Türchen 24 (II) ~ Blaue Lichter
Ein warmer Schein kitzelte Kamiwa am Morgen wach. Das sanfte Licht strömte durch das Fenster, welches frei von jeglichen Schmutz war. Lange hatte sie in der Nacht noch seine Wohnung auf Vordermann gebracht, bis Pakkun sie auf das Sofa verfrachtet hatte und sie dort eingeschlafen war. Sie spürte die kuschlige Decke auf ihren Schultern, doch genauso roch sie den Duft von frisch gezogenen Tee und warmen Brötchen.
Ihr Magen knurrte verräterisch, als sie sich aufsetzte und die Decke von ihren Schultern schob. Verwirrt sah sie sich um, doch sie entdeckte nur Pakkun, welcher auf dem Fensterbrett neben der erloschenen Kerze schlummerte. Er konnte wohl kaum das Tablett auf den Couchtisch gestellt haben. Sie erkannte darauf ein liebevoll zubereitetes Frühstück: ein knuspriges Doppelbrötchen, einen Klecks Marmelade, eine dampfende Tasse Tee. Wenn sie genauer schnupperte, definierte sie es als Jasmintee - ihr Lieblingstee.
Gerade als sie den Namen des vermeintlichen Verursachers rufen wollte, in der Hoffnung dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag, hörte sie leise, schlürfende Schritte hinter sich. Innerlich erleichtert, atmete sie durch, als sie Kakashi durch die Tür treten sah, doch zu ihrem Bedauern mied er jeglichen Blickkontakt. Sein Kopf war zwischen seine Schultern gesunken, als er das Wohnzimmer passierte und in die Küche trottete. So weit kam er jedoch nicht: Kamiwa klopfte auffordernd auf die freie Sitzfläche neben sich. ,,Setzt du dich zu mir?"
Sie hörte, wie er in seine Maske murrte, doch er wechselte die Richtung und ließ sich nach einem kurzen Zögern neben ihr nieder. Es schmerzte ihrem Herzen, wie er mit sich rang, wie er abschätzte, wie er sich innerlich quälte. So griff sie nach dem doppelten Brötchen, teilte es und hielt ihm eine Hälfte entgegen. Ein wenig Normalität würde ihm sicherlich gut tun. ,,Danke, aber iss du auch etwas."
Kakashi sah nur kurz auf das Brötchen, dann wieder auf den Teppich, welcher unter dem Tisch lag. Mit einem leisen Seufzen nahm er dennoch an, wobei seine Finger kurz ihre streiften und für einen winzigen Moment fühlte sich alles gut an. Leicht und unbeschwert. Kamiwa beobachtete ihn nicht, wie er einen Bissen nahm. Sie hörte lediglich, wie er vorsichtig kaute, was sie lächeln ließ.
Gemeinsam frühstückten sie in einer gemütlichen, aber gleichzeitig erdrückenden Stille. Nur das Knuspern des Brötchens war zu hören, genauso wie das leise Klackern als Kamiwa die leere Tasse abstellte. ,,Kommst du dann mit raus? Immerhin ist heute Heiligabend." Sie versuchte es, wollte ihn an die frische Luft bringen, ihm den Kopf durchlüften. Kakashi schüttelte unmerklich mit dem Kopf, zog ihn zwischen die Schultern. Sie konnte sich vorstellen, weshalb er nicht ins Dorf wollte, dass er sich schämte, dass er nicht mit der Situation konfrontiert werden wollte.
,,Ist okay." Sie konnte ihn nicht zwingen. Für ihn war im Moment nichts in Ordnung, nichts entsprach der Normalität. Auf Verstand brauchte sie nicht zu setzen. ,,Ich hatte eh keine Lust auf große Menschenmassen, aber du darfst nicht vergessen, dass du dich nicht vor den Bewohnern verstecken musst." Kamiwa sah nicht zu ihm, ließ ihm den Freiraum, den er brauchte. Stattdessen blickte sie aus dem Fenster, beobachtete die weißen Flocken, die vom Himmel rieselten.
In der Spiegelung sah sie, wie er die Augen schloss, wie er nachdachte, wie er abschätzte. Kurzzeitig ließ er sogar den Kopf hängen, ehe er ihn hob, seufzte und die Augen wieder öffnete. Ihr Blick kreuzte sich im Glas des Fensters. So sah sie, wie er zaghaft nickte. Er schien unsicher, doch er wirkte bereit, sich dem zu stellen. Auch Kamiwa nickte.
Minuten verstrichen, bis ganze Stunden gefüllt waren und sie es geschafft hatte, Kakashi zu einem Schal und einer Mütze zu überreden, bevor sie in die Weiten des Dorfes zogen. Draußen war es kalt, er vor gut zwei Tagen beinahe erfroren - Mütze und Schal definitiv ein Muss. Der frostige Wind blies in ihre Gesichter, ließ sie einen Schauer erleiden, doch sie nahm seine Hand und führte ihn durch die Gassen des Dorfes.
Sie hatte nicht gelogen: Sie hatte wirklich keine Lust, der großen Menschenmenge zu begegnen, weshalb sie ihn durch die schmalen Winkel zog. Ihm war es ganz willkommen. Er ließ sich führen, ließ sie entscheiden, wo es hinging. Sie wusste, was sie tat - dessen war er sich sicher. Auch dass sie auf ihn Rücksicht nahm, bemerkte er, als sie an einer Regenrinne stehen blieb und hinauf deutete. Er hatte ihr von seinem Chakraproblem berichtet, sodass sie sich nun an der Regenrinne entlanghangelte und das Gebäude neben ihnen erklomm. Nur kurz holten ihn die Zweifel ein, aber widerstandslos folgte er ihr.
