Alte und neue Bekannte
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Der nächste Morgen kommt zu früh. Schummerlicht aus sanftem Kerzenschein und dem durch den Schacht hereinfallendes Dämmergrau umgibt mich, als ich die Augen ungern öffnete, jedoch ein polterndes Geräusch beendete den gefühlt nur kurzen Schlaf. Die Orientierung fällt mir schwer, ungewohnt aber dennoch wohlbekannt ist die Umgebung, allerdings die nach mehrmaligem Blinzeln erkennbaren Details, lassen Geist und Körper aufschrecken. In Thorins Schlafgemach befinde ich mich, liegend in seinem Bett, zugedeckt mit seiner Decke und die Lacken neben mir sind ebenso vom Schlaf zerwühlt wie die meinen.
„Entschuldige, dass ich dich geweckt habe", murmelt eine Stimme im Zwielicht und wenig später, tritt Thorin aus ihm heraus in den Schein der Kerze, die auf dem Tischchen neben dem Bett brennt. Seien Oberschenkel reibt er sich dabei und ich mutmaße, dass er sich beim Ankleiden im Dunkeln irgendwo stieß und dadurch das Poltern verursachte.
Vorsichtig lässt er sich auf die Bettkante nieder. Die Matratze sinkt tief ob seines Gewichts. Vertraut wirkt die Situation. Zu vertraut. Voller Fragen bin ich, aber langsam kommt die Erinnerung. Zu erschöpft war ich, um der Müdigkeit Einhalt zu gebieten, und schlief von ihr überwältigt gestern sitzend in einem seiner Sessel ein. Danach hier herüber scheint er mich getragen und zur Ruhe gebettet zu haben. Neben sich. Die ganze Nacht. Wahrlich nicht die Erste, in der wir ein Lager teilten, jedoch keine davon war bislang von Sittenlosigkeit geprägt, dennoch waren sie alle in ihrer reinen Natur anrüchig.
„Schlaf noch ein wenig", verfügt er sanft und streicht mir eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich brauche dich bis zum Mittag nicht und verdient hast du dir die Ruhe. Die nächsten Tage werden erneut anstrengend." Das schlechte Gewissen will protestieren, denn genauso wie ich haben auch er und Balin einige Stunden der Erholung bitternötig. Allerdings noch so manche vorbereitende Dinge muss der König persönlich veranlassen und inspizieren. Keinen Gewinn erzielt er dabei durch meine Anwesenheit. Daher nicke ich mich für die Erlaubnis bedankend. Er lächelt mild ... und müde. „Bleib hier, wenn du möchtest, ich werde Bescheid geben, dass du dich ausschläfst, damit niemand in deinem Zimmer nach dir sucht." Verwerflich wäre es, sollte ich allein in seinen Räumlichkeiten angetroffen werden. Auch muss ich darauf achten, nicht beobachtet zu werden, sobald ich sie gehüllt nur in ein Unterkleid verlasse.
Bereits wenige Stunden später spähe ich daher durch einen kleinen Spalt zwischen geöffneter Tür und Rahmen und lausche in den Gang, ob keine näherkommenden Tritte zu hören sind. Vollkommene Stille herrscht dort und so husche ich aus Thorins Gemach und bin froh darüber, dass die bloßen Füße auf den Weg zu dem meinen keinerlei Geräusche auf dem Steinboden erzeugen. Mit wenigen Schritten erreiche ich die Tür und strecke gerade die Hand nach der Klinke aus, da erschreckt mich eine einsetzende Stimme beinahe zu Tode.
„Wo kommst du denn her?" Dwalin. Herrjemine, muss es gerade er sein, der mir auflauert. Mit einem hoffentlich meinen Ärger darüber verbergenden Lächeln, drehe ich mich zu ihm um. „Aus der Badestube", lüge ich unbeholfen, aber etwas besseres ersann sich der erschrockene Geist nicht. Er betrachtet mich, sieht die selbst dafür unpassende Aufmachung, die gänzlich trockenen und wohl leicht zerzausten Haare, kommt schließlich sogar näher, um den fehlenden Geruch von Seife und pflegendem Öl wahrzunehmen.
„Woher kommst du wirklich?" Ihm eine Antwort zu geben bin ich verpflichtet, denn als Befehlshaber verlangte er danach. Ehrlich muss sie sein, unbedingt sogar, da er eine Lüge aus meinem Mund immer erkennt und sie besonders bei mir, nicht gerne hört und noch weniger duldet. Ich senke den Blick. Ausweichen will ich damit dem seinen, genauso wie demütig um Nachsicht bitten. „Aus Thorins Gemächern." Mit einem äußerst grummeligen Schnauben kommentiert er die Offenbarung. Er vertraut uns mittlerweile, jedoch bedeutet das nicht, dass er es gutheißt, wenn Thorin und ich intime Momente miteinander verbringen, gleichwohl diese frei von Sünde sind. Von den allabendlichen Stunden hat er zum Glück für uns drei keinerlei Ahnung.
„Ich hätte erwartet, dass er dir wenigstens danach Frühstück bringt." Tadel und Vorwürfen waren zu erwarten, aber Spottlust ist ein Wesenszug von ihm, den ich bislang nicht kannte. Daher verwirrt sehe ich auf. Anders scheint er von diesen Situationen zu denken, sie nichts mehr als allzu gefährlich und verwerflich anzusehen, seitdem sich die füreinander gehegte Leidenschaft auch in körperlichen Taten Ausdruckskraft verlieh.
„Du verhältst dich unmöglich", tadle ich daher und betrete endlich mein Zimmer. Dwalin folgt mir, obwohl ich ihn nicht einlud. „Wieso? Ich hätte das getan. Mit Eiern und Speck und Bratkartoffeln und einer großen Tasse voll dampfenden Kaffee für mich, und für dich Weißbrot mit Pflaumenmus, Pilzpasteten vom Vortag, ein Stück Kümmelkuchen und zu Trinken heiße Schokolade mit Stückchen." Ich lache halbbelustigt ob der Androhung, während mein Magen seinen Unmut über die Erinnerung knurrt, dass ich heute tatsächlich noch kein Frühstück zu mir nehmen konnte.
„Sobald es so weit ist, werde ich dich gerne daran erinnern" Dwalin lässt sich mit einem eigenartigen Lächeln in einen meiner Sessel fallen, entgegnet allerdings nichts auf die neckende Provokation. Sehr gemütlich richtet er sich ein angesichts des Umstandes, dass ich mich noch umziehen muss.
„Ich war nur so erschöpft und bin in seinem Sessel eingeschlafen", rechtfertige ich schließlich doch den Aufenthalt über Nacht in fremden Gemächern, währenddessen ich den sonnenblumengelben Seidenstoff des Kleides befühle, das seit gestern bereitliegt, um bei den wohl bald ankommenden Gästen Eindruck zu erwecken. „Er hat mich heute früh weiter schlafen lassen, da ich seiner Meinung nach Ruhe dringend nötig hatte."
Dwalin gähnt daraufhin vielsagend. Wie wir alle hätte er diese ebenso verdient, denn auch er leistete in den letzten Wochen einiges, um die unter seinem Befehl stehenden Truppen nach gründlicher Inspektion zurecht zu rüsten. „Womit er Recht hat. Balin erzählte mir, dass du die Ausbesserung der Deicheln im Westviertel ganz alleine organisiert, geplant, überwacht und abgenommen hast."
