‚Abrûna
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„Es ist derer ein Leichtes zu sagen, ich liebe dich ein Leben lang, so wie du mich liebst. Gleichwohl schwer ist es dieses Gelübde. Es bringt Verantwortung, Verpflichtungen, das Versprechen auf Schutz, auf Hingabe und sorgsamen Umgang untereinander. Achtet euch. Vertraut aufeinander. Sprecht miteinander. Liebt euch. Dann erst, wird sich der Schwur des heutigen Tages auf kräftigen Schwingen erheben und euer gemeinsames Leben beschützen."
Die Eheleute neigen ihr Haupt zum Dank für diesen weisen Rat des Königs. Thorin gebührt die Ehre, ihn zu geben, ist Gloin doch als ein Angehöriger der Linie Durins höhergestellt denn ein einfacher Zwerg. Er und Yrsa nehmen sich bei den Händen, um die sieben Segnungen zu sprechen. Drei lange Jahre dauerte die Zeit ihrer Werbung umeinander und als ich Gloins Audienzersuchen erhielt, um die Erlaubnis des Königs zur Hochzeit zu erbitten, konnte ich meine Freude darüber über Tage hinweg kaum verbergen.
„Gesegnet sei Mahal, der alles zum Ruhme Erus erschuf."
„Gesegnet sei Mahal, der die Erde, die Berge und die Hügel formte."
„Gesegnet sei Mahal, der die Edelsteine und Metalle im Herzen der Berge versteckte."
„Gesegnet sei Mahal, der die Zwerge und die sieben Häuser segnete."
„Gesegnet sei Mahal, der den Zwergen die Fähigkeit lehrte, die Edelsteine und Metalle im Herzen des Berges zu verarbeiten."
„Gesegnet sei Mahal, der unsere Hallen durch seine Kinder füllt."
„Gesegnet sei Mahal, der Bräutigam und Braut erfreut."
Gemeinschaftlich sprechen wir die Segnungen, die den Schutz unseres Schöpfers über ihre Verbindung herbei beschwören soll. So alt wie die Rasse der Zwerge sind sie, gesprochen einst von den ersten Vätern und Müttern der sieben Sippen. Ihre Wörter sickerten tief in das Gestein der Berge, unter denen sie erwachten und ein jedes Mal fühlt es sich an, als würde ihre Energie sich erneut erheben und die Hochzeithaltenden in eine Aura des Beistandes und der Liebe hüllen. Von einer feuergeschmiedeten Kette gehalten werden die ehelichen Zusammenschlüsse, geknüpft durch unbrechbare Glieder aus Vertrauen, gegenseitiger Achtung, Respekt und Leidenschaft. Wir lieben nur einmal wahrhaftig, gleichwohl die Hingabe an mehrere nicht verpönt ist. Seither heiraten nur wenige Zwerge, dennoch hedonistisch leben wir, auch in wollüstigen Aspekten, egal ob Mann oder mündige Frau.
Während sie Gloin und Yrsa schwören das neue Zuhause für den jeweils anderen in Herz und Halle zu schaffen, schaue ich zu Thorin auf. Unsere Blicke treffen sich. Zufällig oder nicht, das vermag ich nicht zu sagen, jedoch eigenartig wird mir unter dem seinem, wie schon so oft in den letzten Wochen. Ein Kribbeln durchwandert den Körper, eine unbekannte und kaum auszuhaltende Kraft, die ihn erschaudern lässt. Ich fühle mich ihrer nicht gewachsen und so manch unangenehme Situation beschwor die Schwäche bereits herauf. Fallengelassen Pergamentblätter, als sich unsere Hände versehentlich bei der Übergabe berührten. Fluchtartiges Verlassen eines Raumes, nur, weil er mir zu nahe kam und sein Geruch mich überwältigte. Ein kompletter Verlust der Kontrolle, nachdem ein misslungener Angriff während des Kampftrainings zu einer leichten Verletzung führte und das Gleiten seiner versorgenden Finger entlang der Haut meinen Leib unter ihnen erzittern ließ. Daher schnell wende ich mich wieder ab und bin froh, dass der aufbrandende Jubel über die nun rechtsgültig geschlossene Ehe ablenkt, bevor ich in dem eisblau der Augen verfalle.
