Du trägst keine Schuld

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Der zentrale, zu dieser frühen Zeit noch zwergenleere Platz im Adelsviertel erstrahlt im hereinfallenden Sonnenschein. Die wohlduftenden Blumen, die üppig den akkadisch plätschernden Brunnen umgeben, leuchten in den frühlingsschönsten Farben. Kunstvolle Fresken, die aus den lapislazuli-blauen Wänden gearbeitet wurden, zeigen Szenen großer Schlachten und glücksglänzende Momente voller Glorie und Ruhm. In Stein und schimmernder Wehr verewigte Krieger, Helden und Könige beobachten streng und wohl auch ein wenig sorgenvoll, wie wir aufgeregten Schrittes an ihnen vorbeihasten.

Die zwei Obsidianraben über der imposanten Eingangstür zum königlichen Anwesen begrüßen uns mit gewohnt misstrauischen Gehabe. Stolze Tiere sind sie. Groß und stark, intelligent und immer wachsam. Ihre Kraft möge auf Thorin ihren Sohn übergehen und Mahal ihm zur Seite stehen, so bete ich, als wir sie passieren.

Der Flur dahinter ist hell erleuchtet. Nachdem wir zuletzt von einer längeren Reise heimkehrten, begrüßten uns hier erleichterte Freunde und Familie. Nun ist es einzig die Herrin, die inmitten der Weitläufigkeit steht, die Hände vor den Mund geschlagen und verhalten schluchzend, als sie sieht, wie wir ihren geliebten, leblos erscheinenden Bruder auf der Trage hinbringen. Ihr Anblick schmerzt. Ihre Tränen schmerzen. Ihre zitternden Finger, die ihn vorsichtig an der schmutzigen Wange berühren, ängstlich da unsicher, ob sie Lebenszeichen erfühlen, beschwören einen eiskalten Schauder herauf.

„Was ist geschehen?", stammelt sie mit brechender Stimme an Dwalin gewandt. Dieser senkt den Blick, sich dem Vergehen gescheitert zu sein, nur allzu bewusst. Für die Sicherheit des Königs war er verantwortlich. Jedoch wir alle schworen dies und die implizierte Maßregelung müsste mich treffen, nicht ihn. Ich enttäuschte. Ich versagte. Ich brachte ihn in Gefahr.

„Orks", murmelt Dwalin und dies reicht der Prinzessin als Erklärung. Später werde ich ihr offenbaren, welche Verfehlung genau das Unglück heraufbeschwor, jetzt jedoch, ist es wichtiger, Thorin endlich in sein Gemach zu bringen, damit er und die Wunde versorgt werden kann.

Meister Oin erwartet uns dort bereits. Das Feuer im Kamin wurde fühlbar erst vor kurzer Zeit entzündet, denn die abwesende Kühle konnte es noch nicht aus den sonst immerwarmen und gemütlichen Zimmern vertreiben. Die jungen Soldaten hieven den geschundenen Thorin auf sein ordentlich gemachtes Bett und entschwinden schnell. Verständlich Angst bereitet ihnen der Anblick des verletzten Königs. Stark ist er doch eigentlich. Unerschütterlich. Unumstößlich. Unverbrüchlich. Wie ein Fels, der der immerwirkenden Brandung durch sturmgetriebene Wellen trotzt. Eine Legende, dessen Geschichten ihnen erzählt wurden, seitdem sie lauschen konnten. Sie blicken zu ihm auf. Bewundern und streben nach seinem hellen Licht. Jedoch nun liegt er hier, zerschunden und schwach, bleich und oh so nah am Scheiden.

Noch schauervoll wird mir bewusst wie nah, als Oin vorsichtig den provisorischen Verband und das vollgesogene Weißmoos entfernt. In Sicherheit und dem beleuchteten Schein der vielen Kerzen wirkt die Verletzung um ein Vielfaches schlimmer. Die Haut um die zerfransten Wundränder ist schmutzig, Blut fließt noch immer, denn tief in das Fleisch hinein drang das Schwert des Feindes. Weich ist dort alles. Ungeschützt liegen Organe und große Venen und Adern. Schnell kann eine Verwundung an dieser Stelle zum Tod führen.

Plötzlich verschwimmen die Verzierungen an den Wänden, die Flammen des Kaminfeuers und all der Prunk eines Königsgemachs vor den Augen. Licht und Gold zerfließen in Schlieren und ich sinke schluchzend vor dem Heiler zu Boden. „Ich bitte Euch, Meister Oin, rettet ihn. Ich biete Euch all meinen Besitz dar, wenn Ihr ihn retten könnt", flehe ich mit zitternder Stimme und schlage die von königlichem Blut befleckten Hände vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Es schmerzt unerträglich seinen Verlust vor sich zu sehen. Wie sehr wird er peinigen, sollte er mich tatsächlich verlassen.

