Der gelauschte Pakt
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Die Räumlichkeit, in der die Unterredungen zur Verlängerung der Handelsbeziehungen stattfinden sollen, überfordern das Auge förmlich mit seiner üppig-mondänen Pracht. Ich erkenne, dass hier und da sogar neue Verzierungen aus Gold und den von Thorin begehrten Grandidierit geschaffen wurden, denn ein klein wenig anders erscheinen sie vom Stil her, wirken filigran und verspielt, da mehr von Blumen- und Rankenmotiven geprägt. Jedoch auf besondere Weise vervollkommnen sie das ansonsten von strengen geometrischen Formen bestimmte Gesamtbild.
Das Frühstück, dass wir heute ohne die Anwesenheit der Gastgeber einnahmen, war reichlich und soll uns wohl für viele Stunden hinter verschlossenen Türen satt halten. Gewissermaßen froh bin ich, der Königin nach unserem gestrigen Aufeinandertreffen womöglich bis zum Abend nicht mehr zu begegnen, denn nirgends entdecke ich sie zwischen all den Ministerialen und Ratsmitgliedern, die bereits erwartungsvoll und offenkundig händelsüchtig an der runden Tafel sitzen. Ihre Gesichter sind ernst, die Gewänder edel und mit allerhand Geschmeide haben sie sich herausgeputzt. Macht, Stellung und Reichtum ausstrahlend mit jeder getragenen funkelnden Kostbarkeit. Denken kann ich mir, wer ihnen dies befahl.
Thorin allerdings anerkennt das aufgefahrene Gepränge lediglich mit einem matten Lächeln und lässt sich betont ungerührt auf das dicke Polster des ihm zugewiesenen Stuhls nieder, ist er diese Zurschaustellung doch zur Genüge gewohnt. Die feinen Glieder des Harnischs, den er hingegen als einen der wenigen Zierden trägt, klirren dabei kaum vernehmbar. Darum liegend ein schwerer Gürtel, mit dem in die Schließe ziseliertem Emblem seines Haus. Bedeutende Siegel- und Ehrenringe verzieren seine kriegserfahrenen Hände und einige Perlen, deren blau-silbernes Funkeln in den sich über die breiten Schultern wellenden Haaren kaum auszumachen sind, schmücken ihn lediglich zusätzlich.
Als weitere schmückendes Beiwerk gedacht, bitte er mich schließlich, neben ihm Platz zu nehmen. Eine ungewohnte Perspektive bei solcherlei Anlässen, beziehe ich sonst doch immer allzeit beflissen willig die Aufgaben einer Dienerin zu erledigen, in seinem Schatten verborgene Stellung. Alle anwesenden Herren sehen zu mir, einige flüstern miteinander, andere scheinen verstimmt darüber. Als Getreue Thorins und Unterstützerin seiner Hand habe ich ein Anrecht hier zu sein ... wenn ich ein Mann wäre. Als Frau stünde mir eigentlich nicht einmal die Teilnahme an solcherlei Gesprächen zu, geschweige denn, ein Platz am Beratungstisch. Jedoch wenig scherte sich mein Herr bislang darum, weder zuhause noch anderswo, dass mir vom Geschlecht her einige Dinge verwehrt werden müssten.
Als König Lothin und sein Thronfolger den Raum betreten, erheben sich alle Anwesenden zur respektvollen Verbeugung. Direkt gegenüber von Thorins Platz nimmt er den seinen ein und deutet dann, dass wir uns wieder niederlassen können. Seine Hand, ein alter Zwerg, mit durch faltige Vertiefungen umrahmten und dennoch jugendlich aufgeweckt funkelnden grün-grauen Augen, und einem herrschaftlich langen, unlängst ergrauten Bart, sortiert wichtig wirkend und vor sich hin brummend seine Pergamente. „Es ist uns eine Ehre, König Thorin, dass Ihr und Euer treustes und kundigstes Gefolge mit uns über die Weiterentwicklung der bestehenden Handelsverträge, die seinerzeit Euer Vater abschloss, beraten wollt", eröffnet er mit hochherrschaftlich tiefer Stimme die Verhandlungen. „Ihr führtet Kostproben der Kunstfertigkeit der Langbärte mit Euch. Kostbarkeiten, die sich in Euren Hallen finden lassen. Erzeugnisse, mit viel Fleiß und Geschick geschaffen. Als erstes will ich daher hören, wie meine Berater diese bewerten, um Euch ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten."
