~ 39. Kapitel ~
»Bad Liar (Selena Gomez)«
Glücklich folge ich in einem angemessenen Tempo Joshua und Serafina. Ich fühle mich richtig beschwingt, nachdem ich das Ballhindernis endlich geschafft habe und auch noch ein paar weitere. Jetzt kann ja nichts mehr passieren.
Dachte ich zumindest.
Denn nachdem ich über eine Art Brücke gegangen bin, stehe ich nun neben Joshua und Serafina auf der selben Plattform. Und ich bekomme eine kleine, vielleicht sogar mittelgroße Krise, als ich dem Blick der beiden Geschwister folge.
Als hätte ich ein Déjà-vu stehe ich wieder vor einem Abgrund, der dieses Mal allerdings noch tiefer ist, weil wir inzwischen unbemerkt noch ein paar Meter an Höhe gewonnen haben. Außerdem ist keine rettende Plattform auf der anderen Seite, sondern nur ein riesiges grünes Netz, senkrecht zum Boden und es befindet sich bestimmt doppelt so weit weg, wie die nächste Plattform bei dem Ballhindernis gewesen ist. Nicht zu vergessen, dass der Ball fehlt, auf dem man sich hinüberschwingt, stattdessen hängt dort einfach nur ein Seil.
'Tarzan- Sprung', lese ich ein kleines Schild an der Plattform, auf der wir noch stehen. Hätte ich geahnt, dass wir hier tatsächlich wie Tarzan durch die Bäume schwingen sollen, wäre ich lieber doch unten geblieben.
"Niemals schwinge ich mich da rüber.", stelle ich mit Nachdruck fest und kralle mich in mein Sicherungsseil. Joshua wirft mir einen kurzen Blick zu. "Tut mir leid, aber anders geht's nicht runter.", erklärt er mir sachlich, was ich eh schon befürchtet hatte.
In diesem Moment erreicht auch Anton unsere Plattform, sodass wir nun zu viert auf engstem Raum stehen.
"Was ist los, warum geht ihr nicht weiter?", fragt er, kaum dass seine Füße die Plattform erreicht haben und schaut hinüber auf die Seite mit dem Netz, bevor er mit einem einfachen: "Achso.", unsere Lage ziemlich treffend zusammenfasst.
Serafina mustert ihn kurz. "Ich mach's.", entscheidet sie dann wagemutig und hakt ihre Sicherung in das Seil zum Hinüberschwingen ein.
Klar, dass sie Anton beeindrucken will, aber mich überzeugt sie damit nicht. Die Aktion ist doch lebensmüde. Sehe ich zumindest so. Trotzdem greift Serafina, ohne weiter darüber nachzudenken, nach dem Seil und springt mit Schwung in den Abgrund.
Kaum ist sie losgesprungen, ist sie auch schon auf der anderen Seite angekommen und hängt nun wie ein Äffchen am Netz. "Das war cool!", ruft sie und hört sich dabei ehrlich begeistert an.
Die spinnt doch.
Wir beobachten, wie sie ihre Sicherung neu einhakt und dann am Netz nach unten kraxelt, bis sie den sicheren Boden erreicht hat. Fröhlich winkt sie uns zu.
Ich bin mir langsam sicher, dass irgendjemand Serafina vor dem Klettern gegen einen Serafina-Zwilling ausgetauscht hat. Denn die Serafina, auf der Erde unter uns, hat verstrubbelte Haare und Flecken auf dem Shirt und verhält sich überhaupt nicht so, wie sich Serafina sonst verhält. Sie wurde bestimmt von Aliens gekidnappt. Oder so.
"Wer jetzt?", unterbricht Joshua meinen Gedankengang und zeigt mir wieder den Ernst der Lage. Anton grinst mich böse an und lässt mich nichts Gutes ahnen. "Ladies first."
Wenn ich unten auf der sicheren Erde stehen würde, würden mir sicherlich tausend Sachen einfallen, die ich darauf erwidern könnte, wie "Dann bist wohl du dran" oder "Alter vor Schönheit", aber in dieser Situation fällt mir einfach nichts ein. Obwohl ich bezweifle, dass ich mich getraut hätte, so etwas zu Anton zu sagen.
