Türchen 16 ~ Ich bin hier
Erleichtert, endlich das Treiben des Dorfes zum zweiten Mal des Tages hinter sich zu lassen, seufzte Kakashi leise, als er plötzlich ein Stäbchen vor die Nase gehalten bekam. Fast hätte sie ihm die Wange eingestochen, doch geschickt zog er seinen Kopf zurück. ,,Möchtest du das letzte?" Die Situation kam ihm bizarr bekannt vor, doch auch wie damals lehnte er dankend ab. ,,Du hast gezahlt, also geb ich dir etwas ab. Keine Widerrede", verlangte sie und drückte ihm den Spieß einfach in die Hand.
So schnell konnte er es ihr gar nicht zurückgeben, da war sie den Stufen empor gerannt und ließ ihn hinter sich zurück. Er wusste, es gab keine Diskussion, sodass er das letzte Bällchen in seinen Mund schob und das Knuspern auf seiner Zunge spürte. Damals hatte er gezögert, seine Probleme mit dem Essen hatten ihn übermannt. Nun hatte er die Zügel in der Hand, war zumindest dieses Problem losgeworden, aber er konnte sich keinesfalls geheilt schimpfen. Die zerknitterten Zettel in seiner Tasche verrieten das reale Gegenteil.
Oben angekommen, wartete sie unruhig auf ihn, tippelte von einem Fuß auf den anderen, sodass er das kleine Gartentor quietschen ließ, als er es öffnete und voranschritt. Sie schritt ihm hinterher, folgte ihm aufmerksam, als sie zwischen den vielen grauen Steinen entlang gingen. Einige erkannte sie nach all den Jahren wieder. Aus der Ferne erkannte sie Obitos und Rins Gräber. Minato und Kushina konnte sie ebenfalls zuordnen, genauso auch Sakumo. Sie schluckte, als sie in die entgegengesetzte Richtung liefen und sie sah, wie Kakashi mit jedem Schritt mehr und mehr die Schultern einzog.
Kamiwa erahnte, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, als er stehen blieb und auf drei Gräber blickte. Nur mit viel Überwindung sah sie auf das erste hinab und schwang ihren Blick zu dem zweiten Grab. Torao Shivani. Maiko Shivani. Langsam ging sie vor den beiden Gräbern auf die Knie, strich behutsam über die eingravierten Buchstaben. Sie fühlte die saubere Kerben und warf einen wissenden Blick über ihre Schulter. ,,Danke." Es konnte nur Kakashi gewesen sein, der sie sauber hielt.
Da registrierte sie auch die Blumen, die zwar bereits bessere Tage gesehen hatten, doch die Geste allein berührte ihr Herz, ließ es kräftig pumpen. ,,Danke", wiederholte sie sich und strich erneut über die Namen ihrer Eltern. ,,Es tut mir leid, dass ich noch nie bei euch war." Einzig ein Wispern drang zwischen ihren Lippen hindurch, doch sie spürte Präsenzen um sich herum - nicht nur Kakashi.
Sie hatten sie erhört, waren hier bei ihr. Sie fühlte die Präsenz ihres Vaters, wie er ihr eine Hand auf den Kopf legte und über ihr Haar streichelte, wie ihre Mutter ihr sanft über den Rücken strich. ,,Willkommen zu Hause", hörte sie den Wind sprechen, als er über die Fläche fegte und den Schnee aufwirbelte. Irgendwo auf dem Friedhof fiel auch ein Schneebatzen von einem Baum.
,,Ich vermisse euch", gestand sie mit bebender Stimme. Tränen sammelten sich in ihren Augen, als sie wieder und wieder die Namen las, die vor so vielen Jahren diese Welt verlassen hatten. Es schockierte Kakashi, als er die Perlen über ihre Wangen rollen sah, doch er schaffte es nicht, sich zu rühren. Es war ihr Moment, den sie durchleben musste, sodass er sie einfach weiter stumm beobachtete. Sie hatte es noch nicht bemerkt, denn sie wimmerte leise und schloss die tränenden Augen.
