Aufbruch in unbekannte Reiche
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„Der Weg zu den Feuerhallen ist riskant." Dís scheint nicht glücklich darüber, dass Thorin keine sechs Monate nachdem sie entband, zu einer womöglich länger dauernden Handelsreise aufbrechen möchte. Jedoch der Zeitpunkt ist günstig und nötig. Der Frühling überzieht die Ebenen des Landes mit seinen knospentreibenden Einflüssen. Der Schnee des kalten Winters schmolz unlängst und die Krokusse stehen bereits in voller Blüte. Auch eine erste Primel entdeckten Dwalin und ich, als wir die längeren Tage für einen späten Ausritt nach Dienstende nutzten. Wenn wir in den nächsten Wochen aufbrechen, dürfte sogar in dem hoch im Norden des blauen Gebirges gelegenen Reich der Feuerbärte kein Flöckchen Schnee mehr liegen.
„König Lothin verlangte aber nun einmal, dass ich persönlich mit ihm in Verhandlungen zur Verlängerung der demnächst auslaufenden Handelsverträgen gehen soll, und dazu kann ich ihn schlecht zu uns einladen, nur, weil du deine Gouvernante nicht ziehen lassen willst." Thorins Stimme grollt wie die eines Warges. Er verargt es selbst seiner Schwester, dass manch seiner Entscheidungen nicht ohne Gegenargumente akzeptiert werden. Ein Charakterzug, der sich in den letzten Jahren zu einem Ärgernis entwickelte und vor allem Balin Kopfzerbrechen bereitet. Als Herrscher müsste er auch akzeptieren können, dass nicht uneingeschränkt alles nach seinen Willen geschehen kann.
„Es geht mir nicht allein darum, Majestät", entgegnet Dís mit einer Gefasstheit, die sie in den zurückliegenden Monaten zur genüge bemühen musste. Denn Fili, der nach seiner Geburt ein ruhiges Kind zu sein schien, erwies sich kurze Zeit später bereits als wahrer Spross Durins. Dickköpfig, willensstark und dabei durchaus überzeugend mit einem gewissen unwiderstehlichen Charme, obwohl ich dies bei einem Säugling niemals in dieser ausgeprägten Form für möglich hielt. Seitdem er vor einigen Wochen begann der Müßigkeit des Herumliegens zu entsagen, das wir Zwerge ohnehin als unerträglich erachten, und sich robbend und sogar schon unbeholfen krabbelnd fortbewegt, ist kein entdecktes Ding mehr vor ihm sicher. Jedoch am schlimmsten ist, dass die einmal ergatterte Beute nur unter zeter und mordio wieder herausgerückt wird. Ein tränenüberflutetes Gesichtchen bemüht er dabei, dass selbst steinharte Herzen erweichen könnte. Übertroffen nur noch von dem, dass er gekonnt einzusetzen weiß, wenn er etwas außerhalb seiner Reichweite haben möchte. Die verbissene Willenskraft einer Kriegerin muss ich nur allzu oft bemühen, um ihn nicht erziehungstechnisch unklug alles zu gewähren. Hohe Ansprüche werden an mich als seine Gouvernante gestellt, denn womöglich den nächsten Thronfolger erziehe ich mit.
„Dass Astâ als deine Leibdienerin dich begleiten muss, ist mir zwar nicht recht, aber verhindern kann ich es sowieso nicht. Nein, etwas anderes bereitet mir Sorgen: Die Berichte, dass in den Vorlanden Orks ihr Unwesen treiben, erreichten sogar mich. Meinst du daher nicht, es ist zu gefährlich, nur mit vier Begleitern zu reisen?" Dís' Einwand ist berechtigt. Die Überfälle nahmen in den Wintermonaten überhand. Den Handelszügen stellten wird zusätzlichen Begleitschutz und dennoch, kaum einer wurde nicht von Orks angegriffen. Jedoch seitdem die Frühlingssonne, die diesen elendigen Kreaturen verhasst ist, begann heller und länger zu scheinen, schienen sie sich wieder in die dunkleren und vor allem unbewohnteren Gegenden der Abendrotberge zurückzuziehen. Zudem zum größten Teil erfahrene Krieger sind wir. Nur Gloin, der als Meister der Münze und äußerst zäher Verhandlungspartner von Thorin gebeten wurde mitzureisen, konnte sich bislang nicht als solcher auch außerhalb des Berges beweisen.
Daher ab winkt Thorin dieses Gegenargument. „Es wird schon nicht passieren", beruhigt er seine Schwester und schließt sie versöhnlich in die überzeugend starken Arme. „Und außerdem, nehme ich Dwalin mit mir. Ist mir schon jemals etwas geschehen, wenn er mich beschützte?" Dís verzieht ihre Lippen zu einem bitteren Lächeln. „Außer, dass er dich allzu oft in irgendwelche Spelunken schleppte und ihr dann ganz unvorhergesehen in irgendeine Schlägerei verwickelt wurdet, eigentlich nicht."
Thorin lacht offen darüber und auch ich kann mir ein belustigtes Grinsen, jedoch manierlich verborgen gehalten unter einer vorgehaltenen Hand, nicht gänzlich verbieten. Zu gerne hätte ich dies einmal gesehen. Vielleicht um einen anschaulichen Bericht werde ich Dwalin bitten, wenn ich heute wie jeden Abend in der Gesindeküche mit dem wieder aufgewärmten Essen auf ihn warte. So manch heitere Geschichte aus ihren durch tiefe Freundschaft und Waffenbruderschaft verbundenen Leben, erzählt er mir bereits. Von gefährlichen Abenteuern. Von Nächten in der Wildnis, die sie mit tiefsinnigen Gesprächen am wärmenden Lagerfeuer verbrachten, die wohl nur Vertraute untereinander führen können. Von seiner Wache, als Thorin heimlich in der Dunkelheit eines Seitenganges die Leibdienerin einer angereisten Prinzessin küsste. Jedoch von ordinären Prügeleien noch nie.
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Oh wie vermisste ich doch die unendliche Weite dieser Welt. Lediglich bis zur kleinen Anhöhe unweit der Stallungen erlaubte mir Thorin das Ausreiten. Sehnsüchtig schweifte der Blick von dort oben über die dahinterliegenden Gras- und Heidemeere, die an die Ufer glitzernder Flüsse und Seen und die grauen Wurzeln der fernen Gebirgskette von Evendim branden. Während der letzten zehn Jahren ergab sich keinerlei Anlass, über ihn hinaus zu reiten. Und gleichwohl es jetzt weder Abenteuer noch Wagnis ist, in das wir aufbrechen, denn das Ziel ist bestimmt und kaum eine Gefahr wird uns bis dorthin begegnen, so bin ich dennoch aufgeregt. Bisher kein anderes Zwergenreich besuchte ich.
Die Sippe der Langbärte, zu der wir gehören, ist denen der Feuerbärte zwar seit Anbeginn in Freundschaft verbunden und viele von ihnen leben und arbeiten in Thorins Hallen, einige vereinigten sich sogar in Liebe, jedoch ganz unterschiedlich sind unsere Lebensarten. Bei den ‚Urstarâg gilt eine strenge Etikette, egal in welcher Situation und wie spröde sie ist. Die höfischen Protokolle, so erzählte mir Vilí, der lange Zeit als Abgesandter in den Hallen des Feuers verweilte, sind zudem umfangreich und dennoch bis ins kleinste Detail vorgegeben. Missachtungen oder versehentliche Fehltritte werden mit infamer Respektlosigkeit gleichgesetzt und meist mit abschätzigen Blicken, aber auch oft mit einem Ausschluss von gesellschaftlichen Ereignissen abgestraft. Ich seufzte verzweifelt, als er mir dies erzählte. Zwar lehrten mich Dís und Balin allerhand, was Umgangsformen, Kleiderordnung und Benimm anbelangt, jedoch nur abgeschwächt muss ich sie am Hofe Thorins einhalten, denn sie sind ihm mitunter verhasst. Die Furcht, meinen Herren zu blamieren, schlich sich daher zwischen all die feinen Kleider, repräsentierenden Geschmeide und guten Ratschlägen, die ich zuhauf einpackte. Demnach sogar Khajmel und das schwerbepackte Handpferd, von dem wir jeder eines zusätzliches führen, machen einen zögerlichen ersten Schritt über den Saum des Wäldchens hinaus. Eilig traben wir den Pfad entlang, der sich den Hügel hinab schlängelt, um zu Balin aufzuschließen, der derweil an seinem Fuß auf mich wartete. Mut zusprechend wie immer, wenn er wie kein anderer bemerkt, dass ich selber an mir zweifle, ist sein Lächeln.
