☆Die Nachricht☆

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, an den Tag, an dem ich erfahren habe, dass ich sterben werde.

Wir stehen vor dem Büro des Oberarztes und warten. Er selbst ist schon eine Viertelstunde zu spät, eine Operation sei dazwischen gekommen meint die Krankenschwester. Es ist Inga, die sich durch die Flure der Kinderkrebsstation bewegt wie eine Dampfwalze. Ich mag sie nicht.
Meine Eltern liefen unruhig auf dem Flur herum und machen mich, um den es hier geht, total verrückt.
"Mein Gott, jetzt setzt euch mal hin, ihr macht mich kirre!" Meine ich nach einigen Minuten. Ein kurzer, erschrockener Blick seitens meiner Mutter, die sich kurz darauf hinsetzt.

Mit einer halben Stunde Verspätung trifft dann auch endlich Dr. Klaas ein. Er ist ein netter Mann, keine Frage. Etwas zu detailverliebt vielleicht. Er bittet uns rein, bietet meinen Eltern und mir einen Platz an.
Ich sitze in der Mitte, mein Vater rechts, Mama links von mir.
Dr. Klaas räuspert sich, legt einen Stapel Papiere exakt an die Tischkante. Im Raum ist es vor Spannung ganz still, alle warten auf die Worte des Arztes.

"Die Tests, die wir durchgeführt haben... zeigen, dass wir leider nichts mehr tun können. Die Therapien schlagen nicht mehr an und es gibt keine Heilung mehr. Wir sind mit unserem Latein am Ende. Es tut mir leid."

Meine Mutter keucht auf, beginnt zu weinen und auch mein Vater vergräbt sein Gesicht in den Händen. Nur ich sitze da, wie festgenagelt und rege mich nicht. Ich werde sterben. Mein Leben wird zu Ende gehen bevor es überhaupt richtig begonnen hat. Keine Gefühlsregung geht über mein Gesicht, ich sitze einfach auf diesem unbequemen Stuhl und frage mich, was gerade passiert.
Neben mir weint Mama und auch Papa scheint den Tränen nah zu sein. Kann ich es ihnen verübeln? Wohl kaum. Sie haben gerade erfahren dass ihr Kind stirbt.

"Wie...lang habe ich noch?" Frage ich mit stockender, leiser Stimme. Sie klingt rau, anders. Mama sieht auf und starrt mich entgeistert an.
"So wie es momentan aussieht nicht mehr als 4 Monate." Sagt der Arzt leise. Er hat mich mein Leben lang behandelt und betreut, jetzt sterbe ich. Ich sterbe. Und momentan geht es mir noch gar nicht nahe. Bin ich schon so gefühlstot, dass mich mein eigener, näherrückender Tod kalt lässt? Was hat diese biestige Krankheit aus mir gemacht? Am Rande bemerke ich noch wie mein Vater eine Frage stellt, doch ich stehe einfach auf, gehe aus dem Raum. Niemand geht mir nach, zu groß ist die Angst, dass ich austicken könnte.
Ich gehe zu Emma. Emma ist ein 16-jähriges Mädchen, eine gute Freundin von mir, die durch einen Hirntumor im Koma liegt. Ich setze mich zu ihr, nehme ihre linke Hand. Wie immer. Alles ist wie immer.
"Hey Emma... ich sterbe... das ist sicher. Ich weiß nicht, wie oft ich her kommen kann, aber ich wollte dir das nur sagen. Meine Eltern reden mit dem Klaas... ich bin abgehauen...", erzähle ich ihr, obwohl ich nicht mal weiß, ob sie mich überhaupt hört.
"Naja... ich geh dann mal wieder... sie suchen mich bestimmt schon..." sage ich noch und stehe auf, streiche ihr über die Stirn und gehe.
Ich bin über mich selbst erstaunt, immerhin wusste ich, dass diese Nachricht irgendwann kommen könnte. Ich habe mir immer ausgemalt, wie es sein würde, wenn ich es erfahren würde... aber nie hätte ich gedacht dass ich so reagiere. Auf dem Flur warten meine Eltern, Arm in Arm als würden sie gleich sterben.
"Komm Schatz... wir fahren heim." Sagt mein Papa nur und geht vor aus dem Krankenhaus.

Der Weg zum Auto kommt mir lang vor, Mama schluchzt immer noch. Soll ich sie trösten? Ich? Naja ich glaube nicht, dass das was bringen würde. Wie würde sich das schon anhören. "Hey Mama, du brauchst nicht weinen, es wird alles wieder gut."? Wohl kaum.
Ich steige ins Auto ein undwarte darauf, dass Papa los fährt. Nach Hause zu Lara. Meine zweite Hälfte. Sie wird sicher auch weinen wenn... wenn sie es erfährt.

Nach einer Viertelstunde kommen wir an. Ich will nicht rein. Lange bleibe ich einfach im Auto sitze, überlege, wie ich es Lara sagen könnte. Aber sie ist schlau... sie wird es merken. Daran, dass niemand etwass sagen wird, dass Mama geweint hat und dass ich noch nicht da bin. Sie wird es merken.
Von drinnen höre ich Schluchzen, jemand stößt die Tür der Garage auf und rennt auf das Auto zu, in dem.ich immer noch sitze. Kaum eine Sekunde später spüre ich zwei Arme, die sich schraubstockartig um mich schlingen. Lara weint an meiner Schulter und murmelt ständig was von: "Das darf nicht sein." "Bitte nicht du." und "Warum immer die guten Menschen?"

Ich bleibe still. Was soll ich auch sagen?
"Alles wird gut."? "Du schaffst dein Abi auch ohnr mich."?
Hilft nichts und macht alles nur noch schlimmer. Sie hält mich immer noch fest, schluchzt und weint an meiner Schulter. Ich lasse sie machen. Wie ich wohl reagieren würde, wenn sie sterben müsste... Hoffentlichwäre ich nicht so ein Eisklotz. Das würde sie nicht... was denke ich hier eigentlich? Ich sterbe, nicht Lara. Ich. Ich allein. Irgendwann sieht sie zu mir hoch, schaut mich irritiert an, da ich bisher nur starr und still da gesessen habe und nach vorne geschaut habe. Ich weiß was sie denkt. Warum weint sie nicht?

Der Tag war schrecklich, keine Frage. Aber mittlerweile glaube ich, dass es für meine Eltern und Lara schlimmer war, als es für mich jemals gewesen ist. Weil ich wusste dass diese Krankheit mich jederzeit umbringen kann. Klar, die anderen wussten das sicher auch, aber ich denke, es ist etwas anderes, wenn man rund um die Uhr 24/7 damit zu tun hat.
Das war der Zeitpunkt an dem ich entschieden habe, dass ich eine Liste machen werde. Eine Liste mit all den Dingen die ich in meiner verbliebenen Zeit noch machen will.

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