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Ich schaue mich um.
Egal, wo mein Blick hinfällt, sie sind da.
Menschen.
Ich beobachte sie gerne. Mit all ihren Eigenheiten und Marotten, den Emotionen und ihrem Verhalten. Wieder einmal muss ich mir in Erinnerung rufen, dass ich eine/r von ihnen bin. Ich bin ein Mensch. Genauer gesagt eine Teenagerin von 15 Jahren.
Und doch fühle ich mich nicht so.
Ganz und garnicht.
Meine Augen wandern zu einem jungen Paar, das Hand in Hand die Promenade entlangschlendert. Der Mann flüstert ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie lächeln muss. Ich frage mich, was es war, was er ihr gesagt hat und warum sie jetzt offensichtlich glücklich ist.
Das Glück ist sowieso etwas sehr verwirrendes. Man kann in einem Moment todunglücklich sein und denken, dass man nie wieder froh wird, aber noch am selben Abend unbeschwert über eine sonnige Wiese laufen und seine Sorgen längst vergessen haben.
Kann ein Mensch eigentlich ein glückliches Leben führen, obwohl er manchmal bitterlich weint? Man könnte jetzt denken, dass ich mir das doch einfach selbst beantworten kann, denn schließlich bin ich wie gesagt ein Mensch, doch das stimmt nicht. Ich bin nicht so wie die anderen.
Ich bin anders, das weiß ich schon seit ich geradeeinmal ein Jahr alt war und anfing, alles in meiner, damals zugegeben noch sehr beschränkten, Reichweite zu erforschen. Jedes Baby erforscht seine Umgebung, klar, doch ich analysierte und dokumentierte alles haarklein. Dokumentieren konnte ich dank meiner eigens erfundenen Schrift. Es war eine Technik, so kompliziert, dass weder meine Eltern geschweige denn später meine Lehrer sie je verstanden haben. Als ich in der Grundschule Druckschrift und "normale" Buchstaben lernen sollte, weigerte ich mich. Es kam mir primitiv und unendlich langweilig vor. Letztenendes ließ ich mich doch dazu überreden und lernte alle Buchstaben, klein und groß, inklusive Schreibschrift innerhalb 72 Minuten flüssig zu schreiben. Das war der Moment, in dem meine Lehrerin auf die brilliante Idee kam, meinen IQ testen zu lassen. Da die Schrift jetzt ja kein Problem mehr darstellte und ich die Zahlen und ihre Funktionen schon mit vier genauestens analysiert, kennen- und liebengelernt hatte (dieses System finde ich im Gegensatz zu Buchstaben geradezu hochinteressant), stimmten meine Eltern zu. Ich glaube, sie hofften, dass ich irgendwie hochintelligent war, um so meine merkwürdige Entwicklung zu erklären. Sie sollten nicht enttäuscht, dafür aber sehr überrascht werden. Ich hatte keine Frage oder Aufgabe falsch beantwortet, dafür aber "absurde und viel zu abstrakte Lösungswege" benutzt, wie sich die Frau, die mich testete damals ausdrückte. Ich versuchte erst garnicht, meine Gedanken zu erklären. Keiner würde mich verstehen, da war ich sicher. Es stimmt nämlich; wer anders ist, wird nicht akzeptiert, es wird bestenfalls versucht, ihn zu ändern, schlimmstenfalls wird derjenige ausgestoßen, schikaniert, fertiggemacht. Ich spreche aus Erfahrung. (Übrigens auch ein sehr interessantes Thema, wenn auch nicht immer angenehm für mich.)
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