Freiheit

Für den Schreibwettbewerb von WPAfterDark

Zitat: "Love means never having to say you're sorry" ~ Erich Segal

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"Es tut mir leid", murmelte er, bevor er sich umdrehte und davon rannte.

Jeden Tag und jede Nacht habe ich mir ausgemalt, wie es wäre dich wiederzusehen. Ich habe tausende von diesen Gesprächen in meinem Kopf geführt, von denen man weiss, dass sie nie so stattfinden werden. Ich habe jeden Moment damit gerechnet, dein Gesicht wiedersehen zu dürfen und all die Missverständinsse endlich aus der Welt schaffen zu können.

Einen klitzekleinen Moment bevor der erste Polizist zu mir in die schmutzige, dunkle Gasse trat, verschwand er hinter einer Häuserecke. Mein Kopf schmerzte höllisch und ich bekam kaum mit, wie mir die Handschellen umgelegt wurden und ich zu einem der Polizeiwagen geleitet wurde.
Das fremde Blut klebte immer noch an meinen Händen und meinen Klamotten.

Aber du bist nie aufgetaucht, denn so funktioniert das Leben nicht. Im Leben hat nicht jeder einen Grund, eine Entschuldigung. Und trotzdem bist du in jedem einzelnen meiner Träume freiwillig zu mir zurückgekehrt. In all meinen Träumen hattest du diesen Grund, diese Entschuldigung für all meine verlorenen Jahre, für all unsere verlorenen Jahre.

Doch ich wusste bereits damals, dass Träume nicht wahr werden. Die Gespräche in meinem Kopf werden für immer dort bleiben und sich nie in der Realität wiederholen. Die Erinnerungen werden verblassen und von neuen überdeckt. Doch ich hatte Hoffnung, das gefährlichste Gefühl der Welt.
Und mein Vertrauen zu dir war so unendlich groß, dass all die Tatsachen und Beweise, die gegen dich sprachen, einfach in diesem Schatten verschwanden.

"Warum?", flüsterte ich leise, während ich zusah wie er das Messer in meinem Rucksack verstaute, um ihn mir dann in die Hand zu drücken. Doch das gequälte Atmen der Person am Boden übertönte meine Frage.

Die Tatwaffe hatten sie in meinem Rucksack gefunden. Ein mit Blut bedecktes Küchenmesser, dass am Griff diesen einen kleinen Kratzer hatte. Zusätzlich lagen angeblich einige Zeugenaussagen vor, von jemandem, der sich vor mir bedeckt halten wollte und doch wusste ich, das du es warst.

Sie haben mich für dein Verbrechen eingesperrt und ich hätte nur deinen Namen nennen müssen, um meine Freiheit zurück zu bekommen.

Ich fiel neben ihr auf die Knie und presste meine Finger auf die tiefe Wunde. Das dunkle Blut quoll zwischen meinen Fingern hervor und tropfte auf den schmutzigen Boden der kleinen Gasse. Die Augen der Frau waren geschlossen, ihre Haare klebten verschwitzt an ihrer Stirn. Und ich saß hier und konnte ihr nicht helfen, ich konnte nichts tun, außer dem Leben beim Schwinden zuzuschauen. Einzelne Tränen liefen über meine Wangen, als ich plötzlich einen dumpfen Schlag vernahm.

Ich habe nie erfahren, warum du es getan hast. Und du bist nie gekommen, um es zu erklären. Jahr um Jahr saß ich in diesem kleinen Raum, ohne den Grund zu kennen. Nacht um Nacht sah ich das dunkelrote Blut in meinen Träumen und das Messer in deiner Hand. Tag um Tag grübelte ich darüber nach, was das alles zu bedeuten hatte. Doch keine einzige Sekunde zog ich es in Erwägung, deinen Namen laut auszusprechen. Kein einziges Mal zog ich es in Erwägung dich zu verraten.

Es dauerte einige Sekunden, bis der Schmerz zu mir vordrang. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen herum, sodass ich nach hinten gegen eine Steinmauer kippte und dort verzweifelt Halt suchte.

Irgendwann, Jahre später, kam der Tag an dem ich den Raum wieder verlassen durfte. Die Erinnerungen an den Ort waren nichts weiter als ein verschwommener Brei, den ich nicht voneinander trennen konnte. Jede einzelne Minute dieser Vergangenheit hatte sich in mein Hirn eingebrannt und doch konnte ich mich kaum an sie erinnern.

Ich durfte wieder in meinem eigenen Bett schlafen, dass sich so leer ohne dich anfühlte. Ich durfte wieder durch den Park spazieren, der so viel lebloser ohne dich wirkte. Ich durfe mir wieder einen Job suchen, der so ermüdend ohne deine Unterstützung war.

An dem Tag, an dem ich dich wiedersah, kamen diese ganzen Gespräche, die es niemals gab zurück. Und mit ihnen kamen die Erinnerungen. Die Erinnerungen an die Momente, in denen du mir sagtest das du mich liebst. Die Erinnerungen an unsere Streits, an unsere Pläne für die Zukunft, an unsere Geheimnisse. Die Geräusche des überfüllten Zuges um mich herum verblassten, denn du warst alles was ich in diesem Moment wahrnahm.

Meine Haltestelle kam, doch ich blieb stehen und starrte. Meine Haltestelle zog vorüber.
Du hattest mich noch nicht gesehen und ich sprach dich nicht an.

Ich stand da, mein Kopf vollgestopft mit chaotischen Gedanken und sagte nichts.
Ich sah dich, wie du telefoniertest und dabei dieses Lächeln auf den Lippen trugst, dass du früher für mich reserviert hattest.
Ich sah deine Schönheit, die mir jedes Mal den Atem geraubt hatte.
Ich hörte deine Stimme, der ich früher überall hin gefolgt wäre, ohne zu realisieren was du sagtest.
Und ich realisierte, dass du keine Erklärung hattest. Es gab keinen Grund.

In dem Moment zerfielen alle meine Hoffnungen zu Staub und die Realität schaffte es nach all den Jahren endlich zu mir vorzudringen und mir mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen.

Und dann trafen sich unsere Blicke. Keiner von uns regte sich, keiner wendete den Blick ab. Ich konnte die Überraschung in deinen Augen sehen. Und für einen Moment konnte ich auch die Liebe sehen, die uns einst verband, die uns vielleicht immer noch verbindet.
Ich sah die Schuld in deinen Augen und für einen klitzekleinen Augenblick hatte ich die Hoffnung, dass alles wieder so werden kann wie früher.
Doch du warst es, der seinen Blick schließlich abwandte und so tat, als wäre nichts passiert. Du warst es, der erneut nach seinem Telefon griff und darauf herum tippte. Du warst es, der mir alles genommen hatte, ohne dich um die Konsequenzen zu kümmern.

Der Zug stoppte. Ich spürte den Schmerz, ich fühlte die Tränen. Und dann sah ich weg, stieg aus dem Wagon und rannte.
Ich hörte, wie sich der Zug wieder in Bewegung setzte und dich erneut von mir trennte. Und dieses mal war ich mir sicher, dass wir uns nie wieder begegnen würden.

"Es tut mir leid", murmelte er, bevor er sich umdrehte und davon rannte.

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