Mit dem Kleid über einen Arm gelegt, wende ich mich ihm zu. „Er übertreibt, Meister Skirr war ebenfalls beteiligt." Unangenehm ist es mir, dass eine öffentliche Leistung so hervorgehoben wird. Nur meine Pflicht erfüllte ich. Das, was Thorin auftrug. Was nötig war, um alles zu seiner Zufriedenheit herzurichten. Dwalin schnauft missmutig, anstatt eine geeignete Gegenrede anzubringen. Er schätzt Dienstbeflissenheit und Zurückhaltung bei sogar verdienten Lob, wenn sie ihm auch manches Mal Verständnis abverlangen, denn er vertritt die Meinung, dass einige Herren mich höher achten würden, wäre ihnen bekannt, welche Leistungen ich vollbringe. Etliche sehen die Stellung an des Königs Seite trotz der vielen geleisteten Jahre noch immer als minder an, verspotten meine Jugendlichkeit und befördern diffamierende Reden. Als Gespielin Thorins gelte ich bei wenigen von ihnen, lediglich dafür geeignet, ihm gewisse Freuden zu bringen.
Ich ziehe mich schließlich hinter den Paravent zurück, um mich endlich umzuziehen. Kühl gleitet die Seide über die Haut. Ein besonders schönes Kleid ist es, edel und aufwändig gearbeitet, eigentlich viel zu hochwertig, um damit nur während des Empfangs von Gästen zu glänzen. Jedoch stattete Thorin jeden seines Gefolges so auffallend aus. Zeigen will er den Reichtum seines Reiches an uns. Das letzte Mal, als König Folca ihn sah, war er ein Thronfolger auf der erfolglosen Suche nach seinem König, gehüllt in zerschlissene Reisekleidung und mutlos angesichts der zukünftigen Verantwortung. Heute trägt er selber diesen Titel auf stolzgestrafften Schultern, erreichte viel und will dies zeigen, auch wenn der Herrscher der Rohirrim kaum etwas auf Prunk und Protz und feudalem Auftreten gibt. Eine Eigenheit, die wohl nicht nur mir während des Aufenthaltes in seinen Hallen gefiel.
Dwalin jedoch, obwohl er dazu zählte, denn auch er umgibt sich lieber mit raubeinigen Kriegern die lauthals singen, nachdem sie ordentlich tranken, als mit gepuderten Aristokraten, die seiner Meinung nach allesamt einen Selenitstab verschluckten, hebt bewundernd eine Augenbraue, als ich wieder hervortrete. Keinen weiblichen Vorzug behält das rechteckig-tief-ausgeschnittene Kleid im Verborgenen, obwohl: „könntest du mir vielleicht bei der Schnürung helfen?", ansuche ich ihn und drehe mich das Problem verdeutlichend um. Wie vermutet nicht zweimal lässt er sich darum bitten, sondern springt sogleich aus seiner gemütlichen Sitzposition auf.
Grobe und vor allem raue Kriegerhände jedoch eignen sich mehr als schlecht zum Binden seidener Bänder. Lange muss er fummeln und mehrmals entkommen ihm leise Flüche, bis er diese vollständig durch die kleinen Ösen des blütenstängelgrünen Taillenmieders nestelte. Er traut sich danach nicht, es gebührend fest anliegend zusammenzuziehen, aus welchen Gründen auch immer, so dass ich ihm diese Verantwortung abnehme. Jedoch vielsagend lässt er die Hände an der anschließend eng geschnürten Taille ruhen. Gänzlich umfassen mit den großen Pranken kann er sie dennoch nicht. Die einer Zwergenfrau ist selbst eingezwängt noch ausladender als der von Menschenfrauen, genauso wie Hüften, Busen und allgemeine Statur, jedoch als betörend wird dies unter uns angesehen.
„Du siehst ganz im Sinne Thorins wieder einmal bezaubernd aus, kundanud", bemerkt er und dreht mich in Richtung Spiegel, damit sich die Augen selber davon überzeugen können. „Ich verstehe nicht, warum er solch einen Tam veranstaltet, König Folca wird sich kaum von all dem beeindrucken lassen, da es ihn einfach nicht reizt", kommentiere ich dagegen den Aufzug sowie fast allen anderen Aufwand. Dwalin schlingt einen Arm um mich. Nicht als Ausdruck des Besitzes ist dies zu interpretieren, lediglich zur freundschaftlichen Stärkung. Dennoch sickert die Wärme seiner Hand absichtsgewandelt wohltuend durch den Stoff des Mieders. „Stolz auf das Geleistete ist es, was Thorin antreibt. Er will nicht imponieren oder gute Verträge herausschinden, sondern mit erhobenem Haupt präsentieren, was er erreichte, und Familie und Gefolge zählen dazu." Langsam beginne ich seine Absichten zu verstehen. Lange kennen sich die beiden Königshäuser bereits und wie Folca ihm einst Volk, Hof und Reich wie selbstverständlich darbot, so will auch Thorin dies nun nachholen.
