Türchen 10 ~ Utopisch

,,Fertig mit glotzen?"

Ertappt sah er sofort weg von ihr, doch schwang mit dem Blick langsam zu ihr zurück, als sie sich bückte und einen neuen Holzscheid ins Feuer warf. Es knisterte und knackte verräterisch, doch die Flammen blieben brav im Kamin, sodass er sie weiter betrachten konnte.

Sie war erwachsen geworden, so auch er. Sie war hübsch geworden, noch hübscher wie früher. Damals hatte er sich bereits in sie verliebt und bis heute hatte er es nicht aussprechen können. Sie so neben ihm zu sehen, ließ sein Herz hüpfen, wäre es nicht fest an Ort und Stelle in Ketten gelegt.

Kam es nur ihm so merkwürdig vor? So surreal, dass sie plötzlich wieder gemeinsam in einem Raum die selbe Luft atmeten. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf. Doch während er sie ansah, bemerkte er das unruhige Zucken ihrer Schultern, als ob sie einen unsichtbaren Druck verspürte und versuchte diesem standzuhalten. Als würde eine Last auf ihr liegen, die sie ihm nicht anvertrauen wollte. Warum auch? Sie kannten sich nicht mehr.

Auch er hatte keine Privilegien, ihr sein Herz auszuschütten. Sie waren Fremde. Fremde, die sich zufällig getroffen hatten. Er erinnerte sich sogar nur noch schemenhaft an die letzten Worte, die sie gewechselt hatten. Ein bitterer Nachgeschmack lag ihm auf der Zunge aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit, der wie ein Schatten über ihnen schwebte. Er roch ihn klar und deutlich.

,,Warum erscheint alles so utopisch?" fragte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, welches beinahe vom Knistern der Flammen verschluckt wurde. Kamiwa machte sich jedoch nicht die Mühe, sich ihm zuzuwenden. ,,Utopisch? Vielleicht, weil du hier bist, obwohl du weißt, was passiert ist." Die Worte schnitten wie ein geschliffenes Kunai durch die Luft. Er war Schuld. ,,Oder weil ich nicht vergessen kann, was du mir angetan hast." Er senkte den Kopf, als er es erneut realisierte, als ob er den Schlag physisch spüren konnte und sein Innerstes erbebte.

,,Warum bist du hier?", fragte sie schließlich, die Stimme kühl und distanziert, wie sie es seit ihrem Wiedersehen beibehielt. Auch ihre Schultern beruhigten sich, als sie in die Flammen starrte. Kamiwa wusste, dass sie aufgrund Kakashis Gesundheitswillen sie aufgesucht hatten, doch er sollte selbst mit der Sprache herausrücken. Immerhin wollte er etwas von ihr und nicht sie von ihm. Würde es nach ihr gehen, würde sie das Duo im hohen Bogen aus dem Wirtshaus werfen und ihnen ein Betrettsverbot geben.

Für Kakashi war es die Frage, die er gefürchtet hatte und doch war es nicht die einzige, die zwischen ihnen stand. Zwischen ihnen stand so viel, dass er es nicht schaffte, es aufzuzählen. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Stattdessen dachte er an die Nacht, die alles verändert hatte, an seinen eigenen Schrei, der ihn noch immer verfolgte, als er in sein Schlafzimmer gewankt war. An die Schuld, die ihn wie ein schwerer Stein erdrückte.

,,Ich... ich weiß es selbst nicht", murmelte er und die Unsicherheit in seiner Stimme ließ sie aufblicken. In ihren braunen Augen blitzte ein Funken von etwas, das er nicht benennen konnte – vielleicht Mitleid, vielleicht Abscheu oder doch wieder die Panik. ,,Ich habe dich verloren", presste er aus sich heraus, als ob das eine Art Erklärung wäre, in der Hoffnung es würde alle Probleme lösen oder sein plötzliches Auftauchen ein wenig rechtfertigen. Der Mut ging ihm allmählich aus, um dieses Gespräch aufrechtzuerhalten.