Oin beugt sich zu mir hinunter. „Behalte deine Habe, mein Kind", flüstert er und streicht eine der losen Haarsträhnen zurück. „Ich werde auch so alles in meiner Macht stehende versuchen, um ihn euch zu erhalten." Er deutet Dwalin mir wieder aufzuhelfen. Ich störe hier nur. Wo ich ihm sonst eine Hilfe sein könnte, assistieren könnte, genau erklären könnte, was geschah, bin ich in diesem erbärmlichen Zustand nur eine Beeinträchtigung.

Vorsichtig aber bestimmt zieht Dwalin mich wieder auf die Beine und mit sich nach draußen. „Ich werde dir ein Bad einlassen und deine Verletzungen versorgen", murmelt er, währenddessen wir Thorins Gemächer verlassen. Die Wunde am Hinterkopf. Gänzlich vergaß ich sie, war ihr Schmerz doch nebensächlich.

Niemanden begegnet uns auf den Weg zur Badstube. Froh bin ich darüber, denn unliebsam wären mir die berechtigten Fragen des Hofstaates und peinlich der erbärmliche Zustand, den ich abgeben muss. Dwalin schiebt mich durch die Tür und verschließt diese. Das uns isolierende Klacken des Schlosses birgt etwas Frevelhaftes in sich, jedoch einzig jegliche Störung will er damit vermeiden, um mir dringend benötigte Ruhe zu gönnen.

Der aufsteigende Wasserdampf erfüllt den Raum mit nebligen Schwaden, als er das aus dem Brunnen geschöpfte und eine Weile auf dem Ofen erwärmte Wasser Kessel für Kessel in den Bottich schüttet. Rosenöl und Lavendelblüten gibt er dazu, gleichwohl der eigentlich beruhigend wirkende Duft vermag es nicht, dass ich mich entspanne. Noch immer strömen Tränen aus den mittlerweile brennenden Augen die Wangen entlang. Noch immer ist mir schwummrig und noch immer schmerzt das Herz ob der unfasslichen Angst. Was wohl gerade geschieht? Wie es wohl gerade um Thorin steht? Kämpft Oin verzweifelt um sein Leben, derweil ich hier bereits gefühlte Stunden herumsitze? Wird uns schon bald eine schlechte oder gute Nachricht ereilen?

So viele Fragen und Befürchtungen schwirren durch meinen Kopf und lassen ihn schwer werden. Erschöpfung zerrt an den Gliedern. Müde bin ich. Schwach und ausgezehrt fühlen sich Körper und Geist. An der Verletzung könnte es liegen. An dem Blutverlust. Der Aufregung. Den Sorgen und Ängsten. Der abflachenden Kampfaufregung. Zuviel auf einmal für die Kürze des noch jungen Tages. Oder aber bin ich niemals leistungsstark genug gewesen, um auch nur irgendetwas davon zu verkraften.

Leise platschende Schritte von nackten Füßen auf Stein kommen schließlich näher. Ich will nicht aufblicken, denn als allzu nichtswürdig muss der gebotene Anblick wirken auf den überlegenen Krieger, jedoch eine warme Hand unter dem Kinn zwingt mich dazu. Dwalin entledigte sich einem großen Teil der schmutzigen und orkblutverklebten Reisekleidung, die nun zu einem unordentlichen Haufen zusammengeknüllt in einer Ecke des Raumes liegt. Lediglich die schwarz-leinene Unterhose trägt er noch.

Er zieht mich von dem Sitzplatz nach oben, den er mir anwies einzunehmen, während er alles bereitete. Seine Brust, dessen Anblick mir zwar bekannt ist, aber dennoch bei weitem noch immer nicht gewohnt erscheint, wird von Muskeln, Narben und Bildern bestimmt, die unter Schmerzen tief in die hellgoldene Haut eingebracht wurden. Der Wolf mit der zunehmenden Mondsichel über seinem Herzen bannt neben all dem Ansehenswerten jedoch einzig meine Aufmerksamkeit. Einst schenkte er mir dieses Symbol unserer Verbundenheit zueinander. Eine Stelle in ihm vermochte ich zu berühren, die bislang niemand beanspruchen konnte und durfte. Eine erst vor wenigen Monaten frisch dazugekommene und daher noch hellrote Narbe, die er sich während eines Übungskampfes mit Thorin zuzog, verläuft bedrohlich nahe der Wolfsschnauze. Währe der Schlag des Königs stärker gewesen, verletzt hätte sie das Bildnis. Versorgt habe ich die Wunde damals und das beklemmende Gefühl, dass die Stelle berechnend von ihm gewählt wurde und keinesfalls auf einem Zufall basierte, ergriff mich währenddessen.

