Die Lektion

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Vier Wochen vergehen, ohne dass eine Nachricht der ausgesendeten Kundschafter uns erreicht. Lang und beschwerlich ist der Weg nach Annúminas. Denn die Gegend um die alte Stadt, die einst Königen der Menschen als glanzvolle Residenz diente, und seit einigen verlassenen Jahrhunderten zerfällt, ist verwildert, die Straßen vermutlich kaum mehr als solche erkennbar und die Wälder rundherum wild und gefährlich.

Thorin sorgt sich daher nicht um sie, jedoch sehe ich ihm die stetig wachsende Unruhe an, da jeder Tag mehr die Möglichkeit unwahrscheinlicher werden lässt, dass wir die Entführten und die, die für ihr Leid verantwortlich sind, finden werden. In andere Reiche verschleppt ist die Gefahr groß, dass sie dort weiterverkauft wurden. Nicht nachvollziehen ließe sich ihr weiterer Weg in diesen Fällen. Größtenteils Angehörige des dritten Standes sind es, einfache Zwerge, Bäuerinnen, Handwerkerinnen, Mütter, Bedienstete, unverzichtbare Mitglieder der Gesellschaft, sie und vor allem ihre Kinder unabdingbar für das Weiterbestehen unserer Sippe.

Ich derweil erholte mich weitestgehend von den erlittenen Verletzungen. Die Wunden verheilten, hinterließen jedoch so einige Narben, die gleichwohl durch gute Pflege und Oins Wissen schmal und zart sind und bereits beginnen zu verblassen. Auch der Arm gehorcht mir immer besser und kaum mehr unter Schmerzen gelingt es, ihn so wie einst zu bewegen. Nichtsdestominder erlaubte mir Thorin weiterhin nicht, den Dienst an seiner Seite wieder aufzunehmen, obwohl ich meine Räumlichkeiten längst verlassen durfte. Erst Oins Empfehlung, dass es für die Wiederherstellung einstiger Kräfte nur förderlich sein kann, wenn ich mich einem leichten Kampftraining widme, stimmte ihn um. Jedoch nur er selbst solle mein Gegner bei diesen sein.

Daher stehe ich ihm nun geharnischt und bewaffnet und leicht nervös auf dem Übungsplatz gegenüber. Ungewohnt schwer wiegt das Schwert in der Hand. Sein Gewicht zieht arg an dem geschwächten Arm und lässt ihn mich nur unter anstrengender Mühe heben, das muss ich schmachvoll zugeben. Allerdings anmerken lassen mag ich mir dies nicht. Stark und fähig ihn im Notfall verteidigen zu können, so wie es der Schwur einst von mir gegeben es verlangt, will ich wirken.

„Bereit?", fragt er und ich nicke, obwohl mir dessen nicht unzweifelhaft sicher. Er greift kaum einen Augenaufschlag später an, Hart und schonungslos sind seine Schläge. Es scheint mir wie einstmals, als ich rar an Erfahrung im Kampf, lediglich geübt im Umgang mit der Staffage eines Schwertes, geführt gegen einen Gegner, dem es daran lag Kraft, Ausdauer und Geschick zu fördern, ihm gegenübertreten musste. Beweisen sollte ich mich damals ebenfalls als würdig ihn zu verteidigen. Der Feuerprobe der Kriegerinnen ging die Prüfung voraus.

„Und du willst deinen Dienst wieder aufnehmen!", spottet Thorin, derweil er eine der erbärmlich gehaltenen Blockaden mühelos durchdringt und mich dadurch zurückdrängen kann. Provozieren will er nur, das weiß ich. Den Weitblick solcherlei Finten zu erkennen und sich deren nicht anzunehmen, erarbeitete ich mir allerdings in den vielen Jahren seither. Stärke ist nicht meine Waffe. Niemals könnte ich Gegner wie ihn mit der alleinigen Auferbringung, und sei sie noch so gewollt, besiegen. Gewandtheit und Fertigkeit sind es, die mir dies ermöglichen. Und die Beherrschtheit zu bewahren, egal was geschieht. Daher lasse ich mich von seinen Worten nicht beeindrucken, selbst, wenn sie einen Funken Wahrheit enthalten, was mir nur allzu bewusst ist, denn sogar mit geschickten Ausweichmanövern und hinterrücks ausgeführten Finten, komme ich kaum an ihn heran.

