Die Wahl und die Qual

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Tharkûna erscheint in der ihrer vielen unergründlichen Gestalten, derer mir die liebste ist. Die Jugendlichkeit ihrer Begleiterin schwindet langsam und damit auch die ihre. Gleichwohl nur wenig wurde ihre geheimnisumwobene Schönheit bislang gezeichnet von den Vorboten des Alters. Verlöschte Aschesträhnen durchziehen die langen, roten Feuerhaare. Ihr Gesicht schattiert ernst und müde. Die Augen milchig-weiß. Nichts sehen sie, jedoch das, was im Verborgenen liegt, umso klarer. Ihr Gang ist wahrlich stolz, aber bereits an der Hand in die große Zeremonienhalle geführt werden muss sie von dem Mädchen, denn die verbliebenen Sinne leiden ebenso unter dem Schwund.

Thorin erwartet sie bereits und verbeugt sich ehrfürchtig, als sie vor ihn tritt. Selbst ein großer König neigt sein Haupt vor Weisheit. Eine der silberringbewehrten Hände legt sie daraufhin auf seinen Schopf. Von ihr berührt zu werden, ist eine Ehre. Sie fühlt alles. Sie sieht alles. Sie weiß alles. Das Schicksal eines jeden kennt sie. Fluch und Segen zugleich, wie ich mir schon oft dachte.

Sie schließ die Augen und horcht in Thorin hinein. Den Zwiespalt, der er in ihm kämpft, wird sie wahrnehmen. Die Ehrfurcht vor dem Relikt. Die Bedenken, was es heraufbeschwören könnte, aber auch den Willen, dieses Heiligtum wieder seinem Zweck zurückzuführen. Ihre langen, knochigen Finger zucken, vergraben sich in Thorins Haare. Sie spricht zu ihm. Berät ihn mit steinalter gleichwohl silberheller Stimme, die nur er vermag zu hören, obwohl viele sie umgeben.

Jedoch auch Dwalin durchfährt plötzlich ein Ruck und er tritt an sie heran, ihr das Schwert König Eorls präsentierend. Ihre andere Hand streckt sie nach der Klinge aus, streicht mit den Fingerkuppen über das unbekannte Minerall, immer und immer wieder, voller Respekt und Bewunderung. Fühlt jede Musterung, jeden Hammerschlag, prüft so das Wesen des Materials.

Einen Schritt zurück weicht sie dann und greift in den Wildlederbeutel, der ihr an der Hüfte baumelt. Was sich darin wohl befindet, habe ich mich schon immer gefragt. Der Duft getrockneter Kräuter und herber Harze steigt beständig von ihm auf. Ab und an klingt es dumpf, als würden Kristalle aneinanderschlagen. Manches Mal klirrt es auch. Wahrscheinlich wenn diese an kleine Glasröhrchen geraten, in denen sich einige der Elemente zusammenfinden und die mit dem Wachs verschiedenfarbiger Kerzen verschlossen werden. Eine starke Magie befindet sich in ihnen, Sie bringen Schutz, Weitsicht, Liebe, Reichtum, Fruchtbarkeit. Bei ihr in Auftrag kann man sie geben, aber auch sie selber bedient sich deren Kraft.

Nun jedoch zieht sie ein schwarzes Säckchen hervor, das locker mit etwas befüllt erscheint. „Die Runen werden dir die Antwort geben", sagt sie mit lauter Stimme, so dass alle Anwesenden sie hören können, aber allein an Thorin gewandt. Er nickt und streckt, ohne zu zögern, die Hand aus. Überraschend tief versinkt sie zwischen dem samtenen Stoff. Nicht lange benötigt er, um sich für einen Runenstein aus glänzendem Obsidian, einem mächtigen Schutzgestein, zu entscheiden, denn kurz darauf bereits, zieht er ihn hervor. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen als er seinen Laut verkündet. Algiz. Dass man den richtigen Weg erkennen und seinen Instinkten folgen soll, ist ihre Botschaft. Aber auch Schutz vor Feinden und allem Bösen, Lebenskraft, Glück und gutes Gelingen prophezeit sie.

