Kein Titel 3

1
Was soll ich sagen? Wieso ich hier stehe, auf dieser Brücke und versuche nicht zu springen? Das ist im übertragenen Sinn zu verstehen. Nur gedanklich stehe ich wieder auf dieser Brücke und überlege, was wohl das Schlauste wäre. Zu springen? Stehen zu bleiben? Weiter zu gehen? Oder gibt es einen anderen Weg, wie ich dieses ganze Chaos loswerden kann? Ich weiß es nicht, aber ich werde wie jedes Mal wieder aus meinen Gedanken auftauchen und immer noch am selben Ort stehen wie zuvor, mich nicht von der Stelle bewegt haben. Ich habe keine Ahnung wie es weitergehen soll und beschließe wie immer, einfach weiter zu gehen, bevor ich eine Entscheidung treffe, die vielleicht etwas für mich ändert und mich aus dem Alltag reißt, mich wie eine gewaltige Welle trifft und mich mit sich reißt. Ich entscheide mich gegen die Veränderung, die etwas für mich verbessern, aber auch -und das ist das einzig Wichtige für mich - verschlechtern kann und laufe weiter, auch wenn ich keinen Plan habe, ob es nicht intelligenter wäre, mich von einer Welle treffen zu lassen, mich von der Strömung mitreißen zu lassen, da es die Möglichkeit, meine Möglichkeit wäre, wie ich aus meinem jetzigen Leben, das mich einfach nicht in Ruhe lässt, fliehen könnte und die Freiheiten begrüßen könnte, denen ich mich so sehr entgegen sehne. Man könnte meine Gedanken und mein Leben auch weniger poetisch angehen als mit dem Vergleich  mit einer Brücke und Wellen und Sprüngen, aber letzendlich ist es für mich leichter, es so auszudrücken. Die Brücke zeigt mir meine Möglichkeiten -weitergehen, bleiben, springen-, die Wellen könnten mich bei meinem Sprung mitnehmen, nicht nur ertränken und ich könnte das finden, dass ich suche. Was genau das ist weiß ich nicht, aber ich will es herausfinden. Immer dann, wenn ich es nicht herausfinden möchte, weil mir so ungefähr alles Angst macht.

Ich kann mich nicht beklagen. Ich habe alles, was sich wohl ein nicht unbedeutender Teil der Welt wünscht und das tagtäglich, nunja, abgesehen von den überflüssigen Sachen, an die diese Menschen nicht einmal zu träumen denken wagen würden. Wenn man von den überlebenswichtigen Dingen wie Nahrung, Strom und dem Rest der Dinge, die gut entwickelte Staaten in ihren Rechtenn stehen haben, absehe, habe ich ein eigenes Zimmer, einen Garten, genug Amazon Prime, um die nächste Zombie-Apokalypse Film- und Musiktechnisch zu überstehen (und das ganze ohne das Unlimited, bei dem einem nur 7.99€ pro Monat extra von Konto abgerechnet wird), Wlan (das für die meisten Menschen als überlebenswichtig angesehen wird), und auch wenn ich an meinem Taschengeld an manchen Tagen etwas auszusetzen habe, reicht die Summe für meine monatlichen Ausgaben völlig, solange ich nicht beschließen sollte, mir jede Woche eine Flasche Hochprozentigen kaufen zu müssen. Da werde ich wohl mit zwei Flaschen im Monat auskommen müssen.

Ich sollte mich wahrscheinlich nicht beklagen, aber irgendwie finde ich mein Leben dann doch wieder nicht so perfekt. Weder ist meine Familie perfekt, noch meine Umwelt, noch ich.

Falls du, lieber Leser, also eine Happy-Life-Geschiche lesen möchtest, musst du wohl einiges auslassen, denn hier wird Geschichte geschrieben. Und zwar eine, in der es nicht nur Happy-Days gibt. Denn ich bin kein rosaglitzerndes Einhornmädchen, dass jedes Mal vom Sandmann in den Schlaf gewogen wird und morgens von ihrer Mutter mit einem Vanilletee geweckt wird. Den einzigen Sandmann den ich kenne ist E.T.A. Hoffmanns Fantasie entsprungen und nicht wirklich nett. Also wollen wir mal gucken, was noch so kommen wird...

2
Als mein Wecker zu klingeln beginnt, könnte ich anfangen zu schreien, wenn es nicht gar so anstrengend wäre. Und anstatt zu schreien, grummle ich unzufrieden in einer Lautstärke, die man nur 'maximal leises Ausdrücken von Unzufriedenheit' nennen kann. Nachdem mein Wecker noch ein zweites Mal klingelt, kann ich mich tatsächlich dazu aufraffen, mich mit dem Gedanken anzufreunden, meine Augen zu öffnen. Ich lasse diese Tatsache mal als gutes Omen für den Tag gelten. Die Augen öffnend fluche ich endlich in angemessener Lautstärke für eine Zeit von viertelacht Uhr morgens und halte mir direkt wieder die Augen zu. Wieso genau ließ ich die Rollläden jede Nacht wieder offen? Ach ja, weil die Lichter so schön waren, wenn es dunkel war und ich den Mond, die Sterne und die Laternen sehen konnte, solange ich meine Brille trug. Wenn die Gläser erstmal unten waren, hatte ich keine Chance mehr die Sterne zu sehen, da konnte die Nacht noch so wolkenlos und klar sein. Ich könnte mich jeden Tag wieder schlagen, wenn ich die Augen öffnete und mir der grelle Tag entgegenschien, und mich dennoch  jeden Abend wieder dafür entschied, die Rolläden offen zu lassen. Traurig lache ich mich innerlich für meine absolut rechtfertigbare Dummheit selbst aus, während ich die Treppen in die Küche hinuntergehe, um mir ein Glas O-Saft aus dem Kühlschrank zu holen. Da meine Mutter selbst noch im Bett lag, konnte ich das Glas weglassen und musste nicht extra einen unfassbar weiten Umweg von mindestens acht Schritten laufen. Mit der Orangensaftpackung in der Hand setze ich mich an den Tisch und schiele rechts am Tetrapack vorbei auf mein Handy, um die Nachrichten zu lesen, die ich bekommen habe. Eine Nachricht aus dem Klassenchat, der derzeit nur von genau einer Person aktiv besucht wurde, und eine Nachricht von Nora, die mir mitteilte, dass ich heute mit ihr und Xaver nach der Schule in die Stadt gehen muss. Das sieht für den Zuschauer so aus, als hätte ich ein gesundes Sozialleben, aber eigentlich hatte ich nur Nora, meine beste Freundin und Xaver, der Frischling, der erst Anfang dieses Jahres zu uns gestoßen war und sich mit Nora angefreundet hatte, die seine Freundschaft an mich übermitteln wollte, damit wir zu einem 'Glamorous Trio' verschmelzen konnten, wie Nora es ausdrückte. So ganz hatte diese Mission in den letzten vier Wochen nicht funktioniert, aber wir hatten noch von November bis Juli, und dann nochmals von September bis Mai/Juni. Es ist nicht so, als würden Xaver und ich uns nicht nicht verstehen, aber er ließ blöde Sprüche auf mein Konto wachsen und von meiner Seite funktionierte es genau gleich. Ich nenne es undefiniertes Verhältnis, welches entweder noch in Freundschaft umschlagen würde oder eben auch nicht.

Als ich die Treppenstufen höre, drehe ich den Deckel der Orangensaftpackung schnell zu und sprinte zum Kühlschrank, um den Saft dort verschwinden zu lassen. Die einzig anwesende Person im Haus war meine Mutter und diese würde den Kontext von Orangensaftflasche auf dem Tisch und kein Glas sofort verstehen und für laute, nervige Stimmen ist es mir um diese Uhrzeit zu früh. An jeder anderen Tageszeit hätte ich mich wahrscheinlich nicht in Turbogeschwindigkeit in Bewegung gesetzt, um meine Spuren verschwinden zu lassen, aber mittlerweile eine halbe Stunde nach sieben Uhr war mir eine zu unkomfortable Zeit, als dass ich mich mit irgendeiner Person auf der Welt anlegen wollte.