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Das Bankett zur Feier des Anlasses findet der Zeremonie anschließend im großen Festsaal statt. Yrsa in ihrem wunderschönen, reinweißen und mit klaren Bergkristallen bestickten Kleid, die herrlich im Licht der Kronleuchter glitzern, wirkt etwas verloren zwischen den unablässig auf sie und ihren Gemahl einströmenden Gratulanten. Bisher aus einer Familie stammend, die dem niederen Adel angehört, wohnte sie solcherlei prunkvollen Festlichkeiten noch nie bei. Unbeholfen wirkt sie, nicht vertraut mit strenger Etikette und höfischen Umgangsformen. Ein wenig davon versuchte ich ihr als Vorbereitung näherzubringen, jedoch überfordert die Gewaltigkeit des königlichen Hofes, all der Prunk und Protz, das hochtrabende Gerede und die steifen Anstandsregeln sie sichtbar. Gloin weiß darum und unterstützt sie unablässig mit beruhigenden Berührungen an Rücken, Hand oder Gesicht. Ein liebevoller Ehemann ist er, der seiner Familie alles ermöglichen wird. Ich erhoffe mir dieses Glück für sie.
„Du wirkst ein wenig blass, mein Mädchen." Die tiefe Großvaterstimme von Gróin lässt mich unvermutet aus den Wünschen schrecken. Bemüht darum, äußerst beruhigend zu lächeln, sehe ich ihn an. „Durch die Aufregung der letzten Tage fand ich wohl nicht genügend Schlaf", versuche ich die Sorge zu besänftigen, jedoch genauso erfolglos wie die Balins, der dies ebenfalls heute Morgen anmerkte. Seit einiger Zeit bereits, verfolgen mich undeutbare Träume und ein sonderliches Unwohlsein. Affektgeladener reagiere ich auf Kleinigkeiten, misslungene Dinge und mit größter Beschämung auch auf die immer häufiger werdenden, aber altersgerechten Trotzhandlungen von Fili. Im nächsten Moment jedoch, lache ich frei jedem Groll über seinen Schabernack oder bin den Tränen nahe, wenn der Stolz auf ihn mich überwältigt.
Um weiteren Fragen auszuweichen, die womöglich noch die Sorge von Thorin erwecken könnten, der in Hörweite mit einigen Ratsherren spricht, begebe ich mich zu Yrsa. Enge Freundinnen wurden wir und meine Unterstützung sicherte ich ihr zu, um sich in dieser unbekannten Welt zurechtzufinden, in die auch ich vor so langer Zeit erst hineinwachsen musste. Die Ängste etwas Falsches zu sagen, zu tun oder die Intrigen nicht zu erkennen, die sich wie klebrige Spinnennetze in jeder Ecke spannen um Unbedarfte zu fangen, kenne ich nur zu gut. Neben sie stelle ich mich, da Gloin von einem der letzten Gratulanten in ein tieferes Gespräch verwickelt wurde.
„Genießt du deine Feier?", frage ich sie flüsternd. Sie lächelt und beugt sich geheimbündlerisch zu mir hinüber. „Haben hier eigentlich alle einen Kristallstab verschluckt?" Ich unterdrücke mit allergrößter Kontenance ein Lachen. „Ab einem gewissen Zeitpunkt und mit einem gewissen Pegel an Wein, wird es besser", verspreche ich halbernst. Tatsächlich wirkt die Etikette auch noch so manches Mal auf mich ermüdend. Aber ich weiß um Abhilfe.
„Lass und tanzen", schlage ich vor. Überrascht darüber, sieht Yrsa erst mich und dann fragend ihren Gemahl an. Dieser jedoch vernahm wohl Bruchstücke unserer Unterhaltung und nickt erlaubend. Den Eröffnungstanz brachten sie bereits hinter sich, fanden gleichwohl kaum mehr Zeit, ihn lange zu genießen, obwohl sie beide gerne und gemeinsam wunderschön tanzen. Also ziehe ich Yrsa auf die große, spiegelglänzend polierte Marmorfläche inmitten des Saals. Einfach fällt es ihr nicht, sich in dem pompösen Kleid aus schwerer Seite zu bewegen, trotzdem ein ruhiges Stück angestimmt wurde.
„Ich fühle mich, als würden alle meine Unbeholfenheit beobachten und sich ihrer ergötzen", gibt sie schließlich zu. Unauffällig blicke ich mich um. Tatsächlich funkeln einige Augen gehässig, jedoch meist die von Frauen. Einen angesehenen Mann hat sie geheiratet, hoch in der Gunst des Königs stehend, Macht innehabend, angehörend einer alten und ehrbaren Ahnenlinie, die von dem starken Stamm des Hauses Durins abzweigte. „Mach dir nichts daraus", beschwichtige ich sie. „Die Missgunst an diesem Hof wirst du mit der Zeit lernen zu ignorieren." Sie nickt misstrauisch, aber ich weiß, sie wird es schaffen.
Langsam bewegen wir uns zu der sanften Musik. Selten tanze ich mit Frauen und wenn, dann aus gezwungener Höflichkeit, sind meine Freundinnen doch allesamt nicht berechtigt, an Bällen des Hofes teilzunehmen. Bis jetzt. Froh bin ich darum, nun Yrsa hier zu haben. So manch langweiligen Abend werden wir gemeinsam überstehen und aufheitern zu wissen.
Eine Drehung führen wir aus ... und plötzlich wird mir ganz schwummrig. Die Lichter der vielen Kerzen schlieren. Die Musik klingt dumpf, als würde Watte mich umhüllen. Kurze, helle Blitze zucken durch das Blickfeld und im Kopf ziehen dicke Nebelfelder herauf wie über ein Feld, auf dem Frühlingsmorgenklamm liegt. Ich schwanke und stütze mich hastig an Yrsas Schulter ab, um das Gleichgewicht nicht gänzlich einzubüßen.
„Astâ ... ist alles in Ordnung?", fragt sie aufgeregt und hält zusätzlich meine Mitte, denn trotzdem wegzusacken drohe ich. Äußerst bedachtsam, verneine ich. „Mir ist plötzlich schwindelig." Nicht mehr als ein schwaches Keuchen entkommt dem trockenen Mund. „Vielleicht sollten wir kurz an die frische Luft gehen", schlägt meine Freundin daraufhin vor und geleitet mich bereits zu einer der offenstehenden Türen, die hinaus in den Garten führen.
Die Kühle des Maiabends weht mir entgegen und tatsächlich bringt sie sofortige Besserung. Dennoch vorsichtshalber, setzt mich Yrsa auf eine der Bänke. „Danke", murmle ich und nehme einige tiefe Atemzüge. Der süßliche Geruch des Flieders, der überall in voller weißer, violetter und roter Blüte steht, hängt schwer über dem Plateau. „Das passiert mir in letzter Zeit immer öfters. Ich denke, es liegt an der Aufregung und der vielen Arbeit, die wir zusätzlich wegen der anstehenden Lieferung an die Feuerbärte hatten."
Yrsa setzt sich zu mir. „Astâ, wie alt bist du jetzt?" Verwundert über diese Frage, sehe ich sie an. „Ich werde bald dreiundsechzig." Sie lächelt eigenartig. „Hast du noch andere Beschwerden? Kopfschmerzen, befremdliche Träume, fühlst du dich erschöpft, obwohl du genügend geschlafen hast, Stimmungsschwankungen, ein Ziehen oder Drücken im Unterleib?" Jedes einzelne Anzeichen, das sie aufzählt, muss ich bejahen.
„Es ist furchtbar. Manche Tage will ich eigentlich niemanden sehen, andere könnte ich jedermann umarmen, der mir zu nahe kommt." Ihr Lächeln wandelt sich nun in ein mütterlich-besorgt und gleichzeitig stolzes, als würde sie ein Kind dabei beobachten, wie es seine ersten Kampfübungen mit einem Holzschwert absolviert. „Glaube mir, das kommt nicht nur von der Überarbeitung", sagt sie geheimnisvoll und beugt sich zu mir, jedoch noch bevor sie weitererzählen kann, werden wir unterbrochen.
„Ah, hierhin habt ihr euch zurückgezogen." Balin ist es, der uns wohl suchte und fand. Erschrocken sehen wir ihn an und so lieb ich ihn auch habe, so sehr verärgert mich sein Erscheinen gerade jetzt. „Verzeiht, sollte ich euch bei einem wichtigen Gespräch gestört haben, aber Thorin würde gerne einen Toast auf das Hochzeitspaar aussprechen, jedoch geht dies nur, wenn die Braut anwesend ist."
