Eigentlich war ich ein ganz normales sechzehnjähriges Mädchen. Ich lebte bei meiner Familie in einem Haus in der Nähe von Berlin. Meine Freundinnen Ellie, Lucy und ich waren eine gut befreundete Clique. Beinahe jeden zweiten Tag verabredeten wir uns, in der Schule sahen wir uns jeden Tag. Wir erzählten uns untereinander alles, wir kannten die dunkelsten Geheimnisse der anderen.

Das dachten zumindest meine Freunde. Die Wahrheit war, dass ich ihnen ein Geheimnis verschwieg. Mein größtes Geheimnis. Niemand wusste es und niemand sollte es wissen. Es war besser so.

Ich stand vor dem Spiegel im Bad und schaute mein Spiegelbild genau an. Mein Atem ging stockweise. Es passierte wieder. Mein Spiegelbild starrte mir direkt in die Augen. Doch im Spiegel sah ich nicht mich. Alice blickte mir entgegen. Sie sah genau so aus wie ich, braune Haare, hellbraun gesprenkelte Augen, und trotzdem war sie komplett anders. Ihre Körperhaltung strahlte Selbstbewusstsein aus, ihre Augen hatten etwas dringliches. Mit erhobenen Kinn musterte sie mich von Kopf bis Fuß. Ich war nicht alleine. Ich zwang mich, zu atmen. In mir war etwas. Jemand. Keuchend schnappte ich nach Luft und wandte mich von dem Spiegel ab.

Als ich erneut einen Blick in den Spiegel wagte, sah ich, dass meinem Spiegel-Ich eine Träne über die Wange lief. Erschrocken berührte ich mein Gesicht, doch meine Wange war trocken. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Mit vor Angst geweiteten Augen riss ich den Blick von meinem Spiegelbild los und flüchtete aus dem Bad. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss.