Ich sehe dich...

"Ich sehe dich. Ja, ich sehe dich wirklich, glaub mir. Warum kommst du nicht raus? Ich werde dir nichts antun. Versprochen. Bitte, komm raus.", flüstert das kleine Mädchen und blickt unter ihr Bett.
"Rika, mit wem redest du?", fragt die Mutter beim Vorbeigehen an dem Zimmer.
"Mit dem Geisterjungen."
Die Mutter lacht kurz und geht weiter.
"Komm raus. Lass uns zusammen spielen, Geisterjunge."

"Greg, ich mach mir Sorgen um unsere Tochter."
"Was ist denn?"
"Sie redet mit einem sogenanntem Geisterjungen."
"Ach, die ist doch noch klein. Vielleicht liegt da ein Kuscheltier und sie spielt."
"Nein. Sie meint das ganz ernst."

"Ey, ich sehe dich auch heute." Rika kniet vor ihrem Bett. "Warum versteckst du dich? Warum antwortest du mir nicht? Warum kommst du nicht raus? Magst du mich nicht? Willst du nicht mit mir spielen? Bitte, lass uns spielen. Es ist dir doch auch langweilig. Da, unter meinem Bett. Da zu liegen ist doch blöd. Geisterjunge, lass uns zusammen spielen."

"Tina, du hattest recht. Rika hat psychische Probleme."

"Hallo, Rika. Ich bin Dr. Reyman."
"Hallo."
"Setz dich. Hier, willst du?"
Das Mädchen setzt sich auf den Stuhl gegenüber dem Psychiater, der ihr einen Bonbon entgegenhält, nimmt die Süßigkeit.
"Weißt du, warum du hier bist?"
"Mama und Papa mögen es nicht, wenn ich mit dem Geisterjungen rede?"
"Ja, das mögen sie nicht."
"Aber er ist einsam. Und ganz traurig. Er hat Angst."
"Vor wem?"
"Vor allen. Vor mir auch. Er kriecht weiter unter mein Bett, wenn ich zu ihn runterblicke."
"Und warum lässt du ihn nicht in Ruhe?"
"Ich will ihm helfen. Ihn fröhlich machen."

"Auch heute sehe ich dich. Ey, wie heißt du? Ich kann dich ja nicht immer Geisterjunge nennen. Sag mir zumindest deinen Namen! Mama und Papa mögen dich nicht. Sie haben mich zu einem Arzt gebracht. Sie wollen nicht, dass ich mir dir spiele. Aber hab keine Angst. Kann ich dir irgendwie helfen? Bitte antworte mir."
Der Junge unter dem Bett starrt sie immer noch ängstlich und schweigend an.

"Ah!", kreischt Rika, als sie ihren Schrank öffnet und den Jungen dort findet. "Du versteckst dich heute hier? Warum?"
"Ernie."
"Ernie? Ist das dein Name? Ich bin Rika. Vor wem versteckst du dich? Willst du rauskommen? Wir können immer noch spielen. Nein? Na gut..."

"Rika, redest du immer noch mit dem Geisterjungen unter deinem Bett?"
"Ja, Dr. Reyman."
"Deine Eltern sind damit nicht zufrieden."
"Ich weiß, sie mögen ihn nicht. Aber er hat mir zum ersten Mal geantwortet! Seinen Namen gesagt."
"Und?"
"Er heißt Ernie."
"Wie alt ist er?"
"Ich glaube, so wie ich. 7. Er hat Angst."

"Ernie, ich sehe dich. Du bist wieder unter dem Bett. Warum hast du dich gestern im Schrank versteckt? Du dachtest, da ist sicherer? Ernie, warum antwortest du mir nicht? Haben dich Mama und Papa gefunden? Sehen sie dich? Siehst du mich? Kannst du überhaupt sehen? Hörst du mich? Ernie?!"
Rika hört ihre Mutter nach sich rufen.
"Ich muss los, Essen ist fertig. Willst du auch? Ich kann dir welches hierher bringen."
Doch dann leuchten die Augen des Jungen rot auf. Gespannt bleibt Rika bei ihm.

"Rika...! Rika! Kommst du mal endlich runter?! Lass den Jungen! Abendessen ist fertig! Rika!!!"
Ungeduldig steigt die Mutter die Treppe hoch und betretet das Zimmer ihrer Tochter. Doch dann muss sie aufschreien. Ihr Mann eilt zu ihr und bleibt, so wie sie, im Flur erstarrt stehen.
Vor dem Bett lieg die Leiche von Rika in einer Blutlache.
«Ich sehe dich...» wurde mit Blut auf das Fenster geschrieben. «Schade»

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