Deswegen kneife ich meine Lippen zusammen und starre weiter in den Abgrund. "Du schaffst das!", versucht nun auch Joshua mich zu überzeugen, aber ich schüttele nur den Kopf.
Joshua seufzt auf und stellt sich genau vor mich. "Hör zu.", flüstert er leise. "Ich kann verstehen, dass du Angst hast, aber du musst mir vertrauen.", sein Blick fliegt zwischen meinen Augen hin und her. "Ich weiß du kannst das und dir wird nichts passieren. Glaub auch daran."
Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut und betrachte seine braunen Augen. Für einen kurzen Moment ist der Abgrund einfach aus meinen Gedanken verschwunden. "Ich bin dir so dankbar, dass du das ganze heute für meine Schwester gemacht hast. Das hätte sicher nicht jeder getan."
Ich weiß, dass er damit recht hat. Im Grunde bin ich nur wegen Serafina hier.
Trotz dessen hat das nicht viel mit meiner Situation zu tun, aber seine Worte bescheren mir ein warmes Gefühl. Es ist komisch, aber ich bin wie in Trance, nur weil er so leise auf mich einredet.
Langsam nimmt er sich meine Sicherung und hakt sie in das Seil zum herüberschwingen ein, was inzwischen wieder zu uns zurückgependelt ist. "Du musst nur springen und dann hast du es geschafft.", beendet er seine kleine Rede und es ist, als würde ich in die Realität zurückbefördert werden. Sofort strömt auf mich wieder diese Angst ein, die mich vorhin so verzweifelt am Baum festklammern lassen hat.
Ich merke, dass diese freischwingenden Hindernisse eine meiner persönlichen Grenzen darstellen. Ich weiß nicht, was es ist, das mich an diesen Hindernissen mehr verängstigt als an den anderen in diesem Kletterwald, aber ich merke es ganz deutlich. Das Zittern von meinen Händen ist einfach nicht zu ignorieren.
Sofort merke ich auch wieder Antons Anwesenheit, der uns bei diesem kurzen Gespräch argwöhnisch beobachtet hat und nun seine Arme verschränkt. "Was für ein Quatsch", stößt er hervor. "Sei nicht so ein Angsthase."
Er schubst mich leicht und mit flacher Hand in die Seite, doch das reicht auf der kleinen Plattform schon aus, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Ich taumele und auf einmal verlassen meine Füße die Plattform. Ich stoße einen lauten Schrei aus, und zwar keinen wie ihn Tarzan machen würde, sondern so einen lauten, schrillen Mädchenschrei. Hilfesuchend klammere ich mich krampfhaft an dem Seil fest, das mit mir, in atemberaubender Geschwindigkeit auf das grüne Netz zuschwingt.
"Halt dich fest!", höre ich Serafina von unten schreien und schon pralle ich mit einem unschönem Geräusch auf dem Netz auf. Ohne darüber nachzudenken finden meine Hände die Seile, krallen sich fest und schon hänge ich im grünen Netz.
Das sah sicherlich nicht mal halb so gut aus, wie bei Serafina, aber ich hab es geschafft.
Wie in Trance schließe ich meine Augen und verharre einen Augenblick im Netz, bevor ich langsam meine Sicherungen umhake und mich nach unten begebe. Hauptsache ich bin endlich wieder auf dem sicheren Erdboden.
Kaum bin ich auf dem Boden angekommen lasse ich mich einfach fallen, so froh bin ich, festen Boden unter den Füßen zu haben. Nach ein paar Sekunden, in denen ich sicher wie ein Häufchen Elend ausgesehen haben muss, erreicht mich Serafina. "Alles in Ordnung?", fragt sie mich besorgt, doch ich bleibe einfach so hocken und danke Gott, dass ich immer noch lebe.
Und nein, das ist überhaupt nicht überreagiert oder übertrieben. So eine Angst hatte ich noch nie.
Kaum ist der Adrenalinpegel etwas abgeklungen, prasselt der Grund auf mich ein, warum ich hier sitze.
