~ 8. Kapitel ~

»Me too (Meghan Trainor)«

Was die Frau, Cassandra, vorhat finde ich schnell heraus. Nachdem sie mir in einem kleinen Waschbecken die Haare nass gemacht hat steht sie nun mit einer silbern glänzenden Schere vor mir.

"Serafina? Was wird das?", frage ich trotzdem besagte- oder besser angeschrieene- ungläubig und leicht panisch, da auch sie immernoch neben mir steht und mich mit einem ziemlich zufriedenen Gesichtsausdruck beobachtet.

"Ganz ruhig. Cassandra ist wirklich eine gute Frisöse. Ich kenne sie schon länger, du kannst ihr deine Haare anvertrauen.", zwinkert sie mir zu. Das finde ich aber alles gar nicht mehr witzig. Also bei meinen Haaren hört der Spaß wirklich auf, ich mag sie nämlich so, wie sie sind.

In meinem Kopf laufen schon verschiedene Horrorszenarien ab, von ausgefransten Haaren, schiefen Schnitten und, am allerschlimmsten, Kurzhaarschnitten.

Im Grunde habe ich nichts gegen kurze Haare, den meisten Leuten steht sowas auch und sie sehen gut damit aus, aber ich kann mir mich bei weitem nicht mit kurzen Haaren vorstellen. Dafür hänge ich viel zu sehr an meiner relativ langen Mähne.

"Keine Angst, es muss nicht viel ab.", versichert mir Cassandra, was mich irgendwie gar kein bisschen beruhigt, und setzt die Schere an.

Entsetzt reiße ich die Augen auf, als ich das klirrende Geräusch höre und merke, dass es nun für Widersprüche schlicht und ergreifend zu spät ist. Ich sehe, wie ein paar Haare in Zeitlupe zur Erde rieseln und lautlos aufkommen.

Mein entsetzter Blick fliegt von den abgeschnittenen Haaren auf der Erde hoch in den Spiegel und ich stelle fest, dass Cassandra tatsächlich nur ein klein wenig von der Strähne abgeschnitten hat.

Sicherlich so um die fünf Zentimeter, also in Frisör- Maßeinheiten zwei Zentimeter, sind ab.

Endlich kann ich mich wieder sichtlich entspannen. Dann würden meine Haare halt ein paar Zentimeter kürzer sein, das ist ja kein Weltuntergang.

Das die kaputten Spitzen ab kommen hatte ich eh schon längere Zeit vor, da kann ich das gleich so erledigen.

Nachdem Cassandra mich gefühlte hundert mal umrundet hat und um mich drumherum gewuselt ist, scheint sie endlich zufrieden, als sie meine Haare noch mit dem Föhn trocken gepustet hat.

Nun schaue auch ich prüfend in den großen Wandspiegel. Ich muss zugeben: sie hat wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Dadurch, dass meine Haare jetzt ein Stück kürzer sind locken sich meine leichten Wellen, die ich eh schon von Natur aus habe, und fallen glänzend auf meine Schultern.

Überrascht fahre ich mit meiner Hand durch die Haare und spüre Serafinas Augen zufrieden auf mir ruhen. "Sieht super aus, was?", fragt sie mit stolzem Blick und lächelt mir im Spiegel zu. Ich bekomme nur ein Nicken zustande, bevor sich Serafina wieder meine Hand schnappt und mich vom Stuhl zieht.

Leicht wankend stehe ich neben ihr, vom schnellen aufstehen wird mir schon immer ein wenig schwindelig.

"Danke, für die Hilfe Cassandra. Wir sehen uns!", ruft Serafina noch, bevor sie mit mir den kleinen Salon verlässt und mich ohne Mitleid hinter sich her verfrachtet.

Woher nimmt dieses Mädchen nur ihre Energie? Davon würde ich gerne mal was abhaben.

Serafina drückt mich, nicht mal ganz zwei Minuten später auf eine der Bänke vor der Tür. Wenigstens wieder sitzen.

