Die Hände eines Kämpfers sind auch die eines Heilers

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Dünne, schwarze Rauchkringel steigen von der Wunde auf, als wir das eilig besorgte Silbermondwasser in sie träufeln. Zum Glück von einem alten Krämer, der in seinem versteckt liegenden kleinen Laden zudem allerhand Seltsames und Wunderliches führt, wusste Meister Âskulp zu berichten. Gerne hätte ich den dorthingeschickten Boten begleitet, jedoch vielerlei für das Heilritual vorzubereiten galt es in der Zwischenzeit.

Vier Eichenzweige, die die beistehenden Geister unserer Ahnen herbeirufen, sollte ich auf die Deckenbalken des Raumes legen und ihn sorgfältig mit getrocknetem weißen Salbei ausräuchern, damit alles Böse vertrieben wird. Ich hörte mit Genugtuung die in den Ecken lauernden Alben verärgert zischen, als der aromatische, neblig wabernde Rauch sie unvermittelt traf. Mandos jedoch, weiterhin schattenhaft wartend, gab sich erwartungsgemäß von dessen Wirkung unbeeindruckt. Er ist kein Dämon, kein Schreckensgespenst, sondern ein Gesandter des Todes, der uns alle ereilen wird. Er spricht Urteil nach Manwes Geheiß, dem größten und mächtigsten der Valar, und ist einer der Feanturi, der Herren der Geister, die wir anrufen werden Thorin zu heilen. Ich neigte respekterweisend mein Haupt vor ihm und bat um seine Hilfe, sein Wohlwollen und die Kraft seiner Untertanen, die in seinen Hallen des Wartens im Schatten ihrer Gedanken und Erinnerungen thronen.

Der altwissende Heiler zeichnete derweil mit einer Mischung aus Asche und Lavendelöl eine der großmächtigsten Bindrunen der Heilung* auf Thorins Brust. Eine Beschwörung murmelte er dabei, deren Worte mir nicht geläufig waren. Unverkennbar handelte es sich um Khuzdul, jedoch die Redeweise war so alt, dass wohl nur noch wenige überhaupt um ihre Existenz wissen. Kaum verbanden sich die beiden Runen mit den letzten ausgesprochenen Lauten zu einer Einheit, erglühte die Haut in unmittelbarer Nähe in neuer Lebenskraft. Blässe und schwarze Blutlinien zogen sich zurück und ein pulsierender silberner Schimmer säumte das Zeichen. Erschrocken und fasziniert zugleich hielt ich den Atem an, denn noch niemals sah ich solch Macht wirken.

Das Silbermondwasser zischt in der Wunde, als würde sie darin etwas verbrennen. Und tatsächlich, den warmen Geruch von trockenem, harzhaltigen Holz, das in eine heiße Flamme geworfen wurde, nehme ich kurz darauf wahr. „Wir müssen nun abwarten", sagt Meister Âskulp und sinkt blass vor Erschöpfung auf einen Stuhl nieder. Unermessliche Kraft kosten Rituale, insbesondere die der Heilung. Wir danken dem Heiler und Dís bitte mich, ihm eines unserer Gästezimmer für die Nacht zu bereiten.

Als ich zurückkehre, empfängt mich eine Unvorhersehbarkeit. Dwalin sitzt am Krankenbett seines Königs und Waffenbruders. Sein breiter Rücken ist mir zugewandt, so dass er sich meines Kommens zumindest ersichtlich nicht gewahr wird. Erst einen Tag lang sahen wir uns nicht, aber die einsame Zeit erschein mir wie eine Ewigkeit. Dennoch hadere ich damit, ihn wieder allein zu lassen, denn zweifelsohne hat er auch Oin und die Herrin darum gebeten. Niemals hätten sie Thorin in seinem Zustand unbewacht gelassen. Noch immer, gleichwohl schwächer als während des Rituals, leuchtet die Bindrune auf seiner Brust und es mag täuschen, aber zumindest etwas gesünder erscheint er mir bereits.

