Superhelden

Seit drei Jahren existiert dieser Abgrund in meinem Kopf, er ist immer da, am Anfang nur ein Riss und jetzt eine schrecklich schwarze Schlucht und mein Verstand hält ihn für eine große Gefahr, für ein Grab, für eine Gruft. Die Regel, unumstößlich zu meinem Wohl, besagt: Ich darf mich ihm niemals nähren, selbst wenn er mit säuselnder Stimme fragt, ob ich nicht mal hineinschauen möchte in diese Dunkelheit und sollte ich zufällig hineinfallen, endet vielleicht mein Leid. Doch mich beunruhigen die brüchigen Risse an seinen Rändern, die sich wie ein Tumor ausbreiten, um mich in die Ecke zu drängen, die Macht des Abgrunds auszuweiten, der zu mir singt mit seinen melodischen Klängen. Er, wenn auch kein Lebewesen wie mir scheint, ist der typische Antagonist, der Bösewicht in meiner Geschichte, der nicht zu ändernde Feind und ich muss die Heldin sein, die Protagonistin, die gegen ihn kämpft, obwohl ich eigentlich glaubte, ich sei für diese Rolle viel zu klein. Und zu kaputt, denn natürlich weiß ich, wofür der Abgrund eigentlich steht und dass ich nicht die Einzige bin, die mit diesem Monster lebt. Er heißt umgangssprachlich Depression, Selbstverletzung, Suizid und wird von jedem ignoriert, der sieht, wie er seine Opfer manipuliert. Eine Krankheit, die man nicht sehen kann, ist bekanntlich keine Krankheit (Krebs ist eine Ausnahme, den Menschen geht es ja wirklich ziemlich schlecht) und das was wir hier abziehen... naja, das ist schließlich überhaupt nicht echt. Wisst ihr was? Wenn ihr rausgeht, positiv denkt, euren bösen Gedanken – denn mehr ist es es ja nicht – den Rücken zudreht, einfach mal aus dem Bett kommt, ganz ehrlich, was ist schon dabei... ja dann, dann geht diese Phase mit Sicherheit vorbei. Na huch, da hat sich jemand auf die Gleise geworfen... Ach sowas passiert, eine Tragödie, wenn jemand so sein Leben verliert, aber dann hätte er vielleicht mal mehr aus sich machen sollen, dann wäre er ganz bestimmt glücklich gewesen, aber nun ja, lasst uns jetzt nicht mehr davon reden, denn zu unserem Glück sind wir alle noch am Leben.

Es ist amüsant, wie andere die Worte verdrehen, dich glauben lassen, du seist an deinem Elend schuld (das es ja eigentlich gar nicht gibt) und dich anlachen, wenn du sagst, du würdest dein Leben hassen und meinen: So schlimm ist es nicht, du musst einfach nur weitermachen. Darum wollen wir keinem sagen, dass wir in unseren Köpfen in einer Ecke hocken, zusammengerollt, heulend, neben diesem Abgrund, der versucht uns in die Tiefe zu locken. Jeden Tag einen Schmerz ertragen, einfach nur müde vom Leben, obwohl wir uns doch Mühe geben, dabei würden wir so gerne die anschreien, die uns dann fragen, ob wir denn noch „depressiv" seien.

Ja, ich weiß, Schwarzmalerei, was denke ich denn schon wieder an solche Sachen, das Leben ist so schön und noch lange nicht vorbei. Möchte ich es denn wirklich aufgeben und verlieren, mir die Luft abschnüren, in ewigen Schlaf fallen oder mit einem Schnellzug kollidieren?
Himmel, nein, das habe ich nicht gesagt, ich will doch nur, dass jeder sieht, dass es psychische Erkrankungen durchaus gibt. Sie sind gefährlich, sie sind echt, sie treffen jedes Alter, sie machen einen freien Geist zu ihrem eignen Knecht, bedienen ihn wie einen Schalter. Mal an, mal aus und huch er ist kaputt, lässt sich nicht mehr reparieren. Ja, erst dann wollen manche mit einem Schnellzug kollidieren.

Die Pointe dieses Textes, denn ihr seid jetzt wahrscheinlich alle geschockt: Ich will nur, dass ihr euch umseht und darüber nachdenkt, wer vielleicht noch in seiner Ecke hockt, vom Abgrund verfolgt und gequält, aus dem sich langsam aber sicher noch ein viel schlimmeres Monster schält. Wenn ihr so jemanden kennt: Dann streckt die Hand aus, statt Sprüche zu klopfen, haltet uns fest und holt uns vielleicht sogar raus. Sprecht mit uns, hört einfach zu, gebt uns nur die Sicherheit, dass ihr im Ernstfall bei uns bleibt. Nehmt uns in den Arm, zeigt uns, dass es Hoffnung gibt und uns immer noch jemand innig liebt. Aber sagt uns nicht es sei eine Phase, dass wir krank sind, müsst ihr akzeptieren und dass wir manchmal daran denken, es wäre uns lieber, mit einem Schnellzug zu kollidieren – das kommt vor und es ist nicht schön, aber es heißt noch lange nicht, dass wir diesen Schritt auch gehen. Nur hört auf diesen Abgrund zu ignorieren, denn er ist in uns allen und niemand will da wirklich reinfallen. Denn wir sind nicht Alice und er ist nicht Wunderland, er ist der Joker und wir sind Batman, stehend an der Wand. Klar, retten müssen wir uns selbst, denn so funktionieren die Superheldenfilme, wir müssen kämpfen und bluten, denn wir tun es für die Guten. Doch du könntest am Rande stehen, mich anfeuern und mir lächelnd in die Augen sehen. Die Lois Lane, die Peppa Potts, jemand für den es sich lohnt zu leben und sich niemals aufzugeben. Sei nur da, ganz egal wie das Blatt sich noch wendet. Nimm meine Hand, wisch die Tränen von meinen Wangen und sag: Ich bleibe bei dir bis es endet.

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