Keinen Blick warf ich zurück zum heimatlichen Berg, so wie es mir Dwalin einst nahelegte. Noch schwerer würde der Abschied wiegen, wenn man sich ein letztes Mal den Zurückgebliebenen erinnert. Nur wenige Wochen werden wir fernbleiben, sollten die Verhandlungen zur Zufriedenheit aller Beteiligten verlaufen, aber dennoch schmerzte die Verabschiedung von Fenna, Jassin und ihren aufgeweckten Kindern, Prinzessin Dís, dem kleinen Fili und all den anderen liebgewonnenen Freunden.
Bereits Mitte März erblüht die Heide links und rechts der Straße in kräftigen Farben. Inseln aus leuchtendem Rot und dunklem Rosa werden von weißbekrönten Wellen umflossen. Dazwischen finden sich immer wieder Ansammlungen von kriechenden Sträuchern und vereinzelnde angenehm frisch duftende Wacholderbäume. Schafe, noch im dicken Winterfell, weiden friedvoll zwischen ihnen. Ihre zwei Behüter springen jedoch von ihrem späten Frühstück auf, dass sie sitzend im Schatten einer Kiefer zu sich nahmen, und verbeugen sich, sobald sie ihren König an der Spitze des Zuges erkennen. Pragmatische wenn auch aufwändig gearbeitete Reisekleidung und wenig an Rüstung trägt er, jedoch seine immerstolze Haltung und die nachtblauen Akzente verraten seine Stellung.
Bald schon erreichen wir die ebenso akkurat gepflasterte und breite Abzweigung von der großen Straße, die unseren Weg nach Norden leitet. An ihrem Ende, hoch oben, dort wo der Gebirgszug der Ered Luin gen Osten abknickt, liegt das Reich der Feuerbärte. Alt ist es und angesehen. Sein Reichtum rührt aus Grandidierit, dass sich in seiner eiswasserklaren Beschaffenheit sonst nirgendwo anders finden lässt. Thorin begehrt diese Steine, daher auch ich besitze einige damit veredelte Schmuckstücke, darunter eine Halskette, die wohl das erlesenste Stück unter all den ausgesuchten Kostbarkeiten ist, die er mir als seine Leibdienerin verlieh. Zu ganz besonderen Anlässen trage ich sie auf, nehme sie jedoch zudem in den unterschiedlichen Momenten gerne zur Hand, um sie lediglich zu betrachten und ihre perfekt geschliffene Oberfläche zu befühlen. An die Farbe seiner Augen erinnert mich das Gestein.
Einen kleinen Wald müssen wir durchqueren und rasten in seinem Schutz das erste Mal. Hoch steht die Sonne zur Mittagszeit, versteckt sich aber hinter grauen Wolken, die Regen verheißen. An den tiefhängenden, knorrigen Ästen einer alten Eiche binden wir die Pferde an, damit sie sich an dem in seinem Schatten wachsenden frischen Gras laben können. Den ob der Kürze der Reise reichlich mitgenommen Proviant, Brot und Schinken, Butter, Met und ein wenig Käse, will ich gerade von meinem Packpferd laden, während die anderen unweit bereits ein wärmendes Feuer entzünden, da trifft mich plötzlich irgendetwas hartes schmerzhaft im Nacken. Erschrocken fasse ich zwischen Haar und Fellsaum des Mantels und ziehe eine Eichel hervor. Ich sehe auf, vermute ein unaufmerksames Eichhörnchen, das durch die Äste hüfte und diese aus seinem Wintervorrat hervorgeholte fallen ließ, jedoch nichts erkenne ich, außer die sich sanft im Wind bewegenden Blätter.