"Ich muss nur schnell etwas holen. Welche Stärke hat deine Brille?", fragt sie und schaut prüfend auf meine Brillengläser, als ob sie die Stärke an ihnen ablesen könnte. Perplex antworte ich auf ihre Frage und schon dreht sie sich um und ist zwischen den vielen Passanten verschwunden.

Was sollte das denn jetzt? Heute werde ich aus dem Mädchen echt nicht schlau.

Obwohl, das werde ich aus ihr irgendwie nie.

Erst diese Shopping Aktion, dann das Haare richten und jetzt schon wieder so eine dumme Frage. Ich mache mir langsam sorgen um ihren Geisteszustand.

Vielleicht sollte ich sie mal zu einer Untersuchung schleifen, so ganz ist mir das alles nicht geheuer.

Gerade will ich mich aufrichten, um aufzustehen und Serafina zu suchen, da schiebt sie sich durch die Menschen wieder zu der Bank zurück, auf der ich sitze. "Man, sind heute viele Menschen unterwegs.", beschwert sie sich leicht keuchend, als wäre sie gerannt und wirft mir ein kleines Päckchen zu.

"Kontaktlinsen?", frage ich Serafina verwundert, nach einem Blick auf das Kästchen und bekomme ein leichtes Nicken als Reaktion auf meine Frage.

Wo sie die jetzt so schnell her hat, ist mir ein Rätsel.

"Dann sieht man endlich dein Gesicht richtig, ohne diese komische Brille da.", meint sie mit einem kurzen Blick in meine Augen.

Ich runzele meine Stirn und erwidere ihren Blick. "Ach wirklich.", gebe ich leicht sarkastisch zurück.

Ich habe schon seit ich Klein bin eine Brille tragen müssen, ich bin also nichts anderes gewöhnt, denn ohne Brille sehe ich genauso gut, wie ein Maulwurf in der Erde.

Nämlich nur verschwommene Schemen.

Gar nicht lustig, wenn man überall davor läuft und spätestens nach drei blauen Flecken würde jeder normale Mensch sich fügen und seine Brille wieder auf die Nase setzen.

Es konnte ja nicht jeder mit Adleraugen gesegnet sein.

Ich finde auch eigentlich, dass ich ein totales Brillengesicht habe und dass mir Brillen ganz gut stehen. Aber diese ehrliche Meinung  von Serafina lässt mich an meiner eigenen Ansicht zweifeln.

Irgendwie habe ich mich immer schon zu sehr von Anderen beeinflussen lassen.

"Ja.", meint sie darauf gedehnt und windet sich ein wenig unbehaglich. "So hässlich bist du nämlich gar nicht."

Meine Augenbrauen schießen in die Höhe und ich atme hörbar aus. Wenn ich Serafina nicht seit kurzem kennen würde, wäre ich wahrscheinlich beleidigt gewesen, aber diese Aussage ist aus ihrem Mund sicherlich schon als Kompliment anzusehen.

"Danke, schätze ich.", antwortete ich deshalb und auf ihr Gesicht schleicht sich sogar ein kleines Lächeln. "Und weil ich heute so nett bin lade ich dich Sonntag zu mir ein, damit ich dich Montag am Morgen gleich für die Schule fertig machen kann.", fügt sie noch hinzu und wartet auf meine Reaktion.

"Wie 'fertig machen'?", frage ich und fühle mich, wie der dümmste Mensch auf Erden. So viele Fragen wie heute, habe ich in meinem Leben bestimmt noch nie gestellt.

Serafina seufzt theatralisch auf. "Und du bist Klassenbeste?", fragt sie mit strafendem Blick. "'Fertig machen' im Sinne von schminken, Haare richten und sowas halt.", erklärt sie und zuckt mit den Schultern.

Aha.
Nein, irgendwie hab ich das immer noch nicht verstanden.

"So ein Aufstand für die Schule?", frage ich deswegen ein wenig dümmlich noch mal nach. "Ganz genau.", stellt Serafina fest und ein erwartungsvolles schimmern tritt in ihre Augen.

Na das konnte ja was werden.

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