Das kranke Land
Herzlich willkommen, meine Damen und Herren – hier im Land, das Affen regieren. Doch Entschuldigung, ich wollte keinen beleidigen – natürlich stehen wir auf jeder Ebene weit unter diesen Tieren. Sie fragen sich bestimmt, was genau ist hier los. Es sieht so friedlich aus, jeder Baum und jedes Haus, die Landschaft wirkt nicht vergiftet, die Erde ist doch frisch. So weit man sehen kann, steht genug Nahrung auf dem Tisch. Auch die Blumen verströmen einen angenehmen Duft. Liebe Leute, das Geschwür ist nicht im Boden, sondern wandelt an der Luft.
Hier, ein paar Beispiele:
Er steht vor seinen Eltern und fängt an zu wein', denn sie hat eingesehen, sie möchte kein Junge mehr sein. Ihre Mutter macht gleich mit, die Tränen fließen wie ein Bach. Es ist jetzt offiziell – eine Transperson lebt unter diesem Dach. Der Vater steht auf, legt seiner Tochter ein Messer in die Hand und spricht: „Damit du dich im Notfall verteidigen kannst." Und die Mutter fleht, es möge anders sein, denn nun ist ihr Kind in Gefahr. Sie sieht sie schon tot auf den Straßen, weil es Menschen gibt, die sie lebend hassen.
Oh warum nur, fragen Sie mich, warum ist denn sowas legal? Ich stehe Ihnen Antwort, meine Damen und Herren, Menschenrechte sind inzwischen wieder scheiß egal. Das hier ist ein Zirkus, eine Freakshow und ein Drama. Regellos, schlimmer als im Tierreich, doch manche klammern sich noch an den Himmel oder an ihr Karma. Doch selbst die Hölle hat zu gemacht, auch der Teufel ist maximal verstört. Gott ist seit Jahren krankgemeldet, niemand hat seit einer Ewigkeit was von ihm gehört.
Weiter geht's:
Sie sitzt vor ihrem Spiegel, sie ist fertig mit der Welt. Denn ihre Eltern werden sie umbringen, wenn sie ihnen erzählt, was sie von dem süßen Mädchen in ihrer Klasse hält. Sie sagen, das sei Sünde, sowas gehört verbrannt und sie seien froh, denn sie sind nicht mit sowas verwandt. Die Tochter klagt, sie schreit, sie fleht: Ich will nicht lesbisch sein! Es dauert nicht lange bis sich der Geruch von Blut in ihr Zimmer legt. Doch das hat ihr nicht gereicht, der Schmerz war zu groß. Sie schreibt ihren Eltern einen Brief und dann lässt sie ihr Leben los.
Ihr hättet mich nie akzeptiert...
WAS – Sie sind bestürzt – DAS ist der Grund, warum ein Kind sein Leben verliert? Nun ja, nicht mehr so oft, aber durchaus oft genug. Doch nicht nur das, dieses Land befindet sich allgemein im Sturzflug. Direkt in die Klippen, unaufhaltsam wird es untergehen. Ich werde mich nicht beschweren, denn ich will es schon seit langem brennen sehen.
Er hat gekämpft für seine Rechte, ist mit einer Regenbogenflagge durch die Stadt gegangen. Mit seinem Freund Hand in Hand, obwohl der sich fürchtete und schließlich wurden sie auch abgefangen. Er konnte nichts tun, Klingen färbten sich rot. Er hats überlebt, doch seine große Liebe ist tot. Nun ist er gebrochen, ringt weinend die Hände. Das hatten sie nicht verdient, er ist völlig am Ende. Sein Freund hatte immer gesagt, er hätte Angst, doch er hatte ihm die Sachlage erklärt. Wir müssen uns wehren, auf die Barrikaden gehen und jetzt fragt er sich – war es das wert?
Sie kommen nach Hause, ein lesbisches Paar, froh, dass sie noch leben. Doch die Platzwunde an dem Kopf der einen wird eine erinnernde Narbe geben. Sie haben nichts getan, es war nur ein flüchtiger angsterfüllter Kuss. Sie konnten nicht ahnen, dass das so enden muss. Blut im Waschbecken, die Diskussion darüber ob sie klagen und versuchen, einen Sieg zu erringen. Doch sie kommen zu dem Entschluss: In diesem Land wird das nichts bringen.
Er springt auf, von Wut verzerrt. Seine beste Freundin wurde mit ihrer Partnerin angegriffen, seine Nichte hat sich das Leben genommen und er durfte nicht mal zu ihrer Beerdigung kommen. Ein Kumpel hat seine Liebe verloren, seine Schwester schreit ihn an: Meine Tochter ist genauso krank wie du geboren!
Als er meint, sie müssten sich wehren, zeigen, dass man so etwas nicht tun kann. Doch da nimmt sein Freund seine Hand und schaut ihn aus Tränenaugen an. „Ich kann dich nicht verlieren. Bitte bring dich nicht in Gefahr, dir darf einfach nichts passieren. Wir können uns verstecken, das ist zwar scheiße, aber es ist besser als zu verrecken. Tu es einfach für mich und sollte wirklich ein Krieg ausbrechen. Dann bitte folg ihnen nicht."
Und selbst ich muss sagen, ich kann nicht an mich halten. Ich bin nur die Führung, doch meiner Meinung nach sind die Menschen aufs Schlimmste gespalten. Jungs wollen Jungs küssen, Mädchen mit Mädchen schlafen. Ist ja nicht so, dass wir uns um ganz andere Dinge kümmern müssen. Manchmal frage ich mich, warum ziehen wir nicht los. Beantworten Hass mit Hass, werfen Messer und Granaten. Es wird sich sowieso nie etwas verändern, darauf können wir lange warten. Wenn sie uns töten, dann töten wir sie – eigentlich leben wir sowieso schon in Anarchie. Schärft eure Klingen, entfacht die Flammen. Wir sollten ihnen zeigen, dass Regenbögen wirklich der Hölle entstammen. Eine Hexenjagd auf die halbe Welt, Blut für ihre grausamen Taten...
Ja... aber warum tun wir denn nichts?
Ganz simpel: Unsere Lieben könnten an die Front geraten.
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