19. Kapitel - Große Brüder
"Hallo, hier ist Nick!", sprich mein großer Bruder aus meinem Handy. "Hey, Nick! Was gibt's Neues?" Nick und ich hatten schon seit Wochen nicht mehr miteinander gesprochen. Also hat es wahrscheinlich einen bestimmten Grund, warum er genau jetzt anruft. Mein Bruder schweigt kurz und ich bemerke, dass er etwas herauszögert. "Ich bin raus!", platzt es dann aus ihm heraus. 'Ich bin raus' heißt für Nick 'Ich bin nicht mehr im Gefängnis'. Einen Moment sage ich nichts, da es für mich sehr unerwartet kommt. Nick hat nie gerne über seine Verbrechen gesprochen. "Das ist super.", sage ich schließlich, bin mir allerdings noch nicht sicher, was ich davon halten soll. Ich weiß ja nicht einmal genau, was er eigentlich getan hat, weswegen er im Gefängnis saß. "Ja." Mir ist das Ganze etwas peinlich, also sage ich erst einmal nichts mehr dazu. Auch mein großer Bruder scheint nicht zu wissen, was er jetzt sagen soll. "Wissen es unsere Eltern?", unterbreche ich die Stille nach ein paar Minuten. "Ja, ich habe sie gestern angerufen." Ich würde gerne fragen, warum er wegen unserer Eltern angerufen hat und nicht mich, doch Nick klärt direkt auf: "Keine Sorge, ich hätte dich auch gerne als erstes angerufen, aber du bist nicht drangegangen." Ich nicke. Das kann natürlich sein. "Was haben sie dazu gesagt?" Ich selber habe schon ewig nicht mehr mit meinen Eltern gesprochen, Nick hat die Verbindung scheinbar nicht unterbrochen, wie er zuerst gesagt hatte. "Sie waren glücklich. Zumindest Mutter. Unser Vater hat nichts gesagt. Nur, dass du dich mal wieder melden solltest. Lana, du solltest echt mit Vater reden. Er ist jetzt ganz alleine, da Mutter 'nen Neuen hat." Ich kann es Nick nicht verübeln, dass er mich darum bittet, andererseits schaffe ich das nicht. Ich hatte mir selbst geschworen, den Kontakt zu meinen Eltern vorerst aufzugeben, bis sich die Lage beruhigt. "Also sind sie jetzt getrennt?", frage ich und mein Spott ist nicht zu überhören. "Ja, Vater ist weg gezogen."
Nick erzählt mir alles haargenau über seine derzeitige Lage und über die Trennung unserer Eltern. Ich höre gespannt zu, weigere mich aber einzusehen, dass meine Eltern jetzt für immer getrennt sind und sich wahrscheinlich nie wieder anfreunden werden. Irgendwann meint Nick, dass er jetzt aufhören muss. "Ich muss jetzt gehen, ich habe noch andere Sachen zu tun. Eine Sache noch..." "Ja, was ist?" "Darf ich dich um einen Gefallen bitten?" Ich zucke mit den Schultern. "Komm drauf an... Eigentlich schon." So oft, wie Nick mir geholfen hat, habe ich keine andere Wahl. "Ruf bitte Vater an, ja?" Ich seufze leise. "Ok, ich versuch's. Bis bald!" "Bis bald, Lani." Dann legt er auf. Mein Herz rast. Ich kann Vater nicht anrufen, das geht einfach nicht. Was soll ich ihm denn sagen? Zum Glück wird mir diese Entscheidung schnell abgenommen, denn es klingelt. Ich stehe auf und gehe zur Tür. "Hey Manu!", begrüße ich Manuel. "Hallo Lani. Hast du Zeit?" Ich grinse. "Ja, eigentlich immer, wenn ich nicht in der Uni bin, oder Hausaufgaben machen muss." "Ist das ein 'Ja'?" "Klar, komm doch herein!" "Ne, eigentlich wollte ich nur kurz etwas fragen." Verwirrt nicke ich. "Okay, was denn?" "Wegen dem Umzug von Zombey und Chessie... Ist es für dich in Ordnung, wenn sie nächstes Wochenende kommen?" Begeistert bejahe ich. "Klingt doch super!", strahle ich. Manu nimmt mich in den Arm. "Ja, das wird wunderbar." "Möchtest du jetzt nicht hereinkommen?", frage ich enttäuscht." Manu's Blick senkt sich. "Na ja, ich muss noch 'GermanLetsPlay's Highlights' schneiden." Ich nicke. "Okay, ich muss sowieso noch lernen." Wie schauen uns kurz in die Augen, dann schließe ich die Tür. Ein paar Sekunden später höre ich Schritte und eine sich öffnende Tür, die sich auch sofort wieder schließt. Wenn ich ehrlich bin, muss ich gar nicht lernen. Ich habe das nur für Manu gesagt, damit er kein schlechtes Gewissen hat. Aber was soll ich sonst machen? Irgendwie -und das klingt jetzt wahrscheinlich ein bisschen komisch- würde ich lieber zur Uni gehen und mich so abzulenken. Mit Paluten reden will ich auch nicht, vielleicht, weil er mich Lani genannt hat und ich sehr nachtragend sein kann, vielleicht auch, weil er mir ständig schreibt. Sara ist momentan keine Option und sie hat sich seit dem wir uns letztens sozusagen 'gestritten' hatten, hat sie sich nicht einmal gemeldet. Ich glaube sie ist mir sehr wütend. Oder sie wartet, dass ich ihr alles erkläre, wobei sie dann lange warten kann. Auf jeden Fall möchte ich sie auch nicht provozieren. Zombey und Chessie haben gerade kaum Zeit, wie dass eben so ist, wenn man umzieht und die vom You-Tuber Haus sind heute nicht da, weil sie meines Wissens nach, Longboard fahren wollten. Und das Wetter ist mal wieder schlecht, vom Schnee von gestern ist fast nichts außer ein paar Pfützen und halb geschmolzenen Schneehaufen da. Zu früh gefreut, würde ich mal sagen. Also bleibt mir wohl nichts anderes über, als mich alleine irgendwie zu beschäftigen. Und das ist etwas, was ich so gar nicht kann. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es erst kurz nach 9 ist. Warum bin ich überhaupt so früh aufgestanden? Ich entscheide mich zu frühstücken, denn ich habe echt Hunger. Nachdem ich mir ein Toast in den Toaster geschoben, nehme ich mir den Orangensaft aus dem Kühlschrank, stelle meine Lieblingsmarmelade auf den Tisch und warte qualvolle zwei Minuten, bis das Toast nach oben schnellt.
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