„Lasst mir nur ein paar Tage Zeit unter Eurer Probe", antworte ich daher bereits keuchend, „dann werde ich Euch schon besiegen können." Thorin lächelt höhnisch und stoppt den Vorstoß des Schwertes nur wenige Zentimeter, ehe es ein tiefes Loch in meinen Unterleib schlagen würde. Er kommt mir näher, die Waffe jedoch an Ort und Stelle haltend. „Du brauchst mehr als das", kündigt er an, allerdings weiß ich nicht, was dieses mehr sein sollte.

„Sei dir wieder sicher darin, dass du es kannst." Wenige Worte sind es nur, aber sie treffen tief. Selten bislang habe ich Kämpfe verloren, darunter jedoch keine aufgrund der Schwäche des Körpers, der Erschöpfung, Verletzung oder Schmerz erlag. Ich habe Angst davor, dass sie sich irgendwann einmal wieder zeigen könnte, obwohl nichts Verwerfliches darin liegt. Mir diese eingestehen wollte ich allerdings bisherig nicht. Die Schmach versagt zu haben und die Furcht ihr erneut während eines wichtigen Kampfes zu unterliegen, blockiert das Handeln. Kleine Fehler nur entstehen daraus, Unsicherheiten, Fehltritte, Zögern, aber sie haben gewaltige Auswirkungen.

„Wie?" Zitternd fragt die Stimme und ich bin froh darum, dass niemand in der Arena zugegen ist, der uns beobachten und mich verurteilen könnte. Thorin Antlitz wird weicher. Er stellte sich diese Frage wohl ebenfalls in seinem kampfesreichen Leben. Auch er ging nicht immer siegreich aus Kämpfen hervor. Auch sein Körper ist bezwingbar, gleichwohl die Schläge, die dazu führen könnten, wahrlich mit wirksamen Hass und schrecklicher Wut verübt werden müssten.

Das Schwert weicht von meiner Seite und anstatt seiner nähert sich seine Hand, dessen Wärme selbst durch das dicke, weiche Leder der Handschuhe hindurch sickert und auf die Kälte der schweißnassen Haut trifft. Sanft kommt sie dort zum Erliegen. „Akzeptiere, dass du nicht perfekt bist. Niemand ist das. Du hast Fehler, Schwächen, Makel, treibst mich mit manch einem Verhalten und der Dickköpfigkeit in den Wahnsinn. Verletzungen und Erschöpfung haben dich geschlagen, nicht dein Gegner, dieser hatte lediglich Glück."

Ein Stück dichter tritt er, fesselt den Blick mit dem seinem. Diese Augen aus packenden Eis. Wie faszinierten sie mich bereits nach dem ersten Erschauen vor so vielen Jahren. Nicht büßten sie in ihrer Wirkung ein seither. „Du darfst schwach sein, du darfst Angst haben. Aber lasse diese niemals eine solche Macht über dich ergreifen, dass du an dir selber zweifelst und vielleicht sogar verzweifelst."

Ein Rat, den er selbst erst nach viel Hader an sich und seinen Fähigkeiten erlernt haben wird. Freimütig gibt er ihn nun an mich weiter, damit ich wieder selbstbewusst und tapfer an seiner Seite stehen und kämpfen kann. Ich senke den Blick zum Dank dafür.

„Und nun lass uns weiter üben. Dein Arm brauch tatsächlich die Bewegung." Lächelnd tritt er wieder zurück und hebt sein Schwert. Ich atme tief. Beruhige damit den pochenden Herzschlag ein wenig und greife erneut an. Er pariert die Schläge weiterhin mit Leichtigkeit, aber immer öfter gelingt es mir auch, die Verteidigung zu durchbrechen.

„Nimm das Schwert in die andere Hand!", befiehlt er plötzlich. Ich stocke in der Finte und stolpere daraufhin beinahe über die eigenen Füße. „Was?!" Die Stimme fiept hoch ob der unangekündigten und mir unausführbar erscheinenden Anweisung. „Dein Kampfarm war verletzt, das wurde dir zum Verhängnis. Nicht das letzte Mal wird dich solcherlei schwächen, du musst also geübt mit beiden sein." Zur Demonstration greift ebenso er nun das Heft mit der Linken und wirbelt Binamrâd mit einer Gewandtheit, die der Vertrauten in nichts nachsteht, um sich. Ich bin beeindruckt, auch wenn ich wusste, dass er genauso wie Dwalin gekonnt darin ist, Schwerter und Äxte beidhändig und dadurch sogar gleichzeitig zu führen.