Wir erheben uns und folgen Balin zurück zum Festsaal, nachdem sich Yrsa versicherte, dass ich mich wieder besser fühle. Währenddessen jedoch, flüstert sie mir zu: „Solltest du Fragen haben oder Hilfe benötigen, weißt du natürlich, dass jede dir Nahestehende immer für dich da sein wird, ‚abrûna."
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Oh Mahal, wo bleibt sie denn nur, flüstere ich aufgewühlt, derweil ich unstet vor meinem Bett auf und ab haste. Die Finger und Handflächen schmerzen bereits, da ich sie ohne Unterlass fahrig Aneinanderreibe, indes ich immer wieder das Malheur der vergangenen Nacht betrachte. Unruhig schlief ich in dieser. Seltsamere Träume noch als sonst, quälten mich.
Auf einer Klippe, hoch oben, stand ich. Gehüllt in ein Kleid aus Seide und Blut. Unter mir brauste das wilde Meer. Schäumende Wellen brandeten an das glatte Gestein. Über mir kreischten unbekannte Vögel. Wie das bitterliche Geschrei eines Neugeborenen schmerzte ihr Wehklagen im Herzen. Jedoch sehen konnte ich sie nicht, denn der Himmel hing schwer von regengrauen Wolken.
Ich blickte hinunter auf das Wasser, denn unerklärlich fordernd zog mich sein Anblick zu sich. Komm zu mir, flüsterten die Wellen. Verlockend. Wie das zarte Lied einer Undine in all seiner betörenden Melodei. Ihre Schönheit lächelte durch den Meerschaum zu mir hinauf. Jedoch Angst beschlicht mich bei dem Gedanken zu springen. Was würde mich erwarten, auf mich warten, mir begegnen, mir bevorstehen, dort unten in der Tiefe? Gleichwohl eine eigentümliche Aufregung ließ das Herz heftiger schlagen. Wäre es nicht gerade aufgrund dieser Ungewissheit ein lohnenswertes Abenteuer, in das ich mich stürzen könnte?
„Wage es." Eine Stimme, hart und schroff wie die wellenunberührten Klippen, drang durch das Getöse zu mir. Ich drehte den Kopf, zuversichtlich und voller Freude, dass er mich beistehend errettet aus diesem Chaos der Gefühle. So wie er es immer vermag. Viele Male erschien er mir bereits im Traum. „Thorin", flüsterte ich gegen den Sturm, der unlängst aufkam und mir die offenen Haare durcheinanderwirbelte. „Ich kann nicht."
Näher kam er. Ein Krieger. Ein Held. Ein König. Stolz und unnahbar. Stark und überwältigend in seiner gesamten Erscheinung. Seiner Ahnherren Sohn. Auch er kleidete sich in seidenweiches Blut. Der Stoff schimmerte an seinem Leib. Die fließende Farbe an ihm ungewohnt, jedoch umschmeichelte sie perfekt seine Statur. „Du musst", anbefehlte er geradezu. „Körper und Geist sind dafür bereit."
Ich schüttelte den Kopf, blickte zurück auf die lockende Brandung. „Was erwartet mich dort?" Angst gleichermaßen wie Erregung, nahmen ihren Einfluss über die Frage. Sanfte Finger, rau von Kämpfen und Arbeit, gezeichnet von einem Leben in Mühsal, dazu befähigt zu erschaffen und zu töten, umfassten mein Kinn, um den Blick ihm wieder zuzuwenden.
Sein Leib so dicht. Die Wärme einer Esse strahlte er aus. Sie durchdrang mühelos den dünnen Stoff, um auf die nackte Haut zu treffen. Sein Gesicht näherte sich. Sein Atem drängte zwischen den leicht geöffneten Lippen hindurch. Seine Finger weiterhin ruhend an meiner Kinnlinie.
„Dies", raunte er und beugte sich weiter zu mir hinunter. Noch weiter. Noch näher. Wärme. Atem. Berührung. Sie nahmen mir den Verstand. Ich erzitterte unter ihnen wie die Saiten seiner Harfe beim sanften Spiel. Wie sehr will ich dies und gleichwohl, oh wie fürchte ich es auch.
Der Kuss war tief. Zärtlich. Nicht geprägt von Freundschaft, jedoch von Vertrauen. Nichts hatte er gemein mit den vielen Bisherigen, ausgetauscht in Momenten voller Verbundenheit. Nach Leidenschaft schmeckte er. Süßlich wie Kirschen. Herb wie Honig. Im Augenblick des Kostens erweckte er eine unstillbare (Sehn-)Sucht. Verlangen lag in ihm. Ein so heftiges Begehren, dass er mir den Atem nahm.
