~ 51. Kapitel ~

»Too Close (Alex Clare)«

Ich weiß genau, dass Joshua seinen Lachanfall nicht böse gemeint hat. Jeder reagiert anders und wenn das seine Reaktion ist, ist diese bestimmt noch besser, als zum Beispiel auszurasten und wie wildgeworden mit Sachen um sich zu schmeißen. Ok, das wäre vielleicht auch etwas übertrieben, aber man weiß ja nie.

Trotzdem sehe ich, wie sehr Anton das belastet und beschäftigt.

Mein Blick fliegt zu Serafina, die gerade aus ihrer Schockstarre erwacht. Sie blickt noch einmal hektisch zwischen allen anwesenden hin und her, dann dreht sie sich, ohne ein Wort zu sagen, um und verschwindet. Wir hören noch kurz Schritte im Flur, bevor sie wohl in ihrem Zimmer ankommt und die Tür hinter sich schließt.

Um sie muss ich mich später kümmern.

Weder Joshua noch Anton haben sich gerührt, als Serafina so plötzlich gegangen ist. Joshua sitzt immer noch auf dem Hocker, die Beine angezogen und atmet aufgrund des Hustenanfalls schwer. Anton starrt währenddessen auf seine Füße.

"Das ist doch kein Weltuntergang, oder?", piepse ich, nur um irgendetwas zu sagen. Joshuas Blick bleibt an mir kleben und er runzelt die Stirn.

"Rosa. Wusstest du davon?"

Ertappt starre ich ihn an. Wenn ich seine Frage bejahe, fühlt er sich wahrscheinlich noch mehr verarscht, als eh schon. "Ähm.", sage ich vage.

"Sie weiß es auch erst seit heute. Außerdem hat sie versprochen, es keinem zu erzählen, weil ich es selbst sagen wollte." Ich kann kaum glauben, dass mich Anton wirklich aus dieser misslichen Lage rettet. Anscheinend habe ich sein Vertrauen und Anerkennung gewonnen, indem ich mein Versprechen gehalten habe, was ja doch nicht so einfach war, als ich dachte.

"Trotzdem küsst sie mich.", meint Joshua leise.

Anton runzelt die Stirn. "Wie bitte?"

Das denke ich mir auch.

"Wenn wir einmal ehrlich sind, solltest du das wissen."

Ich starre zwischen den beiden hin und her. Passiert das gerade wirklich? Werde ich hier gerade ernsthaft von den Jungs beschuldigt, so eine miese 'wer zuerst kommt, malt zuerst'- Nummer abgezogen zu haben? Jetzt reicht's aber mal. Das ganze verzwackte 'Liebe hier, Liebe dort' geht mir echt auf den Keks.

"Erstens: Du hast mich geküsst, Joshua.", stelle ich entrüstet fest und bringe ihn sofort mit einer Handbewegung zum Schweigen, weil er gleich darauf etwas erwidern will. "Aber das tut ja eigentlich nichts zur Sache. Das wichtige ist, dass ich dich nicht zurück geküsst habe, weil ich Anton eins auswischen wollte, sondern, weil auch ich mich schon lange in dich verknallt habe."

Wieso ist er auf einmal so ein Arschloch? Über diese Frage vergesse ich total, darüber geschockt zu sein, dass ich gerade Joshua, einfach so, meine Liebe gestanden habe. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt schon so stark empfinde, aber jetzt, wo ich es ausgesprochen habe, ist es mir erst richtig bewusst geworden.

Joshua mustert mich lange. Auch er scheint über etwas ähnliches nachzudenken. Nach einer Weile seufzt er laut auf. "Entschuldige, du hast recht. Ich bin einfach gerade überfordert mit der Situation."

Ich glaube ihm das sofort, denn schon alleine seine Körperhaltung, wie ein Häufchen Elend, gibt ihm recht. Ich merke, wie mein Herz einfach entscheidet, ihm alles was er heute sagt, auf keinen Fall übel zu nehmen. Er befindet sich schließlich gerade in einer Art Ausnahmesituation, denn wer bekommt schon jeden Tag so ein 'Geständnis' von seinem besten Freund zu hören.

Deswegen nicke ich und entscheide, mich ein wenig aus dem Mittelpunkt herauszunehmen. Schließlich geht es hier ja gar nicht um mich. Ich lasse mich also auf das Sofa fallen und beobachte die beiden.