Der Meister des Handels und des Handwerks erhebt sich mit ernster Miene, richtet seine feinen Kleider, streicht den vom Sitzen zausigen Bart glatt und räuspert sich wichtigtuerisch, während er die vielen Pergamentseiten seines Berichts noch einmal auf der blankpolierten Tischplatte auf Stoß klopft. Lang sind seine Ausführungen. Anscheinend jedes mitgebrachte Teil einzeln ließ er begutachten. Akribisch benennt er Makel und Mängel, lobt jedoch auch die Reinheit der Materialien und die Hochklassigkeit der Arbeiten, reicht sogar extra angefertigte Skizzen von besonders hübschen Geschmeiden, kunstfertigen Waffen und den auffälligen Stickereien der Stoffe herum. Eine Heerschar an Sachkundigen muss die letzten Tage gewirkt haben, um all das so überpenibel zu dokumentieren. Hochbeeindruckt bin ich davon, darf mir dies jedoch auf keinen Fall anmerken lassen.
Als er schließlich endet, beginnt sofort das beratende Murmeln zwischen einigen Anwesenden, das aber augenblicklich von König Lothin mit einem gestrengen Blick unterbunden wird. „Welchen Preis würdet Ihr ansetzen, sollten die Waren in Art und Anzahl so wie bisher ausgetauscht werden?", fragt er seinen Handelsmeister. Dieser überlegt nicht lange. „Nun Majestät, angesichts der guten Verbindungen zum Hause Durins, der durchaus verbesserten Qualität seit dem Aufsetzen der letzten Verträge, aber auch im Anbetracht der Tatsachen, dass der Weg zwischen den beiden Reichen immer gefährlicher wird und wir Aufwand damit haben, die Waren sicher zu transportieren, würde ich folgendes vorschlagen", sagt er und blättert dabei überlegend in seinen Unterlagen. Lange lässt er sich Zeit, die Empfehlung zu verkünden, und ich merke, wie empörte Unruhe in Thorin aufsteigt. Die Ellenbogen auf der glänzenden Tischplatte aufgestützt und die Hände fest ineinander verschränkt, zwingt er sich jedoch zu Besonnenheit.
„In Gegenleistung der monatlichen Lieferung von fünfhundert Klafter Brennholz, hundert Malter Holzkohle, ein Seidel Eisen, eine Karte Seide, zwei Pack besticktes Tuch, sowie zwei Zuber Kohle, würde ich Euch nahelegen, Ihrer Majestät, König Thorin, fünf Unzen Gold, sechs Unzen Silber und jeweils zehn Ringe Kupfer, Messing und Zink anzubieten. Zudem diverse Auftragsarbeiten für Geschmeide und Waffen, die mit je einer viertel Unze Gold vergolten werden sollten. Weiterhin müssten benötigte Wagen und Pferde, sowie der Geleitschutz dieser durch ausreichend Soldaten der Langbärte, gestellt werden." Thorin schnauft missmutig bei diesem Angebot, dennoch notiere ich es in seinen Einzelheiten. Zu erwarten war, dass die erste Offerte keine Zustimmung hervorbringen wird, jedoch erheblich weniger als wir bislang erhielten, wurde geboten. Zudem steht es im Widerspruch zu den vordem hervorgehobenen Besserungen der Qualität unserer Waren. Daher erhebt sich Balin nach einem kurzen Blick auf Thorin und lehnt es im Namen seines Königs ab.
Lothin nickt die Abweisung entgegennehmend und fordert die zuständigen Ratsmitglieder auf, das Angebot zu korrigieren. Jedoch auch nachdem sie sich flüsternd berieten, verbesserte es sich nur ungenügend. Ich befürchte, ein langer Verhandlungstag wird es werden.