Tharkûna nimmt ihm den Stein aus der Hand und zeigt ihn zum Beweis allen Anwesenden. „Die Runen haben gesprochen, das Schwert wird erneuert, damit es unseren Freunden aber auch uns beistehen kann in zukünftigen Schlachten. Jedoch dies muss geschehen durch die Hand eines Schmiedes, der von wahrer Liebe erfüllt ist, so wie sein Gestalter einst."

Sie wendet sich Thorin wieder zu, der aber senkt den Blick und Tharkûna lächelt wissend. „Noch nicht", flüstert sie mütterlich-sanft, voller Liebe und von Voraussicht geleitet und betrachtet stattdessen Dwalin neben ihm. „Gegen jeden Widerstand", wispert sie und überreicht letztendlich ihm den Runenstein.

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Drei Tage nur dauert es, bis Thorin König Folca das neugestaltete Schwert zusammen mit einer hochwertigen Scheide voller Stolz überreichen kann. Jedoch allzu gut weiß ist, dass während dieser viel Schweiß floss und ein Gefühl der Ausweglosigkeit herrschte. Dwalin tat sich schwer damit. Nicht mit der Arbeit, obwohl sich der Rohling widersetzte, gleichwohl nicht so starrsinnig wie vermutet. Ein erfahrener und fähiger Schmied ist er, wenn er auch lange nichts mehr fertigte. Vielmehr die Findung einer Idee für die Gestaltung der fehlenden Teile, ließ ihn verzweifeln.

Am späten Abend nach Tharkûnas Bestimmungsspruch suchte ich ihn in der königlichen Schmiede auf. Auf Mitternacht ging es bereits zu. Müde war ich, denn das Versprechen ein Heer für die Bekämpfung der Orks zu stellen, bedurfte viel nachfolgender Arbeit. Eine eilige Ratssitzung berief Thorin ein, um sich die Zustimmung der Mitglieder einzuholen. Einige Widerreden kamen wie erwartet auf. Als aussichtslos wurde der Plan dargestellt, denn schnell vermehrt sich dieses Gesindel und wenig später schon, wären die Nester wieder gefüllt mit Feinden. Die Sinnigkeit, warum gerade wir die Rohirrim unterstützen sollten, wurde vor allem von Meister Abarron infrage gestellt. Thorin jedoch erinnerte ihn und alle anderen Anwesenden daran, was diese einst für uns vollbrachten, genau so, wie Folca ihm dies darlegte. Letztendlich stimmten sie dem Ausrücken zu.

Danach allerdings, mussten die Heerführer informiert und instruiert werden. Die ersten Planungen zur Strategie wurden getroffen. Über Landkarten beugten sich die Befehlshaber, markierten alle bekannten Zufluchtsstätten in den Abendrotbergen und diskutierten darüber, ob sie das Gesindel besser herauslocken oder ausräuchern sollten. Das Vorland des Gebirges ist geprägt von Hügeln, Wäldchen und hohen sowie breiten Geröllfeldern. Ideale Verstecke, auch für größere Verbände. Schroff und unwegsam sind die Hänge der Berge und die daher wenigen Pfade, die die Orks unbedacht trampeln können, um zu ihren Höhlen zu gelangen, dadurch mühelos auszumachen. Darauf, dass die Entscheidungen vor Ort getroffen werden, einigten sie sich letzten Endes.

Bereits währenddessen, zog sich Dwalin zurück. Jedoch als ich ihm etwas zum Abendbrot brachte, denn er verpasste es dadurch, beugte er sich, die Hände schwer und bislang sauber auf den ebenso von bisheriger Tatenlosigkeit zeugender Arbeitstisches gestützt, über das Schwert und schien recht verzagend. Langsam trat ich auf ihn zu und stellte den Teller mit Brot, Käse und Schinken und ein wenig kleingeschnittenem Obst auf die Marmorsteinplatte ab, wissend darum, dass er mein Eintreten längst bemerkte.