Joshua fährt sich mit der Hand durch seine Haare, wie er es so oft tut. Es ist totale Stille eingekehrt.

Währenddessen starrt Joshua Löcher in die Luft, während Anton das selbe mit dem Boden zu versuchen scheint. Irgendwann, und es ist mir wirklich ewig vorgekommen, bis das passiert, findet Joshua Antons Blick.

Vor meinem geistigen Auge spielt sich schon die Szene ab, wie Joshua aufspringt und Anton um den Hals fällt. Wie sie sich küssen und mein Herz damit brechen.

Diese Situation bleibt allerdings aus.

"Du weißt, dass ich das nicht kann? Dich lieben?", beginnt Joshua gleich und raubt Anton so, ohne mit der Wimper zu zucken alle Illusionen. Aber auch wenn das noch so hart erscheint, es ist wahrscheinlich besser so.

Ich kann nur ahnen, wie schwer Joshua das gerade fällt. Aber ich bin unglaublich erleichtert, als er das so sagt und damit die Szene, die mein Gehirn mir schon vorgesponnen hat, zunichte macht.

Ich weiß auch gar nicht, wie Anton damit umgehen wird. Dieser steht ein wenig schräg, aber mit dem Rücken zu mir, so dass ich sein Gesicht kaum erkennen kann.

"Wir waren so lange Freunde und eigentlich möchte ich auch nicht, dass das jetzt zu Ende geht." Joshua steht auf und macht einen Schritt auf Anton zu. Die dunkelbraunen Augen mustern Anton und ich kann förmlich spüren, wie angespannt Joshua ist.

Langsam nickt Anton. Er sieht dabei tieftraurig aus und seine Schultern hängen, was ihn so viel kleiner und zerbrechlicher aussehen lässt, als er eigentlich ist. In einem Ruck dreht er sich herum und macht einen Abgang, ähnlich dem von Serafina.

Joshua starrt ihm nach und scheint gar nicht zu merken, wie ich aufstehe und auf ihn zukomme. Ich strecke meine Hand aus und berühre vorsichtig seine Wange. Er zuckt zusammen, als hätte ich ihn geschlagen und schaut mich erschrocken an. Ich weiß nicht, was es ist, was ich in seinen Augen sehe. Ich vermute eine Mischung aus Schmerz, Verlust und Traurigkeit. Sein Blick jagt mir eine Gänsehaut über den Körper.

Er beugt sich schnell zu mir nach unten, ich kann kaum blinzeln, da liegen seine Lippen auf meinen. Es fühlt sich merkwürdig an, dass er mich jetzt gerade küssen will, aber ich verstehe seinen Wunsch nach Zusammenhalt. So viele Gefühle und Emotionen liegen in dem Kuss, dass meine Knie anfangen zu zittern und ich weiß plötzlich, das ist seine Art, mir zu zeigen, was in ihm vorgeht.

Er löst sich wieder und lehnt seine Stirn an meine. "Danke, dass du hier geblieben bist.", murmelt er und seufzt dann auf. "Ich will mich noch mal entschuldigen, für mein Verhalten gerade eben. Ich weiß nicht, was mit mir los ist."

"Schon längst vergeben.", flüstere ich und genieße es, einfach hier bei ihm zu sein.

"Was mache ich denn jetzt?"

Ich ziehe meinen Kopf zurück, um ihm bei meinem Rat in die Augen schauen zu können. "Lass Anton erstmal in Ruhe. Er braucht Zeit. Aber verlasse ihn jetzt nicht. Er hat sich uns allen geöffnet und wenn er zulässt, dass du mit ihm befreundet sein kannst, sei einfach für ihn da."

Joshua sagt nichts darauf, sieht aber erleichtert aus, diese Entscheidung nicht selbst getroffen zu haben, sondern einfach den Rat von mir befolgen zu können.

"Kann ich dich alleine lassen?", frage ich ihn nach einer kurzen Pause, in der er wohl über meine Worte nachgedacht hat. Er nickt ohne zu zögern, was mir das Vertrauen gibt, dass er es tatsächlich so meint. Dann küsst er mich kurz, bevor er sich gänzlich von mir löst und sich zurück auf den Klavierhocker fallen lässt.

