Der Ohnmacht so nah

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Die letzten Stunden dieses bewegten Tages schleppen sich dahin. Balin kehrt zurück, nachdem die Ratssitzung endete, um uns von ihr zu berichten, und nach den Umständen zu schauen. Als Hand des Königs vertritt er ihn in allen Belangen, muss Entscheidungen treffen, sich für sie rechtfertigen und die Last der Regierung auf die jungen Schultern nehmen. Jedoch nur auf Zeit hat er das Recht dazu.

Die Thronfolge ist in Ermangelung eines rechtmäßigen Erben ungeklärt und ich befürchte, einige dieser widerlichen adligen Ränkeschmiede, die auch im Rat ihren Platz haben, spekulieren bereits auf einen Kampf um die Herrschaft. Uninteressant ist dabei, dass der König nicht im Sterben liegt. Allein seine Schwäche ist es, die den Anlass dazu gibt. Dís als Prinzessin ist ihrer nicht berechtigt und Fili, zwar nächster mannlicher Spross des Hauses Durins, muss, da er nicht der direkten Königslinie entstammt, erst per hohem Zwergendekret zum Thronanwärter ernannt werden. Balin fürchtete diese Situation schon immer, aber Thorin hörte nicht auf seine klugen Ratschläge. Noch verbleibende Zeit nannte er als Argumentation, um die Suche nach einer Gemahlin, die ihm einen rechtmäßigen Sohn schenken würde, aus seinem Interesse zu schieben. Er ahnte nicht, wie schnell sie ihm durch die Kriegerhände hinfortrinnen kann, auch, wenn das Leben eines Zwerges zwar lang, aber voller todbringender Gefahren ist. Wenige erreichen ein hohes Alter und insbesondere die gefallenen Namensblätter des Stammbaumes Durins tragen das Zeichen des gewaltsam erlittenen Todes zuhauf.

Freunde kommen und gehen, bringen uns Beschäftigung, Decken, Kissen, Essen und Getränke. Bleiben für kurze Zeit, wachen still mit uns oder versuchen, durch Belangloses abzulenken. Oin trägt mir auf, in ein paar Stunden den Verband zu wechseln und ihn zu rufen, sollte die Wunde bereits entzündet erscheinen.

Am Abend lässt mich auch die Prinzessin allein. Ihren Sohn muss sie versorgen. So wenig wie möglich soll er von der Bedrückung mitbekommen, die auf allen und jedem liegt. Seine Seele ist noch (so) zu unschuldig. Gerne würde ich ihn nach der langen Zeit der Sehnsucht zu Bett bringen, aber mag ihr diesen kurzen Moment der Normalität und des tiefen Durchatmens nicht nehmen.

Lange sitze ich still auf meinen langsam unbequem werdenden Stuhl und beobachte das sich immer noch hastige, gleichwohl flache Heben und Senken von Thorins Brust. Viel Kraft kostet es dem starken Körper, den Blutverlust wettzumachen. Trinken müsste er. Essen ebenfalls, um die Regenartion zu beschleunigen. Aber in den seit dem Angriff vergangenen Stunden konnten wir ihm nichts davon einflößen. Noch nicht einmal die Hühnerbrühe, die Fenna auch für ihn brachte. Jedoch jeder Tropfen Flüssigkeit ist lebenserhaltend und so befeuchte ich wie schon so oft seinen Mund mit einem wassergetränkten Schwamm. Die Feuchtigkeit schimmert silbern auf seinem Bart. Die zarte Haut der Lippen glänzt glücklich, da ich ihr die spannende Trockenheit nahm. Freudlos trotz des schönen Anblicks seufze ich auf und bereite alles vor, um wie aufgetragen den Verband zu wechseln.

Zum Glück nur eine Verletzung erlitt der fähige Krieger, jedoch als ich die straf gewickelten Bandagen über dieser lockere, erschrecke ich fürchterlich ob ihrer Verheerung. Von einer für diesen Zweck präparierten Waffe ausgefranst sind die nur leicht geröteten Wundränder. Lang und tief erstreckt sich der Schnitt von seinem Bauch bis zum Rücken. Dass unter ihm keine Organe verletzt wurden, gleicht einem Wunder. Jedoch noch mehr verwundert, dass sie bereits beginnt sich zu verschließen. Als mächtig wird die Heilkraft von Weißmoos beschrieben, aber mit solch einer Wirkung, hätte ich wahrlich nicht gerechnet.