Ich trete einen Schritt zurück, um besser zwischen sie blicken zu können. Da, ein Umherhuschen von etwas hell Schimmernden, entdecke ich nach längerem konzentriertem Beobachten. Winzig ist es und irgendwie hat es keinerlei Ähnlichkeit mit einem Eichkätzchen oder andersartigen Tier, die sonst in Bäumen wohnen. „Ihr kleinen Frechdachse", flüstere ich erahnend, was es demnach sein könnte und als Antwort ertönt ein leises, feines Lachen, das sich kaum unterscheiden lässt von dem Rauschen silbriger Blätter im Wind. Noch einen Schritt rückwärts gehe ich, um sie vielleicht doch in ihrer Gänze zu sehen, denn eine Sehnsucht nach ihrem bezaubernden Anblick verfolgte mein Herz seit dem Abschied am Saum des Alten Waldes. Nicht vermutet habe ich sie gerade hier wiederzufinden, so weit von ihm entfernt. Aber womöglich kaum ein Wäldchen, und sei es noch so klein, wird nicht von ihnen beschützt. Jedoch übersehe ich, den Blick weiterhin suchend gen Baumwipfel gerichtet, eine knorrige Wurzel, die sich aus dem Erdreich wühlte. Hart stoße ich mit dem Hacken dagegen und verliere ob des unvorhergesehenen Hindernisses das Gleichgewicht. Dennoch falle ich nicht weit hinab, denn zwei starke Arme fangen mich.
„Vorsicht, kundanud, du weißt doch um deine ungeschickten Füße, also schau lieber wohin du trittst", ermahnt Dwalin neckend und verstärkt die sanfte Umarmung von hinterrücks. Nah kommt er mir dadurch wie schon lange nicht mehr. Die Wärme und Stärke seiner Brust, die sich sogar durch den Harnisch hindurch aufwühlend heiß erspüren lassen, rauben mir für einen ihnen schutzlos ausgelieferten Moment der Schwäche den Atem. Ich vergaß, wie vertraut wir uns einst begegneten, aber niemals, wie es sich anfühlte, behütet, umgeben von kalter Wildnis und immerlauernden Gefahren, in seinen Armen liegend einzuschlafen. Im Berg, allzeit beobachtet durch missgünstige, intrigenwitternde Augen, konnten wir es uns nicht erlauben inniglicheres als unschuldig-kurze Umarmungen auszutauschen. Tänze während Bällen, Übungskämpfe unter dem Einsatz aller Körperkraft, intime Gespräche in vertrauter Umgebung ... Momente gab es dennoch, die uns fühlen ließen: Vielmehr wirkt zwischen uns, denn lediglich Freundschaft. Jedoch zu jung bin ich, zu unerfahren und ahnungslos, um dies zu benennen. Zu viel Angst habe ich davor, zumal mir stetig noch etwas anderes bewusster wurde, je näher ich ihm stehe, je mehr Zeit ich mit ihm verbringe und sehe, wie er mit zunehmendem Alter und Einfluss immer wirkungsreicher und geachteter wurde. Dwalin ist von hohem Adel. Als Vetter des Königs und General des ersten Heeres, gehört er einem Stand an, der so weit über mir waltet, dass der meine und fernerhin vorgegaukelte einer Comtesse, selbst wenn ich Leibdienerin Thorins bin, dagegen klein und nichtig erscheint. Die wahre Stellung als Bürgerliche, verarmte Waise und ehemalige Schankmaid in einem Bordell, setzt den Wert weiter hinab. Ich bin seiner nicht annähernd würdig und in arge gesellschaftliche Bedrängnis würde es ihn bringen, sollte sich dieses Gefühl irgendwann einmal als Liebe offenbaren.
