Ehre den Gefallenen

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Rot versinkt die Abendsonne hinter der westlichsten Gebirgsformation Mittelerdes. Ihr Widerschein glüht gerade im Sommer eindrucksvoll auf den silberhellen Hängen des durch sie ihren Namen erhaltenen Evendim-Berge. Ein imposantes und in seiner Schönheit einmaliges Schauspiel der Natur. Als würde das Gestein in Flammen stehen, schmelzen, die steilen Halden hinabfließen, und beim Erlöschen des letzten Strahls plötzlich wieder erstarren.

Jedoch nur einen Moment erlauben wir es, dass die Ansicht uns in ihren Bann zieht. Angespannt harren wir am Rande des vor wenigen Stunden erst verlassenen Schlachtfeldes auf das Hervorkommen der nach Rache dürstenden Orks. Auf teilten wir die Einheiten, ein kleiner Teil kehrte hierhin zurück, der größere aber, wartet weiter südlich. Menschen und Zwerge stehen dort, Seite an Seite vereint, um die gemeinsamen Feinde zu bekämpfen. Hier jedoch bilden Reihe um Reihe einzig die Zwerge die Kampflinie, deren Schwerter und Äxte schon einmal die ausgetrocknete Erde mit ihrem Blut tränkte. Täuschen wollen wir sie, denn die Heerführer vermuten, dass ihre Taktik darin bestehen wird, uns mit wenigen anzugreifen, die aus dem Abfallschacht durch den wir in ihre Höhle eindrangen hervorschießen, während eine weitere, sehr viel stärkere Einheit, sich vom Haupttor des Hortes aus auf den Weg macht. Hintertückische Angriffe liegen den Orks und bereits der Verlauf so mancher Schlacht, wendete sich dadurch kurz vor dem Sieg.

In Dunkelheit bettet sich die Welt, nachdem das Glühen der Hänge versiegte, jedoch im nächsten Augenblick steigt ein voller, strahlender Lichtmond über die Berge auf und taucht das umgebene Land in silbriges Licht. Kühl trifft es auf die wenige, freiliegende Haut, obwohl die Sommerhitze noch immer von der erwärmten Erde aufsteigt. Ideale Bedingungen für einen Kampf.

Dwalin, der zusammen mit Vilí erneut unser Heer führt, tritt ungeduldig gegen einen der herumliegenden Orkkadaver. Fliegen in schwarzen Schwärmen surren von ihm auf und ein schmatzendes Geräusch, das dem aufgerissenen Leib entweicht, verdeutlicht, was die wenigen Stunden Hitze bereits in seinem Inneren anrichteten. Angewidert verzieht Sigrun neben mir das Gesicht. „Im Tod sind diese Kreaturen noch ekeliger als lebend", bemerkt sie und spuckt undamenhaft aus. Ich muss ihr leider zustimmen. Der beißende Geruch von Fäulnis schwebt dicht über dem Boden und der Anblick der teilweise aufgedunsenen Körper um uns herum bewirkt sein Übriges.

„Warum haben sie ihre gefallenen Kameraden nicht hineingeholt?", fragt ein junger Krieger verwundert. Die blasse Farbe seines pausbäckigen Gesichtes, die selbst der Helm nicht verbergen kann, verrät, dass er arg mit der Übelkeit kämpft. „Orks beerdigen ihresgleichen nicht", erläutere ich ihm. „Sie haben keinerlei Rituale dafür, außer, dass sie die Verstorbenen, wenn keine Krankheit den Tod herbeiführte, anderweitig verwerten, um ihre Rasse lebendig zu halten. Diese hier aber, waren für diesen Zweck bereits nach kurzer Zeit zu verwest." Mit vor Ekel und Schreck weit aufgerissenen Augen sieht mich der Junge an. „Ihr meint, dass sie ... was für eine Vorstellung!?" Noch ein wenig blasser wird er daraufhin. Verständlich, denn einst, als ich diese Ungeheuerlichkeit in einer alten Abhandlung über die Rassen Mittelerdes las, wurde mir ebenso flau.

Gespannt horchen wir in die silbermondhelle Dunkelheit. Grillen zirpen in der Hoffnung, ein Weibchen anzulocken. Ein Uhu auf Beutejagd sitzt wohl in einem der knochigen Bäume. Ein Rascheln und Knacken unweit unter einem Gebüsch. Geräusche der Nacht. Wohlbekannt und dennoch unheimlich anzuhören, obwohl ihr Klang in anderen Umständen Friedfertigkeit heraufbeschwört. Gleichwohl etwas noch sehr viel Furchteinflößenderes mischt sich plötzlich darunter. Schnaufen, Schimpfen, harsche Befehle, hastige Schritte unzureichend beschuhter Füße auf erdigem Grund. Erst gedämpft durch umgebendes Gestein, dann immer lauter werdend, je näher die Verursacher dem Ausgang der Höhle kommen.