Ein lang vergessenes, allerdings niemals ganz verglommenes Feuer wiederweckte der Kuss in mir. Es brannte in meiner Brust. Wohlig, gleichwohl gefährlich. Dereinst erlösch es unter seiner plötzlichen Abweisung. Jetzt jedoch, drohte es außer Kontrolle zu geraten, sich zu einer Feuersbrunst auszuweiten, die wohl alles zerstören könnte.
Thorin löste sich jedoch von mir, bevor es imstande war gänzlich Besitz über unsere Körper zu erlangen. Ich keuchte unter der gleichwohl forthin nahen Berührung seiner Lippen. Versuchte, das Feuermeer zu bändigen. Er lächelte und legte eine Hand auf meine Brust. „Wage es. Ich warte auf dich", sagte er erneut und noch bevor ein Schrei dem Mund entkommen konnte, stieß er mich über die Klippe.
Ich fiel tief, dennoch war der Aufprall weder hart noch kalt noch todbringend. Das Wasser schloss sich um mich. Oder nein, es war kein Wasser. Blut. Überall. Es drängte in mich. Suchte sich seinen Weg in meinen Körper. Und trotzdem starb ich nicht. Wie neue, frische, belebende Energie durchströmte die Flüssigkeit jede Zelle des Leibs. Sie schien mich zu verändern. Mich wachsen zu lassen. Und dann erwachte ich und sah, dass Blut nicht nur den Traum dominierte.
Endlich klopft es und hastiger, als es vielleicht angebracht ist, reiße ich sie auf. Jedoch sobald ich Jassin sehe, kommen mir unweigerlich die Tränen. Sie erschreckt fürchterlich darüber und schiebt mich zurück ins Zimmer, um die Tür wieder zu schließen. „Astâ, bei Mahal, warum weinst du, ist etwas geschehen?" Die hektische Aufregung lässt ihre Stimme sich nur so überschlagen. Antworten kann ich ihr noch nicht und so schließt sie mich zur Beruhigung in die Arme. Wohltuend ist die Hand, die über meinen Rücken auf und ab streicht.
„Irgendetwas ist mit mir", vermag ich schließlich zu schluchzen. Sanft drückt sie mich von sich. Panik verdunkelt die Augen. „Als ich aufwachte, war da überall Blut, aber keine Verletzung an meinem Körper. Dennoch hört es nicht auf die Beine hinab zu fließen." Jassin blinzelt und plötzlich verschwinden die Zeichen des anfänglichen Schocks. Geradezu erleichtert wirkt sie.
„Du blutest", wiederholt sie und dummerweise deute ich dies als Nachfrage und bestätige das Gesagte weiterhin mit Schreckenstränen in den Augen. Jetzt sogar mit einem leichten Lächeln auf den Lippen schüttelt sie allerdings den Kopf. „Nein ... du blutest ... du hast deine erste Blutung bekommen." Verwirrt wie ein kleiner Vogel, der aus dem warmen Nest stürzte und erst dabei bemerkte, dass er fliegen kann, muss ich sie wohl ansehen. Wie bitte? Was habe ich? Und warum scheint sie sich darüber so zu freuen?
„Ich werde Fenna holen, sie hat mir damals auch alles Wissenswerte erzählt", schlägt sie vor, legt eine warme Hand auf meinen Rücken, um mich zum Bett zurückzuführen. „Es ist in deinem Alter vollkommen normal", erklärt sie dabei mit mütterlich-sanfter Stimme, die gleichwohl vor Stolz geradezu überquellt, genauso wie Yrsas vor einigen Tagen. Peinlich ist mir die gezeigte Hysterie nun, mehr noch als die Flecken auf den vor kurzem erst frisch aufgezogenen Laken. Deutlich verderben sie das reine Weiß. Jedoch beides scheint Jassin mir nicht anlasten zu wollen. „Vorher aber, werde ich dir ein erholsames heißes Bad bereiten, einige Dinge zur Versorgung holen und das kleine Malheur beseitigen." Ich senke den Blick zum tiefen Dank. Was würde ich nur ohne sie machen?
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‚abrûna – wachsende Frau
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