Anton hat mich geschubst. Von einer Plattform, meterweit über dem Erdboden herunter. Dieses Arschloch wollte mich umbringen.
Es ist als würde sich ein Schalter bei mir umlegen und ich explodiere förmlich. "Anton du Stück Scheiße, wenn ich dich in die Finger kriege!", kreische ich auf und alle Schüchternheit, die mich je in meinem Leben begleitet hat, ist von einer Sekunde zur nächsten verflogen.
Nur schemenhaft nehme ich wahr, wie auch Joshua sich hinüberschwingt und sicher im Netz landet, denn ich bin wie in einem Tunnel, als ich sehe, dass Anton in der Zeit, in der ich mich gesammelt habe, wohl schon hinübergesprungen sein muss und seelenruhig Joshua dabei beobachtet, wie er zu uns herunter kommt.
Ich laufe, oder renne, so genau weiß ich das nicht, auf Anton zu und will ihn für diese Unverschämtheit einfach nur noch schlagen. Leider hat er wohl durch das Volleyball- Training eine gute Reaktionszeit bekommen, denn er greift blitzschnell nach meinen Händen und hält sie fest.
Vielleicht habe ich auch nicht schnell und kräftig genug geschlagen, ich bin nun wirklich kein Schlägertyp. Im Grunde habe ich tatsächlich noch nie jemanden geschlagen.
Aber das war bis jetzt auch noch nicht nötig.
Anton beobachtet mich, wie ich versuche, meine Hände aus seinem Griff zu bekommen. "Ruhig bleiben, du bist doch sicher gelandet.", erklärt er mir und wirkt dabei tatsächlich tiefenentspannt.
Für den Spruch würde ich ihm liebend gerne noch eine runterhauen. Also, nachdem ich ihm für das runterschubsen eine geknallt habe.
"Dein Glück.", brülle ich ihm nahezu entgegen und er wirkt nun tatsächlich Überrascht. "Ich hätte nicht gedacht, dass du solch ein Temperament hast.", erklärt er mir und lässt meine Hände wieder los.
Ich nutze meine Chance und schlage mit beiden Händen auf seine Brust. Das war das erste, was ich erreichen konnte.
"Rosa!", versucht Serafina mich nun wieder zu zügeln, die inzwischen auch bei uns angekommen ist, aber ich denke gar nicht daran aufzuhören. Ich bin wirklich stinksauer. Ich hatte da oben totale Angst und er macht sich das einfach zunutze und lässt seine schlechte Laune, oder was auch immer, an mir aus.
Bevor ich noch einmal zuhauen kann, da Anton das erste Mal wohl überhaupt nichts ausgemacht hat, legt sich eine Hand auf meine Schulter und dreht mich ruckartig und bestimmt von Anton weg. "Es ist alles gut, Rosa.", versucht Joshua mich zu beschwichtigen und mir fällt auf, dass wir genau so dastehen, wie auch oben auf der Plattform.
Ich starre ihn einfach nur an und Joshua starrt still zurück. Nach ein paar Sekunden löse ich mich vorsichtig wieder aus seinem Griff. Es ist seltsam, wie ruhig ich auf einmal bin.
"Verdammt.", stelle ich nur fest und streiche mir die Haare aus dem Gesicht, die kreuz und quer in meinem Blickfeld hängen. Ich merke wie das Zittern meiner Hände nachlässt und mein Körper zu bemerken scheint, dass ich nun wieder in Sicherheit bin.
Ich kann es nicht glauben, was Anton mich tun lässt. Noch nie bin ich so ausgerastet, wie gerade eben. Er schafft es, dass eine Seite von mir zum Vorschein kommt, von der ich dachte, dass ich zu schüchtern für diese wäre und die ich eigentlich schon öfter mal gebraucht hätte. Die Seite, die für mich selbst einsteht und nicht zögert mich selbst zu verteidigen.
Es ist merkwürdig, aber ich bin mir nicht sicher, ob das nicht sogar vielleicht etwas Gutes ist.
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Was sagt man dazu? xD
Was haltet ihr von Antons Aktion(en) beim Klettern? Findet ihr Rosa reagiert über, oder könnt ihr sie verstehen?
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