„Ifridî Bekâr!", befiehlt Dwalin. Schwerter werden gezogen, Äxte bereitgehalten, grimmige Krieger bereit zum erbarmungslosen Angriff. Keine Sekunde zu früh, denn kaum einen Augenaufschlag später, ergießen sich die Orks in einer schwarz-stinkenden Rotte aus ihrem dunklen Loch und fließen den Abhang hinunter. Ihre Schreie hallen wild und wütend über die Ebene. Entschlossen sind sie, Rache an uns zu üben.

Die ersten ihrer losen Reihen werden jedoch grausam niedergestreckt, als sie direkt in die wartenden Waffen unserer dicht an dicht stehenden Krieger stürmen. Kaum einer von ihnen dringt weiter, wenngleich nach kurzer Zeit, erneuern wir die Kampfeslinie. Breiter verteilen wir uns. Lösen die erschöpften Kameraden ab. Brechen die Wellen der Angreifer wie Felsen auf. Drängen sie zurück. Eine Taktik, die so alt ist wie das erste Schwert, dass ein Zwerg schmiedete. Und genauso effektiv.

Die Stärke der Angriffe verebbt allmählich. Ich sehe die schreckliche Angst in den großen Augen der Orks aufblitzen, Sekunden nur, bevor sie von den Nachdrängenden oder denen, die nicht zu schnell zurückweichen können, regelrecht in mein Schwert gestoßen werden. Scheußliche Geräusche und Anblicke bieten die getroffenen Körper. Auf den Böden türmen sich abgeschlagene Gliedmaßen und Kadaver. Der Geruch von Blut ist allgegenwärtig. Schreie und Befehle und die klagenden Laute der Sterbenden vertreiben die bis vor wenigen Minuten noch zu hörenden Klänge der Nacht gänzlich.

Als der Mond für einen wolkenverhangenen Moment seine Leuchtkraft einbüßt, können sich meine Augen nicht so schnell an die plötzlich schwer auf das Schaltfeld fallende Dunkelheit gewöhnen. Geradezu blind weiche ich einem von Wutgeschrei begleiteten Angriff auf und stolpere dabei über einen Kadaver. Hart ist der Aufprall auf die ausgetrocknete Erde. Die während des Falls angehaltene Luft presst mir der Schmerz aus den Lungen.

Auch der Gegner strauchelt, fängt sich jedoch schnell wieder und setzt zur erneuten Attacke an. Gerade noch ausweichen kann ich der neidersausenden Axt. Tief dringt sie in die trockene Erde neben mir ein, aber dennoch kann er sie leicht befreien und holt abermals aus. Ich rolle beiseite, versuche, genügend Kraft in meinen Schlag zu bekommen, jedoch schwierig ist dies in dieser Position und unter ständiger Bewegung. Sein Bein treffe ich schließlich, und obwohl es nur ein halbherzig ausgeführter Angriff ob der ungünstigen Umstände war, steigern Schmerz und herausspritzendes Blut seine Wut. Ohne Unterlass schlägt er nun auf mich ein, bis es mir, in letzter Sekunde sogar, gelingt, Umrazu'kark zwischen seiner Axt und meinem unter ihm liegenden Körper zu schieben. Kraftvoll ist sein von Trachten nach Vergeltung gestärkter Arm. Die Anstrengung, die die es bedarf, um ihm standzuhalten, fordert enorme Stärke, derer ich nicht mehr lange mächtig sein werde.

„Rache", zischt der Ork plötzlich und der Geifer, der aus seinem schiefen Mund fließt, dass mehr einem tierischen Maul gleicht, tropft auf mein Gesicht. Ich würge, denn nach Verwesung und Eiter stinkt er. „Welch Genuss dich abzuschlachten wie ein Schwein, nachdem ihr meine Gespielin getötet habt." Ich sehe zu ihm auf und muss die Worte in unsicher-holprig gesprochenen Westron erst realisieren. Eine Entschuldigung für seien Verlust will in mir aufsteigen, aber ich untersage es ihr, wenn sie auch nicht geheuchelt wäre. Ein widernatürliches Wesen war sie, genauso wie er, genauso wie alle anderen ihrer hässlichen Rasse. Voller Hass und Abartigkeit. Dennoch fühlte ich wie Mutterliebe dieses Zimmer das wir erstürmten erfüllte. War sie vielleicht die, die gerade entbunden hatte? Hielt sie das missgestaltet Leben in den Armen, das erlosch, obwohl es wenige Atemzüge vorher erst begonnen hatte? Ich nachvollziehe seine Wut, auch wenn es nicht so wäre. Dennoch, als Gespielin bezeichnete er sie. Nicht als Geliebte, nicht als Gemahlin. Ein Mittel zum Zweck war sie für ihn und ihr Verlust bedeutet ihm wohl nicht mehr als das er seine Gelüste nun anderweitig befriedigen muss, bevor er sich jemand Neues vermutlich mit Gewalt dafür heranholt. Daher kein Mitleid habe ich. Erlösung vor ihm und dem unwürdigen Leben fand dieses Orkweib im Tod.