,,Und ich habe alles verloren. Glaubst du, das ist einfach für mich? Glaubst du, ich möchte hier sitzen und mit dem Mann reden, der mir alles genommen hat?" Ihr Gesicht war angespannt und er konnte die Wut und den Schmerz in ihren Zügen lesen. Er war Schuld. Sie hatte doch recht und dies wusste er genau.

Es war nicht nur die Vergangenheit, die sie trennte, sondern auch die unüberwindbaren Mauern, die sie um sich gebaut hatten, um sich vor dem Schmerz, den der andere ihnen zufügen konnte, zu schützen. Er wusste, dass er nicht bleiben konnte, dass die Schatten ihrer gemeinsamen Geschichte ihn nur weiter in die Dunkelheit ziehen würden. ,,Ich wollte dich nie verletzen", sagte er leise und als die Worte den Raum erfüllten, wusste er, dass das Happy End noch in weiter Ferne lag, vielleicht sogar für ihn unerreichbar lag.

Doch - hatte er sie jemals verletzt? Wenn er zum ersten Mal genauer darüber nachdachte, fand er keine Antwort. Die blutige Nachricht im Wohnzimmer sagte zwar, dass er Schuld sei, doch was hatte er ihr getan, dass sie so dachte? Dass er viele Feinde besaß, wusste er. Diese hatte er sich selbst gemacht, aber wie war es dazu gekommen, dass Kamiwa ihn verabscheute? Obito meinte doch, er hätte sie fortgebracht und an ihrer Stelle ein anderes Kind verstümmelt. Außer sie war damals freiwillig mit ihm mitgegangen, aber selbst dies warf mehrere Fragen auf.

,,Ich dachte, du wüsstest.. Es war nie meine Absicht." Was hatte er ihr angetan? Was übersah er?Er fand keine plausible Lösung. Nur, dass etwas geschehen sein musste, dass sie umdenken ließ. Seine Kamiwa hatte ihn stets verstanden oder zumindest versucht, seine Gedankengänge nachzuvollziehen. ,,Nie deine Absicht?" Sie lachte bitter, ein Geräusch, das ihn wie ein Tritt in den Rücken traf. Sie beließ es dabei, gab keinen weiteren Einblick in ihre Gedanken, aber er konnte es ihr nicht verübeln.

Die Flammen im Kamin zischten leise, während die Stille zwischen ihnen schwer und drückend wurde. Er fühlte sich wie ein Gefangener seiner eigenen Gedanken, eingekerkert in der Dunkelheit seines depressiven Seins. Er war Schuld. Schuld am Tod ihrer Eltern. Schuld, dass sie nicht mehr zu Hause sein konnte. Schuld, dass sie sich fernab ein neues Leben aufbauen musste.

„Ich wollte nie, dass es so endet", sagte er leise, aber seine Stimme war brüchig, als würde sie jeden Moment zerbrechen. Die Enthüllung traf ihn tief. Eine Enthüllung, dass er sie tatsächlich verloren hatte, obwohl sie noch vor ihm saß.

Der Raum schien sich zu drehen und er fühlte sich hilflos, als ob er in einem Strudel aus Erinnerungen gefangen hing. „Was soll ich tun?"„Geh einfach", wiederholte sie sich scharf und ohne zu zögern. Die Worte trafen ihn erneut wie ein Schlag ins Gesicht. Er wusste, dass sie recht hatte. Es selbst zu spüren, war ein Gefühl, mit welchem er nie gerechnet hatte. Und während er dort saß, die Flammen im Kamin flackern sah, wusste er, dass er sie bereits vor einer langen Zeit verloren hatte. Doch der Gedanke, sie zu verlassen, schnitt noch tiefer als jede Erinnerung, die ihn quälte.

1073 Wörter

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