Zögerlich gehorche ich. Ungewohnt schwer wiegt das Gewicht von Umrazu'kark. Unausgewogen scheint die Handhabung, jedoch nur kurz, denn beim Schmieden bedachte Thorin auch diese mögliche Gebrauchsweise.

„Greif mich an!" Leichtfüßig ist der Vorstoß, jedoch ungewandt die Parade und banal der Schlag. Wenig wird die Linke für alle Art von Tätigkeiten gebraucht, lediglich grobe Arbeiten ist sie auszuführen gewohnt. „Weiter", treibt Thorin an. „Noch einmal." Das Umdenken beim Angriff ist ermüdend. Jede Bewegung muss andersherum ausgeführt werden. Jeder Fußtritt, jede Ausweichbewegung seitenverkehrt. Wenn beide Klingen sich anbinden, kann ich kaum dagegen halten. Wütend werde ich darüber, wohlwissend, dass lediglich die Ungeübtheit verantwortlich ist.

„Komm doch, kleine Faie!", provoziert Thorin, den Missmut allzu leicht erkennend, jedoch bewusster wird er mir dadurch. Mit langsamen Atem versuche ich ihn zu bezwingen. Ruhiger erfolgen daraufhin die Bewegungen. Kontrollierter sind die Vorstöße, Paraden, Wechsel. Ich lerne, die von ihm aufgenommene Kraft abgewehrter Schläge für mich zu nutzen. Eine Technik, die mir bisher immer Schwierigkeiten bereite. Unerlässlich scheint sie mir nun.

„Sehr gut!", lobt Thorin nun, denn ein von unten nach oben geführter Hieb, der ihn zu seinem wie meinem Erschrecken nun knapp verfehlte, markiert eine Wendung. Plötzlich treibe ich ihn vor mir her. Dränge den Zwergenkönig mit Links zurück.

„Willst du mich bezwingen?!" Spott aber auch Respekt vor dem Vorhaben bewegt seine Stimme. Ich nicke lächelnd und führe eine Finte aus. Einen angedeuteten geraden Hieb von oben, der dann jedoch nach vorne überstürzt und die Klinge nahe der Parierstange trifft, an ihr abgleitet und nun ungestört den unteren Körper treffen könnte. Er selbst brachte sie mir bei, ist allerdings zu überrascht darüber, dass ich sie gegen ihn gebrauche, so dass er nicht angemessen reagieren konnte. Millimeter vor seinem Bein, auf der Höhe, in der er mir einst eine Verletzung zufügte, stoppt der Angriff.

Wir keuchen. Anstrengend war der Kampf, in dem es um mehr ging, als bloße Ertüchtigung. Neue Selbstsicherheit gab er mir. Das Vertrauen darauf, dass ich trotz der erlittenen Niederlage nicht unfähig bin.

Ich ziehe das Schwert zurück, drehe die Klinge so, dass sich die ungefährliche Breitseite präsentiert, und verbeuge mich vor ihm, meinem König, meinem Lehrer, meinem Beistand. Nicht nur aus Respekt und als Dank für die Lektion, sondern auch, weil er mir bestätigte, dass ich es Wert bin, ihn weiterhin zu beschützen. Fähiger, erfahrener sogar, denn vormals.

Er legt mir eine Hand auf die Schulter. Schwer lastet sie vor Anerkennung. Warm ist sie und stark. Wie gerne spüre ich ihrer am Leib. „Das hast du gut gemacht, Uzfakuh", würdigt er. Lang ist es her, dass er mich so nannte. Frühe nutze er den Kosenamen, der geradezu beschämend deutlich ausdrückt, was ich ihm bedeute, ausgesprochen oft. Natürlich lediglich im Verborgenen, fern lauschender und missinterpretierender Ohren. Manch kalte Nacht, in der ich mich schamlos nach der Wärme seiner Hände sehnte, misste ich auch, wie das Wort von seinen Lippen fließend klingt und welches eigenartige Gefühl von Stolz und gleichzeitiger Verlegenheit es in mir hervorbrachte. Oft fragte ich mich, warum er es nicht mehr nutzte. Ob ich ihm zu viele Schwierigkeiten bereitete? Ob ich die Eignung verlor, ihn zu erheitern? Aber in diesem Moment wird mir plötzlich klar, weiterhin und immerzu war ich seine größte Freude, jedoch wandelte sich der Grund dafür.

