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Verschlafen rieb ich mir über die Augen und brummte dabei selbst für mich Unverständliches vor mich hin. Manchmal träumte ich echt komische Sachen.
Ich griff nach meinem Buch, las es durch, doch war in Gedanken nicht wirklich bei der Sache. Immer wieder dachte ich an die Familie aus meinem Traum. Wieso waren sie mir so bekannt vorgekommen?
Ich legte das Buch zur Seite, als ich fertig war, nahm meine Tabletten, die den Zeitraum meiner Erinnerungen verlängern sollten, und machte mich dann fertig, um Frühstücken zu gehen. Mein Vater war wohl schon am Arbeiten, also aß ich alleine und ließ dabei meinen Traum immer wieder in Gedanken abspielen. Wieso kam er mir so wichtig vor?
Nach dem Essen machte ich mich ans Training. In der Halle wartete mein Trainer bereits. Es störte ihn nie, wenn ich zu spät kam, im Gegenteil, er war froh, wenn er die Halle alleine für sich hatte und ein wenig schießen konnte, ohne auf mich achten zu müssen. Hauptsache ich kam überhaupt.
Trotzdem entschuldigte ich mich für die Verspätung, nachdem er seinen letzten Schuss getätigt und mich bemerkt hatte. Er tat es mit einem Lächeln ab, legte den Bogen auf dem dafür vorgesehenen Ständer ab und entfernte auch die Pfeiltasche, die um seine Hüfte hing.
Wir machten uns warm, offensichtlich sein zweites Mal heute, bevor auch ich einen Bogen in die Hand bekam.
Nach etwa einer Stunde räumten wir auf und bauten um, sodass wir die Halle zum Fechten bereit machen konnten.
„Ich weiß nicht, Victor, ich bin heute ein bisschen langsam, um ehrlich zu sein"
„Besser für mich", grinste er. Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf.
Ich trainierte noch nicht lange, da war ich mir sicher. Es waren zwei Monate: Bogenschießen und Fechten. Ich wusste, dass ich das nicht länger machen konnte, weil mein Vater es niemals erlaubt hätte. Ich machte das heimlich und es machte enorm viel Spaß. Victor hatte mich als Naturtalent bezeichnet, in beidem. Entweder waren wir wirklich bereits auf gleicher Ebene oder er ließ mich gerne gewinnen, was ich allerdings bezweifelte. Dafür war er einfach nicht der Typ.
„Okay, was ist los mit dir?" Victor nahm den Helm ab, nachdem er mich nun in der vierten Runde mit je drei Treffern geschlagen hatte. Ich tat es ihm gleich und zuckte mit den Schultern.
„Ich bin mit den Gedanken woanders..."
Victor sah mich nur auffordernd an, bis ich seufzte und weiter sprach.
„Ich hatte heute Nacht einen Traum. Er kam mir so real vor, aber dennoch stört mich irgendetwas daran..."
„Vielleicht Erinnerungen", schlug Victor vor, als sei es keine große Sache.
Ich hatte ihm von meinem Problem erzählt. Er war bis auf meinen Vater und mich der einzige, der es wusste. Mein Vater wollte es vor der Welt Geheimhalten, um mich, ihn, uns nicht angreifbar zu machen. Deshalb hatte ich dieses Gebäude bisher auch noch nie verlassen und meine Kontakte beschränkten sich auf meinen Vater, meinen Trainer und ein paar Dienstmädchen.
„Unwahrscheinlich", tat ich Victors Vorschlag ab. „Meine Mutter starb bei meiner Geburt, einen Bruder habe ich nicht und der Mann in meinem Traum sah ganz anders aus als mein Vater..."
„Dann vielleicht eine Art unterbewusster Wunsch."
Fragend betrachtete ich meinen Trainer. Er winkte mich mit sich zu der Bank, wo wir uns setzten, um etwas zu trinken. Er schien das Training für heute beendet zu haben.
„Träume sind meistens von deinem Unterbewusstsein bestimmt. Vielleicht wünschst du dir eine richtige Familie. Das kann dir keiner übel nehmen, Kleiner. Du hast nur deinen Vater und ich bezweifle, dass er dir ein Gefühl von Heimat und Fürsorge übermitteln kann"
Seine Worte schockten mich. Nie hatte ich jemanden ein schlechtes Wort über den Ratsvorsitzenden verlieren hören. Wahrscheinlich, weil das mit Verbannung aus der Stadt geahndet wurde... aber dennoch. Woher nahm Victor den Mut, so ehrlich zu sein?
Er lächelte. „Du wirst mich doch nicht verpfeifen, mh?"
Schnell schüttelte ich den Kopf. Dazu sah ich keinen Grund. Victor war nur ehrlich zu mir gewesen. Aber leider musste ich dadurch feststellen wie selten ich dieses Gefühl hatte, das ich nun verspürte. Dass mir jemand die Wahrheit sagte.
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