~ 21. Kapitel ~
»Attention (Charlie Puth)«
Keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, den Weg zu mir nach Hause zu laufen, aber an der frischen Luft ging es mir dann schon besser. Zumal meine Beine ja nicht beschädigt sind, sondern nur mein Kopf und ich deswegen bloß aufpassen muss, so wenig wie möglich Erschütterungen zu erzeugen.
Obwohl. Was heißt hier 'nur' mein Kopf? Eigentlich ist der ja mit das Wichtigste an meinem Körper.
Jetzt stehen Joshua und ich vor meiner Haustür und mir ist kotzübel. Ich weiß nicht, warum mir schlecht ist, schließlich hat mein Kopf ja sehr wenig mit meinem Bauch zu tun, aber ich muss wirklich meine ganze Willenskraft aufwenden, um nicht das Beet neben der Tür mit eigentlich schon gegessenem Essen zu verschandeln.
Nachdem ich dreimal das Türschloss nicht aufbekomme, weil es schon dunkel ist und ich irgendwie noch dazu Sehstörungen habe (seit wann haben wir vier Türschlosslöcher?) nimmt mir Joshua den Schlüssel ab und öffnet in einem Versuch die Tür.
Erstaunt über sein Können folge ich ihm in mein Haus. Kaum bin ich drinnen und das Licht ist angeknipst legt sich das mit den Sehstörungen zum Glück wieder. Jedenfalls sieht alles wieder normal aus.
Joshua hat bis jetzt kein Wort gesprochen, außer als er mich gefragt hat, wie weit es denn bis zu mir ist und ich ihm fünf Minuten angegeben habe. Am Ende hat es zwanzig gedauert, weil ich im Schneckentempo einen Fuß vor den anderen gesetzt habe, damit mein Gehirn nicht schmerzvoll von innen gegen meine Stirn schwabbelt.
Er blickt sich im Flur um und bemerkt dann, dass ich ihn dabei beobachte. "Wasser?", fragt er, obwohl ich ihn das doch hätte fragen sollen, er ist ja eigentlich sowas wie mein Gast, und nicht ich seiner.
Ich kann mich zum Glück gerade noch davon abhalten, schmerzhaft den Kopf zu schütteln. "Nein, aber wenn du möchtest, nimm dir was.", biete ich ihm trotzdem an und zeige mit meinem Finger auf die Küche. So ganz habe ich meine gute Erziehung doch noch nicht vergessen.
Er bleibt trotzdem einfach im Flur stehen und beobachtet mich dabei, wie ich mich aus meiner Trainingsjacke und meinen Schuhen schäle.
Dann mache ich mich Schritt für Schritt auf den Weg in mein Zimmer. Ganz vorsichtig setze ich mich auf mein Bett und beruhige erstmal meinen Magen wieder.
"Wo sind deine Schlafsachen?", fragt Joshua und sieht sich in meinem Raum um. Er muss mir wohl unbemerkt gefolgt sein.
"Im Schrank.", ich nicke zu meinem Kleiderschrank. "Aber ist schon in Ordnung, ich schaffe das schon. Danke fürs nach Hause bringen." Ich versuche möglichst ein Gesicht zu machen, was auch zu dieser Aussage passt, obwohl ich das Gefühl habe, dass ich hier gleich meinen Zimmerteppich einsaue, weil sich mein Magen schon wieder dreht.
"Kommt nicht in Frage. So schnell wirst du mich nicht-"
Ein lauter Schrei übertönt den Satz, den er gerade sagen wollte und mein alter BH, den ich eigentlich in die hinterste Ecke meines Schranks geschleudert habe, fliegt in hohem Bogen auf den Fußboden.
Erschrocken starre ich Joshua an, der anscheinend diesen Laut von sich gegeben hat, der sich anhörte, als würde man einer Katze auf den Schwanz treten.
So schrecklich hässlich ist der BH nun auch wieder nicht.
Oder?
Ich springe, so schnell es mir möglich ist auf, als ich Joshuas starren Blick sehe. Er fixiert den Boden, als würde er ihn mit seinen Augen durchbrennen wollen. Gleichzeitig weicht er immer weiter zurück, bis er fast mit dem Rücken an der Wand anstößt. Ich bin neugierig was ihn so erschreckt hat, dass er deswegen sogar schreit, denn es scheint doch nicht mein BH gewesen zu sein.
Endlich bin ich an der Stelle angekommen, die er so fixiert und sehe es nun auch.
Die fette Spinne hat wohl doch meinen Abwurf überlebt und sich in dem alten BH eingelebt.
Und wenn ich 'fett' sage, meine ich auch fett. So eine große, schwarze mit behaarten Beinen. Ich schwöre, als ich die das letzte mal im Schrank gesehen habe, war die noch nicht so groß. Vielleicht wohnen da ja mehrere?
Trotzdem starre ich Joshua ungläubig an, der sich nun förmlich an die Wand drückt. Keine Ahnung was das bringen soll, er wird nicht mit der Wand verschmelzen, aber er scheint echt Angst vor diesem achtbeinigen Ekel zu haben und versucht so weit wie möglich davon wegzukommen.
Ich blicke mich im Zimmer um. Noch sitzt sie auf dem Boden. Perfekt um ermordet zu werden.
Ich weiß, ich weiß, 'die haben mehr Angst vor uns, als wir vor ihnen' und 'auch ein Recht zu leben', aber das ist mir in dem Moment egal. Denn solange sie in meinem Zimmer ist und ich dort Hausrecht habe, entscheide ich, wer dort leben und sterben darf. Und anfassen, um sie rauszubringen kommt gar nicht erst in Frage. Das finde selbst ich schauerlich.
Immer noch habe ich keine Ahnung, was zum Erschlagen geeignet wäre, bis mein Blick auf einen Bücherstapel fällt. Bücher sind mir dafür eigentlich zu schade, aber dann sehe ich mein dickes Biologiebuch.
Das kann ich verkraften. Ich schnappe es mir also und lasse es mit einem lauten Knall einfach auf die Spinne drauf fallen.
"Die ist jetzt Matsch.", stelle ich leise fest und klatsche einmal in die Hände, um das Gesagte zu unterstreichen. In meinem Kopf rumort es wieder, aber ich bleibe tapfer stehen. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Schmerzen.
Ich werfe einen Blick zu Joshua der immer noch auf das Biobuch starrt. "Du hast echt Panik vor den Viechern oder?"
"Ähm...", stottert er und bricht dann ab. Er reißt seinen Blick förmlich von dem Buch weg und schaut stattdessen mich an. Ich rolle schmerzhaft mit den Augen, aber das ist es mir Wert. Wenn er jetzt so einen auf 'ich bin männlich und habe deswegen vor nichts Angst' macht, weiß ich wirklich nicht mehr was ich machen soll.
Das ist meiner Meinung nach nämlich völliger Quatsch. Jeder hat vor irgendetwas Angst und das ist völlig in Ordnung, solange es nicht komplett im Handeln einschränkt. Und da ist es egal, ob man eine ängstliche Frau ist oder ein eigentlich starker Mann.
"Danke fürs Retten.", bekommt er dann doch noch raus und beäugt mein armes Biobuch erneut. Dann stößt er sich von der Wand ab und läuft zu meinem Bett, auf welches er sich erschöpft fallen lässt.
Ich krame noch meine Schlafsachen aus meinem Schrank und werfe einen Blick in die Ecke. Ich kann keine weitere Spinne sehen, das muss also die Einzige gewesen sein. Zum Glück.
Ich tapse wieder zurück und lasse mich neben Joshua auf mein Bett sinken.
"Können wir bitte hier nie wieder drüber reden?", fragt er und beobachtet mich von der Seite. Er fährt sich schaudernd mit der Hand durch sein Gesicht. Eigentlich will ich ihn noch fragen, warum er so schreckliche Angst vor so kleinen Tieren hat, aber der Ausdruck in seinen Augen hindert mich daran. Ihm scheint das wirklich peinlich zu sein und ich verstehe auch, warum. Also entscheide ich mich dazu, keine weiteren Fragen zu stellen. Ich lächele ihn einfach nur milde an. "Ist nie passiert."
Dankbar lächelt er zurück und verlässt dann den Raum, damit ich mich umziehen kann.