"In zehn Minuten bist du fertig oder ich fahre ohne dich", werde ich von meiner Mutter begrüßt und seufzend stehe ich auf, um aus der Küche zu verschwinden. In der Theorie wäre es nicht so schlimm, wenn mich meine Mutter stehen lassen würde, aber ich musste mich mental darauf vorbereiten mich auf mein Fahrrad zu setzen und mich zu bewegen, so gerne wie ich sonst durch die Gegend radelte.

Im Auto werde ich mit den Worten "Du bist schon wieder drei Minuten zu spät!" und einem unfreundlichen Blick in Empfang genommen und ich bin eine Sekunde am Überlegen, ob ich nicht doch das Fahrrad nehmen sollte, entschließe mich jedoch, weiterzuschweigen und meiner Mutter ein nicht gerade freundliches Lächeln zu schenken. Wir haben kein gutes Verhältnis und ich habe keine Intention, diese Tatsache nicht zu zeigen. Wieso sollte ich? Nicht mal ein Blinder würde die deutliche Distanziertheit zwischen und übersehen können. Dazu war es an manchen Tagen zu offensichtlich.

Vor der Schule bleibt sie stehen und sieht mich abwartend an. Ich starre abwartend zurück und murre vor mich hin, dass ich keine Lust habe. Meine Meinung über Schule wird ignoriert, stattdessen werde ich angekeift, dass ich mich gefälligst beeilen soll, aus dem Auto zu steigen, da meine Mutter nicht den ganzen Tag Zeit hat. Wer's glauben will, soll's glauben. Ich werde in diesem Fall niemanden zu berichtigen versuchen. Erleichtert höre ich von vor der Tür den Gong, der den Anfang der ersten Stunde symbolisiert und ich schlurfe gemütlich ins Schulgebäude. Ich habe die erste Stunde im Erdgeschoss, weshalb ich mich nicht beeile. Höchstwahrscheinlich hatte der Lehrer nicht mal die Begrüßung hinter sich. Vor der Klassenzimmertüre setze ich einen Anflug eines Lächeln ins Gesicht und betrete den Raum. Unser Englischlehrer hackt gerade die Anwesenheitsliste ab und ich bin gesegnet, dass mein Nachname mit einem 'Z' beginnt. Mein Lehrer ignoriert mich und ich setze mich auf meinen Platz ohne ein Wort zu sagen. Mein zweiter Name beginnt nicht mit einem H wie Höflichkeit. Nora grinst mich breit an und ich spiegle die selbe Laune wieder, nur in negativ. "Es ist so schön, dich Sonnenschein wiederzusehen! Ich hatte dich total vermisst!", werde ich von Xaver begrüßt, der links neben Nora sitzt, während ich rechts von ihr direkt neben der Tür Platz genommen hatte. Ich übernehme Herr Fellers Strategie, ignoriere ihn und deute ihm in Gedanken den Mittelfinger. Konnte ja nicht jeder solch ein Sonnenschein zu solchen Stunden sein. Und trotzdem kann ich meinen fehlenden Sonnenschein nicht nur auf die frühe Uhrzeit schieben, denn mein wahrer Sonnenschein ist in letzter Zeit recht unbeständig und bricht nur teils und für kurze Zeit durch die schwere Decke an Wolken, die sich in meinem Kopf breitgemacht haben. Ich habe meine lustigen Phasen, aber die sind gerade einfach rar. Genervt von den dicker werdenden Wolken meiner Gedanken versuche ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren und nach einer Weile gelingt es mir und ich werde abgelenkt von der englischen Sprache. Es geschehen immer wieder Wunder, und manche wiederholen sich sogar im gleichen Muster mehrmals.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top