Ich mustere ihn noch einmal, dann mache ich mich auf den Weg zu Serafinas Zimmer. Ich klopfe und trete dann sofort ein, ohne ein 'Herein' abzuwarten. Serafina sitzt auf ihrem Bett und ich bin froh, dass ich nicht vor der Tür gewartet habe, denn anscheinend hat sie das Klopfen überhaupt nicht gehört, wegen den Kopfhörern in ihren Ohren, aus denen Musik in voller Lautstärke dröhnt.

Ihre Augen sind geschlossen und ihr Rücken lehnt an der Wand. Ich lasse mich neben sie fallen und ziehe gleichzeitig den Kopfhörer aus ihrem rechten Ohr. Fix stecke ich ihn in mein linkes, was natürlich nicht so richtig passt, aber doch irgendwie funktioniert. Ich weiß, dass sich Serafina sonst wohl über diese Frechheit beschwert hätte, doch jetzt bleibt sie einfach ruhig.

Ich sage auch nichts und wir sitzen stattdessen schlicht nebeneinander und hören einen lauten Song, den ich vorher noch nie gehört habe. Wenn man den leiser machen würde, wäre es auch sicher kein lauter Song mehr.

Einige Zeit funktioniert das so mit uns, dann flutscht der Kopfhörer ohne mein Zutun aus meinem Ohr. Das nehme ich als Stichwort und ziehe Serafina ihren auch raus. Wieder keine Beschwerde.

"Willst du reden?"

"Nein, sonst würde ich telefonieren und nicht still Musik hören", erklärt sie mir mit einem Blick, der etwas ganz anderes aussagt.

Ich brummele nur unverständlich.

"Sind du und Josh jetzt zusammen?", fragt sie mich nach einigen Sekunden des Schweigens und wechselt damit abrupt das Thema.

Überrascht schaue ich sie an. "Woher weißt du das?", will ich wissen, denn schließlich ist sie gegangen, bevor Joshua von dem Kuss erzählt hat.

"Man sieht es dir an."

Das glaube ich ihr sofort. Auch jetzt spüre ich noch meine Wangen prickeln.

Allerdings ist ihre Frage auch ziemlich berechtigt. Durch das ganze Tam- Tam konnten Joshua und ich das gar nicht klären. Aber irgendwie ist mir das nicht wichtig. Solange ich in Joshuas Augen dieses Glitzern sehe, wenn er mich anschaut, muss ich unserem Beisammensein keinen Namen geben.

Vielleicht scherzeshalber 'Alfred' oder so, aber 'Beziehung'? Dafür ist es sicher noch zu früh.

Deswegen wiege ich nur unbestimmt mit dem Kopf. "Ich bin mir nicht sicher.", antworte ich ihr.

"Würde mich freuen.", meint sie und dreht den Kopfhörer zwischen ihren Fingern, bevor sie leise etwas hinzufügt, was ich fast nicht verstanden hätte. "Wenigstens eine von uns, die in solchen Sachen Glück hat."

Ich atme tief ein und suche nach der richtigen Erwiderung. "Du kannst nichts dafür, dass Anton so fühlt. Er steht auch garantiert nicht auf Jungs, nur wegen dir.", gebe ich zu bedenken.

"Logisch. Aber trotzdem tut das weh."

Darauf weiß ich echt nichts mehr zu sagen, denn ich kann mir gut vorstellen, was sie gerade durchmacht. Selbst ich hatte ja schon wahnsinnig Angst, dass Joshua Anton wählen würde und nicht mich. Wenn ich mich da in ihre Situation versetze, wo diese Angst, natürlich bezüglich Anton, wahr geworden ist, kann ich ansatzweise verstehen, wie sie sich fühlt.

Still sitzen wir nebeneinander und die Musik aus den Kopfhörern ist immer noch zu hören, obwohl sie schon gar nicht mehr in unseren Ohren stecken.

Serafina seufzt nach einigen Millisekunden auf und lächelt mich dann fast gar nicht gezwungen an. "Ich finde schon noch wen.", versucht sie nach vorne zu blicken und blinzelt mir dann mit einem breiten Lächeln zu. "Und jetzt erzähl mir: küsst mein Bruder gut?"
------------------------------------
Ein längeres Kapitel :) Hoffe euch gefällt die Geschichte immer noch? :D

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top