„Wie geht es ihm?" Dwalins unerwartet ertönende Stimme erschreckt. Rau von unterdrückten Tränen und erdrückt von Schuld klingt sie. Trotzdem er mich nicht sieht, spürte er meine Anwesenheit wohl schon von der Sekunde an, als ich die Räumlichkeiten betrat. Der mächtige Sinn eines Kriegers ermöglicht es ihm, immer genau zu wissen, wer sich in seiner Nähe aufhält, egal ob Freund oder Feind. Ich schärfte ihn im Laufe der vielen Jahre, aber brachte es bei weitem noch nicht an seine sowie Thorins Perfektion heran.

Langsam trete ich näher und lasse mich auf Dís' Stuhl ihm gegenüber nieder. Thorin liegt zwischen uns. Wahrlich besser sieht er aus, auch wenn weiterhin schwarze Linien seine Haut durchziehen und er zerbrechlich blass wirkt. Ebenso Fieber wird er immer noch haben. „Die Klinge des Feindes war mit dunkler Magie vergiftet, aber ein Heiler, den Oin herbeiholte, kannte ein Heilmittel, das zu helfen scheint." Nicht die ganze Tragödie um seinen Zustand möchte ich ihm erzählen. Viel zu viele Sorgen und Selbstvorwürfe zermartern ihn bereits. Sichtbar ist das Verzagen. Zersplittert wirkt auch er. Dunkle Schemen der Müdigkeit umschatten die glanzlosen Augen. Die Lippen trocken. Die Schultern hängend ob der Last. Es schmerzt ihn, seinen Freund so zu sehen, genauso, wie es mich schmerzt, sie beide in solch einer Verfassung zu wissen.

„Er wird wieder gesund." Eine Zusicherung ist es, über deren Erfüllung ich nicht zu bestimmen vermag. Noch immer verharrt Mandos in einer Ecke des Raumes. Abwartend. Beobachtend. Nur er weiß darum, ob seine Untertanen das Wunder unterstützten. Auch Dwalin wird ihn wahrnehmen und das Dräuen des Todeswächters ist schrecklich, denn keine kriegerische Stärke kann ihn bekämpfen. Sein Urteil ist endgültig, unabwendbar, unentrinnbar.

Gern würde er mir glauben. Mir vertrauen, auch in dieser Einschätzung. Jedoch weiß er so gut wie ich, dass wir nun auf das weitere Geschehen nicht mehr viel Einfluss nehmen können. Das Silbermondwasser muss seine Wirkung entfalten. Es muss für uns kämpfen. Es muss für Thorin, in Thorin kämpfen, um das Böse zu besiegen. Wir hingegen können nur abwarten, hoffen und bangen und Mahal um Beistand bitten.

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Trotz aller Zeichen der Besserung, weiterhin als tobten die Feuersbrünste des Drachen von einst in ihm, brennt Thorins Körper unter meinen versorgenden Händen. Auch die Wunde erscheint bisher unverändert schrecklich. Noch genau so schwarz sind ihre Ränder und immer wieder spüle ich Blut und kleine abgestoßene Stücke entzündetes Gewebe aus ihr hinaus. Fortwährend in Lebensgefahr verweilt er.

Auf Mitternacht muss es erneut zugehen. Müde bin ich, erschöpft und schusselig, denn eine missliche Unachtsamkeit unterläuft mir, indes ich die Spritze weglegen wollend mich zu schnell umwende und dabei das Gefäß mit dem Athelassud von dem kleinen Beistelltisch stoße. Ich verfluche mich selber und bin den Tränen nahe, während ich auf den nassen Fleck zu meinen Füßen starre, der langsam in die dicken Fasern des Teppichs eindringt. Zum Glück dämpfte er das Aufkommen zu einem verhaltenen Ton herunter, denn ansonsten wäre die Herrin wachgeworden. Auch ihr Tag war lang und anstrengend und noch erschöpfter als ich, schlief sie vor kurzem erst ein, die fieberglühende Hand ihres Bruders erneut als Kissen nutzend.

