Wahrheitsgejagter
Ich schließe die Augen und atme noch ein letztes Mal die warme, nach verdorrtem Gras riechende Luft ein. Ein letztes Mal füllen sich meine Lungen mit Sauerstoff. Ein tiefer Schmerz ergreift mich, während mir dies bewusst wird.
Nie wieder werde ich wie ein Kind mit großen Augen staunend durch die Kuppelstadt laufen. Nie wieder durch das Dach aus Glas den vom roten Staub der Wüste oder vom bläulichen Licht des neunten Mondes gefärbten Himmel betrachten.
Erinnerungen steigen in mir auf wie schillernde Seifenblasen. Jede reflektiert das Licht auf ihre ganz eigene Weise, trotzdem sind sie zerbrechlich.
Vor mein inneres Auge tritt meine kleine Tochter Tabitha, die noch auf der Erde ist. Ihre grünen Augen, die mich in einen lichtdurchfluteten Wald entführen, leuchten von ihrer ungebrochenen Freude. Ich habe diese in jedem ihrer unzähligen Briefe, meistens darüber wie sehr sie mich vermisse, an mich gefühlt. In jedem ihrer Worte habe ich die schier unüberwindbare Weite gespürt, die uns voneinander trennt.
Neben sie stellt sich mein bester Freund aus Kappstadt, der aufgrund seiner ärmlichen Verhältnisse als einer der ersten auf diesen Planeten geschickt worden ist.
„Die Klimakrise wird uns als Erstes und am Härtesten treffen." Dies ist sein letzter Satz gewesen, bevor ich nach Kanada zum Studieren gezogen bin. Trotz, der sich inzwischen traurigen Bewahrheitung dieser Aussage, haben seine braunen Augen schelmisch geblitzt.
Wie froh bin ich gewesen ihm später folgen zu dürfen, wenn auch unter falschem Namen. Und wie schön die ersten Monate gewesen sind. Das Leben dort hat diesen Menschen die Chance gegeben, von vorne anzufangen ohne Unterdrückung durch die Regierenden.
Doch auch diese Idylle ist jäh zerstört worden. Als die Energievorräte der Erde langsam dem Ende zugegangen sind, sind diejenigen, die es sich leisten konnten, hierhergekommen. Sie haben die regierenden Räte aufgelöst und diese Positionen selbst übernommen. Sie haben die Armen an den Rand der Stadt gedrängt. Die meisten von ihnen hat man zur Arbeit in den neu errichteten Fabriken für Energiegewinnung gezwungen.
Machtlos habe ich mit ansehen müssen, wie meine Freunde ausgebeutet worden sind. Elend hat sich wie schwarzer Nebel ausgebreitet, schleichend und unerkannt. Und mit der Unterdrückung sind die Gerüchte gekommen.
Gerüchte über gefälschte Berichte. Über giftige Gase, die die Arbeiter krank machen oder... sogar töten. Über das zum Schweigenbringen der Familien. Über Entführungen und Intrigen.
Man hat einen Schuldigen gebraucht. Einen Schuldenbock, einen Verantwortlichen. Und sie habe ihn gefunden. Denn sie haben mein Geheimnis gefunden.
„Du bist einer von denen."
„Wie konntest du uns das antun?"
„Du hast uns verraten!"
Gebrochenes Vertrauen. Ungebrochener Hass.
Mit gesenkten Schultern und zersplittertem Herz folge ich dem Richter und den beiden Wachen, in ihrer Hand die Macht der Gerüchte und Gefühle.
Einer der Wächter hebt eine Hand. Hoffnungsvoll blicke ich auf. Vielleicht hat sich das Schicksal doch nicht gegen mich verschworen. Vielleicht...
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