Dwalins Finger greifen nach dem Saum des Harnischs und streifen ihn mir ab. Zerrissenes, schmutziges oder intaktes Kleidungsstück für Kleidungsstück wird von ihm meines Köpers entledigt, bis ich lediglich nur noch in ein knielanges Hemd gekleidet vor ihm stehe. Ein kalter Schauer läuft mir trotz der feuchten Wärme über die größtenteils bloßliegende Haut und die Arme schlinge ich um die Brust, damit er dies nicht bemerkt. Zutiefst anstößig ist diese Situation, jedoch in anderen begegneten wir uns bereits, die den Sittenwächtern, so denn welche über uns wachen würden, eine erschütterte Ohnmacht eingebracht hätten. Wir sahen unlängst viel voneinander, und zwar weitaus mehr als nur bloße Haut.

Jedoch heute, hier und unter der bedrückenden Ungewissheit, wie es um unseren König steht, sind mir seine Blicke unangenehm. Ich kann ... darf ... nicht der Sehnsucht ihm Nahe zu sein erliegen, so gerne ich mich auch in seine Arme flüchten will, um diesen Schmerz der Schuld und Angst zu lindern. Dwalin spürt dies, aber er genehmigt den Rückzug nicht. Keinesfalls aus Begierde, Eigennutz oder aus der Macht der Verfügung heraus, die er über mich hat. Nein, er weiß nur zu gut, wie zerstörend in Einsamkeit durchlebtes Leiden wirken kann. Selbst geißelte er sich schon zu oft damit.

Daher zärtlich nimmt er meine Hand, um mich zum Badezuber zu führen. Als Erster steigt er in das dampfende Wasser und zieht mich sanft aber bestimmend zu sich hinein. Warm ist es und wohltuend. Den Schmutz der Straße und des Kampfes löst es. Kleinere Wunden brennen, Blau geschundene Stellen stechen. Und unvermittelt ist es mir leidlich egal, wie der augenblicklich durchnässte unschuldsweiße Stoff an der Haut klebt und wohl vielmehr preisgibt, denn verbirgt. Nichts ist verwerflich an dieser Situation. Keine Leidenschaft bestimmt den sanften Blick des Mannes, dem ich mehr vertraue als jedem anderen. Ohne Gier zieht er mich näher zu sich, sodass wir uns berühren. Einzig Fürsorge lenkt die Handlungen. Die Wärme seiner Brust dringt ungehindert durch das dünne Gewebe und vermag mit Leichtigkeit noch behaglicher zu wirken als die des Wassers. Sein ihm eigener Geruch nach harzgetränkter Erde beruhigender als jede zugefügte Essenz. Jedoch nur einen allzu kurzen Moment gestattet er das Verweilen, dann dreht er mich in seinen Armen und platziert sich mit mir auf einen der am Rande des Zubers verlaufenden Bänke.

Mit einer Schale lässt er Wasser über meine Haare laufen und bemüht anschließend das bereitgelegte Stück Haarseife. Nach jungen Rosenblüten riecht sie. Jedoch zu brennen beginnt die Wunde unter dem Einfluss der Reinigung und ich beiße die Zähne zusammen, um ihm dies nicht allzu sorgenbereitend zu zeigen. Entsetzlich anzusehen wird rotes Blut das Gold verschandeln, genauso wie es nun das Wasser verdirbt. Gefühlvoll lösen und entwirren die groben Kriegerhände Knoten und Verklebungen, versuchen alles, damit nichts mehr die Reinheit des Kostbarsten das ich trage beschmutzt. Die feuchten Strähnen gleiten zuletzt samtweich durch seine Finger. Öfters, als es wohl bedarf. Nicht gänzlich kann er die Gier nach Berührung unterdrücken. Gleichwohl beruhigend wirkt das Spiel. Auf uns beide.

„Die Wunde hat nur stark geblutet, ist aber nicht tief. Jedoch wird vermutlich eine kleine Narbe zurückbleiben", murmelt er, nachdem er sich schließlich auch den Schaden besah. Das geringste aller überdauernder Übel wird dies sein und interessiert mich kaum. Allerdings umso schändlicher wiegen die Folgen, die sie mit ihrer Nichtigkeit herauf beschwör.