Dilettantisch werfe ich einige Leinentücher auf den Boden, um das Malheur aufzusaugen, und mache mich daran, einen neuen Sud aufzusetzen. Das Wasser kocht schnell im Kessel auf, der über dem heißen Kaminfeuer hängt. Genügend getrocknetes und frisches Königskraut konnten Oin und Balin heranschaffen. Ich nehme eines der festgeschnürten Bündel und rieche an den langen, tiefgrünen Blättern. Nur schwach ist der Geruch an ihnen wahrnehmbar, der sich erst zur vollen Intensität entfaltet, wenn man diese zerreibt.

Eine Erinnerung keimt plötzlich in dem müdigkeitstauben Kopf. Einst behandelte Thorin eine mir durch seine Hand im Kampf zugefügten Schnitt mit dem Blättersud und einer Paste der zerkauten Blüten. Er verriet mir ihre besondere Heilwirkung auf Verletzungen, wie es Vergiftungen mildern und sogar dunkle Mächte bekämpfen kann, die den Körper befielen. Jedoch nur die Hände eines Königs, die eines Kämpfers und eines Heilers, sind dieser Wunder imstande zu vollbringen. Gleichwohl nicht schaden kann es, wenn auch ich die Wunde mit dem Sud auswasche, haben nicht allein die Blüten eine entzündungshemmende Wirkung.

Sorgfältig zerreibe ich ein paar der von dem dicken, grünen Stängel abgezupften Blätter in meinen Händen. Der entfesselte Geruch ist herrlich. Frisch wie eine Sommerbrise, die über eine blumenbunte Wiese streicht, gleichzeitig süßlich wie das Aroma eines frischgebackenen Honigkuchens und nur ganz entfernt nach tiefen, dunklen Wald, in dem feuchtes Moos die Erde bedeckt und geflügelte Faien sich schnell hinter Baumstämmen verstecken.

Mahal flehe ich an, seinem Sohn beizustehen, als ich die Stückchen in das dampfende Wasser rieseln lasse. Einen Moment schwimmen sie auf der Oberfläche, versinken dann langsam in der Tiefe zergehend. Der daraufhin mit dem Dampf aufsteigende Geruch überwältigt mich. Längst erloschene Erinnerungen erheben sich aus dem Nebel des Vergessens.

Ein freier Tag im Baraz Anâm, den ich mit Sirja verbrachte. Sie bat mich darum, ihr bei den Vorbereitungen zu ihrem Geburtstag zu helfen. Unmengen an Kuchen und Keksen und kleinen, mit Erdbeermarmelade gefüllten Pfannkuchen* backten wir. Der herrliche Geruch, der die Küche am Abend erfüllte, verbreitete sich schnell im ganzen Haus und zog die anderen Mädchen förmlich an. Sie holten Wein und Kaffee und Kissen, auf denen wir auf dem Steinfußboden saßen, lachten und schnatterten und scherzten und für ein paar Stunden vergaßen wir alle die Probleme und Lasten unserer bisherigen und jetzigen Leben.

Die Herrin Dís befand sich im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft. Die besondere, reine und erwartungsfrohe Schönheit einer werdenden Mutter, entfaltet in diesem oft ihre volle Wirkung, so auch bei ihr. Trotz des bereits beeinträchtigend großen Bauches und trotzend der Sorgen von Gemahl und Bruder, nahm sie an den Feierlichkeiten zum Alefest teil. Der erste Weizen wurde eingebracht. Eine gute Ernte bisher. Reichlich füllte sie die Kornspeicher mit üppigen Früchten, die durch die Hand rannen wie Goldkiesel. Jedoch noch mehr umjubelt wurde der Beginn der Aleproduktion. Die fröhlichsten aller Tänze sollen dem Anlass gebühren, aber die Herrin winkte die Aufforderung ihres Gemahls ab, obwohl ich bisher niemanden lieber und herrlicher sich zur Musik bewegen sah als sie. Dennoch zu schwerfällig empfand sie sich bereits, daher erlaubte sie mir die eigentlich ihr zustehende Eröffnung des Balls. Das Tanzen lernte ich von Großherzog Vilí, jedoch lange war dies her. Allerdings eigenartig und gleichwohl noch immer vertraut, fühlte es sich an, als er meine Hand nahm. Nur mit ihm tanzte ich an diesem wunderschönen Abend. Er führte nicht mehr das kleine ungeübte Mädchen, das er einst herumwirbelte und ihm unbeholfen wie ein neugeborenes Fohlen auf die Füße trat. Viel lernte ich in den letzten Jahren aus dem Erlebten. Nicht allein kriegerische und formgewandte Eigenschaften. Die gefestigte Selbstsicherheit ließ es zu, dass die hinter vorgehaltenen Fächern gemunkelte Wörter über diese ungewöhnliche Diensthandlung, mich nicht mehr berührten. Neid auf meine hart erarbeitete und mit Vertrauen und Mut errungene Stellung und die Nähe zur königlichen Familie, ist ein ständiger in turmalingelbgrün schimmernder Begleiter. Ich belächle sie derweil affektiert und erfreue mich an den sich daran entrüstenden Mienen.