„Ich schaffe das nicht", murmelte er. „Warum nur hat Tharkûna mich ausgewählt?!" Ich betrachtete das Schwert und strich in dem Versuch, ihm Mut zu geben, über seinen breiten Rücken. Deutlich angespannt waren die Muskeln dort und lockerten sich nur geringfügig unter meinen Fingern. „Nicht sie, die Runen haben dich dazu bestimmt", flüsterte ich, „und diese irren sich nie." Dwalin schnaubte, halb belustigt, halb verzweifelnd ob dieser Aussage. Ein Teil unseres Glaubens ist es, sich an dem Urteil, der Verheißung und Bestimmung von vielfältigen Symbolen zu orientieren. Mahal lehrte uns einst Sprache und Schrift und Ilúvatar schenkte jeder Sippe eine Schicksalsüberbringerin, die die Zeichen, in die er wie auch die Valar Botschaften legen, zu deuten vermag. Vertrauen müssen wir in sie, genauso wie in uns.

„Zweifle also nicht an deinem Können, es ist nicht dein erstes Schwert und wird bei weitem nicht das Letzte sein, dem du ein bestechendes Aussehen geben wirst." Dwalin wandte sich mir zu. „Das ist es nicht ... ich weiß nur nicht, womit ich beginnen, welches Material ich verwenden und welch Form ich wählen soll. Die Legende besagt nichts darüber, wie der Schmied die fehlenden Teile gestaltete."

Ich überlegte kurz. „Ist das denn überhaupt wichtig? Dieses Schwert schmiedete ein Zwerg für seine Hand und um Mahal zu imponieren, in vielen Aspekten unterscheidet sich deren Aussehen von dem eines von Menschenhand gefertigten. Die Rohirrim sind ein Pferdevolk und werden es immer bleiben. Bediene dich doch den Symboliken, die mit ihnen in Verbindung stehen." Dwalin schnaufte erneut, diesmal halb belustigt, halb verzweifelnd, weil er nicht selbst auf das Naheliegendeste kam.

Zusehen durfte ich ihm bei der Fertigung am nächsten Tag, nachdem er die Nacht damit verbrachte, Unmengen von Skizzen anzufertigen. Der Boden der Schmiede war übersät von Pergamenten, auf denen unterschiedliche Formen von Parierstangen und Heften aufgezeichnet wurden. Wahllos nahm ich eines davon zur Hand. Ein mit Edelsteinen besetztes Hufeisen, das die Klinge fasst, wurde mit unerwartet viel Kunstfertigkeit darauf gezeichnet. Perfekt erschien es mir und daher gespannt war ich, was er stattdessen als Arbeitsgrundlage wählte.

„Du bist früh auf", holte mich seine Stimme aus der Bewunderung seiner künstlerischen Fähigkeiten. „Ich habe bestimmt mehr Schlaf in meinem gemütlich, warmen Bett genossen als du in den deinem", war meine Antwort, während ich das Pergament wieder ablegte und auf ihn zuging, den tadelnden Unterton nicht verhehlen könnend. In viele Kämpfe wird er bald ziehen und müsste sich auch durch genügend Ruhe darauf vorbereiten.

„Ein paar Stunden vielleicht, aber viel zu ideenreich war ich nach deiner Anregung, als dass es vernünftig gewesen wär, die Zeit mit Schlaf zu vergeuden." Zu sich heran winkte er mich. Das wenige an Nachtruhe sah man ihn kaum an, denn die Augen glänzten fiebrig vor Aufregung und Tatendrang. Zuletzt sah ich dies an ihm, als er den Auftrag erhielt, die besten Waffen- und Rüstungsschmiede zusammen zu rufen, um seine Einheit neu auszustatten.

Eine erste Arbeit aus den vielen Entwürfen hielt er mir schließlich voller Stolz vor und ich bereute es, nicht schon früher erschienen zu sein, denn beinahe vollendet schien sie. Ein kräftiger, steigender Hengst aus Bronze, kleine Details und Konturen teilweise bereits ziseliert, zur Hälfte eingelassen in ein nach unten offenes Hufeisen wie es auch die Zeichnung zeigte und das wohl später die Parierstange bilden soll.