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Mein Herr betrachtet uns mit Gefallen, als Dwalin und ich gemeinsam auf sein Geheiß hin die große Eingangshalle betreten. Hergerichtet habe ich den General seiner königlichen Garde, obwohl er dies als nicht nötig erachtete. Seine neue Paradeuniform jedoch ist genauso kompliziert anzulegen wie meine Gewänder, denn viele Schnürungen und Schnallen und schwer zu erreichende Knöpfe besitzt sie. Zudem Vergnügen bereitete es mir, den schwarzen Samt über seine Muskeln gleiten zu sehen, wie er schimmerte bei jeder Bewegung und wie sich die langen Haare in dem dichten Fell des üppigen Kragens verfingen.
Dís und Vilí, der seinen kleinen Sohn auf dem Arm trägt, die Ratsherren und einige ausgewählte Höflinge sind bereits anwesend und warten ungeduldig auf das Eintreffen König Folcas und seines Gefolges. Angekündigt wurde es längst durch einen vorausgeschickten Boten, der nun mit großen Augen den Prunk der Halle und an ihm vorbeilaufende Zwerge bestaunt. Ein junger Krieger ist es noch und wohl das erste Mal sieht er fremdes Volk und ihre Reiche. Er nahm den Helm ab, so dass ihm die strohblonden Haare ungebändigt, so wie es das Reitervolk zu tragen pflegt, über die grün-bemäntelten Schultern wallen. Sein Pferd ist ein stattlicher Fuchs mit langer Mähne und Schweif und buschigem Fesselbehang und sieht erstaunlich gepflegt und kaum erschöpft aus, dafür, dass es die weite Strecke von Rohan bis hierher zurücklegte.
„Sie kommen!", ruft plötzlich einer der Torwachen von Wehrgang herunter und wenig später bereits, hören wir das Geräusch von vielen gut beschlagenen Hufen, die rhythmisch auf den Stein des Schluchtgrundes treffen. Den Stellungen angemessen platzieren wir uns. Aufgeregt bin ich, ob König Folca Sohn oder vielleicht sogar Gemahlin und kleine Töchter mit sich bringt und ob sie mich erkennen werden. Wohl sind mir die Erinnerungen an den Aufenthalt in Rohan und der goldenen Halle Meduseld. Obwohl wir eine beängstigende Schlacht vor den Toren schlagen mussten, in der ich große Gefahr einging und mir damit den Missmut Thorins zuzog, vom Herrscher der Rohirrim jedoch als Held(in) ausgerufen wurde.
Gleichwohl selbst das Erlebte von einst, als er uns mit seiner Schar im offenen Gelände umkreiste oder das Schlachtfeld unter donnernden Hufen eroberte, wirkt rückbetrachtet wenig eindrucksvoll gegenüber dem imposanten Einzug in unsere Hallen. Der König reitet aufrecht sitzend auf einem stattlichen Rappen an der Spitze eines gewaltigen Zuges aus Pferden unterschiedlicher Rassen, Fellfarben und Größen. Aufwendig gearbeitet und reich verziert mit stilisierten Abbildungen von Pferdeköpfen und steigenden Hengsten sind ihre Sättel, Schabracken und Trensen. Recht viele tragen Teile von Rossharnischen aus schwarzem sowie braunem Leder, Bronze oder silber-patentiertem Messing, die denen ihrer Reiter ähneln. Vier von schweren Kaltblütern gezogene Wagen führen sie am Ende des Zuges mit sich, deren Ladung von Planen verhüllt wird. Das Donnern ihrer trabenden Hufe wie Gewittergrollen lässt das umgebende Gestein erzittern.