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Nicht einen Deut täuschte mich meine Vorahnung. Trotzdem ich nichts weiter zu tun hatte, als alle Angebote aufzuschreiben und zu vermerken, warum Thorin diese ablehnte, fühlt es sich an, als würden im Kopf besonders eifrige Minenarbeiter nach kostbaren Schätzen suchen. Von ihnen gequält und zutiefst erschöpft, lasse ich mich rücklings auf die weiche Matratze des Bettes fallen. Wie sehne ich Ruhe und erholsamen Schlaf herbei. Der erste Tag von womöglich vielen weiteren ist jedoch noch nicht gänzlich vorbei und der grummelnde Magen erinnert eindringlich daran warum. Lediglich eine Stunde, um ein wenig auszuruhen, bleibt uns bis zum Abendessen.
Gefährlich wäre es also, weiterhin im kuscheligen Bett zu liegen, denn die mit honigsüßer Stimme geflüsterte Drohung des Einschlafens ist allzu verlockend. Daher schnell aber dennoch ungern und von ziehenden Schmerzen in den Schultern begleitet, richte ich mich wieder auf und setzte mich stattdessen auf die gemütliche Bank vor dem Fenster, um ein wenig Zerstreuung im Ausblick zu finden.
Jedoch schwerer Abendschatten legte sich bereits auf das Tal. Grau und trostlos wirkt alles. Lediglich kleine Punkte flackernder Lichter verblieben als goldene Allegorie des Reichtums dieser Zwergenstadt. Allerdings ihr Anblick vermag es nicht meine Stimmung aufzuheitern. Suchend blicke ich mich im nur vom Kaminfeuer erhellten Gemach um. Verweile an den Wandteppichen, ergründe die mit Gold- und Silberfäden gestickten immerwiederkehrenden Mustern. Jedoch noch mehr ermüdet dies die Augen. Seufzend ziehe ich die Beine dicht an den Körper heran und lege den scherzenden Kopf auf die Knie. Langeweile ist uns Zwergen fremd und dadurch unheimlich. Immerwährend sind wir geschäftig, Müßigkeit eine Untugend. Der Geist giert geradezu nach Inanspruchnahme, trotzend der Erschöpfung. Unruhe überkommt mich und da nichts in diesem Zimmer sie stillen kann, springe ich schließlich auf, um sie woanders zu finden.
Nur wenige Schritte sind es von der Tür meines Gemaches bis zu der Thorins, jedoch halte ich in dem tolldreisten Vorhaben inne, ihn mit der Bitte um eine Beschäftigung zu belästigen, als mir gewahr wird, wie durch einen schmalen Spalt Licht auf den Gang flackert. Sofort wieder umkehren sollte ich, denn die wohlbekannte jedoch hier völlig unerwartete Stimme desjenigen, der es versäumte, unachtsam oder beabsichtigt, die Tür in das Schloss zu drücken, folgt dem Feuerschein.
„Du bist ein überzeugender Verhandlungspartner geworden, dein Vater wäre stolz auf dich", lobt sie schmeichlerisch honigsüß. Ich solle das unüberhörbar private Gespräch der beiden Könige nicht belauschen. Nicht einmal eine Sekunde lang. Jedoch wie angewurzelt verweile ich, als hielt mich eine Herzenskraft an Ort und Stelle.
Ein Knarzen ist zu hören, als sich Thorin wohl in einen der beiden ledernen Sessel niederlässt, die vor seinem Kamin stehen. „Und dennoch merkt man deutlich, dass du mir einiges an Erfahrung voraushast. Der heutige Tag hat unseren Beratern viel abverlangt. Ich habe geradezu gesehen, wie die Haare von Balins Bart immer mehr ergrauten."
Lothin lacht brummend. „Du müsstest nur deine bedeutendste Habe effektiver einbringen, dann würde der morgige Tag erfreulicher für euch enden und du könntest schneller als erhofft, in die heimatlichen Hallen zurückkehren." Ich höre, wie Thorin missmutig schnauft. „Schon zu viel ihres Wertes habe ich dir gezeigt. Was willst du denn noch?"
