18.

4 Jahre zuvor

Ich sitze in einem weißen Raum. Alles ist weiß, die Tapete, der Stuhl, auf dem ich sitze und der Tisch, der sich vor mir befindet. Für diesen elendigen Schrott habe ich also meinen Geburtstagswunsch eingelöst? Ich habe ihn Monate aufbewahrt, nun habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich muss mit Newt sprechen. Ein Gespräch mit ihm, meinen ehemaligen besten Freund, von dem ich nicht weiß, wie er zu mir steht. Ich bin eigentlich jeden Tag vollkommen eingespannt für die Prüfungen, die ich in wenigen Tagen haben werde und nach denen ich dann auf die letzte Stufe aufsteigen würde. Hibbelig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Ich bin so aufgeregt! Was denkt er wohl von mir? Hasst er mich? Oder vermisst er mich womöglich auch? Ich habe die Chance, endlich mit ihm zu sprechen, ohne, dass jemand dabei ist, das ist die Chance. Die letzte Nacht konnte ich gar nicht schlafen. Beruhige dich, Maria, es wird schon alles gut laufen! Wenn ich nur in die Zukunft sehen könnte! Ich will einfach nur, dass alles wieder so wird, wie es früher war. Das Klacken der sich öffnenden Tür machte mich noch nervöser. Ich höre, wie sie wieder geschlossen wird und sich jemand auf den Stuhl mir gegenüber hinsetzt. Himmel, ich bin so nervös! Ich habe das Gefühl, dass jemand das Ende von jedem meiner Nerven in die Hand genommen hat und ein glühendes Streichholz daran hält. Ich sitze gerade meinem ehemals besten Freund gegenüber, ich kann es kaum glauben. All die Zeit, die vergangen ist, meine Laufbahn als vollwertiges Mitglied von A.N.G.S.T. und Newt als Testperson für ein Labyrinth. Ich habe ihn so vermisst. Obwohl ich beschlossen habe, meinen Kopf anfangs gesenkt zu lassen, muss ich ihn doch anheben. „Hallo, Maria, du wolltest mich sehen?", begrüßt er mich. Dies sind also seit vier Jahren die ersten Worte, die er an mich richtet. Soll ich froh oder enttäuscht sein? Er hätte freundlicher sein können, doch er hätte ebenfalls etwas Verletzendes sagen können. „Newt, so viele Jahre sind vergangen. Ich habe mich verändert, wir haben uns verändert. Wir hatten keinen Kontakt gehabt. Ich hatte Angst, doch auf der anderen Seite wusste ich auch, dass du mich nicht sehen wolltest. Ich weiß ja nicht, ob du noch immer so eine Abneigung dagegen hast, mich zu sehen..." „Moment mal", unterbricht Newt mich, „ich mag ja mittlerweile ein Hirn voller Matsche haben, aber was faselst du da? Ich wollte dich immer sehen. Die ganze Zeit, als ich neu hier war, habe ich versucht auszubrechen, um zu dir zu kommen. Nach einiger Zeit habe ich es aufgegeben, als ich gesehen, dass du dich nicht um mich bemüht hast. Es hat mich viel Schmerz gekostet. Maria, ich wurde niemals gefragt, ob ich dich sehen will. Glaub mir oder nicht, aber ich sage die Wahrheit. Ich habe mir mittlerweile einen eigenen Schutz zugelegt, alles und jeder ist mir gleichgültig, ich lasse niemanden wieder an mich ran, denn nochmal schaffe ich das nicht. Hast du überhaupt eine Ahnung, was für Albträume mich Nacht um Nacht geplagt haben, in denen dir etwas zugestoßen ist? Du gehörst jetzt zu denen, schön für dich. Kann ich jetzt wieder gehen?" „Nein!", rufe ich völlig aufgebracht. Das kann doch nicht wahr sein! All die Jahre dachte ich, ich wäre ihm gleichgültig, dass er mich nie sehen wollte. Mittlerweile bin ich ihm zwar gleichgültig, doch das liegt nur an den Lügen, die uns beiden aufgetischt wurden. Wir wurden belogen, unsere innige Freundschaft wurde so zerstört, sie wird nie wieder existieren und das alles nur wegen einer Lüge. „Wieso bist du überhaupt hier? Du hattest sie doch gehasst! Oder war das alles auch gespielt?", fragt Newt mich und fährt sich durch seine Haare. Ich kann nicht anders, ich muss ihn anstarren. Diese perfekte Mischung aus braun und blond. Und dann noch dazu diese Augen. Braun wie Schokolade. Ich versinke schon wieder in ihnen, ohne dass ich es mitbekomme, wie soll das denn sonst gehen, sie sind wie ein Strudel, der mich in seinen Bann zieht. „Ich bin deinetwegen hier! Ich habe die ganze Zeit, als du wegwarst, mir einen Plan überlegt, was ich unternehmen kann, um zu dir zu kommen, denn ohne dich konnte ich nicht weiterleben. Wenn ich mir vorgestellt habe, wie es wohl sein mag, ohne dich zu leben, habe ich keine Antwort gehabt, Newt, du warst mein bester Freund. Nachdem ich dann von A.N.G.S.T. von der Autobahn gerettet wurde, haben sie herausgefunden, dass es für sie nützlich wäre, hier für sie zu arbeiten, denn sie brauchten keine Testpersonen mehr. Allerdings durfte ich keinen Kontakt mehr zu dir haben, sonst hätten sie uns umgebracht. Dazu war ich ja auch noch der Meinung, dass du mich nicht sehen wolltest." „Das hast du für mich getan?", fragt er mich. Ich nicke mit einem riesen Kloß im Hals. Das war es, ich habe ihm mein ganzes Herz geöffnet und ihm meine Gefühle offenbart. Ich fühle mich zwar unendlich befreit, da er nun alles weiß, doch die unendliche Traurigkeit zieht mein Herz noch immer zusammen. Warum musste sich alles verändern? Ich will ihn als meinen Freund wissen! Ein Trauerwelle überkommt mich, als ich Newt ins Gesicht blicke und sehe, dass er nicht bereit ist, die Freundschaft aufrechtzuerhalten. „Maria, wir sind noch beste Freunde. Doch in dem Moment, als Janson kam, um mich abzuholen, hat sich alles für uns verändert. Wir können keinen Kontakt haben, das ist viel zu gefährlich, ich kann nicht riskieren, dass dir wegen mir etwas passiert. Deswegen muss ich das durchziehen, solange ich es noch kann. Denn wenn ich auch nur kurz zögere, würde ich meiner Seele nachgehen und mich in deine Arme werfen. Also mach es gut. Ich habe dich lieb!" Der Stuhl wird nach hinten geschoben und Newt trottet mit schlurfenden Schritten zur Tür. Sie wird geöffnet und er verschwindet. Verschwindet einfach. Ich bleibe allein zurück, während mir eine dicke Träne die Wange herunterkullert.

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