Daher schnell rapple ich mich wieder auf, um die intensive Berührung aufzugeben, auch wenn mein Herz sich schmerzhaft zusammenziehend seinen Protest darob erklärt. Dwalin scheint jedoch nur wenig gekränkt. Vielleicht selbst erschrak er über die unverhoffte viel zu traute Annäherung. Denn wenn auch für einige Tage unbeobachtet von Anstandsnormen und Intrigenspinnern, so können wir uns nicht alles erlauben. Sein Bruder weiß um die Stärke des bislang konfusen Verhältnisses, Thorin vermutet seine Bedeutung, beide Akzeptieren es, jedoch vor Gloin konnten wir dieses bisher einigermaßen gut verstecken. Missverstehen könnte er womöglich innige Berührungen und das Fehlen des sonst von Etikette gesteiften Umgangs miteinander. Zudem, noch nie erlebte er, wie die gefährliche Wildnis Reisegefährten zusammenbringen kann. So vieles ist neu für ihn.
„Tavari", erkläre ich schließlich den Grund, warum ich unachtsam trat, aber auch, um von der kompromittierenden Situation abzulenken. „Sie sitzen dort oben im Geäst und haben mich geärgert." Zur Verdeutlichung zeige ich ihm die geworfene Eichel. Dwalin lächelt amüsiert und lässt seinen Blick nun ebenfalls suchend den Baumstamm hinauf gleiten. Jedoch nur die Bewegungen der Blätter im Wind sind auszumachen. „Bereits als ich das letzte Mal mit Balin und den Händlern hier rastete, spürte ich ihre Anwesenheit, konnte dies aber nicht mit ihnen in Verbindung bringen", sagt er und seine Stimme klingt eigenartig fern. „Manches Mal, wenn ich mich zurückerinnere, erscheint mir jedes Ereignis, das wir im Alten Wald erlebten, wie geträumt. Jedoch nur wenige andere Träume sind so intensiv in ihrem Empfinden." Nachvollziehbar ist seine Ausführung. Auch ich rätsle oft, ob das, was wir auf der Suche nach Thráin erfuhren, Wirklichkeit oder Hirngespinst war. Und je mehr Jahre vergehen, umso diffuser erscheinen die Erinnerungen, verwischen unter dem Einfluss der alltäglichen Ereignisse, die wenig magisches innehaben. Daher erfreulich ist die Begegnung und das damit verbundene Spüren, nicht alles davon war fantasiert.
„Könnt ihr beiden Turteltäubchen endlich das Essen bringen, ich habe hunger", vernebelt Thorins Stimme plötzlich die Blicke in die abenteuerliche Vergangenheit. Abrupt wird uns bewusst, wo wir sind, was eigentlich meine Aufgabe war und warum Dwalin mich wohl holen wollte, beinahe vergessen hätten wir dies alles unter ihrer Einwirkung. Schnell nehme ich die Beutel mit den Essensvorräten vom Rücken des Packpferdes, von denen mir Dwalin drei sofort wieder abnimmt, lasse den Blick ein allerletztes Mal durch die Baumkrone schweifen, und folge der Anweisung meines Herren.
Erlauben können wir es uns länger als nötig in der Geborgenheit des Waldes zu verweilen. Die Straßen, die vor uns liegen, sind allesamt lückenlos mit gutem, flachen Stein gepflastert und wohl bereits zum Ende des übernächsten Tages, werden wir unser Ziel erreicht haben. Daher entspannt zündet sich Thorin nach dem Essen seine Pfeife an und signalisiert damit, dass kein Grund zum übereilten Aufbruch besteht. Ihm ist diese Reise zwar nicht recht, denn ungern belädt er Schwester und Schwager in ihrer Situation mit dem zusätzlichen Ballast der Regierung und verhasst sind ihm Verhandlungen, in denen er sich zu Diplomatie zwingen muss, um etwas zu bewirken. Jedoch zumindest für einige Stunden, befreit sie ihn von den Bürden eines Königs. Lange schon sah ich sein Gemüt nicht mehr bar aller Sorgen, Obliegenheiten und kopfzerbrechender Gedankenketten, um ein existenzielles Problem zu lösen. Jünger sieht er dadurch aus, eine Ruhe ausstrahlend, die vermag auch von uns Besitz zu ergreifen.