Dennoch ein wenig muss ich die Heilung zerstören, denn sie erneut auszuwaschen ist zwingend nötig, um auch die letzten Verunreinigungen und eventuell eingebrachtes Gift hinaus zu spülen. Mit einer Spritze bringe ich entzündungshemmenden Kamillen- und Spitzwegerichtee ein und tatsächlich landet in der untergehaltenen Schüssel noch einiges an klitzekleinen abgeplatzten Rostpartikeln sowie sichtbare Stücke Schmutz. Wie abgründig ich Orks und alles, was sie produzieren und fabrizieren doch hasse.

Erst als eine Weile nichts mehr nachkommt, lege ich die Instrumente zur Seite. Den Inhalt der Schüssel werde ich später Meister Oin zeigen, damit er sich ein Bild machen und weitere Entscheidungen treffen kann. Vorsichtig tupfe ich die Wunde trocken und trage sorgfältig mit zarten Fingern eine heilende Salbe auf. Jedoch plötzlich bewegt sich Thorin unter ihnen, seine Muskeln spannen sich an und ein langgezogenes Stöhnen entkommt seinem Mund.

„Herr?", frage ich aufgeregt, die Stimme dennoch zur Ruhe mahnend. Er stöhnt erneut. „Majestät, könnt Ihr mich hören?" Flatternd zucken seine Augenlider und öffnen sich schließlich einen kleinen Spalt weit. Nur einen Moment glimmt das schmerzens-trübe Augenlicht durch sie hindurch, dann schließt er sie wieder. Gleichwohl weiterhin scheint er wach, wenn auch noch nicht im vollen Maße der Ohnmacht entkommen.

„Wo bin ich?", flüstert er mit angekratzter Stimme. Schwach klingt sie. Schmerzverzerrt. Trocken und verletzt. „Zuhause", ist meine ihn beruhigen wollende Antwort und der erstarrte Körper entspannt sich sichtlich. „Bitte sprecht nicht, Ihr habt bei dem Angriff eine schwere Verletzung erlitten und müsst Euch dringend schonen." Als ob er darauf hören würde. Oin erzählte mir, dass er noch nie ein fügsamer Patient war.

„Durst", raunt er dennoch und das Aussprechen dieses Verlangens verzeihe ich ihm natürlich. Mich scheltend, dass es mir auch selbst hätte in den Sinn kommen können, richte ich seinen Kopf etwas aus und halte ihm einen halbgefüllten Becher an die Lippen. Gierig trinkt er die kühle, mit Honig gesüßte Flüssigkeit. Seine Augen jedoch bleiben weiterhin geschlossen. Zu schwach ist er. Einige Zeit wird es brauchen, bis er die gewohnte Stärke wiedererlangt. Ich befürchte eine erneute Ohnmacht, sobald ich ihm den Verband wieder anlege, daher bleibt sie vorerst unversorgt. Vielleicht bis seine Schwester zurückkehrt, schafft er es, in Klarheit zu verharren. Beruhigen würde es sie für den Moment.

„Geht es dir denn gut?" Ich senke den Blick auf die tatenlosen Hände. „Ja", gebe ich kurz angebunden zu, ihn noch nicht damit belasten wollend, die Geringfügigkeit der Wunde zu bestrafen. Frei des Frevels für seine Verletzung verantwortlich zu sein, sprachen mich zwar Dís und Dwalin, jedoch seine Aburteilung als mein Herr ist es, die letztendlich und einzig gilt.

„Das erleichtert mich", flüstert er. „Wo sind die anderen?" Leiser als ehedem wurde seine Stimme. Nah muss ich mich zu ihm hinunterbeugen, um sie zu verstehen. Müde ist er. Schlaf brauch sein Körper, jedoch dringend sind die Fragen. Daher schnell antworte ich ihm, verschweige gleichwohl mit Bedacht die Intrigen im Rat und das Dwalin sich büßend zurückzog. Er nickt beruhigt. Fahrig sind seine Bewegungen und als ich die Wunde betrachte, sehe ich mit erschrecken, dass die Unterlage bereits mit frischem Blut getränkt ist. Gereinigt wird sie dadurch zusätzlich, dennoch kostet es zu viel Lebensenergie.

„Ich werde Eure Wunde wieder verbinden, Herr. Bitte verzeiht mir, sollte ich Euch dabei Schmerzen zufügen." Er brummt als Zeichen der Zusicherung. Schnell nehme ich alles Nötige und beginne straffe Windung um straffe Windung, die Zerstörung zu verbergen. Er stöhnt auf. Die Bewegung plagt. Der entstehende Druck ist quälend und so, wie ich befürchtete, schützt sich sein Bewusstsein bald mit einer erneuten Besinnungslosigkeit.

