem Feld inmitten einer Kriegerschar? Zu keiner Zeit verschanzte sich einer unserer Könige in Sicherheit, während andere für ihn kämpften. Es entspricht nicht dem Blute Durins und ist wider jeglicher Ehre.
„Viele sterben im Krieg", murmelt Thorin. Wie Eis klirrt seine Stimme. Keinerlei Empfindung bewegt das bitterkalte Antlitz. Jedoch ein Feuer brennt in ihm. Verbrennt ihn. „Ein Leben ist wertlos und selbst der Verlust Tausender kann den Belang eines Schatzes wie diesen aufwiegen. Er ist all das Blut wert, dass vergossen wird." Ich erzittere beim Zurückweichen. Das ist er nicht. Das ist nicht Thorin. Niemals. Niemals würde er Leben über Reichtum stellen. Was ist nur geschehen? Was ist dies für ein Ort, was wohnt nur in dem zerfallenden Stein und speit schwarze Verbitterung und Unwerte, die ihn so veränderten?
Dwalin senkt den Blick, verzweifelt. Ein Empfinden, das ihm bislang fremd war. Ich trete an seine Seite, versuche ihm beizustehen in diesem, auch wenn er mich nicht wahrnimmt. Dennoch mit neuem Mut schaut er in dem Moment auf, als ich ihn am Arm berühre. Seine Stimme ist klar und unerschüttert, gleichwohl erfüllt mit Wehmut. „Sieht dich nur an", fordert er und lacht leidend. „Du sitzt hier in diesen gewaltigen Hallen, auf dem Thron unserer Ahnherren, und trägst auf deinem Kopf eine Krone. Du hast alles, was du dir ersehntest ... aber bist ein Geringerer, als du es je warst."
Eine mutige Vorhaltung ist es. Er steht vor seinem König, aber die Worte sind die eines Freundes. Jemandem, der sich sorgt und ebenfalls erkennt, wie die Situation droht verloren zu gehen. Sie scheinen Thorin tatsächlich zu erreichen. Etwas tief in ihm schreit getroffen und der dunkle Schleier auf seinen Augen fällt in sich zusammen. Jedoch nur einen allzu flüchtigen Augenaufschlag lang.
Dennoch etwas ist anders. Schmerzen sind es, die seinen Körper heimsuchen. Ich erkenne sie an dem Zittern seiner Hände, an dem Beben der Lippen, an der Last die ruckartig schwerer zu wiegen scheint und seine Gestalt hinunterdrückt. Zerstört wirkt er plötzlich.
„Sprich nicht mit mir, als wäre ich irgendein unbedeutender Zwergenfürst", sagt er und wendet sich ab. Seine Stimme bricht. Tränen schimmern in den Augen. In seinen, Dwalin und den meinen gleichermaßen. Er kämpft ... kämpft erbittert mit dieser Schreckenspräsenz, die den Stein um uns erfüllt und die es irgendwie schaffte, in ihn zu krauchen. Deutlich sehe ich sie nun. Feurig ist sie. Flammen und Schatten und leuchtend gelbe Augen. Blutbesudelte Zähne und Klauen und sturmbeschwörende Flügel. Ein Drache. Wunderschön und schrecklich zugleich.
„Als wäre ich immer noch Thorin Eichenschild." Die Feuerschlange labt sich an der Zerrissenheit. Sein Name ist nur ein Name, wenn er auch mit Ehrenbekunden ausgesprochen wird. Jedoch er selbst ist viel mehr. Familie, Freund, Vertrauter, Held, Legende, Herr, König. Stolz trägt er in sich. Stärke, Mut und eine Würde, die nur wenigen zu eigen ist. Er weiß darum. Aber die Klaue des Drachen liegt schwer auf all dem.
Ich trete näher an ihn heran, will die Hand ergreifen, die sich an den schmerzenden Kopf legte. Es ist meine eherne Pflicht ihn auch in diesem wohl schwersten Kampf zu unterstützen. Verschwinde, zische ich den Drachen an. Aber er lacht nur höhnisch, schlägt seine Krallen tiefer in Thorin und öffnet sein reißzahngespicktes Maul, um zu sprechen.
Das, was du kennst, fürchtest du noch nicht genug.
Unvorhergesehen schnell fährt Thorin herum und zieht dabei sein Schwert. „Ich bin dein König!" Der Ausruf grollt so laut, dass das Gestein vor Furcht erzittert. Er durchdringt alles. Schneidet sich tief in jede Spalte, so wie die Klinge seiner Waffe in meinen Bauch.
Ich keuche auf. Schmerz vernebelt die Sinne. „Du warst immer mein König ... und das hast du früher auch gewusst." Dwalins Stimme hinter mir leise. „Thorin", flüstere ich erschüttert. Alles verschwimmt. Wird undeutlich. Dunkel. Thorins Antlitz ein Schatten umgeben von Feuer. Thorin ...
... Thorin ... Thorin ... Thorin ...
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Nâthu karâk - Tochter von Raben oder Rabentochter
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