꧂Das Mädchen aus Straßenmalkreide꧁
Sehnsüchtig sah ich auf die belebten Straßen direkt vor mir. Helle Lichter leuchteten, Menschen brüllten und rangen sich um ihre Plätze an der Bushaltestelle. Wie gerne würde ich mal in ein Geschäft gehen oder Bus fahren.
Doch es war aussichtslos, ich konnte mich nur innerhalb meines Bildes bewegen.
Oft schon hatte ich versucht Menschen anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Aber die Menschen kreischten und rannten weg.
Einmal fächelte sich eine Frau Luft zu und fiel um. Sie wurde von einem netten Mann aufgefangen und zum Essen eingeladen. Schon hatte sie mich vergessen.
Früher, das heißt vor vielen Jahrhunderten, war diese Straße ein Weg der Märchen. Ich war Zuschauer des Geschehens. Aschenputtel‘s Kutsche fuhr über mein Bild, Hänsel und Gretel bestreuten mich mit Brotkrümeln und Rumpelstilzchen verriet mir seinen Namen.
Ich war immer froh darüber, ich liebte alles. Mein Leben, mein Bild und meine Geschichten, die ich in meinem Herzen aufbewahrte.
Dann wurden die Märchen vergessen und die Menschen bauten Siedlungen, bis ich schließlich auf der Hauptstraße einer prachtvollen Stadt zu sehen war.
Keine Märchen, keine Freude und kein Zuhause.
Schon manches Mal hatte ich mir gewünscht, dass der Zauber auf meinem Bild verschwinden würde. Dann würde ich beim nächsten Regen verschwinden.
Mir lief eine Träne über die Wange aus Straßenkreide und die Blätter an dem Baum meines Bildes ließen sich hängen.
Es war Samstag um Mitternacht, das verriet mir die alte Uhr am Kirchturm.
Ich betrachtete die Menschen um mich herum. Ich sah eine Frau mit einem pinken Lackhut, einen Jungen mit einem Zauberstab aus Birkenholz und einen betrunkenen Bettler.
Warte, was? Einen Jungen mit einem Zauberstab?
Ein Zauberer!
Ich reckte mich und machte mich groß. „Hilfe!”, rief ich, doch es war viel zu leise. Dennoch versuchte ich es immer wieder.
Es brachte nichts. Eine dicke Träne kullerte aus meinem rechten Auge und viel dann zu Boden.
Ich sah mich nochmal um und entdeckte eine Bank. Ich könnte sie umschmeißen, dann würde er mich sicher hören. Aber ich hatte mich schon seit bestimmt hundert Jahren nicht mehr von der Stelle bewegt. Ich schüttelte mich einmal und setzte dann ganz langsam einen Schritt vor den anderen. Ich kam der Bank immer näher und näher.
Darauf bewegte ich meine steifen Arme und schmiss die Bank mit einem lauten Knall um.
„Woher kam das? Was war das?”, rief der Zauberer erschrocken und ich haute noch einmal kräftig auf das Holz. Er sah sich um und hockte sich neben mein Bild. Er betrachtete es prüfend und machte ein Gesicht, als hätte er einen Geist gesehen.
„Hilf mir!”, rief ich so laut ich konnte, „Hilf mir aus diesem Bild heraus, bitte.” „Wie heißt du? Wie bist du da hinein gekommen?”, stotterte er verwirrt und ich antwortete:„ Ich heiße Tiara. Ich wurde vor ungefähr 3500 Jahren von einem genialen Künstler gemalt. Er streute ein glitzerndes Pulver auf mich, das mein Bild erhielt. Bitte hilf mir.”
„Ich will dir helfen, aber ich weiß nicht wie. Warte, lass es mich ausprobieren. ”, sagte er und murmelte dann ein paar unverständliche Worte.
Mein Bild verschwamm und löste sich Stück für Stück auf. Aber ich hörte ihn noch, ich hörte wie er verzweifelt schrie und Zaubersprüche murmelte. Ich hörte sein Flehen und Jammern, aber mein Bild war verschwunden.
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