Als Dís mit Oin zurückkehrt, berichtet ich ihnen von dem kurzen Erwachen. Ein gutes Zeichen ist es, dennoch betrachtet der Heiler die große Anzahl der erneut herausgespülten Fremdkörper mit Missmut und sorgt sich um den neuerlichen Blutverlust. „Wir müssen abwarten", sagt er und untersucht Thorin ausführlich. „Sein Herzschlag ist schnell und die Atmung geht schwer. Nicht davon aus gehe ich, dass sich die Wunde unter solch effektiver Pflege entzündet, jedoch sollten wir kein Risiko eingehen und sie noch sorgfältiger versorgen." Beflissentlich werde ich diese Anweisung umsetzen.

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Die Nacht jedoch ist unruhig. Schlechte Träume plagen Thorin. Er stöhnt im Schlaf und wirft sich im imaginierten Kampf umher. Körper und Geist erinnern sich ob der frischen Wunde an den Schmerz ihrer zahlreichen Vorgänger und an die Umstände, denen sie entstammen. Dís versucht, ihn mit trostreichen Worten und dem leisen Singen alter Lieder zu beruhigen. Es hilft dem Krieger, zurückzufinden. Ihre Stimme leitet ihn aus den Schlachten und Kämpfen wie ein sanfter Wind, der über das blutgetränkte Feld weht. Schon so oft wird sie ihn, Vater und Gemahl tröstend durch die Erinnerungen an all die Schrecken und den Kummer begleitet haben. Gleichwohl wenig kann ich ihm dabei helfen, nur verhindern, dass er sich weitere Verletzungen zufügt.

Seine Hand ergreife ich fest, während ein erneuter Alb auf seiner Brust Platz nimmt und ihn zu erdrücken droht. Dís zog sich für einen Moment zurück, um nach Fili zu sehen. Verzweifeln lässt mich das Alleingelassenwerden in dieser Situation. Ich brauche sie und ihre Erfahrung.

„Majestät", säusle ich mit ruhiger Stimme. „Ihr seid in Sicherheit. Ihr seid zuhause. Kein Leid wird Euch hier widerfahren." Thorin stöhnt und wirft den Kopf umher. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn. Sanft streichle ich ihm über die feuchtkalte Wange und drücke die gehaltene Hand an meine Brust. Die Augen unter den Lidern bewegen sich schnell. „Adad!", schreit er plötzlich und der Anruf seines Vaters ist angefüllt mit kaum zu ertragenem Schmerz. „Hilf mir!"

Tränen tropfen schwer auf seine Hand. „Amad ... sie brennt ... sie verbrennt ... der Drache ... Adad ..." Keine Schlacht ist es, die ihn ergriffen hat. Das Zuhause, dass ich ihm als behütet anpries, im Traum ist es dies nicht. In Drachenflammen geht es auf. Feuer ... Feuer und Tod und Zerstörung überall. Er erzählte einst von dem Erlebten. Der dabei erinnerte Schrecken in seinen schimmernden Augen ist mir noch allzu gewahr. Er eilte zurück, als seine Mutter bei der Flucht fiel. Erreichte sie beinahe, aber sein Vater zog ihn von ihr fort. Der entsetzliche und Schuld heraufbeschwörende Anblick, wie sie in einer glühendroten Welle aus Feuer verschluckt wurde, verfolgt ihn weiterhin trotz all der vergangenen Jahre in seinen Träumen.

„Majestät", versuche ich erneut ihn zu erreichen, aber vergeblich. Im unbarmherzigen Feuer des Drachen vergeht jedes liebevolle Wort. Keine Gefühle außer Hass und Misstrauen und Gier kennen diese Wesen. Ich verzweifle immer mehr. Jedoch ein Einfall erreicht mich unerwartet. Vielleicht ein Lied, das ihn an jüngste Ereignisse erinnert, an eine Situation, in der er frei von Last und Sorgen eines Königs, ungebunden und entspannt verweilte, vermag ihn zu helfen. Leise beginne ich es zu singen.

Schwarzer Rabe, schwarzer Rabe,
warum kreist du über mir?
Noch bin ich nicht deine Beute,
noch gehöre ich nicht dir.

Warum zeigst du deine Krallen
über meinem Haupte hoch?
Reizt es dich, mich anzufallen?
Schwarzer Rabe, warte noch!


Mit dem Tuche, dem geschenkten,
deck ich meine Wunde zu.
Danach werd' ich über eines
mit dir reden, ich und du.