„Sag einmal Gloin, diese junge Hebamme, Yrsa, wenn ich mich recht erinnere, unlängst hörte ich es aus geschwätzigen Mündern munkeln, du würdest dich mit ihr treffen." Entsetzt über diese offene Ansprache eines wie ich eigentlich annahm gut gehüteten Geheimnisses, sehe ich Dwalin an. Kurz nachdem Dís ihren Bruder bat, mich zu ihrer Geburtsbegleiterin zu berufen, suchte Gloin meine Wenigkeit während eines einsamen Momentes in der Bibliothek auf. Ich dachte zuerst, er wolle mir einen Auftrag erteilen, einen Botengang oder Recherchetätigkeiten, aber auffallend verdruckst agierend, besah er sich lange die Reihen der Bücher, erzählte von Banalitäten, lobte sogar eine meiner letzten Ausarbeitungen, etwas, das er sonst noch nie über seinen Stolz brachte.
Schließlich setzte er sich mir mit schwitzigen Händen gegenüber. Ich erkannte seine Anspannung, wusste aber nicht, woher sie rührte. Niemals zuvor begegnete er mir auf diese Weise. Lediglich zweckgebunden sowie förmlich distanziert, war unser Verhältnis bislang. Die in seinen Augen oft unmanierlichen Verhaltensweisen prangerte er allzu nachdrücklich bei Thorin an. Aufträge gab er mir nicht ohne zumindest einen Funken Arroganz, der mich spüren ließ, dass er mit der vertrauten Stellung an der Seite des Königs und seiner Familie nicht gänzlich einverstanden ist. Jedoch nun, schien ihm genau diese, die damit verbundenen Beziehungen und die gelobte Redlichkeit auch seiner Person gegenüber, einen erwartungswidrigen Vorteil zu bringen. Allerdings augenscheinlich unangenehm war es ihm, diesen Umstand zuzugeben.
Also wartete ich ab, bis er zu sprechen begann. Zaghaft fragte er mich, ob auch außerhalb der dienstlichen Zusammenkünfte eine Verbindung zu Yrsa bestand und wie sich diese gestaltete. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass wir uns gut verstanden und es bereits Gelegenheiten gab, da sie nun oft nach Dís schaute, sich über andere Themen auszutauschen. Ein Verdacht kam währenddessen auf. Nur allzu lebhaft erinnerte ich mich der zwischen ihnen ausgetauschten Blicke und den auffallend verdrucksten Worten. Daher unauffällig versuche ich, ihm die Bitte zu entlocken, die er stellen wollte, sich aber nicht getraute. Beiläufig erwähnte ich, dass Yrsa manches Mal nach ihm fragte. Welche Stellung er innehat. Woher seine Familie stammt. Ob er bereits versprochen war. Mit verwundert-großen Augen sah er mich daraufhin und fasste endlich den Mut, zu fragen, ob ich ein Treffen zwischen ihnen arrangieren könnte.
Geheim hielt ich natürlich diese unsere Begegnung und die Bitte. Mehr noch das durch mich vereinbarte erste Miteinander und die im weiteren Verlauf überbrachten Briefe, die sie sich gegenseitig schrieben. Jedoch irgendjemand muss sie dabei gesehen haben. Maßlos ärgert es mich, dass das Geschwätz sogar schon, bis in die eigentlich dafür unempfänglichen Ohren von Dwalin vordrang.
„Wer sagte dir das?", will Gloin sofort wissen und sieht mich dabei böse an. Er glaubt wohl, zurecht, ich wäre die Schuldige. Jedoch Dwalin überrascht uns alle und bringt uns zudem zum Lachen, indem er offenbart, dass es ausgerechnet der halbtaube, aber noch äußerst aufmerksam sehende Oin war, der ihm dies zuflüsterte. Gloin errötet daraufhin und zu meiner Freude, gibt er zu, dass er gedenkt, um ihre Hand zu werben.
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‚Urstarâg – Feuerbärte
kundanud – kleiner Wolf
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