Einige der Anwesenden weichen daher einen erschaudernden Schritt zurück und stehen damit wieder gleich mit mir auf. Der dadurch erblickte verängstigte Gesichtsausdruck von Meister Abarron, einer derjenigen, die Thorin niemals wohlgesonnen sind und schon so manchen gefährlichen Ärger verursachten, befriedigt mich dabei besonders.
„Westu hál", heißt Thorin den König der Rohirrim achtungsvoll in seiner Sprache willkommen, indes er auf den endlich zum stehen gekommenen Zug zuschreitet. Wir folgen mit gebührendem Abstand und ich versuche zu überblicken, wie viele Mannen er tatsächlich mit sich führt. Sorge beschleicht mich, dass die vorbereiteten Unterkünfte nicht ausreichen werden.
König Folca steigt von seinem Pferd und übergibt einem wartenden Soldaten die Zügel. „Thorin, frēond, wie schön, Euch endlich wiederzusehen", spricht er und neigt zur Begrüßung dem gleichen Stand gebührend lediglich den Kopf. Thorin erwidert ebenso, derweil wir anderen uns respektdarbietend verbeugen.
Folca nimmt seinen Helm ab. Derselbe wie einst ist es, und noch immer funkeln die roten Edelsteine, die im Wangenschutz die Augen detailreicher ziselierter Pferdeköpfe im Profil darstellen. Und ebenso wie damals leuchten mir die weiten Graslandschaften in den seinen. Ersichtlich älter ist er jedoch geworden. Viele Strähnen der zu Schwinden beginnenden Bart- und Kopfhaare ergrauten unlängst. Einige tiefe Falten zieren sein noch immer Ernst und Kühnheit verheißendes Gesicht. Gleichwohl weiterhin ist er ein stattlicher Mann und trägt die Hehrheit eines großen Königs.
Direkt neben ihm steigt ein weiterer Krieger von seinem edlen Tier. Hochgewachsen ist er, wie es den Rohirrim zu eigen ist. Das silber-patentierte Messing seiner Rüstung beeindruckt kostbar, wenn diese auch matt im Schein der Fackeln wirkt. Ebenso er trägt einen reich verzierten Helm und als er ihn abnimmt, erscheint das ungebändigte Haar gleich den goldenen Routen einer Weide, die im sanften Wind eines Frühlings wehen.
„Folcwine", murmle ich, nicht im Stande ein über sein Wiedersehen freudenreiches Lächeln zu verhehlen. Der Thronfolger begrüßt Thorin ebenso ehrerbietig und wird von ihm ebenfalls achtungsvoll in seinen Hallen willkommen geheißen. Auch er wurde natürlich älter. Zu einem Mann, auf den ein Vater wahrlich stolz sein kann, wuchs er mittlerweile heran.
Zwei geharnischte Kriegerinnen unterschiedlichen Alters treten neben König und seinen Sohn. Die Augen der Jüngeren von ihnen, die selbst aus der Ferne so intensiv leuchten wie Smaragde, scheinen mir vertraut. Ihr flachsblondes Haar trägt sie in einem einfachen Bauernzopf gebunden, aber einige Strähne wollten sich nicht länger der Strenge unterwerfen und lösten sich während des Ritts. Die Zweite wurde mit einer ausnehmenden Schönheit gesegnet. Wind, der über goldene Kornfelder weht und die Halme zu Wellen aufwirft, bestimmte offenkundig Ilúvatars Gedanken, als er sie erdachte, denn der Anblick ihrer langen, offen getragenen Haare erweckt diesen Eindruck in mir. Ihre Augen sind zugleich so blau wie der Himmel über diesen. Einen verdeutlichenden Blick wer sie ist, schenkt sie Folcwine, als er wie zufällig erscheinend ihre Hand berührt.