„Es ist alles meine Schuld", flüstere ich, kaum wirkungsvoll darum bemüht, die erneut aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Zu viele ihrer hat er schon gesehen. Keine Angst habe ich mehr, dass sie die Kriegerin in seinen Augen unwürdig da verletzlich erscheinen lassen. Leise fallen sie in das Wasser.

„Rede keinen Unsinn", entgegnet er mit fester Stimme, aber ich schüttle heftig den Kopf, der dies mit Schwindel übel nimmt. „Nur wegen mir wurde Thorin verletzt. Er schwor vor wenigen Tagen erst auf meinen Wunsch hin mich zu verteidigen, war aufgrund meiner Schwäche unachtsam, denn ich ließ zu, dass der Schmerz seine vernebelnde Macht über die ihn eigentlich beschützende Stärke von kriegerischen Körper und Geist legte." Ich weine. Bitterlich nun. Schlage die Hände vor das Gesicht und erlaube mir, dass sich Tränen und Schluchzen ihren Weg bahnen.

Die Verfehlung ist groß. Wiegt schwer wie Blei. Kaum ertragen kann ich sie. Schreckliches bewirkte sie und unter ihr werde ich zugrunde gehen, denn welch Sinn hat das Leben noch, wenn man sich selber mit der Acht belegt, für den Tod seines Königs verantwortlich zu sein. Ich sacke zusammen. Die Last schmerzt. Entsetzlicher als jede irdische Wunde. Dwalin umgreift mit einem Arm die zitternde Taille. Hält mich. Hält mich einfach nur fest.

Verstoßen müsste er mich. Sich von mir abwenden, denn jeder, der eines solchen Vergehens Schuldigkeit erlangte, verdient die härteste aller Bestrafungen. Jedoch stattdessen näher zieht er mich zu sich heran. Seine Brust warm und fest wie Felsen. Welch Gestein auch immer Mahal für ihn erwählte, jeglicher Gewalt scheint es standzuhalten, obwohl sein Kern weich und gutmütig ist.

„Thorin wusste um die Gefahr, die mit dem Versprechen dich zu schützen verbunden ist, und glaube mir, nicht leichtfertig oder aus niedrigen Beweggründen ging er dieses Wagnis ein. Als dein König, dein Herr, dein Waffenbruder und als etwas, das ich nicht wage zu benennen, ist es nicht nur seine Pflicht, sondern ihm vor allem ein Bedürfnis aus Eigennutz, dass dir nichts geschieht." Einen weiteren Arm legt er um meine Brust, hält mich an der Schulter, die gänzlich von seiner Hand umschlossen wird. Die Eindringlichkeit seiner Wörter trägt die Bewahrung in sich. Jedoch kaum vermag sie mir Furcht und Schuld zu nehmen.

„Jeder von uns kann im Gefecht eine Verletzung erleiden, die das Unvermögen heraufbeschwört, weiter für sich und andere zu kämpfen. Wir sind ehern, so wie uns Mahal schuf, aber nicht unfehlbar, nicht unsterblich, wir alle tragen Schwächen, Ängste und Fehler. Auch Thorin. Er ist ein fähiger Krieger, erfahren und belastbar, jedoch zuweilen sich seiner Untugenden nicht bewusst. Im Affekt handelte er schon so manches Mal unüberlegt. Für einen Moment nur, konzentrierte er sich auf dich und vergaß aus Angst die Feinde um sich herum, obwohl er dir genauso wie mir einst beibrachte, dies niemals zu tun. Gefühle jeglicher Art, egal ob Hass, Rache, Überheblichkeit, Leichtsinn oder Sorge, sind eines Kriegers Verderben. An seinem Verhalten, seiner Unachtsamkeit, trägst du keinerlei Schuld."

Ich seufze auf. Recht hat er. Mit allem, was er sagte. Dennoch ist es weiterhin schwer, die schmerzenden Gewissensbisse zu ignorieren. Lange Zeit werden ihre Wunden bluten und vielleicht nur ein Freispruch aus Thorins Mund, können sie verheilen lassen. Hoffentlich und oh Mahal erhöhe mein Flehen, werde ich diesen bald erbeten können.

„Dwalin", flüstere ich schließlich und er brummt als Antwort. Das Vibrieren in seiner Brust wie das heilende Schnurren einer Katze. „Bleibst du bei mir?" Er zieht mich näher zu sich. Noch näher. Kein Tropfen Wasser mehr zwischen uns. Sein Körper warm und feucht und der Atem tief und gleichmäßig. „Immer", raunt er und haucht einen unschuldigen Kuss auf die freiliegende Schulter.

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