Meine Arme zittern längst unter dem Gegendruck und immer näher senkt sich die Schneide der Axt mir entgegen. Ich rieche bereits das zwergische Blut, das an ihr haftet. Scharf ist sie, tödlich, denn wenn auch langsam, mit solch einer immensen Kraft geführt, wird sie den Brustpanzer durchdringen und den Leib darunter zerschneiden.

So nah an seiner Seite stand ich dem Totenwächter Mandos noch nie. Seine eiskalte Knochenhand streift bereits meine glühende Wange. Weich ist sein schwarzes Gewand, mit dem er die Seelen der Verstorbenen an sich nimmt. Ich höre sein Wispern. Die gesäuselten Worte. Die Versprechungen nach Frieden und Ruhe in seinen unendlichen Hallen. Ich schließe die Augen und sehe die weißen Strände des unsterblichen Landes. Möwen ziehen kreischend über einen silbernen Hafen in dem Schwanenboote vor Anker liegen, die auf den seichten, von lauen Winden getriebenen Wellen schaukeln. Amad wartet dort. Mit offenen Armen heißt sie mich willkommen an ihrer Seite, an der ich die Ewigkeit schwelgend in meinen Erinnerungen verbringen kann. Erinnerungen an Thorin und Dwalin, Dís und Fili und all die wundervollen Geschöpfe, denen ich begegnen durfte während des ach so kurzen Lebens. Aber gerade diese zeigen mir, für was es sich trotz der Verlockung des Todes zu bleiben lohnt.

Einen letzten Rest Kraft finde ich irgendwo in den Muskeln. Einen letzten Rest Willen. Ich öffne den Augen, blinzle den Ork wohl mit solch unerwarteter Entschlossenheit und Mut an, dass er für einen fatalen Moment innehält. Zu nutzen weiß ich diese Unsicherheit, Dwalin brachte es mir in einen der ersten Lektionen bei. Ich drücke gegen seine Kraft und es gelingt mir tatsächlich, ihn zurückzudrängen. Wenige Zentimeter jedoch nur, dann wird der Ork wieder Herr seiner Sinne und sammelt sich.

Gleichwohl verschaffte mir der Gegenangriff wertvolle Sekunden, denn genau diese benötigte Sigrun, um meiner misslichen Lage aufmerksam zu werden. Nicht mit ihrem Auftauchen und dem Schwert, dass sie ihm tief in die zwischen zwei Rüstungsplatten ungeschützt liegende Seite rammt, rechnete der Ork, denn von ihm in seiner rasenden Fokussierung auf mich unbemerkt, griff sie ihn an.

Die schwarzen Augen verlieren jeglichen Glanz, werden trüb und starr und nur, weil Sigrun ihr Schwert ruckartig wieder aus seinem Leib herauszieht, fällt er im augenblicklich eintretenden Tode erschlafft nicht auf, sondern neben mich in den Staub. Meine Gefährtin zieht den erschöpften Körper nach oben. Taubheit kribbelt in den Armen und für einen Moment befürchte ich, selbst die Waffe nicht mehr in der zitternden Hand halten geschweige denn, sie jemals wieder heben zu können.

„Alles in Ordnung bei dir?", fragt sie besorgt klingend. Ich nicke schnell, denn verletzt ist nur mein Stolz als Kriegerin, da ich mich so überrumpeln ließ und gerettet werden musste. Dank dafür spreche ich aus, aber sie winkt diesen ab. „Du wirst die Gelegenheit bekommen, dich zu revanchieren, da bin ich mir sicher." Beipflichtend und dies versprechend, nicke ich ihr zu, dennoch nicht lange können wir reden, da greifen uns erneut Orks an. Jedoch schnell können wir sie in der Einheit kämpfend besiegen und als ich mich wenig später umblicke, wird mir erleichternd gewahr, dass die Meute gänzlich niedergeworfen wurde.

Im Mondschein erscheint das sich über den staubigen Boden ergießende und in schwarzen Lagen sammelnde Blut der Orks wie ein Abbild des Nachthimmels zur dunkelsten Stunde. Ihre Körper liegen zerschlagen zwischen unseren Kriegern. Wenige sind gefallen, so wie ich überblicken kann, aber jedes erloschene Leben schmerzt.