Seine Bewegungen waren sichtlich vorsichtiger wie ihre, doch als er schließlich neben ihr zum Stehen kam, schien die winterliche Kälte für einen Moment vergessen. Dort war nur Wärme. Sie standen hoch oben. Er hatte gar nicht registriert, dass sie so weit geklettert waren.
Vor ihnen erstreckte sich das Dorf. Ausgelassene Stimmung schallte zu ihnen empor: Musik spielte, Leute lachten. Sie stießen an und genossen die gemeinsame Zeit. Aber etwas schien ihm merkwürdig. Das Dorf feierte, wirkte regelrecht erleichtert. ,,Siehst du die blauen Lämpchen überall?", hörte er Kamiwa neben sich schwärmen, als sie an den Rand trat und mit großen Augen den Markt bewunderte. ,,Das gesamte Dorf hat um dich gebangt. Sie wollten ein Zeichen setzen."
Deshalb wollte sie unbedingt nach draußen. Sein Herz wurde schwer, als er an jedem Laden, jedem Stand die blauen Lichter sah. Er erkannte selbst Kinder, die ausgefeilt tobten und auf ihren Köpfen einen Kranz mit blauen Schein trugen. ,,So wie sich deine Einlieferung herumgesprochen hat, hat sich vermutlich auch deine Entlassung herumgesprochen." Kamiwa schien selbst von diesem Fakt überrascht zu sein. Sie wollte ihm lediglich den Anblick seines Symbols zeigen, doch diese Realität trieb selbst ihr die Freudentränen in die Augen.
,,Schau es dir genau an, Kakashi. Das ist dein Dorf, das deine Genesung feiert." Ihre Augen funkelten vor Rührung und er musste sich eingestehen, dass es auch sein taubes Herz berührte. Ein warmer Kloß bildete sich in seiner Kehle, machte ihm das Antworten schwer. Er wusste auch nicht, was er dazu sagen sollte. Es war schlichtweg atemberaubend.
Seine Fassade bröckelte, seine Zweifel wurden überrollt und sie komplettierte sein Gefühl. ,,Du bist nicht allein. Das gesamte Dorf steht hinter dir. Was der Dämon in deinem Kopf auch sagt, du hast hier Menschen, die immer auf deine Rückkehr warten werden und auf dich angewiesen sind." Wie sehr die Stimme in seinem Kopf auch schrie, dass sie log, dass er ein Kameradenmörder war, dass er diese Anerkennung nicht verdiente.
Sein Dorf bewies ihm in diesem Moment das Gegenteil. Kamiwa sprach die Wahrheit. Das Dorf sah zu ihm auf. Selbst als ein paar Kinder ihn auf dem Dach entdeckten, winkten sie ihm breit grinsend, aber auch wild und freudig springend zu. Galt ihm wirklich solch ein hohes Ansehen? Die Kinder schrien ihren Jubel aus sich heraus und er wusste endlich, die Antwort auf diese Frage: Ja.
Sein Damm drohte zu brechen, als er neben Kamiwa trat, um einen besseren Blick auf die fröhlichen Bewohner zu werfen. ,,Du hast Leute, die dich verlieren würden. Leute, denen du wichtig bist, die zu dir aufsehen. Das ist es doch, was das Leben lebenswert macht. Man sieht es zwar nicht immer auf den ersten Blick, aber es gibt immer Menschen, die nur auf dich warten." Er betrachtete die Kinder, die ein letztes Mal winkten und freudig von dannen zogen, als er zum Abschied ebenfalls die Hand hob.
Kaum dass er sie sinken ließ, umfasste er ihre Hand, gab ihr einen Ruck und zog sie in seine Arme. Als wäre er in einer kunterbunten Welt gelandet, platzierte er seinen Kopf auf ihrer Schulter und betrachtete weiterhin das Dorf.
Kamiwa blieb ruhig in seinen Armen stehen, nahm seine Hand an und sah ebenfalls den Menschen zu. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was nun in ihm vorging, doch seine Augen strahlten. Sie leuchteten geradezu. So hatte sie ihn schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gesehen.
Sie wussten beide, dass dieser Moment noch nicht das Ende ihrer Reise besiegelte. Nach einem langen steilen Abgang, folgte nun ein gemächlicher Anstieg. Ein Weg, der Arbeit bedeutetete, doch Kakashi sah die Sonne, sah die angebotene Hand, die ihn durch den ersten Schritt begleitete. Er war sich sicher: Diesmal ging er den richtigen Weg. Diesmal ergriff er die Chance, weshalb er ihre Hand drückte und sich schwor: Diesmal erreichte er sein Ziel. Diesmal ehrte er ihre Worte, die Lehre, die ihn so lang am Leben erhalten hatte.
Memento Mori: Er würde nun lernen, den Tod angemessen zu schätzen, hatte er ihm nicht bereits die Hand gereicht. Er bedachte, dass er irgendwann sterben musste, doch nicht jetzt.
Memento Vivire: Er würde nun lernen, das Leben angemessen zu schätzen, würde diesem nun die Hand reichen. Er würde bedenken, dass er leben musste, denn sein Leben war kostbar und noch lange nicht zu Ende.
1467 Wörter
Wir haben Türchen 24 erreicht, aber am Ende sind wir noch nicht: Es wartet ein ,,Türchen Spezial" auf euch, aber auf das müsst ihr noch ein wenig warten. Ich fokussiere Silvester an, dass ich es da hochlade^^
Ich wünsche euch frohe und besinnliche Weihnachten^^
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