Grau
Draußen fällt schon den ganzen Tag der Regen und ich bin schrecklich neidisch auf ihn. Denn er denkt nicht, es kümmert ihn nicht, was morgen ist und ob gestern vielleicht die Sonne schien. Ich dagegen, ich sitz am Fenster und es kommen keine Tränen mehr. Denn jetzt bin ich daran gewöhnt und nehme es nicht mehr so schwer. Dass die Welt grau ist. Ja, grau wie ein verrottetes Blatt, von denen die auf der Straße liegen und ich wäre sogar lieber eines von ihnen, denn ihr Leben ist schon vorbei und sie waren unbeschwert und frei. Denn sie konnten nicht denken, sich nicht wundern, ihre Gehirnwindungen nicht verrenken. Sie waren wie der Regen, dem es egal ist, wann er kommt und wie lang er bleibt oder was ihn überhaupt zum Regnen antreibt. Aber es sagt ihm auch keiner, so wie hier, all diese Menschen zu mir. Ich kenne sie nicht mal, aber sie meinen, über mich bestimmen zu müssen und dafür sollte ich ihnen noch die Füße küssen.
Weg. Ich will weg, möchte rennen und wie der Regen sein, mit ihm ziehen und fliehen vor dem hellen Sonnenschein. Möchte aufhören zu denken, denn das ist des Menschen größter Fluch, er liegt über ihm wie ein Nebeltuch. Er zerdenkt, er überdenkt, er unterdenkt und am Ende kommt dabei nichts rum, aber niemand fragt sich: Warum? Warum machen wir aus allem eine Wissenschaft, warum muss alles hinterfragt werden und warum urteilen wir, wenn andere sagen, sie wollen sterben. Immer schneller, immer mehr, bloß nie anhalten und einsehen, wie sinnlos alles ist, denn man könnte daran ja zugrunde gehen. Doch am Ende, ja am Ende liegen alle unter der gleichen Erde und bereuen, dass sie zu blind zu schnell gelebt haben und sich jetzt erst trauen würden, einen Blick in diese Welt zu wagen. Wenn es zu spät ist.
Ich will rennen, barfuß, fort von hier. Denn ich muss schreiben, mir die Finger blutig schreiben, um nicht im gleichen Boot zu treiben. Ein Gedicht, fünf Gedichte, zwanzig, immer mehr um zu wissen, da ist noch mehr. Doch es ist grau, selbst das Blatt Papier und ich weine wie ein Kind, denn es spricht nicht mehr zu mir. Selbst meine Spazierstrecke ist immer die gleiche, doch wer sagt mir, ich kann nicht weitergehen, warum muss ich umdrehen und zurückkehren, wenn sich doch all meine Sinne dagegen wehren? Da schreit noch etwas in mir, während ich auf meine grauen Hände schaue und mich in diesen Wissenschaften verbaue, denn ich fürchte mich vor Freiheit, mein größter Wunsch ist, frei zu sein, doch wer ist frei und nicht allein?
Ich bin zu jung zum Sterben, doch viel zu ängstlich zum Leben, denn das ist kein Leben. Gefangenschaft, perfider Alltag, die uns in ihr Spinnennetz weben. Ich will Rebellen, etwas ändern, nicht mit euch im Gleichschritt marschieren, sondern lieber durch die Träume schlendern. Denn ihr seid grau und merkt es nicht und wüsstet ihr es, würdet ihr es nicht ändern wollen, weil ihr glaubt, dass wir so leben sollen. Doch ihr atmet nicht, ihr holt nur Luft wie ein Fisch auf dem Trocknen, wartet auf die Rettung, während euch die Sonne sticht. Und irgendwann ist es zu spät, die Sanduhr leer und ihr liegt schwer in eurem Grab und euch fällt auf, ihr wart mal farbig. Doch gestorben seid ihr grau und vielleicht wollen manche Menschen darum schon so früh sterben. Um nicht auch so grau zu werden.
Aber was weiß ich schon, zum Philosophieren viel zu jung und schlepp einen Farbeimer mit mir herum und irgendwann komme ich mit ganz viel Schwung und klatsche euch Farbe ins Gesicht. Darum schreibe ich jeden Tag ein Gedicht. Es hält mich farbig, fern von diesem Grau. Ich halte mich grün, rosa, gelb und blau. Ihr seid noch nicht verloren, wir werden alle farbig geboren, ihr müsst nur den Schleier von den Augen wischen und euch eine neue Farbausgabe mischen. Und ich werde warten. Warten, bis ihr aufsteht, euch schüttelt und euch umseht, und nichts mehr hinterfragt, sondern lacht, denn ihr seid endlich aufgewacht. Dann stehen wir im Regen, alle Hand in Hand und vor dem Himmel gleich. Nur so wird aus dem grauen Elend ein kunterbuntes Königreich.
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