Ehrfürchtig vor dieser Ausarbeitung bat ich darum, sie in die Hand nehmen zu dürfen. „Wie findest du es?", fragte er mich, ungeachtet der Tatsache, dass ich von der Kunst des Schmiedehandwerkes kaum Ahnung habe und mehr das Aussehen als die Verarbeitung beurteilen konnte. Vorsichtig strich ich über sorgfältig herausgearbeitete Mähne und Streif des Pferdes. So leicht wog sie, obwohl alles stabil wirkte und wohl kräftige Schläge unversehrt überstehen würde, sobald es mit dem gleichgestalteten Gegenstück vereinigt und an die Klinge angebracht wäre. Noch nie sah ich solch eine Arbeit. „Wunderschön", war gleichwohl alles, was ich hervorbrachte. Dwalin wusste jedoch dieses als die Würdigung zu deuten, die ich eigentlich auszudrücken versuchte.

Bei der Herstellung und Veredelung des zweiten Teiles beobachtete ich ihn genau. Filigran ist die Arbeit und sonst begeistert er sich nicht für solcherart. Zwergische Waffen sind oft schwer und wuchtig gefertigt, mit einer breiten Klinge und groben Heft, aber dennoch selten bedarf es zwei unserer Hände, um sie zu führen. Wenig und zudem Materialien von geringem Gewicht musste er stattdessen hier verwenden, die gleichwohl strapazierfähig sind, denn mehrere Dinge gilt es zu beachten, wenn ein berittener Krieger diese effektiv im Kampf gebrauchen soll. Das gesamte Schwert muss perfekt ausbalanciert und scharf sein, sowie der Ort spitz. Die zwingende Erforderlichkeit besteht, es nur mit einer Hand zu führen, und zudem recht kurz sollte es sein, damit man sich selber oder das Pferd beim Ziehen aus der am Sattel befestigten Scheide nicht verletzt. Eine Parierstange benötigt es kaum, kommt der Angreifer doch im Idealfall nicht dazu einen Gegenschlag auszuführen. Schnell und beim ersten Schlag oder Stich tödlich erfolgt die Attacke eines Reiters.

Bevor er die beiden Teile zusammenführen konnte, musste sich Dwalin jedoch erst der Fertigung von Griff und Knauf widmen. Für gebeizte Eiche, die mit braunem Leder umwickelt wird, sowie einem Abschluss, der einen Pferdekopf darstellt, entschied er sich schließlich mit meiner Hilfe. Der lang herbeigesehnte magische Moment der Vereinigung aller Komponenten zum Heft und das Aufbringen dieses an den Erl, dauerte jedoch nur wenige Augenblicke, gleichwohl das Schwert sich anfang weigerte, in dem es immer wieder dem Schraubstock entfloh, egal wie fest Dwalin diesen anzog.

Jedoch kein makelnder Fleck all dieser Schwierigkeiten haftet ihm an, als Folca es aus der durch meine Hand unter Dwalins Anleitung gefertigten Scheide ebenfalls aus ziseliertem Leder zieht. Eindrucksvoll klingt das verwendete Material dabei, während es an dem Samt reibt, der das Innere auskleidet. Einzigartig. Unvergesslich. Mit jeder geschlagenen Scharte, jedem Blutspritzer, jedem besiegten Feind, verändern sich die Nuancen ein klein wenig. Werden höher oder tiefer. Tönen voller in Stolz. Wehklagen mitunter aber auch, wenn mit der Klinge Unrecht vollstreckt wurde.

„Sie ist wundervoll. Ich danke Euch", lobt Folca und reicht das Schwert an seinen Sohn weiter. Ehrfürchtiger noch als er, nimmt dieser es entgegen. Gleichwohl sofort ist zu erkennen, wie es geradezu für ihn geschaffen scheint. Eine perfekte Verlängerung seines Armes. Die Hand umschließt den Griff sicher und als er einige geschmeidige Probeschläge vollführt, spüre ich deutlich die Angst der Feinde, die aufkommen wird, sobald das flirrende Geräusch der durchschnittenen Luft ertönt. Ein Meisterwerk hält er in Hände, das ihm und seinen Nachfolgern hoffentlich in vielen Schlachten ein treuer Freund sein wird.

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