Türchen 17 ~ Eine verzerrte Lüge

Sie taumelte, als ob der kalte Grabstein sie mit seiner schockierenden Realität zurückstoßen wollte. Ihr Herz schlug schneller, raste wild in ihrer Brust und ein Gefühl der beißenden Ohnmacht überkam sie. „Das kann nicht sein", huschte der Gedanke durch ihren Kopf, während sie den Blick von dem Namen abwandte, der in das Gestein gemeißelt war.

Die Kälte des Winters drang bis in ihre Knochen und sie fühlte sich, als fiel sie in einen bodenlosen Abgrund. Es war, als ob die Luft um sie herum dünner wurde und jeder Atemzug ihr schwerer und schwerer fiel. Die Gedanken wirbelten wirr in ihrem Kopf und sie kämpfte erfolglos gegen die knadenlos aufsteigende Panik an.

Wie konnte sie hier stehen und wissen, dass sie nicht nur als tot galt, sondern dass es Menschen gab, die um sie trauerten? Der Gedanke überrollte sie wie eine reißende Welle und sie wollte einfach nur weglaufen, weit weg von diesem Ort, doch Kakashis Anwesenheit hielt sie zurück. Er hatte sich darum gekümmert. Nicht nur, um das Grab ihrer Eltern, sondern auch um ihres. Sie musste es nicht sehen, sie erkannte es an seinem Blick, dass er es war.

Ihr Herz pochte unruhig. Sie hatte keine Ahnung, dass sie ein Grab besaß, das täglich mit Sorgfalt gepflegt wurde. Die Gedanken drehten sich ungehalten in ihrem Kopf. Nun stand sie hier, konfrontiert mit einem Zeichen ihres eigenen Endes und es erschien ihr wie ein surrealer Albtraum. Ein ungehaltenes Zittern bebte durch ihren Körper, sodass sie die Arme um sich selbst schlang.

Kamiwa fror nicht, doch sie fühlte die Kälte in ihrem Inneren emporkriechen. Fühlte sich so Kakashi? Jeden einzelnen Tag? „Ich wusste nicht", flüsterte sie, während ihre zitternden Finger sich in ihre Oberarme krallten, ,,dass ich einen Platz habe, an dem man meiner gedenkt." Eine Welle der Gänsehaut überkam sie, als sie sich vorstellte, dass er tatsächlich regelmäßig hierher kam, um ihr Andenken zu ehren. Selbst jetzt, als er wusste, sie lebte.

All die Jahre hatte sie gedacht, er wollte sie ermorden. All die Jahre hatte sie ihm die Schuld gegeben. Ein ersticktes Lachen drang aus ihrer Kehle, als sie in sein Angesicht blickte und die verzerrte Lüge entblöste. Wie dumm sie doch all die Jahre gewesen war. Wie naiv.

„Ich dachte, ich wäre einfach verschwunden", murmelte sie leise, während die Erinnerungen an jene Nacht in ihr aufstiegen. Wie der maskierte Obito sie aus ihren Zimmerfenster gezogen hatte, mit den Worten, sie vor Kakashi zu beschützen. Die schmerzerfüllten Schreie ihrer Eltern als Kakashi, nein Obito, sie ermordete. Sie dachte wirklich, sie würde nur als vermisst gelten - nicht als tot.

,,Ich fand damals einen geschändeten Körper", begann er, sie aufzuklären, was damals genauer geschehen war. Wie es dazu kam, dass sie ein Grab besaß, obwohl sie quicklebendig davor stand. ,,Sie sah aus wie du."

Er stand neben ihr, gefangen in der Kälte, während sie gemeinsam vor ihrem eigenen Grab standen. Der Anblick war so surreal, dass ihn die Tatsache, dass alles wirklich so bizarr verlaufen war, erdrückte. Er konnte die Qual in ihrem Gesicht sehen und in ihm regte sich ein Gefühl der bitteren Hilflosigkeit. ,,Es ist meine Schuld", hing er geknickt am Ende an und erinnerte sich hellauf an die blutige Nachricht neben dem erdolchten Körper.

Was konnte er tun, um ihr zu helfen? War es nur dieser Moment und sie kam damit zurecht oder zerbrach sie innerlich - wie er? Kakashi konnte es nicht lesen, nicht einmal erahnen oder sie einschätzen. Auch wenn er sie seit seiner frühen Kindheit kannte, so stand vor ihm ein anderer Mensch. Genauso wie er sich verändert hatte, wie er erwachsen geworden war, so war sie es auch geworden. Allein, dass sie nun gemeinsam hierstanden, hatte er vor einigen Tagen nur geträumt.

Kaum vernahm er eine erneute Zitterwelle durch ihren Körper, setzte sein Kopf aus. Er konnte nicht viel tun. Er besaß keine passenden Worte, doch der Reißverschluss seiner Weste erklang protestlos. Sorgfältig legte er sein schwarzes Kleidungsstück über ihre Schultern, hüllte sie in Wärme. Es war seine Art zu sagen, dass er für sie da war, auch wenn seine eigene Dunkelheit in ihm wuchs und ihn verschlang.

Kakashi wusste, sie war stark - im Gegensatz zu ihm. Sie würde es verkraften und er würde an ihrer Seite stehen, wenn sie es erlaubte. Diese Hoffnung zerplatzte jedoch in dutzend Einzelteile, als sie ihn verschreckt anblickte. War er ihr zu nah gekommen? War es zu viel gewesen? ,,Ich glaube, wir sind wirklich wegen dir in die Schussbahn geraten", brabbelte sie für ihn beinahe unverständlich, doch er konnte sich die Worte zusammenbasteln. Es war hundertprozendige Rache an ihm, doch diesen Fakt aus ihrem Mund zu hören, schmerzte ihn.

,,Versteh das bitte nicht falsch", versuchte Kamiwa sich zu retten, als sie die aufgerissene Wunde in seinen Augen erblickte. Nun war sie Schuld, sodass sie sich von ihm abwandte, um dem Schatten ihrer Worte zu entkommen.

„Ich... ich kann das gerade nicht mehr", murmelte Kamiwa, als sie sich weitere Schritte von ihm entfernte, versuchte, sicheren Abstand zwischen sie zu bringen. Gleichzeitig krallte sie sich in seine Weste, zog sie vor ihrem Körper zusammen und zog den Kopf zwischen den Nackenschutz ein.

Panik breitete sich in ihr aus, als sie den immer verletzteren Blick von ihm spürte. Sie wusste, sie machte es mit ihrer Aktion nicht besser, doch sie konnte nicht. Sie überstand diese Art der Konfrontation nicht weiter. Sie war müde, ausgelaugt, am Ende ihrer Kräfte. Mehr vertrug sie nicht.

In diesem Moment, in dem die innere Verzweiflung gewann, kehrte sie ihm vollständig den Rücken zu und pirschte zwischen den Grabsteinen davon. Fast wäre sie ausgerutscht, doch konnte sich halten und verließ den Friedhof. Kakashi sah ihr lediglich nach, blieb allein vor den Gräbern ihrer Familie zurück, verwirrt und verletzt, unfähig zu begreifen, was gerade geschehen war. Auch er spürte die Präsenz ihrer Eltern, wie sie ihm beistehend die Hände auf die Schultern legten und der Wind ihm zuflüsterte, dass er es ihr nicht verübeln solle. Es blieb jedoch kein Geheimnis: Seine Taten und seine Worten hatten sie verletzt.

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