Sigrun klopft mir auf die Schulter. „Du schlägst dich recht gut für eine Adlige. Hätte ich bei deinen zarten Händen kaum erwartet", spottet sie lächelnd. „Und du dich ebenfalls für den Abkömmling einer Eisenbergin", erwidere ich gleichermaßen und wir lachen gemeinsam, erleichtert darüber, das erste von unzähligen Gefechten, die wohl noch kommen werden, überstanden zu haben.

Dwalin schreitet gezeichnet vom Kampf über das Schlachtfeld, jedoch verletzt scheint er nicht zu sein. Das Blut, dass seine Rüstung verunstaltet, schimmert alleinig schwarz im Mondschein. Er beugt sich hinunter, berührt mit blutbefleckten Fingern doch voller Respekt ein letztes Mal einen gefallenen Kameraden an der Brust und weist Umstehende an, ihn zurückzutragen, bevor er sich zu einem neben ihm liegenden begibt. Seine Ehre bekundet er jeden von ihnen mit dieser Geste. Ich hörte von diesem Ritual, das so alt ist wie unser Stolz, es aber zu sehen, beeindruckt mich ungemein. Er erzählte mir einst sogar davon und wie oft er bereits die Kühle des Todes spüren musste. Die verblassenden Fetzen des Lebens schwinden schnell. Mandos ist in seiner Gnade der Erlösung von Schmerz und Qual mitleidlos. Ungerührt zeigt er sich von dem Flehen der Hinübergehenden und den Klagen der Verbliebenen. Jedoch respektiert er den letzten Abschied und nimmt die, die auf dem Schlachtfeld fallen und für ihren Mut und den Kampfeswillen belobigt werden, mit sich in die Hallen unserer Könige.

Dwalin kommt schließlich uns näher und ich senke den Blick, nicht nur, um die Identität zu verschleiern, sondern aus Respekt und um das Handeln wertzuschätzen. Er betrachtet uns lange, will sich der Unversehrtheit der unter seinem Befehl kämpfenden Azaghâla wohl besonders ausreichend versichern. Selten sind Kriegerinnen auf Schlachtfeldern anzutreffen und wenn wir ihm nicht bereits bei der Heerschau im Wäldchen auffielen, so bleiben wir spätestens jetzt in Erinnerung. Daher froh bin ich, dass sich der Mond erneut hinter Wolken versteckt und es ihm damit unmöglich macht, die verräterischen Details meiner Rüstung zu erkennen.

Verstohlen getraue ich mir, letztendlich aufzublicken, gerade während des Momentes, in dem er uns seinen Respekt mit einem leichten Kopfnicken zollt. Er kniet danach nieder und berührt wie so viele davor auch den vor ihm liegenden Krieger und erst jetzt wird mir gewahr, es ist der Jüngling, der anfangs fragte, warum die Orks ihre Gefallenen nicht bestatten. Das beengende Gefühl aufsteigender Tränen überkommt mich unvermittelt. So (zu) jung war er noch. Das Streben nach ruhmreichen Siegen führte ihn wohl hierher. Oder kämpfte er um des Soldes willen, der seine Familie helfen könnte? Ich weiß es nicht. Zu (so) kurz war unsere Begegnung, als dass er mir dies offenbaren konnte. Dennoch, mein Herz zerreißt der Anblick seiner leer in den Nachthimmel starrenden Augen und wie die Farbe der Pausbacken unlängst zu Totenweiß verblasste.

„Bitte, General Dwalin, gestattet uns, ihn zurückzubringen", ersucht Sigrun mit verhaltener Stimme und tief gesenktem Blick. Mehr Leid als ich sah sie wohl in ihrem ähnlich langen Leben, jedoch auch sie versucht damit zu verbergen, dass schmerzlich aufkommende Tränen den Fall des Jungen betrauern wollen.

Dwalin zögert einen tiefen Atemzug lang, gibt dann aber sein Einverständnis und wendet sich ab. Langsam heben wir den Krieger auf. Den Tod brachte wohl eine Wunde am Bauch, die mir dabei erstmals auffällt. Regelrecht zerfetzt hat womöglich ein Axthieb Rüstung, Haut und darunter liegende Organe. Viel Blut verlor er dadurch. Es bildete eine große Lage, die allmählich im Boden versickert und klebt noch an ihm. Vermutlich schnell durch die quälenden Schmerzen büßte er erst das Bewusstsein und dann das Leben ein. Gewisserweise tröstend ist diese Erkenntnis. Jedoch wenn wir ihn neben all den anderen die diese Nacht nicht überlebten zu Grabe tragen, werde ich mir erlauben, zu weinen, denn nur unter diesem Umstand ist es uns Kriegern gestattet.

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Ifridî Bekâr! – Waffen bereit!

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