Dís fordert mich schließlich mit einem Wink auf, ihr zu folgen. Langsam treten wir an unsere Gäste heran, um sie ebenfalls zu begrüßen. „Ah, sehr schön", sagt Thorin, nachdem er uns bemerkte. „Meine Schwester Dís kennt Ihr womöglich noch, aber darf ich Euch ihren Gemahl Großherzog Vilí und ihren Sohn Fili vorstellen." Tiefer Stolz schwellt Brust und Stimme, während er im Sprechen ihre Hand nimmt, um sie vorzuzeigen. Dís knickst elegant. „Es freut mich, Euch wiederzusehen, Majestät. Ich hoffe, der Aufenthalt hier wird Euch und Eurem Gefolge Behagen bereiten. Lasst es uns wissen, wenn Ihr etwas benötigt."
Folca neigt sein Haupt zur Begrüßung und Annahme der Aufforderung. „Auch mir ist es ein Vergnügen, Euch erneut zu begegnen, Hoheit. Ihr ward noch ein junges Zwergenmädchen, als wir uns einst voneinander verabschiedeten. Viel ist seitdem geschehen und Euer gegründetes Familienglück erfreut mich sehr." Dís lächelt bezaubernd und nimmt ihrem Mann den kleinen Fili ab, damit auch er sich gebührend vorstellen kann. Der Prinz kuschelt sich dabei schüchtern in die Haarpracht seiner Mutter. Das erste Mal in seinem jungen Leben sieht er Menschen und verständlich etwas angsteinflößend wirken die großen Gestalten auf für ihn riesigen Pferden.
„Ich habe ebenfalls die Ehre, Euch alte und neue Mitglieder meiner Familie vorzustellen", leitet Folca schließlich über und präsentiert seinen Sohn, der sich höflich vor uns verbeugt und dann die Aufgabe übernimmt, Namen und Rang der beiden Kriegerinnen bekannt zu geben.
Sanft fasst er die Hand der Älteren, führt sie an seine Seite und stellt sie als seine Gemahlin Aethel vor. Von Nahem bezaubert ihre Schönheit noch sehr viel mehr, wie ich finde. Vor Glück strahlen beide und wenn mich nicht alles täuscht, wird die kleine Wölbung, die ihr Harnisch unzulänglich verbirgt, ein weiteres Ergebnis dieses sein.
„Und meine Schwester Herehild, Schildmaid Rohans", sagt er und der empfundene Stolz auf sie, ist offenkundig. Jedoch ich erschrecke. Ein kleines Mädchen war sie einst, ungestüm und trotzdem entzückend. Eine Frau ist in den letzten vierzehn Jahren aus ihr geworden. Eine Kriegerin. Stark und schön zugleich.
Jedoch nicht lange kann ich mich der Bewunderung hingeben, da verlangt Dís, vorzutreten, um das Kästchen zu zeigen, das ich trage. Allerhand Kleinodien befindet sich darin. Ein ausgesuchter Teil dessen, was wir gemeinschaftlich auswählten, um als Geschenk überreicht zu werden. Raffinierte Gürtelschnallen, schwere Ringe, goldene Fibeln, kunstreiche Haarnadeln und vieles mehr, alles verziert mit Motiven von stilisierten Pferden, Hufeisen, strahlenden Sonnen oder den verschlungenen Ornamenten, die sich auch in Meduseld fanden und deren Musterung ich mich zum Glück noch erinnern konnte. Folca betrachtet jedes Stück sehr genau und mit ehrlicher Begeisterung. Eine gute Auslese scheinen Dís und ich getroffen zu haben, denn den Haarschmuck übergibt er sogleich den beiden Frauen, einen der Ringe seinem Sohn und sein Gegenstück, der sich nur darin unterscheidet, dass ein glücksbringender roter Achat in ihn eingelassen wurde, legt er sich selber an.
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frēond – Freund (Altenglisch, das dem Rohirrisch sehr ähnlich ist)
Westu hál – Seid gegrüßt (Rohirrisch)
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