Früher erwirkte meine Anwesenheit eine Ablenkung vom tristen Alltag. In ihr konnte er Ruhe finden, sich Untätigkeit erlauben, die Gedanken sich beschäftigen lassen mit etwas anderem als Politik, Intriganz, Kriegskunst, Diplomatie und all den kleinen und großen Problemen, die eines Königs Schlaf belasten.

Im Laufe der Jahre, in denen ich dem Rang einer Dienstmagd und eines einfachen Mädchen entwuchs, lernte, kämpfte, unter seinen wachenden Augen und fördernden Worten erblühte an Aufgaben und Prüfungen, da bereitete ich ihm immer mehr andere Freuden. Stolz zu empfinden ob der Leistungen eines geliebten Zwerges, ist ebenso eine. Zu sehen, wie sich eine Entwicklung vollzieht. Welch Erfolge derjenige zu vollbringen imstande ist, obwohl er anfangs schwach und unstet war.

All das ließ ihn gleichermaßen großes Glück verspüren, das er vermutlich jedoch nicht einzuordnen und als solches zu empfinden vermochte, denn bislang nur selten standen ihm andere außerhalb seiner Familie so nah und waren es wert, in einem gehobenen Maß gefördert zu werden. Jedoch oft in den zurückliegenden Jahren begegnete ihm dieser besonders reine und selbstlose Stolz. Er sieht ihn in dem leichten Lächeln seiner Schwester, wenn sie Kili bei den wackeligen Gehversuchen beobachtet. Das Diamantfunkeln in den Augen seines Schwagers, während er Fili Lektionen im Schwertkampf erteilt, greift allzu oft auch auf seine über.

Mehr von Wert als ein drachenbewachter Hort aus Gold ist dieser Stolz. Im kleinen Maße getraue ich ihn mir auch zu empfinden. Gegenüber Fili und Kili vor allem, die mir nahe stehen wie Brüder. Gegenüber Dwalin, der trotz seines jungen Alters bereits viel erreichte. Gegenüber Thorin, der die Last der Königswürde erhobenen Hauptes trägt und gut zu Volk und Reich ist, so, wie ich immer wähnte.

Lange schweigen wir. Allerdings keine unliebsame Stille entsteht dadurch. Langsam senkt sich der Staub des im Kampf aufgewirbelten Sandes, erleichtert so das Atmen. Noch immer ruht seine Hand auf meiner Schulter. Der Griff ungezwungen und dennoch deutlich spürbar. Warm und schwer.

Vertrauen fördert der innige Moment. Sie dringt in mich. Durchflutet mich. Warm und schwer.

Verbundenheit stärkt er. Das Band zwischen uns festigt sich. Umschlingt uns. Warm und schwer.

Verlangen entfacht er. Nach seiner Nähe, seinen Berührungen, dem Empfinden seines Atems auf der Haut. Warm und schwer.

„Lass und zurückgehen", sagt er plötzlich und beendet den Moment. „Das Abendbrot wird bestimmt bereits auf uns warten." Ich nicke zustimmend und misse augenblicklich das warme, schwere Gefühl seiner Hand auf meiner Schulter, die von ihr heruntergleitet, während wir den Übungsplatz verlassen.

Jedoch kaum einen Schritt in den Gang setzten wir, da kommt uns ein Wachsoldat der Tore entgegen. Trotz seiner Jugendlichkeit außer Atem ist er. Das Tragen von Rüstung und Schwert noch nicht gewohnt und dadurch erschöpfend bei Anstrengungen wie einem schnellen Lauf.

„Majestät", schnauft er und verbeugt sich ehrenschwer erst vor Thorin und dann ein klein wenig tiefer als es Anstand und Respekt verlangt auch vor mir. „Was gibt es so Eiliges?", fragt der König mit drängender Stimme, womöglich ahnend, was der unzweifelhaft als Bote losgeschickte überbringen soll.

„Die Späher sind zurückgekehrt."


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