Kaum hörte er ihre verweinten Laute, entschied er sich dennoch um und hockte sich gedankenlos an ihre Seite. Vorsichtig und mit Bedacht, dass sie ihn vor Schreck schlagen könnte, nahm er ihre Hand und drückte diese leicht. Er fühlte ihre warmen Finger, im Gegensatz zu seinen kalten Händen - trotz Handschuhe.
„Es tut mir leid, dass du das alles durchmachen musst", murmelte Kakashi leise, seine eigene innere Dunkelheit in sich spürend. Die Überforderung, die ihre Tränen und ihre wenigen Worte in ihm auslösten, ließ ihn zögern. Es erinnerte ihn schmerzlich an seinen eigenen Abgrund, doch dies war ihr Augenblick, indem sie Schwäche zeigen durfte - musste. Er zögerte, unsicher, wie er sie trösten konnte, ohne sich selbst in einem Strudel seiner Gedanken zu verlieren. Er spürte die Last der Stille zwischen ihnen hängen. Es waren die Worte, die unausgesprochen blieben.
Er wünschte sich, er könnte ihre Schmerzen auf irgendeine Weise lindern, aber er wusste, dass er nur da sein und mit ihr durch diese Zeit gehen konnte. Er wusste doch selbst nicht, was er sagen konnte, wie er sie aufheitern oder ihr beistehen konnte. Er war nicht Kamiwa, die sofort sah, was ihren Gegenüber beschäftigte. Die Worten blieben ihm rücksichtslos im Hals stecken und erstickten ihn beinahe.
Stattdessen blickte er in ihr von Trauer gezeichnetes Gesicht und konnte nicht anders, als sich an seine eigenen Verluste zu erinnern. „Wir alle haben unsere Kämpfe, Kamiwa", sagte er schließlich leise und versuchte sich so gut es ging, an Guys Aufmunterungsversuche zu erinnern. „Es ist in Ordnung, schwach zu sein. Es ist in Ordnung, zu fühlen." Sie öffnete die Lider und sah ihm direkt in die schwarzen Augen. Die Tränen waren noch frisch auf ihren Wangen, aber sie versuchte sich an einem Schmunzeln. Das war die Kamiwa, die er kannte: Die Kamiwa, die immer das Positive suchte.
„Du bist nicht allein", entgegnete er so sanft, wie es sein innerer Dämon erlaubte. Dennoch glaubte er, er habe den falschen Ton erwischt, er habe zu kalt gesprochen. Sie verstand dennoch seine Intention und nickte leicht. „Ich bin hier." Das Funkeln kehrte in ihre Augen zurück und sein Herz machte einen kargen Hüpfer. Hatte er die richtigen Worte gefunden? Er vermutete es, jedoch verpuffte dieses wohltuende Gefühl, als sie neben ihn blickte.
Der Schnee knirschte verräterisch, als sie aufsprang und verschreckt ein paar Schritte rückwärts taumelte. Erst wollte er fragen, was sie denn gestochen habe, ob er etwas falsch gemacht habe. Dann folgte er ihrem Blick und erkannte den heimtückischen Auslöser.
Das dritte Grab der Reihe. Es war genauso gepflegt wie die anderen beiden. Hier standen jedoch frische Blumen, die das Grab in all dem Schnee bunt färbten. Kakashi sah es zwar blass und farblos, konnte sich jedoch die Wirkung bestens vorstellen. ,,Kamiwa", versuchte er sie zu beruhigen, weshalb er ebenfalls aufstand und sich ihr langsam näherte. Ihre ausgestreckten Arme hielten ihn auf, hielten ihn auf Abstand, als die Realisation durch ihre Adern zu fluten schien und sie das Grab verstört musterte.
Kakashi brauchte nicht einmal den Namen lesen. Er kannte dieses Grab. Er wusste blind, wo er auf dem Friedhof entlang laufen musste, um hier anzukommen. Erst heute Morgen in seiner Frühstückspause war er hier gewesen und hatte frische Blumen niedergelegt - in dem Wissen, dass dort nicht die Person verweilte, die er jahrelang geglaubt hatte. Selbst von seiner Wohnung aus, beschritt er den Weg einzig durch seine Erfahrung, während er immer wieder in seinen Gedanken abtriftete. Was Kamiwa aber derzeit dachte, als sie den Namen las, konnte er nicht erahnen.
Kamiwa Shivani.
1129 Wörter
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