Erneut knarzt das Leder eines Sessels, als sich wohl Lothin nach vorn beugt. „Du weist, was ich begehre", flüstert er verschwörerisch. „Und du, dass dies ausgeschlossen ist, selbst in deinem Reich, steht sie noch unter einem speziellen Schutz, der uns beide bei Missachtung in Schande bringen wird, zudem, keine solche Leistung gehört zu ihrem Repertoire." Rätselhaft sind ihre Worte. Von was sprechen sie nur? Thorins Plan war es, die ganz besonderen Waren, die er persönlich mit sich führt, bis nach dem errungenen Abschluss zu verbergen, denn einen ausgefallenen Preis rechtfertigen sie. Daher nicht darüber werden sie im Privaten verhandeln.
„Dann schlage ich dir etwas anderes vor", erwidert Lothin auf die Abweisung und lehnt sich wieder zurück. Geradezu vor mir sehen kann ich ihn. Herrschaftlich dreinschauend, die Finger ineinander verschränkt, Macht und Stärke repräsentierend mit jedem Funken königlichen Habitus. „Überlass sie mir, nicht für immer versteht sich, nur, bis sie diese Hallen etwas aufhellen konnte. Offiziell natürlich als Abgesandte deines Reiches."
Acht geben muss ich, dass das scharfe Einatmen die lauschende Anwesenheit nicht verrät. Nun weiß ich, um was, oder eher wen, sie verhandeln und eine fürchterliche Übelkeit steigt in mir auf. Thorin scheint zu überlegen, denn er schweigt. Lange. Zu lange, und ich wünschte, niemals hierher gekommen zu sein.
„Nein", sagt er dann jedoch endlich und eine gewisse Endgültigkeit der Entscheidung oszilliert in dem Wort. „Sie ist mir teuer wie Salz und kein Gut dieser Welt, selbst wenn es aus reinem Mithril bestünde, kann ihre Treue und die Freude, die ihre Gegenwart mir bereitet, abgelten." Verwundert blinzle ich und alle Übelkeit ist plötzlich verflogen, denn mit solch einer Wertschätzung, habe ich wahrlich nicht gerechnet.
König Lothin lacht kurz auf. Eine Spur wahre Gedanken verbergenden Spott, vermischt mit Enttäuschung. „Wie schade", formuliert er diese anschließend. „Sie hätte mir wohl ebenso Freude gebracht, daher kann ich deine Ablehnung durchaus nachvollziehen. Darum gestatte mir ein erneutes Angebot." Thorin scheint zu nicken, denn sofort weiter spricht er und die Übelkeit beginnt abermals an meinem Inneren zu ziehen. „Erlaube mir einen Spaziergang mit ihr. Alleine. Ich hörte, sie erkundigte sich nach der Unterbringung eurer Pferde. Lass mir ihr daher die Stallungen zeigen."
Thorin brummt missmutig. Genauso wenig wie das letzte Angebot behagt ihm wohl dieses. „Dwalin wird es niemals zulassen. Und deiner Gemahlin wird es ebenfalls nicht gefallen", gibt er zu bedenken. Wahrlich mit beiden hat er Recht. Nur unter Androhung schlimmster Strafen würde Dwalin eine solche Machenschaft akzeptieren und die Rache Königin Idûnas wird noch schrecklicher sein als jede Folter.
„Das dein geschätzter General seine starke Hand wohl ebenfalls nicht ganz grundlos behütend über sie hält, habe ich bereits bemerkt. Jedoch ist er dir, genauso wie sie und meine Gemahlin mir, untertan, Majestät. Einem Befehl aus deinem Mund hörig." Ich atme schwer, die aufsteigende, immer unangenehmer werdende Übelkeit nicht länger bekämpfen könnend. Thorin wird das Angebot nach der deutlichen Entkräftung seiner Bedenken annehmen. Er muss es gewissermaßen. Vielleicht nicht gleich, nicht heute, aber möglicherweise in ein paar Tagen, wenn die Verhandlungen weiterhin nicht den erwünschten Erfolg brachten, festgefahren sind und ihm keine andere Möglichkeit bleibt. Am Ende bin ich sein Besitz. Ein Wertgegenstand. Schmerzlich brennt diese Erkenntnis im Herzen und ich verfluche es, mich festgehalten zu haben.
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