Flieg herbei in meine Nähe,
sage meinem Wolfe,
meiner Holden, dass gefallen
ich für meine Heimat bin.


Nimm das Tuch, das blutgetränkte,
trag's zu meiner Liebsten heim.
Sage ihr, sie wird nun frei sein,
Eine andre sei nun mein,

denn an einem Busch im Felde
nahm ich eine stille Braut,
und mein scharfer spitzer Säbel
hat uns beide dort getraut.


Glühend war der Pfeil, der uns hat
in der Schicksalsschlacht vereint.
Schon seh' meinen Tod ich nahen -
Schwarzer Rabe, ich bin dein!

Und tatsächlich, nach wenigen Klängen bereits, beruhigte er sich. Die Atmung wurde langsamer. Das Zucken der angespannten Muskeln verebbte. Der Alb zog sich zischend vor Wut über das vereitelte Übel in eine schattendunkle Ecke zurück, jedoch nur darauf wartend, erneut anzugreifen. Erleichtert darüber atme ich aus und sinke erschöpft im Stuhl zusammen.

„Ein schönes Lied, trotz seiner Traurigkeit." Die plötzlich leise erklingende Stimme von Dís lässt mich aufzucken. Langsam löst sie sich von dem Türrahmen, an den sie sich wohl schon länger zuhörend lehnte, und kommt auf uns zu. Sanft nimmt auch sie die Hand ihres Bruders und den wachenden Platz an seiner Seite wieder ein.

„Es kommt mir seltsam bekannt vor, als hätte ich es schon einmal gehört." Nicht erdenken könnte ich mir woher, denn ein altes Lied ist es, dass wohl Krieger in Erwartung des bevorstehenden Todes mit letzter Kraft hauchten, den langsam erlöschenden Gedanken bei der daheimgebliebenen Liebsten. „Meine Mutter sang es immer, wenn sie traurig und hilflos angesichts unserer Situation war."

Dís betrachtet mich mit einem seltsam bekümmerten Blick. „Kaum etwas hast du mir über sie erzählt und über das, was ihr all die Jahre erleiden musstet. Verzeih, dass ich bislang nie danach fragte, obwohl all dies dich so sehr prägte und zu der starken, mitfühlenden und achtsamen Frau formte, die du nun bist."

Beklommen senke ich den Blick auf Thorins und meine noch immer miteinander verwobenen Finger. Offen, wenn auch nicht detailreich in all der erlittenen Schrecklichkeit, war ich ihm und Dwalin und selbst im geringeren Umfang Balin diesbezüglich gegenüber. Jedoch ihr davon zu erzählen, wie wir lebten, welche Sorgen und Leiden uns belasteten, ungewöhnlich abwehrend regiert die innere Stimme darauf. „Ihr solltet Euch nicht mit der Vergangenheit einer Dienerin beschäftigen", murmle ich daher.

„Auch nicht, wenn sie mir und meiner Familie näher steht als jede andere?" Eine bedeutsame Aussage ist dies. Tiefe Gespräche führten wir mitunter. Vertrauen schenkt sie mir, schenkt auch ihr Bruder mir, der wohlwissend zum Schutz nur einige wenige innig an sich heranlässt. Nicht unüberlegt legte sie das Wohl ihres Sohnes in meine Hände. Jedoch anmaßend wäre es von mir zu behaupten, dass ich der königlichen Familie verbundener bin als Fenna oder andere, die bereits viele Jahrzehnte in ihren Diensten stehen.

Dís bemerkt wohl meine Zweifel und beugt sich leicht nach vorne, scheint zu überlegen, wie sie mir den Unglauben nehmen kann. Gleichwohl erweckt sie den Eindruck, mit etwas zu hadern, und ein banges Gefühl steigt in mir auf. Eine Art Unruhe, positiv aber gleichzeitig Furcht heraufbeschwörend mit seiner Macht, als würde Bedeutsames, Großes mich ereilen wollen.

„Astâ ... ich ...", stammelt sie schließlich. Nicht weniger aufgeregt als ich zeigt sie sich plötzlich. Ungewöhnlich ruhelos, ganz so, als würde die Folgenschwere der Worte sie ängstigen. „Du bist ..." Weiter sprechen kann sie nicht, denn der Alb schlich derweil unbemerkt auf leisen Klauen aus seinem Versteck und legte seinen Schreckensdruck erneut über Thorin. Er stöhnt und wirft sich umher und unsere ganze Aufmerksamkeit müssen wir auf ihn lenken, damit der, den wir gleichermaßen lieben, dem Ohnmachtsschatten entkommt.

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Adad - Vater
Amad – Mutter

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