Die Sonne schien warm von einem wolkenlos-blauen Himmel auf uns hinab. Der schöne Sommertag war ideal, um ihn mit einem Spaziergang in die nahe Umgebung ausklingen zu lassen. Dwalin als Schutzmann und Jassin, sowie ihre älteste Töchter, die gerade ihr zehntes Lebensjahr erreichte und somit traditionell die Erlaubnis erhielt, das erste Mal die geschützten, heimatlichen Hallen zu verlassen, begleiteten Dís und mich. Das junge Mädchen staunte über all die bisher ungesehenen Wunder der Natur. Jeder Grashalm, jedes Blatt an einem hohen Eichenbaum, jede Blume und war sie noch so unscheinbar, wurde von ihr mit offenen Mund und riesigen Augen bewundert. Ich erinnerte mich unweigerlich der Begeisterung, während all dies das allererste Mal auf mich einwirkte. Die langen Ohren eines vorbeihoppelnden Hasen rief ein solches Entzücken hervor, bis heute lässt Dwalin keine Gelegenheit verstreichen, neckend über sie zu berichten.

Unterschiedliche Gefühle wühlen die Erinnerungen auf. Freude, Selbstwert, Unbeschwertheit, Sehnsucht ... Sie überwältigen mich und für einen Moment, scheint die Situation hoffnungsvoller denn je. Der Duft der Leckereien, die Wärme der Sonne und die Fröhlichkeit der Tänze tragen mich mit ihrer Leichtigkeit hinauf in die laubgrüne Zuversicht. Thorin wird nicht sterben. Stark ist sein Körper und noch vehementer der Wille zum Leben. Er wird gebraucht. Von seinem Volk, seinem Reich, seiner Familie und seinen Freunden. Er weiß darum und niemals würde er sie im Stich lassen. Er ist unser König. Ein Licht in der Dunkelheit.

Sorgfältig wasche ich die Wunde mit dem Sud aus, zerkaue anschließend einige der zartblauen Blüten zu einer Paste und bringe sie vorsichtig in sie ein. Genau und respektvoll gegenüber der alten Zauberpflanze handle ich. Im Herzen die unerschütterliche Gewissheit tragend, dass er gesunden wird. Kaum etwas wird sie wohl aus meiner Hand bewirken, jedoch der Glaube daran ist dennoch wirksam, unbesorgter lässt er mich in dieser Nacht einschlafen. Seine Hand dabei fest umklammernd, als könnte ich allein dadurch das kostbare Leben in ihm halten. Bedrückt von Traumschwere, falle ich in tiefen Schlaf.

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* Verbund aus den Elder Futhark Runen Uruz und Kenaz
* Da ich weiß, dass hier regional bedingte Missverständnisse aufkommen könnten, ich komme aus Sachsen-Anhalt, hier heißt es Pfannkuchen. Man nennt es woanders auch Berliner, Krapfen, Kr(e)äppel oder Puffel. Sorry, wenn ich Begriff vergessen habe. By the way, es gibt sogar ein Wiki Eintrag dazu. :-)

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