Etwas Gutes hat die Spinne. Ich bin so geschockt gewesen, dass sich mein Magen anscheinend deswegen wieder eingekriegt hat. Er fühlt sich jedenfalls nicht mehr an, als würde er Achterbahn fahren.
Nachdem ich mich fertig umgezogen habe, schlage ich meine Bettdecke zurück und lege mich bequem in mein Bett. Zähneputzen muss heute mal ausfallen, das hält mein Kopf einfach nicht aus.
In dem Moment geht meine Zimmertür wieder auf. Joshua betritt hochkonzentriert den Raum. In seiner Hand hält er ein Wasserglas und sein Blick ist starr darauf gerichtet. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er schon gegangen ist, deswegen bin ich ziemlich überrascht ihn noch hier zu sehen.
Aber ich freue mich auch irgendwie darüber, dass er sich anscheinend so sehr um mich sorgt.
Ich richte mich also wieder auf, setze mich mit dem Rücken an die Wand gelehnt gerade hin und beobachte ihn dabei, wie er das volle Glas zu mir balanciert.
"Hier.", sagt er schlicht und drückt mir das Glas in die Hand. Außerdem öffnet er seine zweite Hand und offenbart eine weiße Tablette. "Sorry, dass ich an ein paar Schränken im Bad war. Aber ich dachte mir, da müssen einfach irgendwo noch Kopfschmerztabletten sein."
Ich sehe ihn mit gerunzelter Stirn an. Er musste wohl auch in ein paar Zimmern gewesen sein, denn ich habe ihm nicht gesagt, wo sich das Bad befindet. Ganz schön frech von ihm, in einem fremden Haus einfach so herumzustromern. Und er hätte mich fragen können.
Andererseits ist das auch irgendwie ziemlich süß von ihm, wie er an alles denkt und sich kümmert.
Ich nehme ihm das Wasser ab und schmeiße mir die Tablette in den Mund, um sie dann mit Wasser herunterzuspülen. Das nun leere Glas stelle ich auf den Nachtschrank neben meinem Bett.
Erwartungsvoll schaue ich ihn an, da er mich die ganze Zeit dabei beobachtet hat und mich nun mit einer Hand an seinem Nacken angrinst. "Ist was?", frage ich, als er lange Zeit nichts sagt.
Er schüttelt den Kopf, beobachtet mich aber weiter. Ich seufze genervt auf. Ich würde jetzt ganz gerne wissen was er denkt. Und wenn ich dafür seinen Kopf aufschneiden muss, ich würde es in diesem Moment tun.
"Du kannst jetzt ruhig gehen. Schlafen bekomme ich auch alleine hin." Ich kichere vor mich hin und Rutsche wieder unter meine Decke, um das Gesagte zu unterstreichen.
Aber als ich fertig damit bin steht Joshua immer noch wie angewurzelt mitten in meinem Zimmer.
"Ich hab dir doch schon vor der Aktion...", er zeigt mit dem Daumen hinter sich, "gesagt, dass du mich nicht so schnell los wirst."
Ich folge mit den Augen der Richtung, in die er zeigt und mein Blick fällt genau auf das Biobuch und somit auf die Spinnen-Grabstätte. "Ach ja das muss ich dann mal irgendwann weg machen."
"Du meinst entsorgen.", verbessert er mich mit angewidertem Blick und verschränkt seine Arme.
Ich nicke einfach nur. Inzwischen bin ich echt müde.
"Willst du da jetzt die ganze Nacht stehen?", frage ich nach einem kurzen Moment des Schweigens und mache schon mal ein Auge zu.
Er zuckt mit den Schultern. "Wenn es sein muss."
Ich seufze ergeben. Ich bin viel zu müde um jetzt mit ihm zu diskutieren. Und mein brummender Schädel schreit zudem noch nach Schlaf, um wieder Zeit zu haben, sich zu reparieren.
"Im Wohnzimmer unten steht eine Schlafcouch. Die kannst du ausziehen und da drin sind auch Decken."
Ich lege mir erschöpft die Hand auf die Stirn. "Alles klar.", meint Joshua, macht das Licht aus und verlässt ohne weitere Worte mein Zimmer.
Endlich kann ich also auch mein zweites Auge schließen und bin kurze Zeit später eingeschlafen.
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